BAG: Urlaubsanspruch - Untergang trotz Arbeitsunfähigkeit
BAG, Urteil vom 16.10.2012, 9 AZR 63/11
Sachverhalt
Die Parteien streiten noch über die Abgeltung von Urlaub aus dem Jahr 2005.
Der seit dem 14. Juni 2005 als schwerbehindert anerkannte Kläger war vom 27. August 2001 bis zum 28. Februar 2009 bei der Beklagten beschäftigt und vom 28. Oktober 2004 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durchgehend arbeitsunfähig krank. Mit Schreiben vom 3. Februar 2009 machte der Kläger gegenüber der Beklagten die Abgeltung offener Urlaubsansprüche aus den Jahren 2004 bis 2006 geltend. Die Beklagte zahlte ihm Urlaubsabgeltung für den Urlaub ab dem Jahr 2006. Mit seiner am 14. Dezember 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger zuletzt noch die Abgeltung von 20 Tagen gesetzlichen Mindesturlaub und drei Tagen anteiligen Zusatzurlaub für Schwerbehinderte aus dem Jahr 2005 verlangt.
Der Kläger hat gemeint, aufgrund seiner durchgängig bestehenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit sei der Urlaub aus dem Jahr 2005 nicht verfallen. Verfall- und Verjährungsvorschriften fänden auf den Urlaubsanspruch keine Anwendung.
Er hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.303,22 Euro brutto zuzüglich fünf Prozent Zinsen hieraus über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23. Dezember 2009 zu zahlen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, der Urlaubsanspruch des Klägers aus dem Jahr 2005 sei vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen, jedenfalls aber verjährt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat - abgesehen von einer Änderung in der Kostenentscheidung - die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter.
Aus den Gründen
7 Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Abgeltung von Urlaub aus dem Jahr 2005.
8 I. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 28. Februar 2009 bestanden die im Jahr 2005 gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG und § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX entstandenen Urlaubsansprüche nicht mehr, sodass die Beklagte nicht gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG zur Abgeltung des Urlaubs aus dem Jahr 2005 verpflichtet ist. Der gesetzliche Mindesturlaub und der anteilige Zusatzurlaub für Schwerbehinderte aus dem Jahr 2005 sind mit Ablauf des 31. März 2007 verfallen.
9 1. Aufgrund der Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie) ist § 7 Abs. 3 BUrlG zwar unionsrechtskonform dahin gehend auszulegen, dass der gesetzliche Urlaub nicht erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist (BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 47 ff., BAGE 130, 119). Die unionsrechtskonforme Auslegung hat jedoch nur zur Folge, dass der aufrechterhaltene Urlaubsanspruch zu dem im Folgejahr entstandenen Urlaubsanspruch hinzutritt und damit erneut dem Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG unterfällt (vgl. BAG 9. August 2011 - 9 AZR 425/10 - Rn. 19, AP BUrlG § 7 Nr. 52 = EzA BUrlG § 7 Nr. 125). Besteht die Arbeitsunfähigkeit auch am 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres fort, so gebietet auch das Unionsrecht keine weitere Aufrechterhaltung des Urlaubsanspruchs (vgl. EuGH 22. November 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 38, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 7). Der zunächst aufrechterhaltene Urlaubsanspruch erlischt somit zu diesem Zeitpunkt (vgl. BAG 7. August 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 32 ff., NZA 2012, 1216).
10 2. Die vom Kläger geäußerte Kritik gibt keine Veranlassung, diese Rechtsprechung aufzugeben.
11 a) Der Senat hat sich in der Entscheidung vom 7. August 2012 bereits mit den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung auseinandergesetzt (- 9 AZR 353/10 - Rn. 28, 31, aaO). Die Annahme eines Verfalls des Urlaubsanspruchs bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres stellt keinen Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung dar, sondern setzt den gesetzgeberischen Willen, den Urlaub eng an das Urlaubsjahr zu binden (vgl. zum Gebot zeitnaher Erfüllung des Urlaubsanspruchs: BAG 18. Oktober 2011 - 9 AZR 303/10 - Rn. 23 mwN, AP BUrlG § 7 Nr. 54 = EzA BUrlG § 7 Nr. 126), in unionsrechtskonformer Weise um.
12 b) Die Rechtsprechung des Senats steht auch im Einklang mit der Regelung in Art. 31 Abs. 2 EU-GRCharta. Dies folgt für den vorliegenden Fall bereits daraus, dass der Vertrag von Lissabon erst seit dem 1. Dezember 2009 in Kraft ist (vgl. BAG 7. August 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 29, aaO). Der Kläger schied jedoch bereits am 28. Februar 2009 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Im Übrigen zwingt das Unionsrecht - entgegen der Rechtsauffassung des Klägers - nationale Gerichte nicht dazu, § 7 Abs. 3 BUrlG unangewendet zu lassen. Der EuGH hat vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die Frage, ob eine nationale Bestimmung wegen Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht unangewendet bleiben muss, nur stellt, wenn keine unionsrechtskonforme Auslegung dieser Bestimmung möglich ist (EuGH 24. Januar 2012 - C-282/10 - [Dominguez] Rn. 23, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 7 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 8). Deshalb ist es auch unerheblich, dass die urlaubsrechtlichen Bestimmungen der Arbeitszeitrichtlinie zwischen dem Kläger und der Beklagten als staatlicher Einrichtung unmittelbar zur Anwendung kommen könnten (vgl. EuGH 24. Januar 2012 - C-282/10 - [Dominguez] Rn. 38 f. mwN, aaO).
13 II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 und § 269 Abs. 3 ZPO.