BAG: Urlaubsrecht - Verfall tariflichen Mehrurlaubs
BAG, Urteil vom 12.03.2013 - 9 AZR 292/11
Sachverhalt
Der Kläger begehrt von der Beklagten, gesetzlichen Mindesturlaub, Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen (Zusatzurlaub) und tariflichen Mehrurlaub aus den Jahren 2007 und 2008 abzugelten.
Die Beklagte beschäftigte den 1945 geborenen, als schwerbehindert anerkannten Kläger bis zum 30. September 2008 im Bereich der Wasser- und Schifffahrtsdirektion West. Die monatliche Bruttovergütung des Klägers, der seine Arbeitsleistung an fünf Tagen in der Woche erbrachte, betrug zuletzt 2.304,29 Euro.
Die Parteien wendeten auf ihr Arbeitsverhältnis den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom 13. September 2005 (TVöD) an. Dieser lautet auszugsweise:
„§ 26
Erholungsurlaub
(1)
Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). 2Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr ... 5Verbleibt bei der Berechnung des Urlaubs ein Bruchteil, der mindestens einen halben Urlaubstag ergibt, wird er auf einen vollen Urlaubstag aufgerundet; Bruchteile von weniger als einem halben Urlaubstag bleiben unberücksichtigt. ...
(2)
Im Übrigen gilt das Bundesurlaubsgesetz mit folgenden Maßgaben:
a)
Im Falle der Übertragung muss der Erholungsurlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er bis zum 31. Mai anzutreten.
b)
Beginnt oder endet das Arbeitsverhältnis im Laufe eines Jahres, erhält die/der Beschäftigte als Erholungsurlaub für jeden vollen Monat des Arbeitsverhältnisses ein Zwölftel des Urlaubsanspruchs nach Absatz 1; § 5 BUrlG bleibt unberührt.
c)
Ruht das Arbeitsverhältnis, so vermindert sich die Dauer des Erholungsurlaubs einschließlich eines etwaigen Zusatzurlaubs für jeden vollen Kalendermonat um ein Zwölftel.
Die Beklagte gestattete den im Bereich der Wasser- und Schifffahrtsdirektion West beschäftigten Mitarbeitern, Urlaubsansprüche bis zum 30. September des Folgejahres zu übertragen. Der Kläger übertrug drei Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2007 in das Jahr 2008. Im Zeitraum vom 30. Mai bis zum 30. September 2008 war der Kläger, der im Jahr 2008 keinen Urlaub erhielt, arbeitsunfähig krank.
Mit Schreiben vom 10. Februar 2009, das bei der Beklagten am Folgetag einging, verlangte der Kläger, drei Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2007 sowie 20 Arbeitstage gesetzlichen Mindesturlaub, fünf Arbeitstage Zusatzurlaub und drei Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2008 abzugelten.
Nachdem die Beklagte zur Abgeltung der Klageforderung an den Kläger einen Bruttobetrag iHv. 1.920,25 Euro gezahlt hat, haben die Parteien den Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht in diesem Umfang übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.376,60 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2008 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, der Kläger habe lediglich Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindest- und des Zusatzurlaubs, nicht jedoch des tariflichen Mehrurlaubs.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Aus den Gründen
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Soweit das Landesarbeitsgericht die Beklagte verurteilt hat, 20 Arbeitstage gesetzlichen Mindesturlaub und fünf Arbeitstage Zusatzurlaub unter Berücksichtigung der bereits erfolgten Zahlung iHv. 1.920,25 Euro brutto mit einem Restbetrag iHv. 738,50 Euro brutto abzugelten und hierauf Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2008 zu zahlen, war die Revision als unzulässig zu verwerfen, da die Beklagte sie nicht begründet hat (§ 552 Abs. 1, § 551 ZPO). Soweit sich die Beklagte gegen die Verurteilung zur Abgeltung von sechs Tagen tariflichen Mehrurlaub mit einem Bruttobetrag iHv. 638,10 Euro und zur Zahlung von Verzugszinsen hierauf wendet, ist die Revision teilweise begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, drei Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub aus dem Jahr 2008 mit einem Bruttobetrag iHv. 319,05 Euro abzugelten. Einen Anspruch auf die geltend gemachten Verzugszinsen hat der Kläger erst ab dem 12. Februar 2009.
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I. Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG hat der Arbeitgeber Urlaub abzugelten, wenn dieser wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete am 30. September 2008. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger Anspruch auf drei Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub für das Jahr 2008.
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Am 1. Januar 2008 erwarb der Kläger, der das 40. Lebensjahr vollendet hat, einen Anspruch auf 30 Arbeitstage Urlaub (§ 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD aF). Infolge seines Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis am 30. September 2008 reduzierte sich dieser Anspruch im Nachhinein auf 22,5 Arbeitstage (§ 26 Abs. 2 Buchst. b Halbs. 1 TVöD). Aus der Regelung des § 26 Abs. 2 Buchst. b Halbs. 2 TVöD, der zufolge § 5 BUrlG unberührt bleibt, folgt nichts anderes. Die Tarifbestimmung stellt lediglich sicher, dass ein Arbeitnehmer, der in der zweiten Hälfte des Urlaubsjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, Urlaub in einem Umfang erhält, der dem gesetzlichen Mindesturlaub entspricht (vgl. Sponer in Sponer/Steinherr TVöD Stand Februar 2013 Ordner 3 § 26 Rn. 185, 192, 209). Dies ist bei dem Kläger der Fall. Der gekürzte Urlaubsanspruch des Klägers ist gemäß § 26 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 1 TVöD auf 23 Arbeitstage aufzurunden. Unter Berücksichtigung des ungekürzten gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs von 20 Arbeitstagen bei einer Fünftagewoche (vgl. § 3 Abs. 1 BUrlG) entspricht dies einem Anspruch auf drei Arbeitstage tariflichen Mehrurlaub, den die Beklagte mit einem zwischen den Parteien unstreitigen Tagessatz iHv. 106,35 Euro brutto abzugelten hat.
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II. Hinsichtlich des tariflichen Mehrurlaubs aus dem Jahr 2007 ist die Revision der Beklagten unbegründet.
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1. Der tarifliche Mehrurlaubsanspruch aus dem Jahr 2007 ist unabhängig davon nicht abzugelten, dass die Beklagte den im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern gestattete, Urlaubsansprüche entgegen der Regelung in § 26 Abs. 2 Buchst. a TVöD nicht nur bis zum 31. März respektive bis zum 31. Mai, sondern bis zum 30. September des Folgejahres zu übertragen. Der noch nicht erfüllte tarifliche Mehrurlaubsanspruch aus dem Jahr 2007 verfiel mit Ablauf des Übertragungszeitraums am 30. September 2008. Ein Abgeltungsanspruch entsteht nicht, wenn der Arbeitnehmer mit dem Ende des Übertragungszeitraums ausscheidet und der nicht genommene Urlaub wegen Fristablaufs erlischt (ErfK/ Gallner 13. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 71; so im Ergebnis auch BAG 7. August 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 42, NZA 2012, 1216; vgl. ferner BAG 7. Dezember 1993 - 9 AZR 683/92 - zu I 3 der Gründe, BAGE 75, 171).
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2. Die vom 30. Mai bis zum 30. September 2008 währende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers ändert hieran nichts. Wie der Senat in seiner Entscheidung vom 22. Mai 2012 (- 9 AZR 575/10 - Rn. 11 ff., NZA-RR 2013, 48) im Einzelnen ausgeführt hat, haben die Tarifvertragsparteien in § 26 Abs. 2 Buchst. a TVöD hinsichtlich der Befristung und damit mittelbar bezüglich des Verfalls des Urlaubs von § 7 Abs. 3 BUrlG abweichende, eigenständige Regelungen getroffen. Gestattet der Arbeitgeber den Arbeitnehmern, den Urlaub aus dem Vorjahr über den tariflich bestimmten Zeitraum hinaus zu übertragen, geht der Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub grundsätzlich am Ende des verlängerten Übertragungszeitraums unter. Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig krank ist (vgl. zur betrieblichen Übung: BAG 7. August 2012 - 9 AZR 760/10 - Rn. 19 f., NZA 2013, 104). Dem Erlöschen steht weder § 13 Abs. 1 BUrlG noch Unionsrecht entgegen. Da nicht der durch die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9) gewährleistete Mindestjahresurlaub von vier Wochen betroffen ist, besteht keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV.
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3. Die Beklagte ist zwar verpflichtet, auf einen Bruttobetrag iHv. 319,05 Euro Verzugszinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu entrichten (§ 286 Abs. 1 Satz 1, § 288 Abs. 1 BGB). Der Zinslauf begann allerdings nicht, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat, am 1. Oktober 2008, sondern erst am 12. Februar 2009. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Abgeltung des ihm zustehenden Urlaubs entsteht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird zu diesem Zeitpunkt fällig. § 7 Abs. 4 BUrlG enthält jedoch keine Bestimmung einer Leistungszeit iSd. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB (vgl. BAG 7. August 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 45, NZA 2012, 1216). Der Verzug trat daher erst infolge der Geltendmachung durch den Kläger ein. Das Geltendmachungsschreiben vom 10. Februar 2009 ging der Beklagen am Tag danach zu. Der Verzug trat gemäß § 187 Abs. 1 BGB am Folgetag ein.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, §§ 91a, 97 Abs. 1 ZPO.