LAG Nürnberg: Vergütungsanspruch bei mündlich vereinbarter Arbeitgeberkündigung
LAG Nürnberg, Urteil vom 11.2.2015 – 4 Sa 638/13
Leitsatz
Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien mündlich den Ausspruch einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung und die Übernahme der Arbeitstätigkeit durch einen Dritten, so besteht – bei Ausbleiben der Kündigung und tatsächlichem Tätigwerden des Dritten – ein Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers für die Folgezeit nur, wenn er tatsächlich seine bisherige arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit fortsetzt. Bei einer mündlich wirksam vereinbarten Suspendierung der beidseitigen Vertragspflichten kann der Arbeitnehmer den Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug setzen.
§§ 611, 612, 615 BGB
Sachverhalt
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche des Klägers für den Monat Oktober 2012.
Der am 11.09.1958 geborene Kläger war ab dem 02.04.2012 auf der Basis des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 16.04.2012 (Kopie Bl. 32-34 d.A.) bei dem Beklagten als Speditionskraftfahrer gegen ein Tagesentgelt von EUR 83,50 brutto beschäftigt.
Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien auf Wunsch des Klägers zum 30.09.2012 beendet worden ist, steht zwischen den Parteien in Streit.
Wegen der unterbliebenen Lohnzahlung hat der Kläger zu Protokoll der Rechtsantragstelle beim Arbeitsgericht Nürnberg am 04.12.2012 die Vergütung für die Zeit vom 01.10. bis 19.11.2012 in Höhe von EUR 2.755,50 brutto eingeklagt.
Da von dem Beklagten in der Folgezeit der Bestand eines Arbeitsverhältnisses vom 01. bis 19.11.2012 zugestanden und die entsprechende Vergütungszahlung geleistet worden ist, hat der Kläger die Zahlungsklage teilweise wieder zurückgenommen.
Wegen der Anträge der Parteien und ihres näheren Vorbringens im erstinstanzlichen Verfahren wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit Endurteil vom 30.10.2013 die Klage abgewiesen.
Es hat dies im Wesentlichen damit begründet, die durchgeführte Beweisaufnahme habe nicht ergeben, dass der Kläger in dem streitgegenständlichen Monat Oktober 2012 tatsächlich für den Beklagten gearbeitet hat. Der Beklagte hat sich in diesem Monat auch nicht in Annahmeverzug befunden.
Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 18.11.2013 zugestellte Urteil haben diese mit Telefax vom 18.12.2013 Berufung eingelegt und sie innerhalb der bis 17.02.2014 verlängerten Begründungsfrist mit Telefax von diesem Tag begründet.
Der Kläger behauptet, eine schriftliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2012 habe er von dem Beklagten nicht erhalten. Im Monat Oktober habe deshalb ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis bestanden. Während dieses Monats habe er auch seine Arbeitsverpflichtungen erfüllt. Soweit ihm von dem Beklagten keine Arbeit zugewiesen worden sei, habe sich dieser in Annahmeverzug befunden. Er sei nämlich in dem streitgegenständlichen Zeitraum jeden Tag pünktlich an seinem Arbeitsplatz erschienen und habe seine Dienste angeboten. Dies habe die durchgeführte Beweisaufnahme ergeben.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt:
1. Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 30.10.2013, Az.: 12 Ca 7035/12, wird der Beklagte verurteilt, an den Kläger EUR 2.004,00 brutto sowie Jahreszinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu bezahlen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Der Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt:
1. Die Berufung wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Zur Begründung trägt er vor, da der Kläger zum damaligen Zeitpunkt zu seiner Freundin nach Kassel oder Fulda habe ziehen wollen, sei zwischen den Parteien in einem mündlichen Gespräch, an dem auch der Neffe des Klägers J… teilgenommen habe, vereinbart worden, dass das Arbeitsverhältnis zum 01.10.2012 enden solle und der Neffe ab diesem Zeitpunkt die Tour des Klägers übernehme. Auf Wunsch des Klägers sei ihm am 14.09.2012 die Kündigung zum Monatsende September in seinen Hausbriefkasten eingeworfen worden. Der Ausspruch der Kündigung auf Wunsch des Klägers sei nur deshalb erfolgt, damit dieser keine Sperrfrist beim Arbeitsamt bekomme. Ab dem 01.10.2012 habe tatsächlich der Neffe des Klägers, wie abgesprochen, das bisher vom Kläger gefahrene Firmenfahrzeug übernommen und die Touren des Klägers gefahren. Wenn sich der Kläger im Monat August noch auf dem Gelände des Beklagten oder der Firma E… aufgehalten habe, sei dies nicht im Rahmen des beendeten Beschäftigungsverhältnisses erfolgt.
Bezüglich näherer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Im Verhandlungstermin vom 05.11.2014 ist Beweis erhoben worden gemäß Beweisbeschluss vom 25.06.2014 durch uneidliche Einvernahme des Zeugen J….
Hinsichtlich des Ergebnisses der durchgeführten Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 05.11.2014 (Bl. 175-179 d.A.) verwiesen.
Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.
Aus den Gründen
I.
Die Berufung ist zulässig.
Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.
II.
Die Berufung ist sachlich nicht begründet.
Das Erstgericht hat die Zahlungsklage für den Monat Oktober 2012 zu Recht abgewiesen, denn dem Kläger stand für diesen Monat keine Vergütung auf der Basis des abgeschlossenen Arbeitsvertrages zu, da der Kläger nicht die den Inhalt dieses Vertrages bildende Tätigkeit ausgeübt hat. Er konnte diesbezüglich den Beklagten im Monat Oktober 2012 auch nicht in Annahmeverzug setzen.
1. Dem Kläger steht für den Monat Oktober 2012 kein Anspruch gemäß § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag vom 16.04.2012 zu, denn zwischen den Parteien wurde vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers beendet werden und spätestens ab dem 01.10.2012 sein Neffe J… die bisherige Tätigkeit des Klägers übernehmen sollte.
Die beim Landesarbeitsgericht Nürnberg durchgeführte Zeugeneinvernahme des Neffen des Klägers hat den Sachvortrag des Beklagten bestätigt, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt einen Wohnortwechsel und eine Vertragsbeendigung beabsichtigte und der Neffe spätestens nach der erfolgten Einarbeitung seine bisherige Tätigkeit übernehmen sollte. Auch wenn die Absprache der Parteien nicht die Formvorschrift des § 623 BGB erfüllt hat und deshalb keine einvernehmliche Beendigung des Vertragsverhältnisses zur Folge haben konnte, war nach dem Inhalt dieser Abrede zumindest eine Suspendierung der wechselseitigen Vertragspflichten dergestalt gewollt, dass die arbeitsvertraglich bisher vom Kläger geschuldete Tätigkeit während des streitgegenständlichen Zeitraums von dem Neffen des Klägers erbracht wird und dieser in den Genuss der Arbeitsvergütung kommen sollte. Insoweit spielt es für den Ausgang des Rechtsstreits keine Rolle, ob dem Kläger die verabredete Arbeitgeberkündigung tatsächlich rechtzeitig zugegangen ist und zum 30.09.2012 das Arbeitsverhältnis rechtswirksam beendet hat. Selbst wenn dies – wie vom Erstgericht vertreten – im Rahmen der Beweisaufnahme nicht nachgewiesen werden konnte, scheidet ein Vergütungsanspruch des Klägers aufgrund der insoweit auch formlos wirksamen Abrede über die Suspendierung der wechselseitigen Vertragspflichten aus. Aufgrund der Aussage des Zeugen J… - mit den von ihm gemachten zeitlichen Korrekturen nach Vorhalt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 15.10.2012 steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass das von dem Zeugen geschilderte Gespräch mit den Parteien bereits zum Monatswechsel August/September stattgefunden hat, er im Monat September von dem Kläger in dessen gefahrene Stadttour eingearbeitet worden ist und er spätestens ab dem Monat Oktober die Stadttour bis zu seiner Erkrankung selbständig gefahren ist. Nach den zeitlichen Korrekturen in seiner Aussage hat sich der Zeuge nur noch dahingehend zeitlich festgelegt, ein Tätigwerden des Klägers in Anwesenheit des Beklagten im Betrieb mit eigenen Augen noch im Monat September wahrgenommen zu haben. Für den Monat Oktober konnte er das jedoch ausdrücklich nicht mehr sagen. Dies deckt sich mit der Angabe des in erster Instanz hierzu vernommenen Zeugen N…, der nach seiner Urlaubsrückkehr Anfang Oktober den Kläger nicht mehr vorfand.
Dieser Zeuge bestätigte auch den Wunsch des Klägers gegenüber dem Beklagten, dass dieser ihm kündigen solle. Dieser Zeuge konnte auch genau angeben, dass der Kläger die Stadttour nicht mehr gefahren sei, weil in den ersten zwei Wochen der Neffe des Klägers gefahren ist und in den restlichen beiden Wochen der Beklagte selbst. Diese Angabe des Zeugen N… deckt sich mit der des Zeugen J… und der im Verhandlungstermin vom 05.11.2014 vorgehaltenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 15.10.2012, wonach der Zeuge J… nur die erste Oktoberhälfte selbständig gefahren ist und danach krankheitsbedingt ausfiel. Auch die vom Kläger für die behauptete Fahrertätigkeit im Monat Oktober benannten Zeugen K… und U… haben nicht bestätigt, dass der Kläger im Monat Oktober 2012 noch seine bisherige arbeitsvertraglich geschuldete Fahrertätigkeit ausgeübt hat. Der Zeuge K… konnte dies für den Monat Oktober 2012 eher ausschließen, er wollte sich indes nicht festlegen lassen. Der Zeug U… hatte überhaupt keine konkreten zeitlichen Erinnerungen mehr. Allerdings hat auch er geschildert, dass eine Zeitlang der Neffe gefahren ist und der Beklagte selbst. Dies beschreibt zutreffend die von anderen Zeugen konkreter geschilderte Situation im Monat Oktober 2012. Danach ist der Kläger den Nachweis schuldig geblieben, dass in Abweichung von der ursprünglichen Abrede mit dem Beklagten und seinem Neffen er bereits wieder seit dem 01.10.2012 in vollem Umfang die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit bei dem Beklagten fortgesetzt hat. Dafür bestand während der Tätigkeit des Neffen keine Veranlassung. Für eine abweichende vertragliche Abrede der Parteien fehlt es bereits an einem ausreichend konkreten Sachvortrag. Eine tatsächlich abweichende Arbeitspraxis haben die hierzu vernommenen Zeugen bezogen auf die Zeit vom 01. bis 30.10.2012 nicht bestätigt. Zu Unrecht verweist der Kläger in der Berufung auf ein „völlig normales, ungestörtes Arbeitsverhältnis“, denn infolge der Abrede der Parteien über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Wunsch des Klägers und die ersatzweise Tätigkeit des Neffen jedenfalls im Monat Oktober, liegt gerade keine „normale Arbeitsvertragssituation“ mehr vor. Denn dass der Kläger neben seinem Neffen für den Beklagten weiterhin im arbeitsvertraglich geregelten Umfang tätig sein sollte, war nicht Gegenstand der vertraglichen Abrede Ende August 2012.
2. Tatsachen für eine vertragliche Abrede zwischen dem Kläger und dem Beklagten, dass der Kläger nach Aufgabe seines Wunsches, den Wohnsitz zu wechseln, nunmehr neben seinem Neffen Arbeitstätigkeiten für den Beklagten in der Zeit vom 01. bis 30.10.2012 verrichten sollte, hat der Kläger in dem Rechtsstreit nicht vorgetragen. Nach Angabe des Beklagten hat der Kläger infolge der Erkrankung des Neffen die von diesem gefahrenen Touren erst wieder ab dem 01.11.2012 übernommen. Soweit der Kläger im Monat Oktober 2012 Ausfahrten mit seinem Privat-PKW- übernommen haben sollte, oder anderweitige Tätigkeiten im Lager- oder Werkstattbereich, fehlen ausreichend konkrete Angaben über die diesbezüglichen Abreden der Parteien, des konkreten zeitlichen Umfangs dieser Tätigkeiten, der vereinbarten Vergütungshöhe bzw. branchenüblicher Vergütungssätze, die es erlauben würden, dem Kläger einen bestimmten Vergütungsanspruch auf der Basis einer arbeitsvertraglichen Absprache oder unter Anwendung des § 612 Abs. 1 und 2 BGB zuzuerkennen.
3. Der Beklagte befand sich im Monat Oktober 2012 nicht in Annahmeverzug, § 615 Satz 1 BGB i.V.m. §§ 293 ff. BGB, denn der Beklagte war aufgrund der zwischen den Parteien Ende August getroffenen vertraglichen Abrede nicht verpflichtet, dem Kläger auf der Basis des abgeschlossenen Arbeitsvertrages im Monat Oktober 2012 Arbeit zuzuweisen und ihm einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Auch wenn es bis zum 30.09.2012 nicht zur Beendigung des Vertragsverhältnisses infolge der vereinbarten ordentlichen Arbeitgeberkündigung gekommen sein sollte, war dennoch vereinbart, dass anstelle des Klägers sein Neffe die Arbeitstätigkeit übernehmen sollte, und zwar spätestens nach seiner Einarbeitung im Monat September. Damit erstreckte sich die Verpflichtung des Beklagten, einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, nunmehr auf die Person des Neffen und konnte der Kläger nicht abredewidrig innerhalb desselben Zeitraums seine tatsächliche Beschäftigung begehren. Insoweit wurde ausgeschlossen, dass der Beklagte neben der Beschäftigung des Neffen auch noch die Arbeitsleistung des Klägers annehmen sollte. Infolge der vereinbarten Suspendierung der wechselseitigen Vertragspflichten konnte der Kläger seine Arbeitskraft im Rahmen der §§ 293 ff. BGB während dieses Zeitraums nicht anbieten (vgl. EK-Preis, 15. Aufl., § 615 BGB Rz. 13, 611 BGB Rz. 568; BAG vom 19.03.2002 – 9 AZR 16/01 – EzA Nr. 108 zu § 615 BGB).
III.
1. Der Kläger hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.
2. Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass, § 72 Abs. 2 ArbGG.