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Arbeitsrecht
06.06.2024
Arbeitsrecht
BAG: Urlaubsgeld – Gesamtzusage – Freiwilligkeitsvorbehalt – Mitbestimmung des Betriebsrats – billiges Ermessen

BAG, Urteil vom 21.2.2024 – 10 AZR 345/22

ECLI:DE:BAG:2024:210224.U.10AZR345.22.0

Volltext: BB-Online BBL2024-1395-1

Orientierungssätze

 

1. Ein Vorbehalt in einer Gesamtzusage, der aus einer Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt besteht, ist intransparent und damit nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Ebenso unwirksam, weil unangemessen benachteiligend iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, ist ein arbeitsvertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt, der so ausgelegt werden kann, dass er auch spätere Individualabreden über Leistungen des Arbeitgebers erfasst (Rn. 40 f.).

2. Führt ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber einen neuen Vergütungsbestandteil ein, beeinflusst er die Verteilung der Gesamtvergütung und die Festlegung des Verhältnisses der Entgeltbestandteile zueinander. Damit löst er das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG aus. Gleiches gilt, wenn er die Anspruchsvoraussetzungen eines bestehenden Vergütungsbestandteils (hier: Urlaubsgeld auf Grundlage einer Gesamtzusage) ändern will (Rn. 43 f.).

3. Ändert der Arbeitgeber die im Betrieb bestehenden Entlohnungsgrundsätze unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, können die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Fortführung der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung eine Vergütung auf Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern (Rn. 45).

4. Die Ersatzleistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB ist wegen der zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls vorrangig den Tatsachengerichten vorbehalten. Ausnahmsweise kann das Revisionsgericht selbst entscheiden, wenn alle maßgeblichen Tatsachen feststehen (Rn. 59).

5. Ist für eine Leistung, die nach billigem Ermessen zu bestimmen ist, ein Fälligkeitszeitpunkt festgelegt, kann er auch dann maßgeblich sein, wenn die Leistung durch das Gericht iSv. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB bestimmt wird. In diesem Fall wird die Leistung nicht erst mit Rechtskraft des Gestaltungsurteils fällig (Rn. 69).

6. Die nach einer vertraglichen Ausschlussfristenregelung gebotene gerichtliche Geltendmachung erfolgt rechtzeitig, wenn die Klage innerhalb der Frist anhängig gemacht und alsbald iSv. § 167 ZPO zugestellt wird (Rn. 67).

 

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten über Ansprüche der Kläger auf ein Urlaubsgeld für das Jahr 2020.

Der Kläger zu 1. war seit dem 4. Juli 2016, der Kläger zu 2. seit dem 1. März 2018 und der Kläger zu 3. seit dem 5. November 2018 bei der nicht tarifgebundenen Rechtsvorgängerin der Beklagten beschäftigt. Bei dieser bestand seit dem Jahr 2013 ein Betriebsrat.

Die Beklagte errichtet, wartet und setzt – wie schon ihre Rechtsvorgängerin – Windenergieanlagen instand. Sie ist ausschließlich für die E tätig.

Grundlage der Arbeitsverhältnisse sind jeweils schriftliche Arbeitsverträge. Im Arbeitsvertrag des Klägers zu 1. vom 14. Juni 2016 heißt es auszugsweise:

„3. Vergütung

…    

Die Zahlung von Gratifikationen, Prämien, Zulagen oder sonstigen Leistungen liegt im freien Ermessen der Firma und begründet keinen Rechtsanspruch.

Der Lohn wird nachwirkend einmal monatlich auf ein von dem Mitarbeiter angegebenes Konto überwiesen. Lohnabtretungen bedürfen der ausdrücklichen Zustimmung der Firma.

…      

12. Ausschlussklauseln

Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit diesem in Verbindung stehen, sind innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit, spätestens jedoch innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Vertragsverhältnisses schriftlich gegenüber der anderen Vertragspartei geltend zu machen. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht werden, sind verfallen. Lehnt die andere Partei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt der Anspruch, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.“

In den Arbeitsverträgen des Klägers zu 2. vom 15./20. Februar 2018 und des Klägers zu 3. vom 14./19. September 2018 ist ua. gleichlautend vereinbart:

„3. Vergütung

(1) …    

(2) Der Lohn wird nachwirkend (zum 15. des Folgemonats) unter Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen auf ein vom Arbeitnehmer angegebenes Konto überwiesen.

…      

16. Verfall von Ansprüchen

(1) Alle Ansprüche der Vertragsparteien aus oder in Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten in Textform gegenüber der anderen Vertragspartei geltend gemacht werden. Die Ausschlussfrist beginnt, wenn der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsteller von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt oder grob fahrlässig keine Kenntnis erlangt hat. Die Versäumung der Ausschlussfrist führt zum Verlust des Anspruchs.

(2) Lehnt der Anspruchsgegner den Anspruch ab oder äußert er sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach Geltendmachung in Textform gemäß vorstehendem Absatz verfallen die Ansprüche, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung oder nach dem Ablauf der Äußerungsfrist gerichtlich geltend gemacht werden.

(3) Hiervon unberührt bleiben Ansprüche, die auf Handlungen wegen Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhen und Ansprüche wegen Verletzungen des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit.

(4) Die Ausschlussfrist gilt nicht für den Anspruch des Arbeitnehmers auf den gesetzlichen Mindestlohn. Über den Mindestlohn hinausgehende Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers unterliegen hingegen der vereinbarten Ausschlussfrist.

(5) Ebenfalls nicht umfasst sind Ansprüche aus Tarifverträgen, die kraft Tarifbindung oder wegen Allgemeinverbindlichkeitserklärung auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sind oder Ansprüche aufgrund von Rechtsverordnungen.

…      

19. Betriebliche Regelungen und Schlussbestimmungen

(1) Im Übrigen gelten für das Arbeitsverhältnis die nachfolgenden Regelungen in der jeweils aktuellen Fassung. Der Arbeitnehmer bestätigt mit Unterzeichnung dieses Arbeitsvertrages, dass er die nachfolgenden Regelungen erhalten und zur Kenntnis genommen hat. Die Regelungen sind zusätzlich zur Übersendung mit dem Arbeitsvertrag über die interne Datenbank des Arbeitgebers einsehbar. Über Änderungen der Regelungen wird der Arbeitnehmer informiert.

…      

● Grundsätze zur Gewährung einer Urlaubs- und Weihnachtszuwendung,

Stand: Rev 001 – 01.10.2017“

Seit Mitte der 1990er-Jahre zahlte die Rechtsvorgängerin der Beklagten den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein jährliches Urlaubsgeld. Im Zusammenhang mit der Auszahlung des Urlaubsgelds übersandte sie in den Jahren 2008 bis einschließlich 2013 alljährlich im Juni/Juli ein als „Infos aus der Personalabteilung“ bezeichnetes Schreiben (Info 2008). Diese sind thematisch überschrieben mit „Urlaubsgeld [Angabe des jeweiligen Jahres] – Zahlung in voller Höhe, entsprechend der Urlaubsgeldregelung“. Im Übrigen heißt es in diesen Schreiben:

„1. Die Zahlung der Urlaubsgratifikation erfolgt in Anerkennung der von den Mitarbeitern/innen geleisteten Arbeit, des Arbeitserfolges wie der in der Vergangenheit und in der Zukunft bewiesenen Betriebstreue.

2. Die Höhe einer vollen Urlaubszuwendung wird in Form einer ergänzenden Regelung jährlich entschieden und festgelegt. Die maximale Höhe ist abhängig von der Betriebszugehörigkeit und beträgt bei

6-monatiger Betriebszugehörigkeit 20 %

8-monatiger Betriebszugehörigkeit 30 %

20-monatiger Betriebszugehörigkeit 40 %

32-monatiger Betriebszugehörigkeit 50 %

des Monatsverdienstes Mai des laufenden Jahres.

Dabei werden Arbeitsstunden x Individuellem Stundenlohn (Grundlohn + Leistungszulage) bzw. das jeweilige Monatsgrundgehalt oder der jeweilige Monatsgrundlohn zugrunde gelegt.

…      

3. Die Urlaubszuwendung wird allen Mitarbeitern/innen gewährt, die am Stichtag 1. Juni in einem ungekündigten, unbefristeten Dauerarbeitsverhältnis stehen.

Sie wird mit der Juni-Abrechnung des laufenden Jahres zur Auszahlung gebracht.

4. Bei eigener Kündigung der Mitarbeiter/innen oder steht die Kündigung seitens des Betriebes im Zusammenhang mit einem wichtigen personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Grund, entsteht kein Anspruch auf Gewährung einer solchen Urlaubsgratifikation.

Das gleiche gilt bei einem Ausscheiden mittels Aufhebungsvertrag.

5. Die Urlaubszuwendung wird unter dem Vorbehalt gewährt, dass das Arbeitsverhältnis nicht vor dem 01.10. des laufenden Jahres gekündigt wird; bei einer Kündigung bis zu diesem Zeitpunkt ist sie voll zurückzuzahlen.

6. In den Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis im Laufe des Jahres ruhte oder am Stichtag 1. Juni noch ruht, z. B. durch Wehr- oder Ersatzdienste, Erziehungsurlaub, unbezahlter Urlaub von mindestens einem Monat, befristeter Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitsrente, langfristige Erkrankungen mit Übertragung des Direktions- und Weisungsrechtes an die Arbeitsverwaltung und andere gesetzliche Tatbestände, erfolgt eine Kürzung von jeweils 1/12 für jeden vollen Kalendermonat, in dem das Arbeitsverhältnis ruht.

7. Langfristig erkrankte Mitarbeiter/innen haben für Zeiten, in denen der Arbeitgeber keine Lohnfortzahlungsverpflichtungen hat, keinen Anspruch auf eine Urlaubszuwendung.

8. Die Urlaubsgratifikation ist eine einmalige, freiwillige und jederzeit widerrufliche soziale Leistung, die auf die Urlaubszeit beschränkt ist.

Durch die Zahlung wird für die Zukunft daher weder dem Grunde noch der Höhe nach, auch nicht bezüglich der Auszahlungsmodalitäten, des Personenkreises der Bezugsberechtigten sowie der Ermittlung der Gratifikation ein Rechtsanspruch begründet.“

Im Juni 2014 wandte sich die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit einem Anschreiben, das die Überschrift „Urlaubsgeld“ trägt, an die Mitarbeitenden. Das Schreiben enthielt Ausführungen zur wirtschaftlichen Lage der Branche und der Arbeitgeberin. Zum Urlaubsgeld heißt es darin:

„Wir dürfen Ihnen darum heute mitteilen, dass wir aufgrund der zurzeit stabilen Lage unseres Unternehmens eine individuelle Urlaubsgeldzahlung mit dem Junigehalt angewiesen haben. Wir hoffen, Ihnen mit dieser freiwilligen Sonderzahlung unsere Anerkennung für Ihre Leistungen ausgedrückt zu haben und freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit mit Ihnen.“

Nahezu gleichlautende Ausführungen enthält das Schreiben vom 26. Juni 2015, dem die Rechtsvorgängerin der Beklagten die „Grundsätze zur Gewährung einer Urlaubs- bzw. Weihnachtszuwendung“ vom 23. Juni 2015 (Grundsätze 2015) beifügte. Diese lauten auszugsweise:

„3. Die Weihnachtszuwendung wird allen Mitarbeitern/innen gewährt, die am Stichtag 1. Dezember in einem ungekündigten Dauerarbeitsverhältnis stehen.

Sie wird mit der November-Abrechnung des laufenden Jahres zur Auszahlung gebracht.

Die Urlaubszuwendung wird allen Mitarbeitern/innen gewährt, die am Stichtag 1. Juni in einem ungekündigten Dauerarbeitsverhältnis stehen. Sie wird mit der Juni-Abrechnung des laufenden Jahres zur Auszahlung gebracht.

…      

5. Die Weihnachtszuwendung wird unter dem Vorbehalt gewährt, dass das Arbeitsverhältnis nicht vor dem 31.03. des kommenden Jahres gekündigt wird; bei einer Kündigung bis zu diesem Zeitpunkt ist sie voll zurückzuzahlen. Das gleiche gilt bei einem Ausscheiden mittels Aufhebungsvertrag.

Die Urlaubszuwendung wird unter dem Vorbehalt gewährt, dass das Arbeitsverhältnis nicht vor dem 01.10. des laufenden Jahres gekündigt wird; bei einer Kündigung bis zu diesem Zeitpunkt ist sie voll zurückzuzahlen. Das gleiche gilt bei einem Ausscheiden mittels Aufhebungsvertrag.

6. In den Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis im Laufe des Jahres ruhte oder am Stichtag 1. Dezember noch ruht, z. B. durch Wehr- oder Ersatzdienste, Erziehungsurlaub, unbezahlter Urlaub von mindestens einem Monat, befristeter Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitsrente, langfristige Erkrankungen mit Übertragung des Direktions- und Weisungsrechtes an die Arbeitsverwaltung und andere gesetzliche Tatbestände, erfolgt eine Kürzung von jeweils 1/12 für jeden vollen Kalendermonat, in dem das Arbeitsverhältnis ruht.“

Mit einem an alle Mitarbeitenden gerichtetem Schreiben vom 23. Juni 2016 teilte die Rechtsvorgängerin der Beklagten unter der Überschrift „Ihre Urlaubsgratifikation 2016“ ua. mit:

„Um diese Leistungen zu würdigen, freuen wir uns Ihnen mitzuteilen, dass Sie mit dem Junigehalt eine Urlaubsgeldzahlung erhalten. Diese freiwillige Sonderzahlung, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, begründet auch bei wiederholter Zahlung keinen Rechtsanspruch für die Zukunft. Sie basiert auf der zurzeit stabilen Lage des Unternehmens.“

Dem Anschreiben waren die „Grundsätze zur Gewährung einer Urlaubs- bzw. Weihnachtszuwendung“ vom 23. Juni 2016 beigefügt (Grundsätze 2016). Diese stimmen inhaltlich mit den im Vorjahr übersandten Grundsätzen 2015 überein.

Im Jahr 2017 teilte die Rechtsvorgängerin der Beklagten den Mitarbeitenden im Hinblick auf das Urlaubsgeld 2017 ua. mit:

„Als Zeichen unserer Wertschätzung werden wir Ihnen mit dem Junientgelt eine freiwillige Urlaubsgratifikation auszahlen. Wir bedanken uns damit bei Ihnen und hoffen weiterhin auf Ihre Treue zum Unternehmen für eine gemeinsame Zukunft.

Wir möchten an dieser Stelle der Form halber noch darauf hinweisen, dass diese Gratifikation als einmalige, freiwillige soziale Leistung gewährt wird, die auf das laufende Kalenderjahr beschränkt ist und deren Gewährung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht für folgende Zeiträume erfolgt. Durch die Gewährung wird für die Zukunft daher auch bei wiederholter Zahlung weder dem Grunde noch der Höhe nach, auch nicht bezüglich der Auszahlungsmodalitäten, des Personenkreises der Bezugsberechtigten sowie der Ermittlung der Gratifikation, ein Rechtsanspruch begründet. Die Gesellschaft entscheidet für jedes Kalenderjahr neu, ob und unter welchen Voraussetzungen sowie an welchen Personenkreis die Auszahlung erfolgt.“

Ob diesem Schreiben die Grundsätze 2016 beigefügt waren, ist unklar.

Im Jahr 2018 wandte sich die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit einem personalisierten Anschreiben „Urlaubsgratifikation 2018“ an die Mitarbeitenden und führte ua. aus:

„Deshalb werden wir Ihnen als zusätzlichen Ansporn und als Zeichen unserer Wertschätzung mit dem Juni-Entgelt eine freiwillige individuelle Urlaubsgratifikation in Höhe von [individueller Betrag] Euro brutto auszahlen.

Wir bedanken uns damit bei Ihnen für Ihren Einsatz und setzen weiterhin auf Ihre Tatkraft für das Unternehmen.

Wir möchten an dieser Stelle der Form halber noch darauf hinweisen, dass diese Gratifikation als einmalige, freiwillige soziale Leistung gewährt wird, die auf das laufende Kalenderhalbjahr beschränkt ist und deren Gewährung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht für folgende Zeiträume erfolgt. Durch die Gewährung wird für die Zukunft daher auch bei wiederholter Zahlung weder dem Grunde noch der Höhe nach ein Rechtsanspruch begründet.“

Gleichzeitig übersandte sie die „Grundsätze zur Gewährung von Urlaubs- bzw. Weihnachtszuwendungen (Stand 10/2017)“ (Grundsätze 2017). Diese waren den Mitarbeitenden erstmals im November 2017 mit dem Anschreiben zum Weihnachtsgeld übermittelt worden. Sie enthalten ua. folgende Regelungen:

„(1) Bei positiver wirtschaftlicher Entwicklung des Unternehmens können Arbeitnehmer Urlaubs- bzw. Weihnachtszuwendungen gemäß nachfolgender Grundsätze erhalten. Die Gewährung der Zuwendungen bezweckt ausschließlich eine Belohnung für zukünftige aktive Betriebstreue und soll einen Anreiz zu weiterer engagierter Mitarbeit setzen.

(2) Die aktive Betriebstreue muss bei Urlaubszuwendungen bis zum Ablauf des 30.09. des Jahres und bei Weihnachtszuwendungen bis zum Ablauf 31.03. des Folgejahres bestehen. Daher sind Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis zu den benannten Stichtagen bereits vorhersehbar auf Wunsch des Arbeitnehmers oder aufgrund eines durch ihn verursachten Fehlverhaltens nicht fortgesetzt wird, von Urlaubs- bzw. Weihnachtszuwendungen ausgeschlossen.

(3) Sofern Arbeitnehmer aufgrund des Wegfalls der Arbeitsleistung (z. B. bei Elternzeit, Langzeiterkrankung) keine aktive Betriebstreue vorweisen, wird die Gewährung der Urlaubs- bzw. Weihnachtszuwendung für jeden vollen Monat anteilig gekürzt.

(4) Die Höhe der Urlaubs- und Weihnachtszuwendung ist abhängig von der am 30.09. (Urlaubszuwendung) oder 31.03. (Weihnachtszuwendung) bestehenden Betriebszugehörigkeit. Bei steigender Betriebszugehörigkeit erhöht sich die Zuwendung wie folgend:

Ab    6       vollen Monaten Betriebszugehörigkeit        bis zu 20 %

Ab    8       vollen Monaten Betriebszugehörigkeit        bis zu 30 %

Ab    20    vollen Monaten Betriebszugehörigkeit         bis zu 40 %

Ab    32    vollen Monaten Betriebszugehörigkeit         bis zu 50 %

(5) Für die Berechnung werden Arbeitsstunden x individuellem Stundenlohn bzw. das jeweilige Monatsgrundgehalt oder der jeweilige Monatsgrundlohn zugrunde gelegt. Anknüpfungspunkt ist hierbei der zuletzt abgerechnete Lohn bzw. das zuletzt abgerechnete Gehalt. Weitere Leistungen, insbesondere die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen, Auslösen, Erschwernis- und sonstigen Zuschlägen und vermögenswirksamen Leistungen bleiben dabei unberücksichtigt.

(6) Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, die Sonderzahlung zurückzuzahlen, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund Kündigung des Arbeitnehmers oder aufgrund verhaltensbedingter Kündigung aus einem vom Arbeitnehmer zu vertretenden Grund vor Ablauf des 30.09. des Jahres (Urlaubszuwendung) bzw. vor Ablauf des 31.03. des Folgejahres (Weihnachtszuwendung) endet. Die Rückzahlungsverpflichtung gilt entsprechend, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb des genannten Zeitraums auf Veranlassung des Arbeitnehmers durch einen Aufhebungsvertrag beendet wird.

(7) Die Urlaubszuwendung ist ebenso wie die Weihnachtszuwendung eine freiwillige soziale Leistung, deren Gewährung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolgt. Durch die Gewährung wird für die Zukunft daher auch bei wiederholter Zahlung weder dem Grunde, noch der Höhe nach, auch nicht bezüglich der Auszahlungsmodalitäten, sowie der Ermittlung der Gratifikation ein Rechtsanspruch begründet. Der Arbeitgeber entscheidet in jedem Jahr zu jedem Auszahlungszeitpunkt erneut, ob die Auszahlung erfolgt.“

Im Jahr 2019 ließ die Rechtsvorgängerin der Beklagten den Mitarbeitenden ein Anschreiben mit der Überschrift „Urlaubsgeld 2019“ zukommen, dem erneut die Grundsätze 2017 beigefügt waren. Darin heißt es ua.:

„Als Zeichen unserer Wertschätzung in herausfordernden Zeiten werden wir Ihnen mit dem Juni-Entgelt ein Urlaubsgeld auszahlen. Die Höhe dieser freiwilligen Zahlung ist dabei abhängig von der Dauer Ihrer Betriebszugehörigkeit.

…      

Wir möchten an dieser Stelle der Form halber noch darauf hinweisen, dass diese Zahlung als einmalige, soziale Leistung gewährt wird, die auf das laufende Kalenderjahr beschränkt ist und deren Gewährung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht für folgende Zeiträume erfolgt. Durch die Gewährung wird für die Zukunft daher auch bei wiederholter Zahlung weder dem Grunde noch der Höhe nach, auch nicht bezüglich der Auszahlungsmodalitäten, des Personenkreises der Bezugsberechtigten sowie der Ermittlung des Urlaubsgeldes, ein Rechtsanspruch begründet. Die Gesellschaft entscheidet für jedes Kalenderjahr neu, ob, unter welchen Voraussetzungen eine Urlaubszuwendung erfolgt.“

Im Juni 2020 wandte sich die Rechtsvorgängerin der Beklagten an die Mitarbeitenden und informierte sie darüber, dass die Zahlung des Urlaubsgelds für das laufende Jahr ausgesetzt werde. Dementsprechend erhielten die Kläger für das Jahr 2020 kein Urlaubsgeld.

Der bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten bestehende Betriebsrat wurde an den Vorgängen zum Themenkomplex „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“ nicht förmlich beteiligt.

Mit ihren am 27. August 2020 bei der Arbeitgeberin eingegangenen Schreiben machten die Kläger jeweils die Zahlung eines Urlaubsgelds für das Jahr 2020 nach Maßgabe ihrer Betriebszugehörigkeit geltend. Die Arbeitgeberin lehnte eine Zahlung mit E-Mails vom 13. Oktober 2020 ab. Die Kläger haben ihre Ansprüche gerichtlich weiterverfolgt: Der Kläger zu 1. mit seiner am 8. Dezember 2020 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen und der Arbeitgeberin am 23. Dezember 2020 zugestellten Klage, der Kläger zu 2. mit seiner am 10. Dezember 2020 eingegangenen und am 17. Dezember 2020 zugestellten Klage und der Kläger zu 3. mit seiner am 10. Dezember 2020 eingegangenen und am 18. Dezember 2020 zugestellten Klage.

Die Kläger haben die Auffassung vertreten, sie hätten jeweils einen Anspruch auf Zahlung eines Urlaubsgelds für das Jahr 2020 in der geltend gemachten Höhe aus einer Gesamtzusage der Rechtsvorgängerin der Beklagten.

Dem jeweiligen Anspruch stehe kein wirksamer Freiwilligkeitsvorbehalt entgegen. Die Grundsätze der Jahre 2008 bis 2013, die Grundsätze 2015 und 2016 sowie die Schreiben der Rechtsvorgängerin der Beklagten aus den Jahren 2015 bis 2017 enthielten eine Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt, die widersprüchlich sei und daher einer Inhaltskontrolle nicht standhalte. Auch die ab dem Jahr 2018 erfolgten Mitteilungen einschließlich der Grundsätze 2017 seien widersprüchlich und daher unwirksam. Eine Beschränkung der Zahlung auf das Mitteilungsjahr komme nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck. Zudem sei es der Arbeitgeberin wegen des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG versagt gewesen, die geltenden Entlohnungsgrundsätze einseitig zu ändern und das Urlaubsgeld für das Jahr 2020 auf „Null“ zu reduzieren. Der Kläger zu 1. ist darüber hinaus der Auffassung, dass auch der in seinem Arbeitsvertrag vereinbarte Freiwilligkeitsvorbehalt unwirksam sei und dem Anspruch nicht entgegenstehe.

Sollte der Arbeitgeberin in Bezug auf die Höhe des Urlaubsgelds ein Ermessen eingeräumt sein, sei eine Festsetzung auf „Null“ für das Jahr 2020 nicht durch die wirtschaftliche Situation der Arbeitgeberin geboten und entspreche nicht billigem Ermessen. Die wirtschaftliche Lage der Arbeitgeberin sei im Jahr 2020 nicht so schlecht wie von dieser dargestellt gewesen. So sei im TSC-Newsletter mitgeteilt worden, dass im Service von E im Jahr 2020 verschiedene Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität umgesetzt und dadurch die Kosten der Serviceleistung gegenüber 2019 um 8 % reduziert worden seien.

Die Kläger meinen schließlich, ihre Ansprüche seien unter Wahrung der Ausschlussfristen rechtzeitig geltend gemacht worden.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

an den Kläger zu 1. 1.564,92 Euro brutto,

an den Kläger zu 2. 1.330,56 Euro brutto und

an den Kläger zu 3. 1.178,68 Euro brutto

jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 1. Juli 2020 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klagen abzuweisen. Sie hat behauptet, 2020 sei das zweitschwächste Ausbaujahr seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000 gewesen. Der einzige Kunde der Arbeitgeberin befände sich seit Jahren in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, was sich seit 2018 in Jahresfehlbeträgen in erheblicher Höhe gezeigt habe. Diese negative Marktlage habe sich auf die Rechtsvorgängerin der Beklagten ausgewirkt. Hinzu seien große Unsicherheiten aufgrund der Corona-Pandemie sowie damit einhergehender Probleme bei den Lieferketten gekommen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Kläger hätten keine Ansprüche auf ein Urlaubsgeld, insbesondere nicht aufgrund einer Gesamtzusage. Die Arbeitgeberin habe sich mit den Schreiben ausdrücklich vorbehalten, jährlich über die Gratifikationen zu entscheiden. Ab dem Jahr 2014 habe sie unter Hinweis auf die gesamtwirtschaftliche und die betriebliche Situation deutlich gemacht, dass es sich um eine in dem jeweiligen Jahr getroffene Entscheidung handle und nicht um eine automatische Zahlung. Es ergebe sich klar, dass sich die Arbeitgeberin bezüglich des „Ob“ sowie der Höhe der Zahlung ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt habe. In den Regelungen zum Urlaubsgeld seien nur Maximalhöhen festgelegt worden. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Situation der Rechtsvorgängerin der Beklagten habe es daher billigem Ermessen entsprochen, im Jahr 2020 kein Urlaubsgeld zu zahlen. Selbst wenn nicht von einem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht auszugehen sei, enthielten die ab dem Jahr 2016 maßgeblichen Grundsätze sowie die jährlichen Mitteilungen einen wirksamen Freiwilligkeitsvorbehalt. Dieser sei Bestandteil der Arbeitsverhältnisse geworden und verstoße nicht gegen das Transparenzgebot.

Abgesehen davon seien die Grundsätze ab dem Jahr 2017 wirksam – durch konkludente Zustimmung der Beschäftigten – geändert worden. Die Grundsätze 2017 vermittelten ausweislich des eindeutigen Wortlauts bereits keinen Anspruch, sondern regelten – ohne widersprüchlich zu sein – für den Fall, dass sich die Arbeitgeberin zu einer Leistung entscheide, eine faire Verteilung unter den Mitarbeitenden.

Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats seien nicht verletzt, weil die geltenden Entlohnungsgrundsätze zu einem Zeitpunkt eingeführt worden seien, als noch kein Betriebsrat bestanden habe. Soweit Regelungen nach der Errichtung des Betriebsrats getroffen worden seien, habe dieser durch sein Schweigen schlüssig zugestimmt. Abgesehen davon seien in den Grundsätzen 2017 nur sprachliche Klarstellungen erfolgt, so dass ein Mitbestimmungsrecht gar nicht bestanden habe. Das innerbetriebliche Lohngefüge sei nicht verändert worden, weil die Abstufungen nach der Betriebszugehörigkeit identisch zu denen der zuvor maßgeblichen Grundsätze gewesen seien. Die vollständige Einstellung der Zahlung im Jahr 2020 habe ebenfalls zu keiner Änderung der geltenden Entlohnungsgrundsätze geführt.

Schließlich seien etwaige Ansprüche verfallen, weil die Kläger mit ihren im Dezember 2020 erhobenen Klagen die zweite Stufe der vertraglichen Ausschlussfrist nicht eingehalten hätten.

Das Arbeitsgericht hat den Klagen stattgegeben. Auf die Berufungen der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klagen abgewiesen. Mit den vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revisionen streben die Kläger eine Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidungen an. In der mündlichen Verhandlung vom 21. Februar 2024 hat der Senat die drei Revisionsverfahren mit Zustimmung der Parteien zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Aus den Gründen

30        Die zulässigen Revisionen der Kläger sind begründet. Die Kläger haben jeweils einen Anspruch auf ein Urlaubsgeld für das Jahr 2020 in der geltend gemachten Höhe. Das führt dazu, dass die Urteile des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die erstinstanzlichen Entscheidungen – mit Ausnahme geringfügiger Korrekturen hinsichtlich der Zinsansprüche – wiederherzustellen sind. Das kann der Senat selbst entscheiden (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO).

 

31        I. Die zulässigen Klagen sind mit Ausnahme eines geringfügigen Teils der Zinsforderung begründet.

 

32        1. Die Ansprüche der Kläger auf Zahlung eines Urlaubsgelds für das Jahr 2020 folgen jeweils aus der mit der Info 2008 erteilten Gesamtzusage der Rechtsvorgängerin der Beklagten.

 

33        a) Eine Gesamtzusage ist die an alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Betriebs oder einen nach abstrakten Merkmalen bestimmten Teil von ihnen in allgemeiner Form gerichtete ausdrückliche Willenserklärung des Arbeitgebers, bestimmte Leistungen erbringen zu wollen. Eine ausdrückliche Annahme des in der Erklärung enthaltenen Antrags iSv. § 145 BGB wird dabei nicht erwartet und es bedarf ihrer auch nicht. Das in der Zusage liegende Angebot wird gemäß § 151 Satz 1 BGB angenommen und ergänzender Inhalt des Arbeitsvertrags. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – auch die nachträglich in den Betrieb eintretenden – erwerben einen einzelvertraglichen Anspruch auf die zugesagten Leistungen, wenn sie die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen. Dabei wird die Gesamtzusage bereits dann wirksam, wenn sie gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in einer Form verlautbart wird, die die einzelnen Beschäftigten typischerweise in die Lage versetzt, von der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Auf deren konkrete Kenntnis kommt es nicht an (st. Rspr., zB BAG 24. Januar 2024 – 10 AZR 33/23 – Rn. 15; 30. Januar 2019 – 5 AZR 442/17 – Rn. 50 mwN, BAGE 165, 132). Die Zusage hat für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den gleichen Inhalt und die gleiche Bedeutung, sofern es nicht zwischenzeitlich zu einer Veränderung des Inhalts der Zusage durch den Arbeitgeber gekommen oder diese für die Zukunft aufgehoben worden ist (BAG 20. August 2014 – 10 AZR 453/13 – Rn. 15 mwN). Ob es sich um eine Gesamtzusage handelt und welchen Inhalt sie hat, ist durch Auslegung zu ermitteln. Die Auslegung einer Gesamtzusage durch das Landesarbeitsgericht unterliegt der vollen revisionsrechtlichen Überprüfung (BAG 30. Januar 2019 – 5 AZR 450/17 – Rn. 47, BAGE 165, 168).

 

34        b) Gemessen daran erteilte die Rechtsvorgängerin der Beklagten im Jahr 2008 eine Gesamtzusage, mit der sie sich verpflichtete, ein Urlaubsgeld zu zahlen, dessen Höhe sie jährlich nach billigem Ermessen festzulegen hat.

 

35        aa) Zwar leistete die Arbeitgeberin nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien bereits seit Mitte der 1990er-Jahre ein Urlaubsgeld. Auf welcher Grundlage diese Leistung erbracht wurde und ob schon bei Übersendung der Info 2008 ein Anspruch entstanden war, haben die Parteien nicht dargelegt. Daher hat der Senat davon auszugehen, dass bis zum Jahr 2008 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten kein Anspruch auf die Zahlung eines Urlaubsgelds bestand.

 

36        bb) Ein Anspruch folgt jedoch aus der Info 2008. Das ergibt deren Auslegung. Sie ist nach Nr. 3 Satz 1 an alle Mitarbeitenden der Arbeitgeberin gerichtet, die am Stichtag des 1. Juni in einem ungekündigten, unbefristeten Arbeitsverhältnis standen. Mit dem Schreiben hielt die Rechtsvorgängerin der Beklagten die Zusage fest, jährlich mit der Vergütung für den Monat Juni ein Urlaubsgeld zu zahlen, über dessen konkrete Höhe sie in jedem Jahr neu entscheidet. Die Formulierungen „Die Zahlung der Urlaubsgratifikation erfolgt …“ (Nr. 1 der Info 2008), „Die Urlaubszuwendung wird … gewährt …“ (Nr. 3 Satz 1, Nr. 5 der Info 2008), „… entsteht kein Anspruch …“ (Nr. 4 Satz 1 der Info 2008), „… haben … keinen Anspruch …“ (Nr. 7 der Info 2008) machen deutlich, dass ein Anspruch vermittelt werden bzw. unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch nicht bestehen soll. Die Bestimmung in Nr. 2 Satz 1 der Info 2008, wonach über die Höhe der vollen Urlaubszuwendung in Form einer ergänzenden Regelung jährlich entschieden wird, setzt einen Anspruch dem Grund nach voraus.

 

37        cc) Die Info 2008 vermittelt zudem einen Anspruch, der nicht auf das laufende Jahr beschränkt war. In Nr. 2 Satz 1 ist vorgesehen, dass über die Höhe einer vollen Urlaubszuwendung jährlich entschieden wird. Dieser abstrakten Regelung hätte es nicht bedurft, wenn der Anspruch nur auf das Jahr 2008 beschränkt gewesen wäre. Entsprechendes gilt für den Zeitpunkt der Fälligkeit, der in Nr. 3 Satz 2 der Info 2008 geregelt ist. Dort ist eine Auszahlung „mit der Juni-Abrechnung des laufenden Jahres“ bestimmt. Die identische Begrifflichkeit wird in Nr. 5 Halbs. 1 der Info 2008 verwendet.

 

38        Abweichendes ergibt sich nicht aus der Überschrift „Urlaubsgeld 2008 – Zahlung in voller Höhe, entsprechend der Urlaubsgeldregelung“. Vielmehr bekräftigt sie, dass die Grundsätze, wie sie in der Info 2008 mitgeteilt wurden, nicht auf das Jahr 2008 beschränkt sind. Zwar wird das Kalenderjahr 2008 genannt und nach dem Gedankenstrich mit dem Verweis auf die Urlaubsgeldregelung mitgeteilt, dass das Urlaubsgeld 2008 in voller Höhe bezahlt wird. Diese Mitteilung kann mit Blick auf die sich aus Nr. 2 Satz 1 der Info 2008 ergebende Pflicht der Arbeitgeberin, jährlich über die Höhe einer vollen Zuwendung zu entscheiden, nur so verstanden werden, dass damit die Festlegung auf die volle Höhe des Urlaubsgelds für das Jahr 2008 kommuniziert werden sollte. Eine Beschränkung der Grundsätze auf dieses Jahr lässt sich dem jedoch nicht entnehmen.

 

39        dd) Aus der Info 2008 ergibt sich jedoch – anders als das Arbeitsgericht annimmt – kein der Höhe nach feststehender Anspruch, sondern nur ein Anspruch auf die Zahlung eines Urlaubsgelds, über dessen Höhe die Arbeitgeberin jährlich nach billigem Ermessen zu entscheiden hat. So schreibt Nr. 2 Satz 1 der Info 2008 vor, dass jährlich über die Höhe einer vollen Urlaubszuwendung zu entscheiden und diese festzulegen ist. Ausführliche Regelungen zur deren maximaler Höhe in Nr. 2 Satz 2 und 3 stehen dem nicht entgegen. Vielmehr wird hier nur in Abhängigkeit von der Betriebszugehörigkeit eine Staffelung der Höchstbeträge festgelegt, auf die sich das Urlaubsgeld belaufen kann. Auch die thematische Überschrift der Info 2008 spricht nicht gegen einen Anspruch auf ein Urlaubsgeld nach billigem Ermessen. Wie aufgezeigt lässt sie sich widerspruchsfrei mit der Regelung in Nr. 2 Satz 1 der Info 2008 vereinbaren.

 

40        c) Einem aus der Info 2008 erwachsenden Anspruch steht nicht die Regelung in deren Nr. 8 entgegen. Einer Prüfung am Maßstab der §§ 305 ff. BGB hält sie nicht stand (vgl. zum AGB-Charakter der Bedingungen einer Gesamtzusage zB BAG 30. Januar 2019 – 5 AZR 450/17 – Rn. 47, BAGE 165, 168). Die in Nr. 8 der Info 2008 enthaltene Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt ist intransparent und stellt damit eine zur Unwirksamkeit der Klausel führende unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 1 BGB dar (st. Rspr., zB BAG 13. Mai 2015 – 10 AZR 266/14 – Rn. 22; 16. April 2014 – 4 AZR 802/11 – Rn. 57, BAGE 148, 68; grundlegend BAG 14. September 2011 – 10 AZR 526/10 – Rn. 24 ff., BAGE 139, 156).

 

41        d) Ebenso wenig steht der im Fall des Klägers zu 1. in Nr. 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrags vereinbarte Freiwilligkeitsvorbehalt dem aus der Info 2008 herrührenden Anspruch entgegen. Die Klausel ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie nicht auf den Entstehungsgrund etwaiger Ansprüche auf die genannten Leistungen abstellt. Sie lässt nach Maßgabe des § 305c Abs. 2 BGB die Auslegung zu, dass der Vorbehalt auch spätere Individualabreden über die Zahlung der genannten Leistungen erfasst (ausführlich BAG 25. Januar 2023 – 10 AZR 109/22 – Rn. 25 ff.).

 

42        2. Mit den Schreiben sowie den allgemeinen Grundsätzen, die die Rechtsvorgängerin der Beklagten im Zusammenhang mit den Urlaubsgeldzahlungen an ihre Beschäftigten in den Jahren 2014 bis 2019 richtete, konnte der Anspruch – anders als das Landesarbeitsgericht meint – mangels Beteiligung des im Jahr 2013 gebildeten Betriebsrats nicht wirksam für die – wie die Kläger – in den Jahren 2016 bzw. 2018 neu eintretenden Beschäftigten zu deren Lasten inhaltlich verändert werden. Auch für diese Beschäftigten galt vielmehr weiterhin die Gesamtzusage nach Maßgabe der Info 2008.

 

43        a) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung, mitzubestimmen. Die betriebliche Lohngestaltung betrifft die Festlegung abstrakter Kriterien zur Bemessung der Leistung des Arbeitgebers, die dieser zur Abgeltung der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers oder sonst mit Rücksicht auf das Arbeitsverhältnis insgesamt erbringt. Mitbestimmungspflichtig sind die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen. Entlohnungsgrundsätze iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG sind die abstrakt-generellen Grundsätze zur Lohnfindung. Sie bestimmen das System, nach welchem das Arbeitsentgelt für die Belegschaft oder Teile der Belegschaft ermittelt oder bemessen werden soll. Sie sind die allgemeinen Vorgaben, aus denen sich die Vergütung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Betriebs in abstrakter Weise ergibt. Zu diesen zählt neben der Grundentscheidung für eine Vergütung nach Zeit oder nach Leistung die daraus folgende Ausgestaltung des Systems. Für das Beteiligungsrecht des Betriebsrats kommt es nicht darauf an, auf welcher rechtlichen Grundlage die Anwendung der bisherigen Entlohnungsgrundsätze erfolgt ist, etwa auf der Basis bindender Tarifverträge, einer Betriebsvereinbarung, einzelvertraglicher Absprachen oder einer vom Arbeitgeber einseitig praktizierten Vergütungsordnung. Nach der Konzeption des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hängt das Mitbestimmungsrecht nicht vom Geltungsgrund der Entgeltleistung, sondern nur vom Vorliegen eines kollektiven Tatbestands ab. Die konkrete Höhe des Arbeitsentgelts wird allerdings nicht vom Beteiligungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG erfasst (st. Rspr., zB BAG 24. Januar 2017 – 1 AZR 772/14 – Rn. 37, BAGE 158, 44).

 

44        b) Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG wird bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber durch die Tarifsperre des § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG, wonach der Betriebsrat nur mitbestimmen kann, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, weder beschränkt noch ausgeschlossen. Der tarifungebundene Arbeitgeber kann daher kollektivrechtlich das gesamte Volumen der von ihm für die Vergütung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bereitgestellten Mittel mitbestimmungsfrei festlegen. Mangels Tarifgebundenheit leistet er in diesem Fall sämtliche Vergütungsbestandteile „freiwillig“, dh. ohne hierzu normativ verpflichtet zu sein. Bei der Verteilung der Gesamtvergütung hat der nicht tarifgebundene Arbeitgeber einen Entscheidungsspielraum, bei dessen Ausgestaltung der Betriebsrat mitzubestimmen hat. Die Betriebsparteien haben für die gesamten Vergütungsbestandteile Entlohnungsgrundsätze iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG aufzustellen, durch die eine am Normzweck des Mitbestimmungsrechts ausgerichtete Verteilung erfolgt. Dabei unterliegt nicht nur die Einführung, sondern auch die Änderung der im Betrieb für die Verteilung der Gesamtvergütung aufgestellten Entlohnungsgrundsätze dem Mitbestimmungsrecht (BAG 18. März 2014 – 1 ABR 75/12 – Rn. 17 mwN, BAGE 147, 313). Eine Aufspaltung einer Gesamtvergütung in mehrere Vergütungsbestandteile schließt das Mitbestimmungsrecht nicht aus. Vielmehr bildet ihre Gesamtheit die Vergütungsordnung, bei deren Veränderung der Betriebsrat mitzubestimmen hat (vgl. BAG 25. April 2017 – 1 AZR 427/15 – Rn. 21 mwN). Demnach hat der Betriebsrat, wenn der Arbeitgeber neue Entgeltbestandteile einführt, zwar nicht beim Geldfaktor mitzubestimmen. Sein Mitbestimmungsrecht bezieht sich aber ua. auf die Festlegung der Verhältnisse der Entgeltbestandteile zueinander (vgl. BAG 22. Juni 2010 – 1 AZR 853/08 – Rn. 23, BAGE 135, 13).

 

45        c) In Fortführung der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vorgenommenen Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern. Die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung über die Vergütung wird von Gesetzes wegen ergänzt durch die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Beschäftigten nach den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen zu vergüten (st. Rspr., zB BAG 15. Januar 2019 – 1 AZR 250/17 – Rn. 19; 23. Januar 2018 – 1 AZR 65/17 – Rn. 34, BAGE 161, 305; 23. August 2017 – 10 AZR 136/17 – Rn. 26).

 

46        d) Zu den bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten eingeführten Entlohnungsgrundsätzen iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gehört auch das auf der Grundlage der Info 2008 geleistete Urlaubsgeld. Nach dieser Gesamtzusage haben die Beschäftigten – wie ausgeführt – einen Anspruch auf ein jährliches Urlaubsgeld, dessen Volumen nach billigem Ermessen festzulegen ist (§ 315 BGB). Diese Entlohnungsgrundsätze waren bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten im Jahr 2008 mitbestimmungsgemäß eingeführt worden, weil zum Zeitpunkt ihrer Einführung noch kein Betriebsrat bestanden hatte (vgl. BAG 24. Januar 2017 – 1 AZR 772/14 – Rn. 45, BAGE 158, 44; 23. August 2017 – 10 AZR 136/17 – Rn. 29). Eine Zustimmung des erst danach gewählten Betriebsrats zu diesen zunächst unverändert fortbestehenden Entlohnungsgrundsätzen war nicht erforderlich. Mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG wäre nur eine Änderung des bestehenden Entlohnungssystems gewesen. Mit der jährlichen Entscheidung über die volle Höhe des Urlaubsgelds hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten von dem ihr zukommenden Ermessen bei der Festsetzung der Höhe der Sonderzahlung Gebrauch gemacht und damit die bestehenden Entlohnungsgrundsätze angewandt und nicht abgeändert (vgl. BAG 23. August 2017 – 10 AZR 136/17 – aaO).

 

47        e) Nach diesen Grundsätzen konnte die Rechtsvorgängerin der Beklagten ohne Beteiligung des im Jahr 2013 gebildeten Betriebsrats die Gesamtzusage aus der Info 2008 in den Folgejahren nicht zu Lasten der Kläger inhaltlich umgestalten. Diese können sich deshalb zur Begründung ihrer Ansprüche weiter auf die zuletzt wirksam mitbestimmte Regelung nach der Info 2008 berufen. Daher kann dahinstehen, ob die von der Rechtsvorgängerin der Beklagten einseitig vorgenommenen Veränderungen und Ergänzungen des Inhalts der Gesamtzusage und/oder die geänderten arbeitsvertraglichen Regelungen (Kläger zu 2. und zu 3.) einer Prüfung am Maßstab der §§ 305 ff. BGB standhalten würden.

 

48        aa) Dem an die Mitarbeitenden im Juni 2014 gerichteten Schreiben ist neben der Schilderung der wirtschaftlichen Situation und der Mitteilung, dass die Zahlung des Urlaubsgelds als Anerkennung der Leistungen der Beschäftigten angewiesen sei, bereits kein rechtsgeschäftlicher Inhalt zu entnehmen.

 

49        bb) Mit den (inhaltsgleichen) Grundsätzen 2015 und 2016 sowie den Grundsätzen 2017 waren hingegen – anders als die Beklagte meint – nicht nur sprachliche Anpassungen, sondern Änderungen der bestehenden Entlohnungsgrundsätze verbunden, wodurch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ausgelöst wurde.

 

50        (1) Mit den Grundsätzen 2015 und 2016 machte die Arbeitgeberin über die bislang in der Info 2008 und den Infos aus der Personalabteilung der Jahre 2009 bis 2013 allein erfolgte Regelung eines Urlaubsgelds erstmals auch ein Weihnachtsgeld zum Gegenstand der geltenden Grundsätze. Damit führte sie freiwillig einen neuen Entgeltbestandteil ein. Mit der Entscheidung, eine zusätzliche Entgeltkomponente zu erbringen, waren die Verteilung der Gesamtvergütung und die Festlegung des Verhältnisses der Entgeltbestandteile zueinander betroffen. Insoweit war der Tatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verwirklicht und ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gegeben.

 

51        (2) Gleiches gilt für die Grundsätze 2017. Auch diese beinhalten mit dem Weihnachtsgeld einen zusätzlichen Entgeltbestandteil und beeinflussten dadurch die Verteilung der Gesamtvergütung. Hinzu kommt, dass die Grundsätze 2017 von der Info 2008 abweichende Regelungen hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen und Ausschlussgründe für einen Urlaubsgeldanspruch enthalten. So ist ua. für die Bestimmung der Betriebszugehörigkeit in Nr. 4 Satz 1 der Grundsätze 2017 mit dem 30. September ein konkreter Termin bestimmt. Die Info 2008 bestimmen demgegenüber keinen konkreten Zeitpunkt. Die Stichtagsregelung (Nr. 2 Satz 2 der Grundsätze 2017) ist inhaltlich gegenüber der Regelung in Nr. 3 der Info 2008 verändert. Grundlage für die Bemessung des Urlaubsgelds ist nicht mehr zwingend die Vergütung für Mai des laufenden Jahres (Nr. 2 Satz 2 der Info 2008), sondern das zuletzt abgerechnete Gehalt (Nr. 5 Satz 2 der Grundsätze 2017). Während das Urlaubsgeld nach Nr. 3 Satz 2 der Info 2008 mit der Vergütung für Juni zur Auszahlung zu bringen ist und damit fällig wird, sehen die Grundsätze 2017 keinen Fälligkeitstermin vor.

 

52        (3) Nichts anderes ergibt sich für die Anschreiben der Jahre 2015 bis 2019. Sie wurden grundsätzlich zusammen mit den Grundsätzen 2015, 2016 und 2017 übersandt, so dass sich eine isolierte Betrachtung verbietet. Dies gilt vor dem Hintergrund der vorhergehenden und nachfolgenden Praxis der Rechtsvorgängerin der Beklagten auch dann, wenn dem im Jahr 2017 versandten Anschreiben – was nicht aufgeklärt ist – ausnahmsweise die in diesem Jahr aus Sicht der Arbeitgeberin maßgeblichen Grundsätze nicht beigefügt waren. Anhaltspunkte dafür, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten sich von ihrer Praxis lösen wollte, bestehen nicht; die Urlaubsgeldleistung im Jahr 2017 ist nach den entsprechenden Grundsätzen erfolgt.

 

53        cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Änderung der Grundsätze nicht mitbestimmungsgemäß erfolgt, weil der Betriebsrat durch schlüssiges Verhalten zugestimmt hätte. Die bloße Hinnahme eines mitbestimmungswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers durch den Betriebsrat reicht für eine Mitbestimmung nicht aus und lässt grundsätzlich nicht auf den Abschluss einer – wie auch immer gearteten – formfreien Regelungsabrede schließen. Da der Betriebsrat nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes als Kollegialorgan handelt und seinen gemeinsamen Willen durch Beschluss bildet (§ 33 Abs. 1 BetrVG), setzt eine konkludente Zustimmung eine zu dieser Maßnahme gerichtete Beschlussfassung des Betriebsrats und deren Verlautbarung gegenüber dem Arbeitgeber voraus. Eine nicht von einem Betriebsratsbeschluss umfasste Erklärung ist unwirksam und entfaltet keine Rechtswirkungen (vgl. zum konkludenten Zustandekommen einer Regelungsabrede BAG 23. Oktober 2018 – 1 ABR 26/17 – Rn. 29 mwN; zur Duldung mitbestimmungswidrigen Handelns BAG 24. Januar 2017 – 1 AZR 772/14 – Rn. 46, BAGE 158, 44; allgemein zur Willensbildung des Betriebsrats durch Beschluss BAG 9. Dezember 2014 – 1 ABR 19/13 – Rn. 15, BAGE 150, 132). Anhaltspunkte für eine Beschlussfassung sind von der Beklagten weder vorgetragen noch erkennbar.

 

54        3. Besteht demnach ein Anspruch auf die Zahlung eines Urlaubsgelds in nach billigem Ermessen festzulegender Höhe aus der Info 2008, entspricht die Festsetzung des Urlaubsgelds für das Jahr 2020 auf „Null“ nicht billigem Ermessen iSv. § 315 Abs. 1 BGB und ist deshalb nicht verbindlich (§ 315 Abs. 3 Satz 1 BGB). Diese Prüfung, die die Vorinstanzen – aus ihrer Sicht konsequent – unterlassen haben, kann der Senat selbst vornehmen, weil sich die Parteien bereits in den Tatsacheninstanzen schriftsätzlich zu dieser Fragestellung geäußert haben.

 

55        a) Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt werden. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hat. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 315 Abs. 1 BGB bleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb des Spielraums können dem Bestimmungsberechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung dieser Grenzen obliegt dem Bestimmungsberechtigten (BAG 25. Januar 2023 – 10 AZR 109/22 – Rn. 33 mwN).

 

56        b) Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte nicht hinreichend dargelegt, dass eine Festsetzung des Urlaubsgelds für das Jahr 2020 auf „Null“ billigem Ermessen entsprach. Zwar hat sie auf die Herausforderungen durch die Covid-19-Pandemie hingewiesen. Ebenso hat sie vorgetragen, dass sich E als ihr einziger Kunde in den Jahren 2018 bis 2020 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden und diese negative Marktlage voll auf die Rechtsvorgängerin der Beklagten durchgeschlagen habe. Zur wirtschaftlichen Situation der Arbeitgeberin, auf die es für die Leistungsbestimmung ankommt, hat sie jedoch keine hinreichend substantiierten Angaben gemacht. Dem Anschreiben zum Urlaubsgeld des Jahres 2020 kann zwar entnommen werden, dass das erste Quartal 2020 trotz Verbesserungen mit einem negativen Ergebnis abgeschlossen worden sei. Welche konkreten Faktoren zu diesem Abschluss geführt haben, welche Höhe die Verluste eingenommen haben und wie sich die weitere Entwicklung im Jahr 2020 gestaltete, hat die Beklagte nicht dargelegt. Ebenso wenig ist sie den Einwänden der Kläger entgegengetreten, wonach sich aus dem TSC-Newsletter ergebe, dass die Produktivität gesteigert und dadurch Kosten gesenkt worden seien. Hinreichende Angaben zu der eigenen wirtschaftlichen Situation ihrer Rechtsvorgängerin hat die Beklagte damit nicht gemacht.

 

57        c) Die demzufolge erforderlich gewordene gerichtliche Ersatzleistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB kann ebenfalls vom Senat vorgenommen werden.

 

58        aa) Die Ersatzleistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB ist vom Gericht auf Grundlage des Vortrags der Parteien zu treffen. Durch richterliche Ermessensentscheidung wird direkt über den geltend gemachten Anspruch entschieden. Die Ausübung des eigenen richterlichen Ermessens findet auf Grundlage des gesamten Prozessstoffs statt. Eine Darlegungs- und Beweislast im prozessualen Sinn besteht insoweit nicht, doch ist jede Partei gehalten, die für ihre Position sprechenden Umstände vorzutragen, weil das Gericht nur die ihm bekannten Umstände in seine Bestimmung einbringen kann (st. Rspr., zB BAG 25. Januar 2023 – 10 AZR 319/20 – Rn. 33; umfassend BAG 3. August 2016 – 10 AZR 710/14 – Rn. 30 mwN, BAGE 156, 38).

 

59        bb) Wegen der zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls ist sie zwar vorrangig den Tatsachengerichten vorbehalten. Eine Entscheidung durch das Revisionsgericht kommt aber ausnahmsweise in Betracht, wenn alle maßgeblichen Tatsachen feststehen (BAG 25. Januar 2023 – 10 AZR 319/20 – Rn. 39 mwN). Dies ist vorliegend der Fall.

 

60        (1) Die Beklagte ist selbst davon ausgegangen, dass ihrer Rechtsvorgängerin – sollte ein Anspruch überhaupt bestehen – ein Recht zur Leistungsbestimmung zugestanden habe. Sie hat – wenn auch unzureichend (vgl. Rn. 56) – zu deren wirtschaftlicher Situation vorgetragen. Die Kläger haben bereits erstinstanzlich unter Angabe von Gründen darauf hingewiesen, dass aus ihrer Sicht eine Festsetzung des Urlaubsgelds auf „Null“ nicht billigem Ermessen entspreche. Die Beklagte hatte Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen und mindestens vorsorglich alle ihr günstigen Umstände vorzutragen. Gleichwohl hat sie keinen näheren Sachvortrag gehalten. Einer Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht bedurfte es vor diesem Hintergrund nicht.

 

61        (2) Auf der Grundlage des gehaltenen Tatsachenvortrags entspricht es billigem Ermessen, das Urlaubsgeld auf die maximale Höhe festzusetzen. Die Gesamtzusage auf der Grundlage der Info 2008 enthält in Nr. 2 Abs. 1 Höchstbeträge in Abhängigkeit von der Betriebszugehörigkeit. Danach beläuft sich das Urlaubsgeld auf maximal 50 % der Vergütung für Mai des laufenden Jahres. In den Vorjahren leistete die Rechtsvorgängerin der Beklagten – trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten – das Urlaubsgeld in Höhe der Maximalbeträge (vgl. zur indiziellen Bedeutung der in den Vorjahren gewährten Leistungen BAG 13. Oktober 2021 – 10 AZR 729/19 – Rn. 140; 3. August 2016 – 10 AZR 710/14 – Rn. 35, BAGE 156, 38). Dem Anschreiben des Jahres 2020 ist zu entnehmen, dass das Ergebnis des ersten Quartals 2020 zwar negativ, aber besser als in den vorausgegangenen Quartalen gewesen sei. Das spricht dafür, das Urlaubsgeld, das ausweislich Nr. 1 der Info 2008 auch Vergütung für die geleistete Arbeit ist, trotz der als angespannt geschilderten wirtschaftlichen Situation zu leisten. Es ist nicht ersichtlich, dass es sich um eine Ausnahmesituation mit Ergebnissen außerhalb der normalen Schwankungsbreiten handelte, die bei einer variablen Vergütung, mit der auch die geleistete Arbeit entlohnt werden sollte, eine Festsetzung auf „Null“ überhaupt rechtfertigen könnte (vgl. hierzu BAG 19. März 2014 – 10 AZR 622/13 – Rn. 43, BAGE 147, 322).

 

62        d) Damit haben die Kläger jeweils einen Anspruch auf ein Urlaubsgeld in der von ihnen geltend gemachten, zwischen den Parteien unstreitigen Höhe. Dem Kläger zu 1. steht eine Zahlung iHv. 50 % der Vergütung für Mai 2020 zu, was hier 1.564,92 Euro brutto sind. Die Kläger zu 2. und zu 3. können ein Urlaubsgeld iHv. 40 % ihrer jeweiligen Vergütung für Mai 2020 und somit 1.330,56 Euro brutto bzw. 1.178,68 Euro brutto verlangen.

 

63        4. Die Ansprüche sind nicht nach den arbeitsvertraglichen Ausschlussfristenregelungen verfallen. Soweit diese überhaupt wirksam sind, wurden sie gewahrt.

 

64        a) Ansprüche des Klägers zu 1. unterlagen nicht den in Nr. 12 des Arbeitsvertrags geregelten Ausschlussfristen. Die Klausel nimmt – obwohl der Arbeitsvertrag nach dem 31. Dezember 2014 geschlossen wurde – den gesetzlichen Mindestlohn nicht aus, obwohl dessen Geltendmachung nach § 3 Satz 1 MiLoG nicht beschränkt oder ausgeschlossen werden kann. Damit verstößt sie gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und ist insgesamt unwirksam (st. Rspr., zB BAG 29. März 2023 – 5 AZR 255/22 – Rn. 34 mwN).

 

65        b) Die Kläger zu 2. und zu 3. haben ihre Ansprüche – die Wirksamkeit der jeweiligen Ausschlussfristenregelung unterstellt – rechtzeitig geltend gemacht.

 

66        aa) Die erste Stufe der Ausschlussfristen für die außergerichtliche Geltendmachung von drei Monaten ab Fälligkeit (Nr. 16 Abs. 1 der Arbeitsverträge der Kläger zu 2. und zu 3.) haben die Kläger mit ihren jeweils am 27. August 2020 bei der Arbeitgeberin eingegangenen Schreiben gewahrt. Die Urlaubszuwendung wird nach Nr. 3 Satz 2 der Info 2008 mit der Juni-Abrechnung des laufenden Jahres zur Auszahlung gebracht. In Nr. 3 Abs. 2 der Arbeitsverträge ist gleichlautend vereinbart, dass der Lohn nachwirkend einmal monatlich und zwar zum Fünfzehnten des Folgemonats überwiesen wird. Das war hier Mittwoch, der 15. Juli 2020. Die somit ab 16. Juli 2020 laufende Frist von drei Monaten war bei Zugang der Schreiben am 27. August 2020 noch nicht abgelaufen.

 

67        bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten haben die Kläger zu 2. und zu 3. auch die zweite Stufe der Ausschlussfristen gewahrt. Ansprüche sind gerichtlich nach Nr. 16 Abs. 2 der Arbeitsverträge innerhalb von drei Monaten geltend zu machen, nachdem die Gegenseite den Anspruch abgelehnt oder sich innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung nicht erklärt hatte. Die Geltendmachungsschreiben der Kläger gingen der Arbeitgeberin am 27. August 2020 zu. Da sich diese innerhalb der zwei folgenden Wochen nicht erklärte, begann am 11. September 2020 die dreimonatige Frist zur gerichtlichen Geltendmachung, die am 10. Dezember 2020 endete. Die Klagen der Kläger zu 2. und zu 3. wurden jeweils am 10. Dezember 2020 anhängig gemacht und der Rechtsvorgängerin der Beklagten am 17. bzw. am 18. Dezember 2020 zugestellt. Die damit alsbald erfolgten Zustellungen wirken nach § 167 ZPO auf die Zeitpunkte der Anhängigmachung zurück (vgl. BAG 16. April 2013 – 9 AZR 731/11 – Rn. 23, BAGE 145, 8).

 

68        5. Unbegründet sind die Klagen lediglich, soweit die Kläger Zinsen auf die Hauptforderungen bereits ab dem 1. Juli 2020 verlangen. Zinsen stehen dem Kläger zu 1. erst ab dem 2. Juli 2020, den Klägern zu 2. und zu 3. erst ab dem 16. Juli 2020 zu.

 

69        a) Nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB schuldet die Beklagte Verzugszinsen, die den Klägern nach § 187 Abs. 1 BGB ab dem Tag nach Eintritt der Fälligkeit zustehen (st. Rspr., zB BAG 15. November 2023 – 10 AZR 163/23 – Rn. 72 mwN). Die Beklagte hat in ihrer Gesamtzusage (Nr. 3 Satz 2 der Info 2008 „mit der Juni-Abrechnung“) einen Fälligkeitszeitpunkt festgelegt, der auch im Fall einer Leistungsbestimmung durch das Gericht nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB gilt. Die Bestimmung in der Info 2008 beschränkt den Eintritt der Fälligkeit nicht auf Sachverhalte, in denen die von der Arbeitgeberin vorzunehmende Leistungsbestimmung billigem Ermessen entspricht. Sie gilt nach ihrem Wortlaut, Sinn und Zweck für alle Konstellationen und bezieht sich auch auf den Fall einer notwendigen gerichtlichen Festsetzung (vgl. BAG 13. Oktober 2021 – 10 AZR 729/19 – Rn. 125).

 

70        b) Im Fall des Klägers zu 1. ist in Nr. 3 Abs. 4 Satz 1 des Arbeitsvertrags vereinbart, dass der Lohn nachwirkend einmal monatlich überwiesen wird. Nachwirkend bedeutet – in Übereinstimmung mit § 614 Satz 2 BGB – frühestens am Ersten des Folgemonats, hinsichtlich des Juni-Gehalts 2020 also am 1. Juli 2020. Ein Zinsanspruch besteht daher erst ab dem Folgetag. Im Fall der Kläger zu 2. und zu 3. trat die Fälligkeit – wie ausgeführt – am 15. Juli 2020 ein. Daher stehen diesen Klägern Zinsen erst ab dem 16. Juli 2020 zu.

 

71        II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

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