LAG Baden-Württemberg: Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit in einem Einigungsstellenbesetzungsverfahren gemäß § 100 ArbGG
LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.11.2017 – 5 Ta 124/17
Volltext: BB-Online BBL2017-2932-2
Amtliche Leitsätze
Ein Streit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber um die Errichtung einer Einigungsstelle ist nichtvermögensrechtlicher Art und im Regelfall mit dem Anknüpfungswert gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 Hs 2 RVG von 5.000,00 Euro zu bemessen. Kommt ein weiterer Streit um die Person des Einigungsstellenvorsitzenden und/oder die Anzahl der Beisitzer hinzu, erhöht sich der Gegenstandswert um jeweils 1/4 (Anlehnung an die Empfehlungen II.4.1 - 3 im Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der überarbeiteten Fassung vom 5.4.2016, NZA 2016, 926 ff.).
Sachverhalt
I.
Die Beschwerde betrifft die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren.
Im Ausgangsverfahren verlangte der bei der Arbeitgeberin eingerichtete 7-köpfige Betriebsrat von dieser die Einrichtung einer Einigungsstelle betreffend Dienstpläne für den Monat August 2017 für mehrere Stationen der privaten Akutklinik für psychische und psychosomatische Gesundheit. Die Beteiligten stritten über die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle, die Person des zu bestellenden Vorsitzenden und die Anzahl der Beisitzer. Das Verfahren endete durch einen im Gütetermin abgeschlossenen Vergleich.
Das Arbeitsgericht hat den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Mit der Beschwerde begehren die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats die Anhebung auf 7.500,00 EUR, die das Arbeitsgericht abgelehnt hat.
Aus den Gründen
II.
Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats ist statthaft (§ 33 Abs. 3 Satz 1 RVG); sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) und auch im Übrigen zulässig und begründet. Das Arbeitsgericht hat den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats zu gering bemessen. Dieser war von 5.000,00 EUR auf 7.500,00 EUR anzuheben.
1. Der Antrag auf Einrichtung der begehrten Einigungsstelle ist nichtvermögensrechtlicher Natur. Denn der Streit um die Mitgestaltung der Dienstpläne ergibt sich nicht aus einem vermögensrechtlichen Rechtsverhältnis und ist auch nicht auf Geld oder Geldeswert gerichtet. Vielmehr nimmt der Betriebsrat in erster Linie seinem Beteiligungsrecht innewohnende ideelle Interessen wahr. Davon gehen auch alle Beteiligten übereinstimmend aus.
2. Der Maßstab für die Bewertung des Antrags ist deshalb § 23 Abs. 2 und 3 RVG zu entnehmen. Hiernach ist der Gegenstandswert nach billigem Ermessen zu bestimmen. In Ermangelung genügender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung und bei nicht vermögensrechtlichen Gegenständen ist der Gegenstandswert mit 5.000,00 EUR, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über 500.000,00 EUR anzunehmen.
a) Dabei sind insbesondere der maßgeblich durch die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Sache bestimmte Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sowie die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber zu berücksichtigen und sind sonstige im Einzelfall wertbildende Umstände ins Auge zu fassen.
b) Ausgehend vom Anknüpfungswert von 5.000,00 EUR ist deshalb zu prüfen, ob wertbestimmende Faktoren erkennbar sind, die eine Abweichung vom Ausgangswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG als gerechtfertigt erscheinen lassen (erkennende Kammer 29. Januar 2016 - 5 Ta 155/15 - juris).
3. Daran gemessen beläuft der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats sich auf 7.500,00 EUR.
a) Die erkennende Kammer hat sich in dem vom Arbeitsgericht in Bezug genommenen Beschluss vom 19. März 2010 (- 5 Ta 52/10 - juris) der seinerzeitigen überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung der meisten Landesarbeitsgerichte angeschlossen und Einigungsstellenbesetzungsverfahren gemäß § 100 ArbGG unabhängig davon, ob nur über die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle und/oder auch über die Person des Vorsitzenden und/oder die Anzahl der Beisitzer gestritten wurde, mit dem Anknüpfungswert bewertet.
b) Die von der 74. Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte im Mai 2012 eingesetzte Streitwertkommission hat von Beginn an (ursprünglicher Streitwertkatalog vom Mai 2013 <NZA 2013, 809 ff.>) und auch in den weiteren Überarbeitungen (09.07.2014 <NZA 2014, 745 ff.> und 05.04.2016 <im Folgenden: „Streitwertkatalog 2016“ [NZA 2016, 926 ff.]>) folgende Bewertung empfohlen: Für die Frage der offensichtlichen Unzuständigkeit höchstens den Anknüpfungswert nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG, für den Streit um die Person des Vorsitzenden grundsätzlich ein Viertel des Anknüpfungswerts und für den Streit um die Beisitzer grundsätzlich ebenfalls ein Viertel des Anknüpfungswerts (II.4.1-3 des Streitwertkatalogs 2016). Diese Anregung findet immer mehr Gefolgschaft (vgl. die Aufzählung bei GK-ArbGG/Schleusener Stand Dezember 2016 § 12 Rn 452).
c) Der Vorsitzende der erkennenden Kammer ist durch Beschluss der 76. Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte vom Mai 2014 als neues Mitglied der Streitwertkommission berufen worden. Er verlautbart auf der Homepage des LAG Baden-Württemberg (www.lag-baden-wuerttemberg.de) unter dem Stichwort „Streitwert“, sich an den Empfehlungen der Streitwertkommission zu orientieren. Dies gilt auch für die Bewertung eines Verfahrens gem. § 100 ArbGG.
d) Soweit die Arbeitgeberin die von der Streitwertkommission empfohlene Bewertung nicht für sachgerecht hält, weil im Rahmen des Streits über die Errichtung einer Einigungsstelle im „Regelfall“ auch über die Person des Vorsitzenden und „nahezu in jedem Fall“ auch über die Zahl der Beisitzer gestritten werde (Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin vom 23.10.2017 <Bl. 5 der Beschwerdeakte>), folgt ihr die erkennende Kammer nicht. Es gibt im Bezirk der Beschwerdekammer zwar keine statistischen Erhebungen über diese Werte. Die Erfahrungen des Vorsitzenden der Beschwerdekammer sind jedoch gänzlich andere. In der überwiegenden Anzahl der Verfahren gemäß § 100 ArbGG geht es um die Frage der offensichtlichen Unzuständigkeit der begehrten Einigungsstelle. In wesentlich geringerem Umfang wird daneben oder, in vereinzelten Fällen, auch nur über die Person des Vorsitzenden gestritten, während die Zahl der Beisitzer nur in deutlich weniger Fällen zum Streitgegenstand erhoben wird. Deshalb erweist sich die von der Streitwertkommission empfohlene Differenzierung als sachgerecht.
e) Die Umstände des Ausgangsfalls gebieten keine Abweichung von den kumulativ zu verstehenden Empfehlungen II.4.1-3 des Streitwertkatalogs 2016. Da sowohl über die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle als auch über die Person des Vorsitzenden als auch über die Anzahl der Beisitzer gestritten wurde, war der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats auf 7.500,00 EUR anzuheben.
III.
Im Hinblick auf den Erfolg der Beschwerde kommt die Pauschalgebühr Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG nicht in Ansatz.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 33 Abs. 9 Satz 2 RVG).