R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Arbeitsrecht
08.10.2020
Arbeitsrecht
LAG Berlin-Brandenburg: Vergleichsmehrwert bei Urlaub in natura

LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.8.2020 – 26 Ta (Kost) 6067/20

ECLI:DE:LAGBEBB:2020:0828.26TA.KOST6067.20.00

Volltext: BB-Online BBL2020-2355-4

Leitsatz

1) Die Formulierung, wonach Urlaubs- und Freizeitansprüche „in natura gewährt“ worden sind, kann uU einen Vergleichsmehrwert auslösen. Das kommt zB in Betracht, wenn mit Ausspruch der Kündigung eine Freistellung unter Anrechnung auf den Urlaub erfolgt ist und sodann im Rahmen des Verfahrens Streit unter den Parteien bestand hat, ob eine solche Freistellung wirksam erfolgen konnte.

Das kann es rechtfertigen, den auf den Urlaubszeitraum entfallenden Betrag bei der Wertberechnung anzusetzen. In einer solchen Konstellation geht es um die Frage, ob das Urlaubsentgelt mit der Vergütung bereits abgegolten war oder nicht (vgl. dazu LAG Berlin-Brandenburg 16. Juli 2019 – 26 Ta (Kost) 6040/19, Rn. 25).

2) Besteht hingegen unter den Parteien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs Einigkeit, dass und in welchem Umfang Urlaubsansprüche bestanden haben, gab es also insoweit weder Streit noch Ungewissheit, stellt die getroffene Vereinbarung über die Erfüllung der Urlaubsansprüche während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses lediglich einen Teil der Gegenleistung der Partei für die im Rahmen des Vergleichs zu ihren Gunsten getroffenen Regelungen dar (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 5. Februar 2015 – 17 Ta (Kost) 6141/14).

Sachverhalt

I.

Die Parteien haben über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung vom 25. Oktober 2019 zum 31. Dezember 2019 gestritten.

Mit Beschluss vom 8. Juni 2020 hat das Arbeitsgericht einen Vergleich festgestellt, in dem sich die Parteien auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31. Dezember 2020 geeinigt haben sowie unter Nr. 2) auf die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 8.300 Euro. Nr. 3 des Vergleichs haben die Parteien wie folgt formuliert:

„Die Parteien stimmen darin überein, dass bestehender Resturlaub als auch etwaig geleistete Überstunden in natura genommen wurden und abgegolten sind.“

Unter Nr. 4 des Vergleichs haben sich die Parteien zudem auf ein gutes Zeugnis geeinigt.

Das Arbeitsgericht hat den Gesamtgegenstandswert (vgl. dazu ausführlich: LAG Berlin-Brandenburg 5. Juni 2019 – 26 Sa 6050/19, zu II 2 c bb der Gründe; und 26 Ta (Kost) 6038/19, zu 3 der Gründe) bisher nicht festgesetzt. Es hat aber für den Antrag zu 1) (Kündigungsschutzantrag) 5.381,58 Euro und für den Weiterbeschäftigungsantrag sowie das Zeugnis jeweils ein Bruttoeinkommen vorgesehen. Im Hinblick auf das im Vergleich geregelte Zeugnis hat es ebenfalls ein Bruttoeinkommen in Ansatz gebracht. Eine Berücksichtigung der „Urlaub-in-natura-abgegolten“-Regelung unter Nr. 3 des Vergleichs hat es bei der Berechnung des Vergleichsmehrwerts abgelehnt.

Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten begehren mit der Beschwerde eine Erhöhung des Vergleichsmehrwerts um einen Betrag in Höhe von 2.152,63 Euro, den die Beklagte unstreitig an sich noch als Urlaubsabgeltung an die Klägerin für 26 Urlaubstage zu zahlen gehabt hätte. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde am 3. August 2020 nicht abgeholfen, da der Anspruch weder streitig noch ungewiss gewesen sei.

Aus den Gründen

II.

Die am 22. Juli 2020 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangene Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 9. Juli 2020, zugestellt am 20. Juli 2020, ist zulässig, aber unbegründet.

1) Das Arbeitsgericht hat die Berücksichtigung der Regelung unter Nr. 3 des Vergleichs mit Recht abgelehnt. Die sog. „Urlaub-in-natura-abgegolten“-Regelung führt hier nicht zu einem höheren Vergleichsmehrwert.

a) Die anwaltliche Einigungsgebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 der Anlage 1 zum RVG). In den Wert eines Vergleichs sind daher die Werte aller rechtshängigen oder nichtrechtshängigen Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die mit dem Vergleich geregelt wurden. Demgegenüber ist die bloße Begründung einer Leistungspflicht in dem Vergleich für den Vergleichsmehrwert ohne Bedeutung; denn es kommt für die Wertfestsetzung darauf an, worüber – und nicht worauf – die Parteien sich geeinigt haben. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass durch den Vergleich ein Streit vermieden wurde. Ein Titulierungsinteresse kann nur dann berücksichtigt werden, wenn der geregelte Anspruch zwar unstreitig und gewiss, seine Durchsetzung aber ungewiss war (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 – 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 2).

Die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts ist danach nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die Parteien während ihrer Vergleichsverhandlungen über die gerichtlich anhängigen Gegenstände weitere Ansprüche ansprechen und auch sie eine Regelung in dem Vergleich erfahren. Zwar wird eine Einigung der Parteien häufig nur zu erreichen sein, wenn derartige Vereinbarungen getroffen werden; denn die Parteien sind nicht selten nur dann zum Abschluss eines Vergleichs bereit, wenn weitere Fragen geregelt werden und ein diesbezüglicher zukünftiger Streit vermieden wird. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts, die zum Abschluss eines Vergleichs führt, ist jedoch mit der Einigungsgebühr als solcher abgegolten. Für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts und die damit verbundene Gebührenerhöhung muss darüber hinaus festgestellt werden, dass die geregelten Gegenstände vor Abschluss des Vergleichs streitig oder ungewiss waren. Hierzu genügen weder die Vergleichsverhandlungen als solche noch Regelungen, durch die Leistungspflichten erstmals begründet oder beseitigt werden, die Rechtsverhältnisse lediglich klarstellen oder auf sonstige Weise ausschließlich einen künftigen Streit der Parteien vermeiden. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass eine der Parteien in den Vergleichsverhandlungen Forderungen aufstellt, um dann im Wege des Nachgebens einen Vergleich zu erreichen; für einen Vergleichsmehrwert muss vielmehr der potentielle Streitgegenstand eines künftigen Verfahrens eine Regelung erfahren (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 – 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 3).

b) Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die unter Nr. 3 des Vergleichs getroffene Regelung hier nicht geeignet, im Rahmen des Vergleichsmehrwerts Berücksichtigung zu finden.

aa) Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, dass die Formulierung, wonach Urlaubs- und Freizeitansprüche „in natura gewährt“ worden sind, einen Vergleichsmehrwert auslöst. Das kann zB. dann der Fall sein, wenn mit Ausspruch der Kündigung eine Freistellung unter Anrechnung auf den Urlaub erfolgt ist und dann im Rahmen des Verfahrens Streit unter den Parteien bestanden hat, ob eine solche Freistellung wirksam erfolgen konnte. Das kann es rechtfertigt, den auf den Urlaubszeitraum entfallenden Betrag bei der Wertberechnung anzusetzen. In einer solchen Konstellation geht es um die Frage, ob das Urlaubsentgelt mit der Vergütung bereits abgegolten war oder nicht (vgl. dazu LAG Berlin-Brandenburg 16. Juli 2019 – 26 Ta (Kost) 6040/19, Rn. 25).

bb) Besteht hingegen unter den Parteien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs Einigkeit, dass und in welchem Umfang Urlaubsansprüche bestanden haben, gab es also insoweit weder Streit noch Ungewissheit, stellt die getroffene Vereinbarung über die Erfüllung der Urlaubsansprüche während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses regelmäßig lediglich einen Teil der Gegenleistung der Partei – hier der Klägerin - für die im Rahmen des Vergleichs zu ihren Gunsten getroffenen Regelungen dar (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 5. Februar 2015 – 17 Ta (Kost) 6141/14).

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 33 Abs. 9 RVG. Eine Gebühr ist angefallen.

IV.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

stats