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Arbeitsrecht
03.06.2015
Arbeitsrecht
LAG Nürnberg: Wiederherstellung der Vertrauensbasis zur Vermeidung einer Kündigung

LAG Nürnberg, Urteil vom 13.11.2014 – 4 Sa 574/13

Leitsatz

Die Aufforderung des Arbeitgebers, einen aktiven Beitrag zur Wiederherstellung der Vertrauensbasis zu leisten, muss für den Arbeitnehmer inhaltlich erkennen lassen, welche konkreten Maßnahmen von ihm gefordert werden, um eine angedachte Kündigung zu vermeiden.

Bei weiteren Belastungen des Arbeitsverhältnisses nach Kündigungsausspruch kann der Arbeitgeber einen Auflösungsantrag auch dann noch in der Berufungsinstanz stellen, wenn er hiervon im erstinstanzlichen Verfahren abgesehen hat.

Normen: § 1 KSchG, § 9 KSchG, § 10 KSchG

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberkündigung vom 24.04.2009 zum 30.06.2009, die tatsächliche Weiterbeschäftigung der Klägerin, die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses und im Berufungsverfahren zusätzlich über die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2009.

Die am 16.01.1965 geborene Klägerin ist bei der Beklagten ab dem 20.09.2001 auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 14.09.2001 (Kopie Bl. 242, 243 d.A.) als kaufmännische Angestellte im Einkauf beschäftigt und bezog zuletzt ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von EUR 4.620,39 (vgl. Abrechnung für 06/2009, Kopie Bl. 1177 d.A.).

Die Klägerin fühlt sich über mehrere Jahre hinweg aufgrund ihres Geschlechts und ihrer afghanischen Herkunft durch Vorgesetzte diskriminiert, worauf ein umfangreicher E-Mail-Verkehr beruht.

Mit E-Mail vom 21.09.2008 (Kopie Bl. 61-64 d.A.) wandte sich die Klägerin persönlich an den damaligen Vorstandsvorsitzenden Dr. P…. Sie schilderte ihm ihr persönliches Profil, insbesondere das Vorhandensein von drei unterhaltspflichtigen und davon zwei studierenden Kindern, und ihre berufliche Situation. Diesbezüglich behauptete sie, schon seit einigen Jahren gegen ihre Person geführten „Guerilla-Aktionen“ von Vorgesetzten ausgesetzt zu sein, eine „himmelschreiende Ausländer- und Frauenfeindlichkeit“ vorgefunden zu haben und sich wegen der Brisanz des Falles deshalb direkt an den Vorstandsvorsitzenden zu wenden, weil sie es als unfair erachte, wenn er erst aus der amerikanischen Presse informiert werden würde. Sie kündigte an, sich zu Loyalität und Geheimhaltung gegenüber der Beklagten nur solange verpflichtet zu fühlen, als diese ihre Schutzpflicht gegenüber der Klägerin wahrnehme.

Mit E-Mail vom 05.02.2009 (Kopie Bl. 59, 60 d.A.) wandte sich die Klägerin erneut an den damaligen Vorstandsvorsitzenden und schilderte ihm, dass sie weiterhin unter Männerherrschaft, Männerwirtschaft und Männersolidarität zu leiden habe. Sie brachte ihre Erwartung zum Ausdruck, „dass man sich als erstes von einem Frauen- und Ausländerhasser trennt und nicht vom Opfer verlange, weiterhin mit seinem Täter zusammenarbeiten zu müssen“. In dieser E-Mail wird unter anderem ausgeführt:

„Bei dieser Gelegenheit muss ich leider feststellen, dass Sie als CEO von S… noch einsamer sind als ich es bin. Ich darf Ihnen hiermit schriftlich bestätigen, dass kein Jude in diesem Land jemals solche seelischen Qualen erleiden musste, wie ich; und das ist mein Erleben und Empfinden und kein Gesetz der Welt kann mir verbieten, darüber zu berichten. In keinem Land der Welt, in keinem Unternehmen der Welt habe ich so viele Intrigen erlebt, sei es mit Personal, sei es mit Lieferanten. Das ganze hält die Erinnerung wach an meinen Lieblingsfilm: Der Pate. Alles in allem: Was mir bis heute geboten wird – das kann ich doch nicht annehmen: Es beleidigt meine Intelligenz“.

Die Klägerin wandte sich mit E-Mail vom 30.03.2009 (Kopie Bl. 27, 28 d.A.) an ihren unmittelbaren Vorgesetzten H… unter dem Betreff: „Lebenswerk der unfähigen Führungskräfte“. In dieser E-Mail wird dem Vorgesetzten Mobbing, Bossing, unberechtigte Kritik und unsachliche und leere Bemerkungen vorgeworfen und dass er seit 2007 nur deswegen an seinem Platz installiert worden sei, um eine intellektuellen Frau das Leben zur Hölle zu machen. Sie sandte diese E-Mail an weitere 12 Mitarbeiter der Beklagten.

Die Beklagte reagierte hierauf mit Schreiben vom 03.04.2009 (Kopie Bl. 25, 26 d.A.), in der gerügt wurde, dass einzelne Formulierungen der Klägerin durch das Beschwerderecht und ihr Recht zur freien Meinungsäußerung nicht mehr abgedeckt seien, insbesondere die Bezeichnung einzelner Führungskräften als „unterbelichteter Frauen- und Ausländerhasser“ bzw. „Rassist“ und die gemachten Anspielungen auf die Zeit des Nationalsozialismus. Das Schreiben endet mit der Textpassage:

„Frau W…, Sie haben mit diesen Vergleichen und Behauptungen arbeitsrechtliche Kündigungsgründe geliefert. Wir fordern Sie daher auf, alle von Ihnen gemachten Vergleiche und aufgestellten Behauptungen gegenüber den von ihnen informierten Personen und der S… AG schriftlich bis zum 17. April 2009 zurückzunehmen. Des Weiteren fordern wir Sie auf, sich bei den betroffenen Personen schriftlich unter qualifizierter Zurücknahme der Behauptungen ebenfalls bis 17. April 2009 zu entschuldigen. Wir erwarten, dass Sie derartige Äußerungen künftig unterlassen.

Sollten derartige oder sinngemäße gleiche Äußerungen wiederholt werden oder sollte keine Rücknahme erfolgen, werden wir arbeitsrechtliche Maßnahmen einleiten, die bis hin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehen können.

Bis zur endgültigen Klärung des Vorganges stellen wir Sie widerruflich unter Fortzahlung der Bezüge von der Arbeit frei“.

Die Klägerin nahm hierzu mit E-Mail vom 15.04.2009 Stellung, bezüglich des exakten Wortlauts der Stellungnahme wird auf die bei den Akten befindliche Kopie (Bl. 65-69 d.A.) verwiesen.

Die Beklagte hörte den bei ihr bestehenden Betriebsrat mit Schreiben vom 21.04.2009 (Kopie Bl. 23, 24 d.A.) zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung zum 30.06.2009 an. Dem Anhörungsschreiben, bestehend aus Deckblatt und Anhang waren als weitere Anlage 1 das Schreiben der Beklagten vom 03.04.2009 und als Anlage 3 die Stellungnahme der Klägerin vom 16.04.2009 beigefügt. Welche der beanstandeten E-Mails der Klägerin als Anlage 2 beigefügt waren, ist zwischen den Parteien streitig.

Der Betriebsrat stimmte am 24.04.2009 der Kündigung zu.

Mit Schreiben vom 24.04.2009 (Kopie Bl. 3 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin aus verhaltensbedingten Gründen zum 30.06.2009.

Hiergegen hat die Klägerin mit dem am 29.04.2009 beim Arbeitsgericht Nürnberg eingegangenen Schriftsatz vom 27.04.2009 Kündigungsschutzklage erhoben.

Im Wege der Klageerweiterung begehrt die Klägerin die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses und für den Fall des Obsiegens ihre tatsächliche Weiterbeschäftigung.

Wegen der Anträge der Parteien und ihres näheren Vorbringens im erstinstanzlichen Verfahren wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Verfahren erster Instanz ruhte aufgrund der schriftlichen Anträge der Klägerin vom 13.10.2010 (Bl. 929 d.A.), 22.03.2011 (Bl. 942, 943 d.A.) und 10.09.2011 (Bl. 944 d.A.) in der Zeit von Oktober 2010 bis September 2013.

Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit Endurteil vom 06.11.2013 dem Kündigungsschutzantrag der Klägerin stattgegeben, die Beklagte zur Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, die in den beanstandeten E-Mails der Klägerin enthaltenen massiven Beschimpfungen anderer Mitarbeiter und ehrverletzenden Äußerungen würden zwar ein arbeitsvertragswidriges und kündigungsrelevantes Verhalten der Klägerin darstellen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebiete jedoch den Ausspruch einer Abmahnung, wenn hierdurch der Arbeitnehmer angehalten werde, sich künftig wieder vertragstreu zu verhalten. Das Schreiben der Beklagten vom 03.04.2009 enthalte Elemente einer Abmahnung. Dadurch, dass die Beklagte der Klägerin in diesem Schreiben die Gelegenheit zur Entschuldigung bzw. zur Rücknahme der in Rede stehenden Äußerungen gegeben hat, habe sie damit zum Ausdruck gebracht, dass ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar sei. Dies führt zu der Bewertung, dass die gerügten Äußerungen und Vergleiche der Klägerin ohne eine vorherige Abmahnung nicht geeignet seien, einen Grund für eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung abzugeben.

Nach dem Zugang der streitgegenständlichen Kündigung eingetretene Umstände könnten die fehlende soziale Rechtfertigung der angegriffenen Kündigung nicht korrigieren.

Die Klägerin habe einen Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses im bestehenden Arbeitsverhältnis.

Der Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin berücksichtige nicht die in ihrem Arbeitsvertrag enthaltene Versetzungsklausel und erweise sich deshalb als unbegründet.

Gegen das beiden Parteien am 18.11.2013 zugestellte Urteil haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit dem am selben Tag beim Landesarbeitsgericht Nürnberg eingegangenen Schriftsatz vom 22.11.2013 und der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Telefax vom 16.12.2013 Berufung eingelegt und sie innerhalb der bis 27.01. bzw. 20.02.2014 verlängerten Begründungsfrist mit Telefax vom 27.01.2014 bzw. Schriftsatz vom 20.02.2014 begründet.

Die Beklagte behauptet, die Klägerin habe in grobem Umfang gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten dadurch verstoßen, dass ihre Führungskräfte H… und We… als „unterbelichteter Frauen- und Ausländerhasser“ bzw. „Rassist“ bezeichnet und in ehrverletzender Weise die Fähigkeiten des Vorgesetzten H… infrage gestellt habe. Des Weiteren habe sie einen diffamierenden Vergleich der Umstände bei der Beklagten mit dem Leid der jüdischen Mitbürger während der NS-Zeit angestellt. Darin sei eine schwerwiegende Verletzung ihrer arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht zu sehen. Hierdurch sei ein irreparabler Vertrauensverlust eingetreten und die für eine verhaltensbedingte Kündigung erforderliche negative Prognose begründet. Einer Abmahnung habe es vor Ausspruch der Kündigung nicht bedurft. Eine vorherige Abmahnung sei nämlich dann entbehrlich, wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handle, dass dem Arbeitnehmer die Rechtswidrigkeit ohne weiteres erkennbar sei und die Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber erkennbar ausgeschlossen werden könne. Die Klägerin habe angesichts der zahlreichen grob ehrverletzenden und diskreditierenden Äußerungen gegenüber der Beklagten, ihren Vertretern und ihren Mitarbeitern nicht damit rechnen können, dass dies von der Beklagten hingenommen werde. Die Art der ehrverletzenden Äußerungen, mit der die betrieblichen Umstände und Vorgehensweisen mit dem nationalsozialistischen System und dem Leid der jüdischen Mitbürger verglichen würden, führe bei einem verständigen Arbeitgeber zu einem nicht mehr zu kittenden Vertrauensverlust. Diese Pflichtverletzungen seien so gravierend, dass für die Klägerin die Rechtswidrigkeit ihrer Handlungen ohne weiteres erkennbar gewesen sei. Ferner sei in Anbetracht der Schwere der Verstöße für sie erkennbar gewesen, dass die Hinnahme dieses Verhaltens durch die Beklagte offensichtlich ausgeschlossen sei.

Der negativen Prognose stehe der Inhalt ihres Schreibens vom 03.04.2009 nicht entgegen. Das Erstgericht vertrete rechtsfehlerhaft die Auffassung, dass es ihr verwehrt sei, sich auf einen Kündigungssachverhalt zu berufen, wenn sie dem Arbeitnehmer Gelegenheit gegeben habe, sich für die Pflichtverletzung zu entschuldigen. Das Kündigungsrecht wäre aber nur dann ausgeschlossen worden, wenn sie zum Ausdruck gebracht hätte, dass sie den Pflichtverstoß als ausreichend sanktioniert und die Sache als erledigt ansehe. Hiervon könne nach dem Inhalt des Schreibens vom 03.04.2009 nicht ausgegangen werden. Sie habe hinreichend deutlich gemacht, dass das weitere Vorgehen von der Reaktion der Klägerin abhänge und sie bis zur endgültigen Klärung des Vorganges freigestellt werde. Nachdem die Klägerin nach Erhalt des Schreibens vom 03.04.2009 ihre Äußerungen nicht ausdrücklich zurückgenommen habe, habe sie hierdurch die in den Äußerungen liegenden Pflichtverletzungen und die daraus resultierende Zerstörung des Vertrauensverhältnisses manifestiert und verstärkt.

Die Pflichtverletzungen der Klägerin würden so schwer wiegen und das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnis erforderliche Vertrauensverhältnis derart zerstören, dass selbst eine Rücknahme der Äußerungen und eine Entschuldigung der Klägerin an der negativen Prognose nichts geändert hätten und auch das Ergebnis der Interessenabwägung nicht zugunsten der Klägerin ausgefallen wäre.

Die Beklagte sei als international agierendes Unternehmen gerade in den Jahren 2008 und 2009 stark im Fokus der Öffentlichkeit gestanden und habe deshalb größten Wert darauf legen müssen, durch ihre Vertreter und Mitarbeiter unternehmensintern und in der Öffentlichkeit nicht mit ehrverletzenden oder diskreditierenden Äußerungen in Verbindung gebracht zu werden. Bei den nicht hinzunehmenden Äußerungen der Klägerin habe es sich nicht um eine einmalige Entgleisung gehandelt sondern eine fortlaufende Verhaltensweise. Dies trotz mehrfacher Maßnahmen, die zu einer Deeskalation hätte beitragen sollen. Durch diese Äußerungen sei Unruhe im Betrieb entstanden und Mitarbeiter hätten sich geäußert, künftig mit der Klägerin nicht zusammenarbeiten zu wollen.

Der bei ihr bestehende Betriebsrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Im Deckblatt des Anhörungsbogens sei ihm die Anzahl der unterhaltsberechtigten Kinder mitgeteilt worden, die sich aus den Abrechnungsunterlagen ergeben hätte. Die E-Mail der Klägerin vom 21.09.2008, in dem sie ihre persönlichen Verhältnisse geschildert habe, sei zudem als Anlage 2c dem Betriebsrat zugeleitet worden. Damit sei er über die Familienverhältnisse der Klägerin umfassend informiert worden. Da der Betriebsrat mit den Gesamtvorgängen um die Klägerin bereits zuvor immer wieder befasst worden sei, seien ihm die persönlichen Verhältnisse der Klägerin positiv bekannt gewesen. Im Übrigen komme es im Hinblick auf das Gewicht der Vertragsverstöße der Klägerin nicht darauf an, wie viele unterhaltsberechtigte Kinder zum Kündigungszeitpunkt vorhanden gewesen seien. Die in dem Anhörungsschreiben vom 21.04.2009 angesprochene Anlage 2 habe aus den Anlagen 2a (E-Mail der Klägerin vom 30.03.2009), 2b (E-Mail Konvolut vom 24.09.2008) und 2c (E-Mails an den damaligen Vorstandsvorsitzenden P… vom 21.09.2008 und 05.02.2009) bestanden. Der Anlage 2c sei der vollständige Inhalt des Judenzitats zu entnehmen. Auch das vollständige Zitat enthalte eine Tatsachenbehauptung, denn ein „Erleben“ betreffe einen tatsächlichen Vorgang und keine rein subjektiv-persönliche Einschätzung. Die Klägerin habe gewusst, welchen Stellenwert ein solcher Vergleich in Deutschland habe. Dadurch dass sie diesen Tatsachenvergleich zur Charakterisierung der Zustände bei der Firma S… einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe, habe sie größtmögliche Wirkung zum Nachteil der Arbeitgeberin erzielen wollen.

Eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit der Klägerin sei nicht mehr zu erwarten. Das Arbeitsverhältnis sei deshalb gemäß § 9 Abs. 2 KSchG gerichtlich aufzulösen. Die zahlreichen Spannungen die sich während des Kündigungsschutzprozesses gezeigt hätten, ließen eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als sinnlos erscheinen. Die Klägerin habe die Beklagte in zahlreichen Äußerungen gegenüber der regionalen und überregionalen Presse als ein diskriminierendes, frauen- und ausländerfeindliches Unternehmen dargestellt, in dem systematisch Mobbing betrieben und keine Rücksicht auf die Gesundheit der Mitarbeiter genommen werde. Auch von ihrem Judenvergleich habe sie sich in der Öffentlichkeit nicht distanziert sondern vielmehr die Arbeitgeberin bezichtigt, ihr zu Unrecht eine strafbare Verharmlosung des Holocaust vorgeworfen zu haben. Am 24.02.2010 habe sie diesbezüglich sogar eine Strafanzeige gegen die Arbeitgeberin bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth eingereicht. Zusätzlich habe sie Strafanzeigen gegen die Mitarbeiterin Se… aus der Personalabteilung und den Mitarbeiter R… aus der Presseabteilung der Beklagten wegen angeblichen Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz erstattet. Die Klägerin habe die Namen der beiden Mitarbeiter auch öffentlich erwähnt und der Presse mitgeteilt, so dass deren Ansehen in der Öffentlichkeit beeinträchtigt worden sei. Sie habe auch in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin das Ansehen der Firma beeinträchtigt, denn sie habe der Arbeitgeberin gegenüber den Vorwurf erhoben, auf Kosten ihrer Person die Ressentiments in der Gesellschaft gegen Menschen mit Migrationshintergrund anzuheizen und die Deutschen zum Zorn zu reizen. Ferner behaupte sie, Augenzeuge eines Selbstmords in ihrem Betrieb, Augenzeuge der Diskriminierung von behinderten und krebskranken Menschen, der Diskriminierung der Senioren und diverser Benachteiligung der Frauen, die von der Schwangerschaft zurückkämen, gewesen zu sein. Dieser offene Brief sei auf der Homepage der Klägerin veröffentlicht worden.

In einer E-Mail vom 31.08.2009 an mehrere Mitarbeiter und Mitglieder des Betriebsrats habe sie dem Betriebsrat gegenüber den Vorwurf erhoben, seit Jahren Machtmissbrauch begünstigt und offensichtliche Gesetzesverstöße ignoriert und damit gebilligt zu haben.

Wegen der wirksamen Beendigung des Vertragsverhältnisses bestehe kein Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung egal zu welchem Inhalt. Zudem würden wegen der geschilderten Auflösungsgründe bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits Gründe für eine Nichtbeschäftigung überwiegen.

Die Beklagte, Berufungsklägerin und Berufungsbeklagte beantragt:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 06.11.2013, Az.: 2 Ca 5556/13 insoweit abgeändert, als es der Klage stattgegeben hat.

2. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Hilfsweise:

Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wird auf Antrag des Arbeitgebers gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufgelöst.

3. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 06.11.2013, Az.: 2 Ca 5556/13 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

4. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Klägerin, Berufungsbeklagte und Berufungsklägerin beantragt:

1. Die Berufung der Beklagten zurückzuweisen sowie den Auflösungsantrag der Beklagten abzuweisen.

2. Das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit dort noch zum Nachteil der Klägerin entschieden wurde und insoweit nach den vorinstanzlichen Schlussanträgen der Klägerin zu erkennen,

hilfsweise hierzu,

die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu den im Arbeitsvertrag vom 14.09.2001 genannten Bedingungen in der derzeit geltenden Fassung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den in Ziffer 1 des angefochtenen Urteils enthaltenen Feststellungsausspruch weiter zu beschäftigen.

Zur Begründung trägt sie vor, die Beklagte habe sie aufgrund des gewonnenen Kündigungsrechtsstreits zu den zuletzt praktizierten arbeitsvertraglichen Bedingungen tatsächlich zu beschäftigen, hilfsweise auch zu anderen vertragskonformen Konditionen.

Die Berufung der Beklagten sei bereits unzulässig, da sie sich mit der die Kündigung tragenden Prognoseentscheidung nicht substantiiert auseinandersetze.

Zur Begründung der Kündigung werde eine bewusst gekürzte und sinnentstellende Fassung des Judenvergleichs in der E-Mail vom 05.02.2009 wiedergegeben. Aus der vollständigen Wiedergabe des gesamten Satzes werde offensichtlich, dass die Klägerin lediglich ihr subjektiv-persönliches Erleben und Empfinden dem Vorstandsvorsitzenden mitgeteilt habe. Sie habe weder betriebliche Vorgänge genannt, noch Handlungen des Arbeitgebers bezeichnet und erst Recht habe sie keinen Vergleich zwischen Tatsachen und Handlungsweisen zwischen Betrieb einerseits und dem Dritten Reich andererseits angestellt. Sie habe sich lediglich über das Maß der Beeinträchtigung ihrer Gefühle geäußert. Ihre damalige Gefühlswelt sei dadurch stark geprägt gewesen, dass sie über Jahre hinweg bei der Beklagten von ihren Vorgesetzten diskriminiert, isoliert und herabgewürdigt worden sei. Es möge zwar die von der Klägerin getätigte Äußerung nicht jedermanns Wohlgefallen finden und insbesondere in Deutschland allerlei spezielle Befindlichkeiten berühren. Da sie aus Afghanistan stamme und erst im Alter von 26 Jahren nach Deutschland übersiedelt sei, habe sie nicht die gleiche spezielle Sensibilität für dieses Thema haben können, wie ein in Deutschland aufgewachsener Mitbürger, als sie diese spezifische Art der Umschreibung ihrer verletzen Gefühlswelt gewählt habe. Insofern sei die Annahme des Erstgerichts, es könne sich hierbei um einen kündigungsrelevanten Sachverhalt handeln, unzutreffend. Unzutreffend sei auch die Behauptung, sie habe eine Führungskraft als unterbelichtenden Frauen- und Ausländerhasser bezeichnet. In ihrer Stellungnahme vom 16.04.2009 habe sie diese Ausdrucksweise relativiert und ihre Ausdrucksweise durch konstruktive Selbstkritik geläutert. Zu keinem Zeitpunkt habe sie die Führungskraft We… als „Rassist“ bezeichnet.

Im Rahmen der an den Vorstand herangetragenen Beschwerde sei auch eine überspitzte und polemische Kritik zulässig und verletze nicht die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Bei der Konkretisierung dieser Pflicht seien stets die grundrechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere das Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu beachten.

Die Beklagte habe in ihrem Schreiben vom 03.04.2009 zum Ausdruck gebracht, dass bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen einer Fortführung des Arbeitsverhältnisses nichts im Wege stehe. Damit fehle es an der für die Kündigung erforderlichen negativen Zukunftsprognose. Da die Beklagte selbst die bisherigen Verfehlungen als durch Entschuldigung bzw. Richtigstellung reparable Vorgänge ansehe, sei eine erfolglose Abmahnung nicht entbehrlich gewesen.

Und eine so schwere Pflichtverletzung, dass ohne weiteres erkennbar gewesen sei, eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber sei offensichtlich ausgeschlossen, liege nicht vor. Sie habe keinen Mitarbeiter der Beklagten als Nazi bezeichnet und im Verhältnis zum NS-Regime keine Tatsachenbehauptungen aufgestellt sondern lediglich ihre verletzte Gefühlswelt beschrieben. Auch in diesem Zusammenhang habe die Beklagte durch ihr Schreiben vom 03.04.2009 zum Ausdruck gebracht, dass das Vertrauensverhältnis nicht unwiederbringlich zerstört sei sondern die Klägerin auch aus Sicht der Beklagten wieder auf Linie gebracht werden könne.

Im Rahmen der Interessenabwägung lasse die Beklagte die jahrelangen Mobbingvorgänge völlig außer Acht. Der Betriebsfrieden werde nicht durch sie sondern durch die damaligen “Mobber“ gestört.

Die Kündigung sei bereits deshalb unwirksam, da der Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Auf dem Anhörungsbogen vom 21.04.2009 sei dem Betriebsrat wahrheitswidrig mitgeteilt worden, sie habe nur ein Kind, dem sie unterhaltsverpflichtet sei. Dabei habe die Beklagte aufgrund des Inhalts der E-Mail vom 21.09.2008 an den Vorstandsvorsitzenden gewusst, dass sie drei Kindern gegenüber unterhaltspflichtig sei. Im Rahmen der Interessenabwägung würde die Anzahl der Kinder stets eine Rolle spielen, weshalb die Anzahl der Kinder nicht unerheblich sei. Unzutreffend sei, dass dem Betriebsrat die persönlichen Familienverhältnisse der Klägerin bekannt gewesen seien. In dem Anhörungsschreiben selbst seien keine ausreichenden Kündigungsgründe genannt und es sei nicht Aufgabe des Betriebsrats aus einem Anlagenkonvolut sich das passende herauszusuchen. Dem Betriebsrat gegenüber sei das Judenzitat zudem falsch wiedergegeben worden.

Der Auflösungsantrag der Beklagten sei abzuweisen, denn dieser erweise sich wegen der Unzulässigkeit der Berufung ebenfalls als unzulässig. Wegen der Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG könne von der Beklagten ein solcher Antrag nicht gestellt werden. Auch der Verzicht der Beklagten auf ein etwaiges Kündigungsrecht durch Schreiben vom 04.03.2009 führe rechtlich zum Ausschluss der Auflösungsmöglichkeit.

Bei einem erst in der Berufungsinstanz gestellten Antrag nach § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG könnten zudem nur Sachverhalte nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz Berücksichtigung finden. Jahre zurückliegende Vorgänge seien nicht geeignet, den in die Zukunft zielenden Auflösungsantrag sachlich zu rechtfertigen. Dies um so mehr, wenn zwischenzeitlich betriebliche Veränderungen eingetreten seien und eine Zusammenarbeit zwischen der Klägerin und früheren Führungspersonen nicht mehr stattfinden müsse. Die Fortführung des von ihr angestrengten Mobbingprozesses gegen die Beklagte bringe es mit sich, dass Vorwürfe gegen Vorgesetzte vorgebracht werden müssten. Dies könne nicht dazu führen, einen Auflösungsantrag der Arbeitgeberin zu rechtfertigen. Unzutreffend sei die Behauptung der Beklagten, sie hätte die Presse und Öffentlichkeit gesucht, vielmehr sei die Presse aktiv auf sie zugekommen.

Ihre Strafanzeige vom 24.02.2010 sei zu Recht erfolgt, denn die Beklagte habe ihr gegenüber im Schriftsatz vom 22.10.2009 und in der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2010 den Vorwurf der Holocaust-Verharmlosung erhoben, was einen strafrechtlichen relevanten Vorgang gem. §§ 185, 186 StGB darstelle. Insoweit habe sie zur Vermeidung beruflicher Nachteile in zulässigerweise ihre staatsbürgerlichen Rechte wahrgenommen. Auch die Strafanzeige gegen zwei Mitarbeiter der Beklagten sei gerechtfertigt gewesen. Denn der Zeitschrift „Stern“ seien Informationen zugeleitet worden, die Inhalt ihrer Personalakte gewesen seien und sie selbst Reportern dieser Zeitschrift nicht mitgeteilt habe. Die Herausgabe der persönlichen Daten an die Presse habe zwangsläufig nur durch Mitarbeiter der Beklagten bewerkstelligt werden können. Sie haben den Stern-Artikel als Rufmord empfunden und im Rahmen der Wahrnehmung eigener berechtigter Interessen von ihren rechtsstaatlichen Möglichkeiten Gebrauch gemacht.

Ihr Brief an die Bundeskanzlerin sei schon längst nicht mehr auf ihrer Homepage und könne deshalb keine aktuellen negativen Auswirkungen mehr entfalten.

Der Angriff gegen den Betriebsrat im Jahr 2009 habe auf ihrer Verärgerung beruht, dass sich dieser nicht für sie eingesetzt habe.

Dem Arbeitgeber, der auf die Beschwerde eines fortlaufend diskriminierten Mitarbeiters nicht reagiere und sogar Vergeltungsmaßnahmen einleite, sei es aufgrund europarechtlicher Vorgaben verwehrt, von einer nach einfachem nationalem Recht eröffneten Möglichkeit der Vertragsbeendigung Gebrauch zu machen. Insoweit sei eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs einzuholen.

Der als Zeuge vernommene Betriebsratsvorsitzende E… habe sich hinsichtlich der dem Betriebsrat in Anlage des Anhörungsschreibens überlassenen Unterlagen widersprüchlich geäußert. Die Anlagen 2b und 2c seien dem Betriebsrat nämlich nicht zugeleitet worden. Es sei zeitlich gar nicht möglich gewesen – wie vom Zeugen geschildert – die 29 Seiten in der Betriebsratssitzung zu verlesen. Dies sei auch nicht im Rahmen ihrer telefonischen Anhörung durch den Betriebsratsvorsitzenden erfolgt, denn das Telefonat habe lediglich etwa 15 Minuten gedauert. Das vom Zeugen geschilderte Telefonat habe am 21.04 um ca. 14.00 Uhr stattgefunden und nicht wie vom Zeugen angegeben am 23. April. Als sie am 24.04. um 8.30 Uhr den Personalreferenten Wi… der Beklagten angerufen habe, sei diesem die Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten Kündigung bereits vorgelegen und etwa zwei Stunden später sei das Kündigungsschreiben durch den Werkschutz der Beklagten in ihren Briefkasten eingeworfen worden Nach nochmaliger Recherche habe sie festgestellt, dass das Telefonat mit dem Betriebsratsvorsitzenden doch am 23.04.2009 stattgefunden habe.

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

In den Verhandlungsterminen vom 09.07.2014 und 07.08.2014 ist Beweis erhoben worden gemäß den Beweisbeschlüssen von diesen Tagen durch uneidliche Einvernahme der Zeugen E…, H… W…, M… und U… sowie der Klägerin als Partei.

Hinsichtlich des Ergebnisses der durchgeführten Beweisaufnahme wir auf die Sitzungsprotokolle vom 09.07.2014 (Bl. 1431 – 1437 d.A.) und vom 07.08.2014 (Bl. 1516 – 1527 d.A.) sowie den Beschluss vom 06.11.2014 (Bl. 1678 – 1680 d.A.) verwiesen.

Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

Aus den Gründen

I.

Die Berufungen sind zulässig.

Sie sind statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2b, und c ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG 519, 520 ZPO.

Beide Berufungen setzen sich hinsichtlich des Berufungsangriffs auch in ausreichendem Umfang mit den Entscheidungsgründen des Ersturteils auseinander.

II.

Die Berufung der Beklagten erweist sich nur insoweit als sachlich begründet, als sie sich gegen die Verurteilung zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses richtet.

Dem erstmals in der Berufungsinstanz gestellten Auflösungsantrag der Beklagten war stattzugeben. Damit bestand weder eine Verpflichtung der Beklagten der Klägerin ein Zwischenzeugnis zu erteilen noch sie tatsächlich weiter zu beschäftigen, zu welchen Konditionen auch immer.

Im Übrigen erweisen sich beide Berufungen als unbegründet, denn das Erstgericht hat im Ergebnis zutreffend dem Kündigungsschutzantrag der Klägerin stattgegeben und die Klage auf tatsächliche Weiterbeschäftigung abgewiesen.

1. Das Erstgericht hat im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24.04.2009 nicht rechtswirksam zum 30.06.2009 beendet worden ist. Dies wegen des im Kündigungsrecht zu beachtenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und unter besonderer Berücksichtigung des Schreibens der Beklagten vom 03.04.2009 (Kopie Bl. 25, 26 d.A.).

a) In Bezug auf die kündigungsrechtliche Relevanz des gerügten Fehlverhaltens der Klägerin kann auf die zutreffenden Ausführungen im Ersturteil zu ehrverletzenden und beleidigenden Äußerungen gegenüber Vorgesetzten und gegenüber der Arbeitgeberin verwiesen und von einer rein wiederholenden Darstellung abgesehen werden. Insoweit wird die Rechtsprechung zur kündigungsrechtlichen Bewertung ehrverletzender Äußerungen zutreffend dargestellt.

b) Im Rahmen der zu prüfenden Verhältnismäßigkeit unter Beachtung des so genannten ultima-ratio-Prinzips kommt im vorliegenden Kündigungsrechtsstreit der Bedeutung des Arbeitgeberschreibens vom 03.04.2009 entscheidende Bedeutung zu.

Vor Ausspruch einer Kündigung hat der Arbeitgeber zu prüfen, ob unter Berücksichtigung des Kündigungssachverhalts für ihn nicht mildere Mittel zur Verfügung stehen, um eine weitere Beeinträchtigung seiner Interessen zu vermeiden und damit eine Basis für eine weitere Zusammenarbeit im Interesse der Erhaltung des Arbeitsplatzes des Arbeitnehmers zu schaffen. Der Arbeitgeber hat im Interesse des Inhalts- und Bestandsschutzes ihm zumutbare alternative Möglichkeiten zu ergreifen, bevor er in den Bestand oder den Inhalt des Arbeitsverhältnisses eingreift. Falls er dies tut, darf er immer nur von dem für den Arbeitnehmer mildesten und ihm noch zumutbaren Mittel Gebrauch machen.

Danach kommt eine Beendigungskündigung, gleichgültig ob sie auf betriebs-, personen- oder verhaltensbedingte Gründe gestützt wird, als äußerstes Mittel (ultima- ratio) erst in Betracht, wenn sie zur Beseitigung betrieblicher Beeinträchtigungen geeignet und erforderlich ist. Der Arbeitgeber muss von mehreren gleich geeigneten zumutbaren Mitteln das auswählen, das den Arbeitnehmer am wenigsten belastet. Eine Kündigung ist nur als letztes Mittel zulässig (so KR-Griebeling, 10. Aufl., § 1 KSchG Rz. 214, 215 m.w.N.).

Durch ihr Schreiben vom 03.04.2009 wollte die Beklagte der Klägerin die Möglichkeit eröffnen, trotz ihrer Äußerungen in den E-Mails vom 21.09.2008 und 30.03.2009 gegenüber ihrer direkten Führungskraft Herrn H… und der behaupteten Bezeichnung der weiteren Führungskraft Herrn We… im Januar 2009 als „Rassist“ durch eine Distanzierung von gemachten Äußerungen und eine Entschuldigung bei den betroffenen Führungskräften die Basis für eine weitere Zusammenarbeit zu schaffen. Gleiches gilt in Bezug auf die von der Beklagten beanstandeten Vergleiche zwischen den Verhältnissen im Unternehmen mit denen bei der Mafia oder mit der Behandlung der Juden im NS-Unrechtsstaat (E-Mail an den Vorstandsvorsitzenden Dr. P… vom 05.02.2009 und E-Mail an den Mitarbeiter Dr. Sg… vom 12.09.2008). Auch diesbezüglich erwartete die Beklagte, dass die Klägerin derartige Äußerungen künftig unterlässt und stellte ihr im Falle einer Wiederholung solcher Äußerungen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Aussicht. Ferner forderte sie von der Klägerin auch diesbezüglich eine „qualifizierte Zurücknahme und Entschuldigung“, um damit die Basis für eine weitere Zusammenarbeit wieder herzustellen.

Der Inhalt des Schreibens vom 03.04.2009 beschränkte sich nicht auf eine bloße Abmahnung des bisherigen Verhaltens und die Inaussichtstellung einer Kündigung im Wiederholungsfall, was zu einem rechtsverbindlichen Verzicht auf ein eventuell bereits gegebenes Kündigungsrecht führen würde (vgl. hierzu BAG vom 06.03.2003 – 2 AZR 128/02 – NZA 2003, 1388). Vielmehr wurde der Klägerin in dem Schreiben bis 17.04.2009 eine Frist gesetzt, sich von den beanstandeten Äußerungen und gezogenen Vergleichen zu distanzieren und sich bei den betroffenen Mitarbeitern zu entschuldigen. Erst dann sah die Beklagte die Basis für eine weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wieder für gegeben. Dementsprechend wurde die endgültige kündigungsrechtliche Bewertung ihres Verhaltens bis zum Eingang ihrer Stellungnahme zurückgestellt.

Diesen Willen hat die Beklagte in den beiden letzten Absätzen ihres Schreibens vom 03.04.2009 hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht und damit nicht bereits auf ein Kündigungsrecht wirksam verzichtet.

In ihrer Stellungnahme vom 17.04.2009 (Kopie Bl. 65-69 d.A.) hat die Klägerin in Bezug auf den Vorgesetzten H…, dem sie seit einigen Jahren Mobbing, Bossing und Diskriminierung vorwirft – was Gegenstand eines parallel geführten Rechtsstreites ist, zum Ausdruck gebracht, dass ihr einzelne Äußerungen, die sie aus Enttäuschung und Verärgerung gemacht habe, leid täten und sie bereit sei, im Rahmen einer Aussprache mit dem Vorgesetzten zu einer Deeskalation beizutragen. Die behauptete Äußerung „Rassist“ in Bezug auf den Vorgesetzten We… hat die Klägerin in ihrer Stellungnahme bestritten und klargestellt, dass dieser Vorwurf auch nicht zuträfe. Insoweit wollte die Klägerin - der Aufforderung der Beklagten Folge leistend - das gestörte Verhältnis zu den beiden Vorgesetzten verbessern und damit die Basis für eine weitere Zusammenarbeit legen.

Demgegenüber hat sich die Klägerin nicht auch gegenüber der Firmenleitung insgesamt, dem Vorstandsvorsitzenden Dr. P… oder dem Mitarbeiter Dr. Sg… erklärt, was ihr Erleben und Empfinden anlangt und die von ihr hergestellte Nähe zum Spielfilm „Der Pate“ und dem Vergleich mit dem Schicksal der Juden während der Zeit des Nationalsozialismus. Nachdem gerade letzteres zum Kernpunkt der kündigungsrechtlichen Auseinandersetzung wurde, hätte es nahegelegen, dies in dem Schreiben vom 03.04.2009 auch entsprechend herauszustellen.

Nach dem Eingangssatz dieses Schreibens war nämlich der Inhalt der E-Mail vom 30.03.2009, den Vorgesetzten H… betreffend, der Anstoß für die Beklagte, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zu beenden, nicht jedoch die zeitlich weiter zurückliegenden E-Mails der Klägerin vom 21.09.2008 und 05.02.2009.

Dementsprechend konnte sich die Klägerin vorrangig in der Pflicht sehen, durch eine Verbesserung ihres Verhältnisses zu den beiden Vorgesetzten H… und We… die Entscheidung der Beklagten über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses positiv zu beeinflussen.

War aus Sicht der Beklagten alleine das Zitat der Klägerin in Bezug auf ihr eigenes Erleben und Empfinden bei der Beklagten und den seelischen Qualen der Juden während der NS-Terrorherrschaft entscheidend für die weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, hätte dies in dem Schreiben vom 03.04.2009 hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht werden müssen. Für die Klägerin war nicht erkennbar, welche Vorwürfe in der Reihe der im Schreiben vom 03.04.2009 aufgezeigten, den Kern einer verhaltensbedingten Kündigung bilden könnten, und bei welchen es sich lediglich um zusätzliche Belastungen im Rahmen der Interessenabwägung handelte. Es war für sie folglich nicht ausreichend transparent, welche konkreten Erklärungen von ihr erwartet wurden, um den Interessen der Beklagten zu entsprechen und zu einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses beizutragen. Dies hätte man indes von der Beklagten erwarten können, wenn von der Mitarbeiterin unter Fristsetzung ein aktiver Beitrag erwartet wird, um die anstehende Entscheidung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses positiv zu beeinflussen. Diese Klarstellung ließ das Schreiben der Beklagten vom 03.04.2009 jedoch vermissen, was die konkreten Erklärungen gegenüber bestimmten Unternehmensvertretern betrifft. Damit hat die Beklagte dazu beigetragen, dass innerhalb der Frist bis 17.04.2009 von der Klägerin nicht die konkreten Erklärungen gegenüber einzelnen Vertretern oder Stellen des Unternehmens abgegeben worden sind, die sich die Beklagte erwartet hat. Dies ist im Rahmen des Verhältnismäßigkeit und der Interessenabwägung zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen.

2. Auf Antrag der Beklagten ist das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG gegen Zahlung eines Abfindungsbetrages in Höhe von EUR 37.600,-- aufzulösen. Es liegen nämlich Gründe vor, die von der Klägerin nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung gesetzt worden sind, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht erwarten lassen. Hierauf konnte sich die Beklagte in dem vorliegenden Verfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz berufen.

a) Der Auflösungsantrag konnte von der Beklagten mit Schriftsatz vom 14.01.2014 erstmals in der Berufungsinstanz noch fristgerecht gestellt werden, denn § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG enthält eine gesetzliche Sonderregelung, die allgemeinen zivilprozessualen Bestimmungen der Prozessförderungspflicht, §§ 296, 530, 531 ZPO, 67 ArbGG vorgeht. Insoweit tritt keine prozessuale oder materiell-rechtliche Verwirkung ein, wenn ein Arbeitgeber trotz Vorliegens ausreichender Auflösungsgründe in erster Instanz – in Erwartung eines klageabweisenden Urteils – davon absieht, den Auflösungsantrag zu stellen und dieser erst in Verbindung mit der Berufung gegen das der Klage stattgebende Feststellungsurteil in zweiter Instanz gestellt wird (vgl. hierzu KR-Spilger, a.a.O., § 9 KSchG Rz. 20 m.w.N.).

Ebenso wenig liegt in der bloßen Untätigkeit der Arbeitgeberin in erster Instanz eine Betätigung ihres Verzichtswillens, der als ein konkludentes Vertragsangebot aufgefasst werden könnte. Vielmehr kann im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG der Arbeitgeber den Ausgang des erstinstanzlichen Kündigungsschutzverfahrens abwarten, um erstmals in der Berufungsinstanz eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses für den Fall einer erfolglosen Berufung gegen das Feststellungsurteil zu erwirken.

b) Der Auflösungsantrag der Beklagten ist nicht deshalb ausgeschlossen, da die angegriffene Kündigung vom 24.04.2009 sich nicht nur als sozial ungerechtfertigt erweist, sondern auch aufgrund eines anderen Unwirksamkeitsgrundes i.S.v. § 13 Abs. 3 KSchG, der dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers dient. Hierzu zählt auch die Regelung des § 102 Abs. 1 BetrVG. Es ist der Arbeitgeberin verwehrt, die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu erwirken, sollte sich die angegriffene Kündigung wegen der fehlenden ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG als rechtsunwirksam erweisen (vgl. BAG vom 23.02.2010 – 2 AZR 554/08 – NZA 2010, 1123; LAG Rheinland-Pfalz vom 09.02.2012 – 10 Sa 342/11 – zitiert in juris).

Nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ist eine Kündigung nicht nur dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat vorher angehört zu haben, sondern auch dann, wenn er seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht richtig, insbesondere nicht ausführlich genug nachgekommen ist (vgl. BAG vom 15.11.2001 – 2 AZR 380/00 – NZA 2002, 970).

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte mit Schreiben vom 21.04.2009 nebst Anlagen den im Beschäftigungsbetrieb bestehenden Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört und erst nach Vorliegen der schriftlichen Zustimmung des Betriebsrats am 24.04.2009 die Kündigungserklärung aus ihrem Machtbereich hinausgegeben.

Die Beklagte hat den bei ihr bestehenden Betriebsrat über die persönlichen Daten der Klägerin und den aus ihrer Sicht maßgeblichen Kündigungssachverhalt mit Anhörungsschreiben vom 21.04.2009 nebst Anlagen ordnungsgemäß unterrichtet.

Die ordnungsgemäße Einleitung des Anhörungsverfahrens durch die Überlassung des Anhörungsschreibens nebst Anlagen an den zuständigen Betriebsratsvorsitzenden E… folgt für die erkennende Kammer aus der diesbezüglich durchgeführten umfangreichen Beweisaufnahme - der Einvernahme der Zeugen E… am 09.07.2014, der weiteren Zeugen H… W…, M… und U… am 07.08.2014, der Klägerin als Partei im selben Termin sowie der Einsichtnahme der vom Zeugen E… im Verhandlungstermin vom 09.07.2014 vorgelegten Anhörungsunterlagen im Wege eines gerichtlichen Augenscheins.

Ob die in dem Anhörungsschreiben zu niedrig angegebenen Unterhaltspflichten der Klägerin im vorliegenden Fall zu einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrates führen könnten, kann dahingestellt bleiben, denn der bei der Beklagten bestehende Betriebsrat war unabhängig vom Inhalt des Anhörungsschreibens über die Unterhaltspflichten der Klägerin positiv informiert.

Er hat zudem den Umfang der Unterhaltspflichten aus der Anlage 2c) des Anhörungsschreibens entnommen.

Insoweit braucht nicht entschieden zu werden, ob es bei Einleitung der Beteiligung des Betriebsrats den subjektiven Vorstellungen der Beklagten entsprach, unabhängig von den für die Klägerin bestehenden Unterhaltsverpflichtungen das Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen zu kündigen. In einem solchen Fall hätte die Angabe der Unterhaltspflichten nur dann eine Bedeutung für den Kündigungsgrund im Rahmen der Interessenabwägung gehabt, wenn diese persönlichen Umstände im unmittelbaren Zusammenhang mit der Pflichtverletzung gestanden hätten, was von der Klägerin indes nicht behauptet wird (vgl. BAG vom 15.11.2001, aaO).

Der Zeuge E… hat in Bezug auf den Beweisbeschluss vom 09.07.2014 zu a) ausgesagt, dass bei dem Betriebsrat aufgrund der mehrfachen Vorbefassung mit der Klägerin, insbesondere auch im Zusammenhang mit betriebsbedingten Personalabbaumaßnahmen, eine konkrete Aktenlage bezüglich der Arbeitnehmerdaten bestand. Insoweit hat er bestätigt, dass beim Betriebsrat hinsichtlich der Familienverhältnisse der Klägerin die Informationen vorlagen.

Des weiteren hat der Zeuge ausgeführt, dass in dem Anhörungsdeckblatt von einem unterhaltsberechtigtem Kind gesprochen worden ist – diesbezüglich wurde die Angabe „1 unterhaltspflichtiges Kind“ richtig dahingehend interpretiert, dass es sich hierbei um die Unterhaltspflicht der Klägerin gegenüber einem Kind handelt – im weiteren Inhalt der Anhörungsunterlagen aber von einer höheren Anzahl gesprochen worden ist.

Der Zeuge gab in diesem Zusammenhang an, die Unterlagen vor dem Beweistermin nicht erneut eingesehen und sich mit deren Inhalt vertraut gemacht zu haben. Es verwundert folglich nicht, dass ihm aufgrund des mehr als fünfjährigen zeitlichen Abstands zu dem Anhörungsverfahren einzelne Details nicht mehr erinnerlich waren und sich der Zeuge diesbezüglich auch nicht festlegen konnte. Dass er deshalb zur Anzahl der angegebenen unterhaltsberechtigten Kinder keine konkreten Angaben machen konnte, entwertet die Aussage des Zeugen nicht, dies spricht vielmehr für seine Glaubwürdigkeit. Der Zeuge gab weiter an, die ihm damals übergebenen Unterlagen komplett mitgebracht zu haben.

Die vom Gericht unter Hinzuziehung der Parteivertreter vorgenommene Einsichtnahme hat ergeben, dass die von dem Zeugen vorgelegten Unterlagen inhaltlich identisch sind mit den in der Gerichtsakte befindlichen Kopien des Anhörungsschreibens (Bl. 23, 24 d.A.) und der Anlagen 1 (Bl. 25, 26 d.A.), 2a (Bl. 27 – 29 d.A.), 2b (Bl. 30 – 58 d.A.), 2c (Bl. 59-64 d.A.) und 3 (Bl. 65 – 69 d.A.).

Auch wenn sich der Zeuge im weiteren Verlauf seiner Einvernahme von Zwischenfragen des Klägerinvertreters verunsichern ließ und er beide alternative Fragen zur Vollständigkeit der Anlagen verneinte (vgl. Sitzungsprotokoll Bl. 1434 d.A.) so konnte er doch wieder sicher ausschließen, dass dem Betriebsrat nachträglich weitere Anhörungsunterlagen zugeleitet worden sind. Diese hätten auch einen weiteren Eingangsvermerk beim Betriebsrat aufgewiesen. Einen solchen von der Eingangsbestätigung 21.04.09 abweichenden Eingangsvermerk weisen die mit den Originalunterlagen identischen Kopien (Bl. 23 – 69 d.A.) indes nicht auf. Auf den Zeitaufwand, das gesamte Anhörungskonvolut den Betriebsräten in der Sitzung vorzulesen, ist nicht entscheidend abzustellen, denn nach Angaben des Zeugen war die Kündigungsangelegenheit der Klägerin Gegenstand zweier Betriebsratssitzungen am 23. und 24.04.2009.

Der Zeuge gab an, sich handschriftliche Notizen über ein mit der Klägerin geführtes Telefonat nach Erhalt des Anhörungsschreibens gemacht zu haben. Ausweislich dieses Vermerks hat der Zeuge mit der Klägerin in Anwesenheit des weiteren Betriebsratsmitglieds Ra… am 23.04. ein Telefonat geführt und ihr die Kündigungsbegründung der Beklagten eröffnet. Nach Angabe des Zeugen ist der Klägerin mitgeteilt worden, dass dem Betriebsrat diverse E-Mails, u.a. auch an den Vorstandsvorsitzenden Dr. P…, vorliegen würden. Es sei auch der dort enthaltene Vergleich mit dem Leid der Juden Inhalt des Telefonats gewesen.

Nach Angabe des Zeugen lag dem Betriebsrat im Zeitpunkt des Telefonats mit der Klägerin die Anlage 2c vor, die die beiden E-Mails an den Vorstandsvorsitzenden P… vom 05.02.2009 und 21.09.2008 umfasste. In ihnen wird die Situation bei der Beklagten mit dem Leid der Juden und dem Film „Der Pate“ in Verbindung gebracht und von der Klägerin auch mitgeteilt, gegenüber drei von vier Kindern unterhaltspflichtig zu sein.

Die Angaben des Zeugen wurden nicht durch die noch im Verhandlungstermin vom 09.07.2014 aufgestellten Behauptungen widerlegt, die Anlage 2c sei nicht Gegenstand des geführten Telefonats gewesen, das Telefonat habe nicht am 23.04.2009 sondern am 21.04.2009 um ca. 14.00 Uhr stattgefunden und von Seiten des S… Vorstandsbüros habe es die Anweisung gegeben, die Anlagen 2b und 2c dem Betriebsrat nicht zuzuleiten.

Dies haben nämlich die Einvernahme des Ehemannes der Klägerin sowie der Mitarbeiter M… und U… sowie die Vernehmung der Klägerin als Partei nicht ergeben.

Nach Angabe des Zeugen W… wurde der Klägerin in dem Telefonat lediglich der Inhalt des Begleitschreibens der Anhörung vorgelesen, nicht jedoch der Inhalt weiterer Anlagen. Dass sich der Zeuge nach mehr als fünf Jahren noch genau daran erinnern konnte, welche Ziffern die unterschiedlichen Anlagen des Anhörungskonvoluts trugen und inwiefern es sich bei der Anlage 2 nicht um die vorgelegten untergliederten Anlagen 2a, 2b und 2c gehandelt hat, erscheint der erkennenden Kammer wenig glaubhaft. Insoweit spricht viel dafür, dass dem Zeuge – wie von ihm auch angegeben – das Schicksal seiner Ehefrau sehr am Herzen lag, was auch seine Anwesenheit im Verhandlungstermin vom 09.07.2014 belegt. Dem Gericht erscheinen die Angaben des Zeugen E…, eines außenstehenden Dritten gerade wegen ihrer partiellen Unschärfe weit mehr glaubhaft. Sich nach so langer Zeit nicht mehr an einzelne Details erinnern zu können, entspricht allgemeiner Lebens- und Gerichtserfahrung. Seiner Aussage wird mehr Gewicht beigemessen als der des Ehegatten. Dessen angegebene Detailkenntnisse sprechen für eine vorherige Befassung mit dem Prozessstoff und der – für einen Ehepartner nicht ungewöhnlichen - Intention, die prozessuale Situation seiner Ehepartnerin zu fördern.

Er hat den noch im Schriftsatz der Klägerin vom 05.08.2014 behaupteten Zeitpunkt des Telefonats am 21.04.2009 um 14.00 Uhr nicht bestätigt. Dies hätte auch dem Inhalt der E-Mail der Klägerin vom 23.04.2009 (Anlage B 14, Bl. 1206 d.A.) widersprochen. Ausweislich dieses E-Mails hat das Telefonat nämlich am 23.04.2009 stattgefunden und es wurden in dem Telefonat die E-Mails an den Vorstandsvorsitzenden Dr. P… erwähnt, die nach Angaben des Betriebsratsvorsitzenden E… dem Betriebsrat auch vorlagen. Insoweit spricht der Inhalt dieser E-Mail für die Richtigkeit der Angaben des Zeugen E… hinsichtlich des Zeitpunkts des Telefonats mit der Klägerin und dessen Inhalt, soweit es die beiden E-Mails der Klägerin an den Vorstandsvorsitzenden Dr. P… betrifft.

Insoweit stand zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Betriebsrat mit dem Anhörungsschreiben jedenfalls auch die Anlage 2c zugeleitet worden ist, in dem das vollständige Judenzitat enthalten war und die Anzahl der unterhaltsberechtigten Kinder der Klägerin.

Dass es im Zusammenhang mit der Beteiligung des Betriebsrats zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin eine Weisung gegeben habe, die beiden E-Mails an den Vorstandsvorsitzenden nicht dem Betriebsrat zuzuleiten, hat die durchgeführte weitere Beweisaufnahme nicht ergeben.

Eine solche Empfehlung oder Weisung hat weder der hierzu vernommene Zeuge M… bestätigt und auch nicht der Zeuge U…, der in Bezug auf die Personalangelegenheiten der Klägerin vom Vorstandsbüro beauftragt worden ist. Nach Angaben des Zeugen U… umfasste dies nicht das Betreiben der Kündigung sondern die Mobbingvorwürfe der Klägerin und ihre schriftlichen Beschwerden beim Vorstandsvorsitzenden.

Die beiden Zeugen machten in Bezug auf das hier interessierende Thema, die Zuleitung der Anlage 2c an den Betriebsrat betreffend, klare und widerspruchsfreie Angaben, hinterließen beim Gericht einen ruhigen und besonnenen Eindruck. Es bestand keine Veranlassung, an der Glaubwürdigkeit der beiden Zeugen zu zweifeln.

Auch die Parteieinvernahme der Klägerin im Verhandlungstermin vom 07.08.2014 brachte keine weiteren Erkenntnisse, was die Zuleitung der Anlage 2c an den Betriebsrat im Rahmen der Kündigungsanhörung betrifft. Zwar hat die Klägerin die von ihr erstellte Zusammenfassung mehrerer E-Mails zur Anlage 2b erklärt und die hierdurch verursachten innerbetrieblichen Prüfungen der Compliance-Problematik. Zum Betreiben der Kündigungsangelegenheit durch die zuständigen Mitarbeiter der Beklagten enthielt ihre Aussage keine Fakten, die den Angaben des vernommenen Betriebsratsvorsitzenden E… widersprachen.

Danach ist zur Überzeugung des Gerichts durch die Einvernahme des Zeugen E… nachgewiesen, dass dem Betriebsrat am 21.04.2009 die gesamten im vorliegenden Fall vorgelegten Anhörungsunterlagen, insbesondere die Anlage 2c) tatsächlich zugeleitet worden sind.

Nach alledem wurde seitens der Beklagten mit Anhörungsschreiben vom 21.04.2009 nebst den beigefügten Anlagen der Betriebsrat über die Personalien der Klägerin umfassend informiert. Ebenso über die der Klägerin vorgeworfenen despektierlichen Äußerungen bzw. Beleidigungen gegenüber den Vorgesetzten H… und We… sowie die Vergleiche zwischen den Zuständen bei der Beklagten und der Behandlung der Juden bzw. den Verhältnissen bei der Mafia. Der Betriebsrat konnte aus den einzelnen Absätzen der Anlage 1 die verschiedenen Kündigungskomplexe erkennen und hat der Kündigung in der Sitzung vom 24.04.2009 ausdrücklich zugestimmt.

Die Klägerin selbst hat im Schriftsatz vom 05.08.2014 unstreitig gestellt, dass die Zustimmung des Betriebsrats dem Personalreferenten Wi… vorlag, bevor das Kündigungsschreiben ihr durch einen Mitarbeiter des Werkschutzes am 24.04.2009 zugeleitet worden ist.

Damit ist das Anhörungsverfahren nach § 102 Abs. 1 BetrVG von der Beklagten ordnungsgemäß durchgeführt worden.

c) Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat eine Entwicklung genommen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht mehr erwarten lässt; auf Antrag der Beklagten ist somit das Arbeitsverhältnis gerichtlich aufzulösen.

ca) Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht nach erfolgreicher Kündigungsschutzklage auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Auflösungsgründe für den Arbeitgeber können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Vielmehr kommt es darauf an, ob die objektive Lage beim Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz beim Arbeitgeber die Besorgnis aufkommen lassen kann, dass die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist.

Als Auflösungsgrund geeignet sind danach etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen.

Auch das Verhalten des Arbeitnehmers oder seines Prozessbevollmächtigten im Kündigungsschutzprozess kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen (vgl. BAG vom 23.02.2010 – 2 AZR 554/08 – NZA 2010, 1123; vom 29.08.2013 – 2 AZR 419/12 – NZA 2014, 660; jeweils m.w.N.).

cb) Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist dem Auflösungsantrag der Beklagten zu entsprechen. In Anbetracht der konkreten betrieblichen und persönlichen Umstände ist eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen der Klägerin und der Beklagten nicht mehr möglich.

Die Klägerin hat sich nach Erhalt des Schreibens vom 03.04.2009 und der dort zitierten Passagen, in denen sie die Verhältnisse bei der Beklagten mit der Behandlung der Juden während der Zeit des Nationalsozialismus und mit dem Geschäftsgebaren der Mafia in Verbindung bringt, nicht veranlasst gesehen, das von ihr geschilderte Erleben und Empfinden einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Dies selbst nicht, als es zum Ausspruch der verhaltensbedingten Kündigung gekommen ist.

Es hätte nahe gelegen, sich zumindest in der Folgezeit von den unhaltbaren, ehrverletzenden und die Reputation der Beklagten schädigenden vergleichenden Betrachtungen zu distanzieren.

Selbst wenn sie sich durch behauptete Mobbinghandlungen von Vorgesetzten aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Herkunft Diskriminierungen ausgesetzt sehen durfte, was in dem Parallelverfahren zwischen den Parteien noch geprüft wird, erlaubt dies nicht die von ihr angestrengten Vergleiche.

Diese entbehren jeglicher Realitätsnähe. Hätte die Klägerin den Erhalt des Schreibens vom 03.04.2009 und den Ausspruch der Kündigung zum Anlass genommen, sich mit dem Leid der Juden während des NS-Unrechtsstaats zu befassen, wäre ihr unschwer möglich gewesen, zu erkennen, dass das von ihr empfundene Unrecht mit dem von den Juden erlittenen in keinerlei Relation steht. Die Juden wurden während der Zeit des Nationalsozialismus nämlich nicht nur wegen ihrer Rasse und ihres Glaubens verbal und schriftliche diskriminiert, erniedrigt und gedemütigt. Vielmehr wurden sie darüber hinaus unter Zerstörung familiärer Beziehungen aus ihren Wohnungen getrieben, in Viehwaggons gepfercht und auf Verladerampen selektiert, um anschließend entweder zu Tode malträtiert oder einer industriellen Massenvernichtung zugeführt zu werden..

Kein deutsches Unternehmen, das internationale Geschäftsbeziehungen pflegt, kann es sich erlauben, hinsichtlich ihres Geschäftsgebarens oder der Vorgehensweise ihres Führungspersonals mit der NS-Terrorherrschaft in Verbindung gebracht zu werden. Gerade was das Ansehen in angelsächsischen Ländern und im Land Israel anlangt, sind die hiermit verbundenen Nachteile offensichtlich.

Es hätte für die Klägerin aufgrund ihrer Bildung und ihres selbst in Anspruch genommenen internationalen Formats naheliegen müssen, zur Wiederherstellung des Vertrauens in ihre Person die von ihr getätigten Äußerungen zurückzunehmen und sich um Wiedergutmachung zu bemühen.

Stattdessen hat sie der Beklagten vorgeworfen, ihr zu Unrecht Holocaustverharmlosung zu unterstellen, und erstattet Strafanzeige gegen Mitarbeiter der Beklagten. Damit schafft man keine Vertrauensbasis für eine weitere sinnvolle Zusammenarbeit, denn hierdurch wird die Erkenntnis eigenen Fehlverhaltens gerade nicht zum Ausdruck gebracht.

Ebenso wenig durch den offenen Brief an die Bundeskanzlerin, den die Klägerin auf ihre Homepage der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatte. Dort sieht sie sich im Zusammenhang mit dem Judenvergleich „von S… öffentlich verleumdet“ und betrachtet dies „seitens S… als Rufmord“, ohne zu der Erkenntnis zu gelangen, dass gerade ihr Judenvergleich selbiges zum Inhalt hat. In dem Brief befindet sich auch die Verbindung mit dem Vorwurf angeblicher Holocaustverharmlosung die Passage:

„S… hält an dem Vorwurf fest, um die Ressentiments in der Gesellschaft zum einen gegen Menschen von Migrationshintergrund noch anzuheizen, und zum anderen die Deutschen zum Zorn zu reizen und das alles auf Kosten meiner Person, um dadurch die Öffentlichkeit vom tatsächlichen Geschehen, nämlich unwirksamer Kündigung durch S… und jahrelangem Mobbing abzulenken“.

Damit erneuert die Klägerin den Vorwurf gegenüber ihrer Arbeitgeberin, Ausländerfeindlichkeit zu schüren und nationalistische Aktionen zu fördern. Dies stellt dasselbe das Ansehen der Beklagten herabwürdigende Verhalten dar, wie der Juden- und Mafiavergleich zuvor. Solche verbalen Rundumschläge sind geeignet, das letzte Vertrauen in eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit zu beseitigen. Selbst wenn sie die Mobbingvorwürfe der Klägerin in den Parallelverfahren erweisen, rechtfertigt dies nicht im Rahmen der Wahrnehmung eigener Interessen die Reputation der Arbeitgeberin in der Öffentlichkeit auf derartige Weise zu schädigen. Die Mobbingvorwürfe der Klägerin beziehen sich auf regional tätige einzelne Vorgesetzte. Sie sind nicht geeignet, ohne konkreten weiteren Sachvortrag über das Verhalten von Vorstandsmitgliedern oder Repräsentanten der Beklagten, in der Öffentlichkeit solch pauschale Werturteile über die Unternehmenskultur in der Öffentlichkeit zu verbreiten.

Die verbal ausfallende Kritik der Klägerin schließt auch den bei der Beklagten bestehenden örtlichen Betriebsrat mit ein, dem sie in ihrer E-Mail vom 23.04.2009 „dämliches Verhalten“ vorwirft (Bl. 1206 d.A.) und in dem weiteren E-Mail vom 31.08.2009 der Begünstigung von Machtmissbrauch und der Billigung offensichtlicher Gesetzesverstöße. Letzteres E-Mail schließt die Kläger ab „mit dem Anlass entsprechenden Grüßen diesmal von Goethe mit einem Götz-Zitat“ (Bl. 1198 – 1203 d.A.).

Der Klägerin gelingt es auch in dem vorliegenden Berufungsverfahren nicht, von ihrem „Angriffsmodus“ abzukehren und bei der Beklagten den Eindruck zu fördern, die Konflikte mit Vorgesetzten in der Vergangenheit ließen sich wieder so in den Griff bekommen, dass eine Zusammenarbeit mit diesen oder anderen Vorgesetzten auf emotionsloser Basis unter Wahrung des Betriebsfriedens möglich sein wird. Diesbezüglich sieht die Beklagte zu Recht die Gefahr, dass es erneut bei irgendeiner auftretenden Konfliktsituation zu ähnlichen verbalen Überreaktionen der Klägerin kommt und sich damit die unhaltbare Situation perpetuiert, zumal hierdurch auch das Ansehen der Beklagten in der Öffentlichkeit tangiert wird.

In diesem Zusammenhang braucht nicht darauf eingegangen zu werden, ob es noch mit der Wahrnehmung berechtigter Interessen in Einklang zu bringen ist, wenn im vorliegenden Rechtsstreit der Beklagten vorgeworfen wird, zum Nachweis der ordnungsgemäßen Beteiligung des Betriebsrats Unterlagen zu manipulieren und einen Prozessbetrug zu versuchen.

Das von der Klägerin nach Ausspruch der Kündigung gezeigte Verhalten lässt nicht erwarten, dass künftige Meinungsverschiedenheiten, wie sie in Betrieben immer wieder auftreten können, in der gebotenen Sachlichkeit ausgetragen werden. Das bisherige verbal nicht mehr zu akzeptierende und impulsive Verhalten der Klägerin lässt befürchten, dass eine dem Betriebszweck dienliche Fortsetzung ausgeschlossen ist und davon ausgegangen werden muss, dass es auch künftig zu vergleichbaren Verhaltensweisen der Klägerin kommen wird.

d) Die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses hat gemäß § 9 Abs. 2 KSchG zum 30.06.2009 zu erfolgen, dem Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.

Es bestehen auch bei einem längeren Rechtsstreit der Parteien und einer Antragstellung erst in der Berufungsinstanz keine rechtlichen Bedenken an der Rechtswirksamkeit dieser gesetzlichen Sonderregelung. Sowohl das Bundesarbeitsgericht als auch das Bundesverfassungsgericht haben die Vereinbarkeit dieser gesetzlichen Sonderregelung mit Art. 1, 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 14 und 20 Abs. 3 GG geprüft und bejaht (vgl. KR-Spilger, § 9 KSchG Rz. 13 a, m.w.N.).

Dem erkennenden Gericht steht hinsichtlich der Festsetzung des Auflösungszeitpunktes (z.B. Bestimmung eines späteren Zeitpunktes) kein Gestaltungsspielraum zu. Es ist nicht befugt, bei der Festsetzung des Auflösungszeitpunktes Billigkeitserwägungen anzustellen (vgl. KR-Spilger, a.a.O. Rz. 31; m.w.N.)

e) Der Auflösungsantrag der Beklagten ist nicht deshalb zurückzuweisen, da sie die Auflösungsgründe treuwidrig herbeigeführt und provoziert hat, um damit eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit als aussichtslos darstellen zu können. Insoweit stellt sich der Antrag nicht als rechtsmissbräuchlich dar.

Die Beklagte hat vielmehr durch ihr Schreiben vom 03.04.2009 der Klägerin hinreichend deutlich vor Augen geführt, dass sie einen aktiven Beitrag zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit ihren Vorgesetzten leisten müsse und verbal überzogene Angriffe zu unterlassen habe. Ebenso deutlich wurde der Klägerin vor Augen geführt, dass es die Beklagte nicht dulden würde, dass ihr Geschäftsgebaren und ihr Umgang mit Mitarbeitern in die Nähe nationalsozialistischen Unrechts und mafiöser Verhaltensweise gerückt werden.

Die Beklagte hat der Klägerin ausreichend Gelegenheit gegeben, ihr bisheriges Verhalten einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und in Zukunft Äußerungen – vor allem in der Öffentlichkeit – zu unterlassen, die darauf gerichtet sind, dem Ansehen der Beklagten schaden und den Betriebsfrieden beeinträchtigen.

Dies hat indes nicht dazu beigetragen, die Klägerin vor weiteren negativen Äußerungen in der Öffentlichkeit abzuhalten und die Zusammenarbeit mit Mitarbeitern der Beklagten weiter zu belasten.

f) Der Auflösungsantrag verbietet sich auch nicht deshalb, weil die Klägerin meint, sich mit ihren Äußerungen gegen Mobbingattacken von Vorgesetzten verteidigen zu müssen.

Selbst wenn sich die Klägerin in ihrer Geschlechterrolle, wegen ihrer Herkunft oder ihres Glaubens gemäß den §§ 1, 3, 7 AGG diskriminiert fühlen durfte, rechtfertigt dies nicht, das Ansehen der Beklagten in der Öffentlichkeit wie geschehen zu beeinträchtigen. Auch bei Beschwerden gegen behauptete Mobbinghandlungen einzelner Vorgesetzter und den angemessenen Reaktionen hierauf sind die berechtigten Belange der Arbeitgeberin zu wahren. Insoweit verbieten sich ungerechtfertigte Angriffe in der Öffentlichkeit, die darauf zielen, das Ansehen der Beklagten in der Öffentlichkeit herabzusetzen, und geeignet sind, die Basis für eine gedeihliche Zusammenarbeit mit Vorgesetzten und Kollegen zu zerstören.

Für die erkennende Kammer bestand insofern keine Veranlassung, in der Vorgehensweise der Klägerin eine noch berechtigte Reaktion im Rahmen der Bestimmungen des AGG und der ihm zugrunde liegenden europarechtlichen Vorgaben zu sehen. Für die Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs fehlt somit jeglicher Ansatz.

g) Die Berufungskammer hält in Ausübung ihres Ermessens eine Abfindung gemäß § 10 KSchG in Höhe von EUR 37.600,-- brutto für angemessen. Dieser Betrag entspricht acht Bruttomonatseinkommen der Klägerin.

Hierbei hat die Kammer die Dauer des Bestandes des Arbeitsverhältnisses, das Lebensalter der Klägerin und ihre Unterhaltspflichten gegenüber drei Kindern berücksichtigt. Des Weiteren den Umstand, dass die Klägerin aufgrund der Konflikte am Arbeitsplatz und des mehrjährigen Rechtsstreits erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausgesetzt war. Es wurde andererseits aber auch berücksichtigt, dass trotz Vorgaben der Beklagten, die einer Deeskalation dienen sollten, die Klägerin durch ihr Verhalten die wesentlichen Auflösungstatsachen geschaffen hat. Damit hat sich die Festsetzung eines höheren Abfindungsbetrages nicht gestellt und wird der gerichtlich festgesetzte Betrag als ausreichend angesehen, die Klägerin und ihre Familie angemessen für den Verlust des Arbeitsplatzes zu entschädigen.

Der von der Beklagten vergleichsweise angebotene Abfindungsbetrag von EUR 60.000,-- stellt keinen Mindestbetrag für die gerichtlich festzusetzende Abfindung dar. Der Klägerin ist es nämlich gerade nicht darauf angekommen, die gerichtliche Auseinandersetzung im gegenseitigen Einvernehmen zu beenden.

3. Wegen der wirksamen Beendigung des Vertragsverhältnisses steht der Klägerin keine Erteilung eines Zwischenzeugnisses zu.

Ein qualifiziertes Endzeugnis hat sie unter dem Datum 30.06.2009 bereits erhalten (Kopie Bl. 386, 387 d.A.).

4. Die Berufung der Klägerin gegen die erstinstanzliche Abweisung ihrer Klage auf tatsächliche Weiterbeschäftigung ist sachlich nicht begründet.

Wegen der Beendigung des Vertragsverhältnisses zum 30.06.2009 steht der Klägerin über diesen Zeitpunkt hinaus kein Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung zu.

III.

1. Die Kosten des Rechtsstreits sind gemäß §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO gegeneinander aufzuheben.

2. Im Hinblick auf die erforderliche Transparenz einer Aufforderung zur Wiederherstellung der Vertrauensbasis, der ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats und der Zulässigkeit und Begründetheit einer beantragten gerichtlichen Auflösung wird im vorliegenden Rechtsstreit über den Einzelfall hinausgehende rechtliche Bedeutung beigemessen und deshalb die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zugelassen.

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