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Arbeitsrecht
28.10.2010
Arbeitsrecht
LAG Nürnberg: Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen durch einstweilige Verfügung

LAG Nürnberg , Urteil  vom 30.09.2010 - Aktenzeichen 5 Ta 135/10 (Vorinstanz: ArbG Nürnberg vom 14.09.2010 - Aktenzeichen 4 Ga 60/10; )
Amtliche Leitsätze: 1. Die örtliche Zuständigkeit eines Arbeitsgerichts für die Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Verletzung der tariflichen Friedenspflicht richtet sich nach dem Ort, an dem die Friedenspflicht zu erfüllen ist. 2. Hat das Arbeitsgericht ohne mündliche Verhandlung über den Erlass einer einstweiligen Verfügung entschieden, so ergeht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über eine dagegen gerichtete sofortige Beschwerde durch Endurteil, wenn im Rahmen des Beschwerdeverfahrens eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. 3. Die Entscheidung über die sofortige Beschwerde im einstweiligen Verfügungsverfahren durch das Landesarbeitsgericht ergeht ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter. 4. Besteht neben einem Firmentarifvertrag ein Verbandstarifvertrag über denselben Regelungsgegenstand, kommt es innerhalb tarifgebundener Arbeitsverhältnisse zur Tarifkonkurrenz, welche nach dem Spezialitätsprinzip grundsätzlich durch einen Vorrang des Firmentarifvertrags aufgelöst wird (im Anschluss an BAG vom 04.04.2001 - 4 AZR 237/00 - AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz). 5. Haben Tarifvertragsparteien in einem Firmentarifvertrag Gegenstände geregelt, die zu den Hauptforderungen einer beim Abschluss des Firmentarifvertrags beteiligten Gewerkschaft gehören, die gegen einen Arbeitgeberverband gerichtet werden, dem der Arbeitgeber des Firmentarifvertrags angehört, so verstoßen die gegen diesen Arbeitgeber im Hinblick auf den Abschluss eines Verbandstarifvertrages eingeleiteten Arbeitskampfmaßnahmen gegen die aus dem ungekündigten Firmentarifvertrag resultierende tarifliche Friedenspflicht. 6. Die Verletzung der tariflichen Friedenspflicht und die Verfolgung rechtswidriger Ziele hat die Rechtswidrigkeit des gesamten Streiks jedenfalls dann zur Folge, wenn es sich bei den die Friedenspflicht verletzenden Forderungen um Hauptforderungen handelt (im Anschluss an BAG vom 10.12.2002 - 1 AZR 96/02 - AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). 7. Arbeitskampfmaßnahmen, die unter Verstoß gegen die tarifliche Friedenspflicht durchgeführt werden, können durch einstweilige Verfügung untersagt werden; der hierfür erforderliche Verfügungsgrund ist nur zu bejahen, wenn aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung schwerwiegende Interessen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung sprechen. 8. Die einstweilige Verfügung kann sich gegen eine gewerkschaftliche Dachorganisation ohne eigene Gewerkschaftsmitglieder richten, wenn diese Dachorganisation zum Streik aufruft. 9. Gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über eine sofortige Beschwerde im einstweiligen Verfügungsverfahren gibt es kein Rechtsmittel.
  Amtliche Normenkette: GG Art. 9 Abs. 3; TVG § 2 Abs. 2; TVG § 2 Abs. 3; TVG § 2 Abs. 4; ArbGG § 62 Abs. 2; ArbGG § 72 Abs. 4; ArbGG § 78 S. 3; ZPO § 29; ZPO § 922 Abs. 1 S. 1; ZPO § 935;
Tatbestand: 
Die Verfahrensbeteiligten streiten im Wesentlichen um die Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen der Verfügungsbeklagten gegenüber der Verfügungsklägerin durch Erlass einer einstweiligen Verfügung. 
Die Verfügungsklägerin ist ein Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs mit Sitz in N...; sie bietet ihre Verkehrsdienstleistungen im Raum N... an. Als Mitglied des K... Ar...verband B... unterliegt sie der Geltung des unter anderem zwischen diesem Verband und der Verfügungsbeklagten abgeschlossenen Tarifvertrag Nahverkehrsbetriebe B... (TV-N B...) vom 18.08.2006 in der Fassung vom 05.05.2009. Dieser Tarifvertrag wurde von der Verfügungsbeklagten zum 30.06.2010 gekündigt. 
Der zwischen den Verfahrensbeteiligten abgeschlossene Örtliche Tarifvertrag Fahrdienst vom 16.09.2008 (TV-Fahrdienst) ist ungekündigt. 
Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, mit den von der Verfügungsbeklagten eingeleiteten und beabsichtigten Arbeitskampfmaßnahmen, durch welche die in den Streikaufrufen und in einer Presse-Information angegebenen Tarifforderungen verfolgt würden, verstoße die Verfügungsbeklagte gegen ihre tarifliche Friedenspflicht. Die Verfügungsbeklagte habe am 16.09.2008 mit der Verfügungsklägerin einen Firmentarif abgeschlossen, der zu zwei Streikzielen bereits eine Regelung enthalte. Bei den von der Verfügungsbeklagten verfolgten und bekannt gegebenen Forderungen handele es sich um: 
- angemessene Anrechnung von Vorbereitungs- und Abschlusszeiten auf die Arbeitszeit 
- tarifvertragliche Lösung bei geteilten Schichten und Wegezeiten 
- Verfallschutz für angesammelte Nacharbeitsstunden 
- Ausweitung des Nachtarbeitszeitraums auf 20.00 Uhr bis 06.00 Uhr 
- Dynamisierung der Schicht- und Wechselschichtzulage. 
Im Firmentarifvertrag vom 16.09.2008 sei aber für geteilte Schichten bereits eine Regelung dahingehend getroffen worden, dass bei Arbeitsunterbrechungen, die länger als die gesetzlich vorgesehene Pause sei (geteilte Schicht), im Fahrdienst ein Zuschlag gewährt werde. Darüber hinaus enthalte der Firmentarifvertrag Wegezeitregelungen. Bei Nichterlass der einstweiligen Verfügung entstünden der Verfügungsklägerin unumkehrbare erhebliche Nachteile. 
Vor dem Arbeitsgericht hat die Verfügungsklägerin beantragt: 
I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Streikaufruf an ihre Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer der Antragstellerin, mit denen diese am 15.09.2010 zum Streik aufgerufen hat, auf ihren Internetseiten ... zu widerrufen. 
II. Der Antragsgegnerin wird für den Fall der Nichtvornahme der Handlungspflichten gemäß Ziffer 1 ein Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft, zu vollziehen an dem 1. Vorsitzenden F... St..., angedroht. 
III. Der Antragsgegnerin wird untersagt, seine Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer der Antragstellerin zu Streiks, Warnstreiks und sonstigen Arbeitsniederlegungen aufzurufen, und Streiks, Warnstreiks und sonstige Arbeitsniederlegungen durchzuführen. 
IV. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflichten gem. Ziffer III ein Ordnungsgeld in Höhe von € 250.000,00 angedroht. 
V. Hilfsweise für den Fall der Abweisung der Anträge III und IV: Der Antragsgegnerin wird untersagt, seine Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer der Antragstellerin im Zeitraum vom 15.09.2010 bis 14.10.2010 zu Streiks, Warnstreiks und sonstigen Arbeitsniederlegungen aufzurufen, und im Zeitraum vom 15.09.2010 bis 14.10.2010 Streiks, Warnstreiks und sonstige Arbeitsniederlegungen durchzuführen. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflichten gem. Ziffer IV ein Ordnungsgeld in Höhe von € 250.000,00 angedroht. 
VI. Weiter wird beantragt, die Zustellung zur Nachtzeit sowie an Sonn- und Feiertagen zuzulassen. 
Das Arbeitsgericht hat die Anträge mit Beschluss vom 14.09.2010 ohne mündliche Verhandlung mit der Begründung zurückgewiesen, der Abbruch der Streikmaßnahmen sei nicht gerechtfertigt, da die beiden in der Antragsschrift genannten Streikziele im Verhältnis zu den Hauptstreikzielen von untergeordneter Bedeutung seien. 
Gegen diesen Beschluss hat die Verfügungsklägerin mit Schriftsatz vom 16.09.2010 sofortige Beschwerde einlegen lassen. 
Mit Beschluss vom 20.09.2010 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. 
Zur Begründung ihrer sofortigen Beschwerde lässt die Verfügungsklägerin vorbringen, bei der Forderung der Verfügungsbeklagten nach "verbesserter Anrechnung von Arbeitszeit bei sogenannten geteilten Schichten" und bei der "Einführung einer Zulage für geteilte Schichten an Werktagen in Höhe von € 5,--, an Sonn- und Feiertagen von € 8,--" handele es sich um eine Hauptforderung des Streiks. Dies ergebe sich bereits daraus, dass diese Forderungen explizit in den Streikaufrufen aufgeführt seien. Diese Ziele seien allerdings bereits im Örtlichen Tarifvertrag Fahrdienst geregelt. Die zeitnahe gerichtliche Anordnung sei zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Verfügungsklägerin notwendig. 
Die Verfügungsklägerin beantragt im Beschwerdeverfahren: 
1. Auf die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 14.09.2010, Aktenzeichen: 4 Ga 60/10, aufgehoben und nach den Anträgen III., IV. und VI., hilfsweise nach den Anträgen V. und VI. erkannt. 
2. Die Anträge I. und II. sind erledigt. 
3. Die Kosten - einschließlich der auf die Anträge zu I. und II. entfallenden Kosten - trägt die Verfügungsbeklagte. 
Darüber hinaus stellt die Verfügungsklägerin folgende Hilfsanträge: 
VII. Der Antragsgegnerin wird untersagt, ihre Mitglieder, die bei der Antragstellerin beschäftigt sind, im Zeitraum vom 15.09.2010 bis 14.10.2010 zu Streiks, Warnstreiks und sonstigen Arbeitsniederlegungen mit den Streikzielen "verbesserte Anrechnung von Arbeitszeit bei sogenannten geteilten Schichten" und "Einführung einer Zulage für geteilte Schichten an Werktagen in Höhe von € 5,00, an Sonn- und Feiertagen von € 8,00 aufzurufen und bei der Antragstellerin im Zeitraum vom 15.09.2010 bis 14.10.2010 Streiks, Warnstreiks und sonstige Arbeitsniederlegungen mit den genannten Zielen durchzuführen. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflichten gem. Ziff. 6 ein Ordnungsgeld in Höhe von € 250.000,00 angedroht, ersatzweise Zwangshaft zu vollziehen jeweils am 1. Vorsitzenden des Vorstands der Verfügungsbeklagten. 
VIII. Der Antragsgegnerin wird untersagt, ihre Mitglieder, die bei der Antragstellerin beschäftigt sind, im Zeitraum vom 15.09.2010 bis 14.10.2010 zu Streiks, Warnstreiks und sonstigen Arbeitsniederlegungen mit den Zielen "Wegezeiten und Wartezeiten bei geteilten Schichten" aufzurufen und im Zeitraum vom 15.09.2010 bis 14.10.2010 Streiks, Warnstreiks und sonstige Arbeitsniederlegungen mit den genannten Zielen durchzuführen. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflichten gem. Ziff. 6 ein Ordnungsgeld in Höhe von € 250.000,00 angedroht, ersatzweise Zwangshaft zu vollziehen jeweils am 1. Vorsitzenden des Vorstands der Verfügungsbeklagten. 
IX. Eine nach Ermessen des Gerichtes zu bestimmende Androhung gemäß § 938 Abs. 1 ZPO zu erlassen, die erforderlich ist, um den Zweck der vorstehenden Anträge zu erreichen. 
X. Der Antragsgegnerin wird untersagt, bei der Antragstellerin beschäftigte Arbeitnehmer zu Streiks, Warnstreiks und sonstigen Arbeitsniederlegungen aufzurufen bzw. Streiks, Warnstreiks und sonstige Arbeitsniederlegungen bei der Antragstellerin durchzuführen mit den Streikzielen "Verbesserte Anrechnung von Arbeitszeit bei sog. geteilten Schichten" und "Einführung einer Zulage für geteilte Schichten". 
XI. Androhung von Ordnungsgeld entsprechend Ziffer IV. 
Die Verfügungsbeklagte beantragt: 
1. Die Beschwerdegegnerin widersetzt sich der Erledigung. 
2. Hilfsweise wird Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO beantragt. 
3. Im Übrigen Abweisung aller von der Verfügungsklägerin und Beschwerdeführerin gestellten Anträge. 
Die Verfügungsbeklagte lässt vortragen, der Antrag zu I. sei schon deshalb zurückzuweisen, weil ein rechtlicher Anspruch der Antragstellerin auf einen Widerruf eines Streikaufrufs "an ihre Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer" der Antragstellerin nicht begründbar sei. Damit sei auch der Klageantrag zu Ziffer II. unzulässig. Der Antrag zu III. sei schon unzulässig, weil er auf Ewigkeits- und Zukunftswirkung gerichtet sei. Darüber hinaus seien die Anträge der Antragstellerin schon deshalb unbegründet, weil es sich bei der Verfügungsbeklagten um eine Spitzenorganisation im Sinne von § 2 Abs. 3 TVG handele; die bei der Antragsgegnerin beschäftigten Arbeitnehmer seien nicht Mitglied bei ihr. Im Hinblick auf die Kündigung des TV-N B... entfalle auch die Friedenspflicht für die auf örtlicher Ebene betroffene nachgelagerte tarifliche Regelung, auch wenn diese nicht gekündigt sei. Die örtlichen Tarifvertragsparteien hätten nur abgeleitete Rechte wahrgenommen; ihre Regelungsmacht gehe nicht weiter, als die der übergeordneten Tarifvertragsparteien. Die Verfügungsbeklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den ergänzenden Tarifvertrag vom 16.09.2008 zu kündigen, um "arbeitskampffähig" für eine Neuregelung des TV-N B... zu werden. Eine andere Vorstellung verkehre das Verhältnis zwischen den tarifvertraglichen Rechtsetzungsebenen in sein Gegenteil. Die örtlichen Tarifvertragsparteien würden über die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien, von denen sie ihre Rechtsetzungsmacht erst bekommen hätten, bestimmen. Die Regelungsmacht des Arbeitgeberverbandes und der Antragsgegnerin für den Nahverkehr in B... sei nicht dadurch eingeschränkt, dass auf örtlicher Ebene ergänzende Tarifverträge geschlossen worden und diese nicht gekündigt seien. Der Forderungskatalog der Verfügungsbeklagten ziele auf eine Neuregelung des Flächentarifvertrages insgesamt, der es nicht mehr erfordere, örtliche Ergänzungsregelungen, wie die streitgegenständliche, zu formulieren. Die Überschneidungen, die sich im konkreten vorliegenden Fall in Bezug auf den örtlichen Tarifvertrag ergäben, seien marginal und würden durch die von der Antragsgegnerin angestrebte tarifliche Regelung beseitigt. Jedenfalls fehle es an dem für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Verfügungsgrund. 
Wegen des weiteren Vorbringens der Verfahrensbeteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze, der von der Verfügungsbeklagten eingereichten Schutzschrift sowie auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift Bezug genommen. 
Entscheidungsgründe: 
Der Antrag hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, im Übrigen bleibt er erfolglos. 
Die örtliche Zuständigkeit für die Entscheidung über die einstweilige Verfügung ist gemäß § 29 ZPO gegeben. Streitige Verpflichtung im Sinne des § 29 ZPO ist die tarifliche Friedenspflicht, die dort zu erfüllen ist, wo der entsprechende Tarifvertrag gilt (BAG vom 23.03.1960, AP Nr. 5 zu § 1 TVG "Friedenspflicht"). Der sich aus § 1 TV-Fahrdienst ergebende Geltungsbereich liegt im Zuständigkeitsbereich des Landesarbeitsgerichts Nürnberg. 
Nachdem eine mündliche Verhandlung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens stattgefunden hat, erging die Entscheidung durch Endurteil (§ 922 Abs. 1 Satz 1 ZPO; vgl. auch Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 7. Aufl., § 62 RdNr. 87; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Aufl., § 922 RdNr. 29; Zöller/Vollkommer, ZPO. 28. Aufl., § 922 RdNr. 14). 
Da über eine sofortige Beschwerde zu entscheiden war, waren ehrenamtliche Richter nicht hinzuzuziehen (§ 78 Satz 3 ArbGG). 
Die Hauptanträge der Verfügungsklägerin zu III. und IV. sind unbegründet. Zu Recht weist das Arbeitsgericht in seinem Beschluss vom 20.09.2010 darauf hin, dass die begehrte zeitlich unbegrenzte, absolute Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen auf eine Beseitigung des Grundrechts der Verfügungsbeklagten auf Arbeitskampffreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG hinausliefe. Jedenfalls nach Ablauf der Friedenspflicht müssen Arbeitskampfmaßnahmen möglich sein. 
Die Hilfsanträge zu V. und VI. haben in der Sache Erfolg. Die Verfügungsklägerin hat insoweit einen Anspruch auf Unterlassung der genannten Arbeitskampfmaßnahmen im Zeitraum bis 14.10.2010, weil die Verfügungsbeklagte zumindest hinsichtlich eines Teils der verfolgten Streikziele der tariflichen Friedenspflicht unterliegt. 
Die Verletzung der Friedenspflicht und die Verfolgung rechtswidriger Ziele hat die Rechtswidrigkeit des gesamten Streiks zur Folge. Jedenfalls dann, wenn es sich bei der die Friedenspflicht verletzenden oder rechtswidrigen Forderung um eine Hauptforderung handelt, führt dies zur Rechtswidrigkeit des gesamten Streiks (BAG vom 10.12.2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). 
Wie der Streikaufruf vom 09.09.2010 erkennen lässt, ist dies vorliegend der Fall. Sowohl bei den geforderten Regelungen zu Wegezeiten sowie zu geteilten Schichten handelt es sich um Hauptforderungen der Verfügungsbeklagten. Regelungen hierzu finden sich aber auch in dem Örtlichen Tarifvertrag Fahrdienst. Damit verstößt die Verfügungsbeklagte mit ihren an die Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin gerichteten Aufrufen zum Streik und mit der Durchführung der Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber der Verfügungsklägerin gegen ihre aus dem Örtlichen Tarifvertrag Fahrdienst resultierende Friedenspflicht. 
Dem Bestehen einer Friedenspflicht steht nicht entgegen, dass der Verbandstarifvertrag von der Verfügungsbeklagten gekündigt worden ist und der Örtliche Tarifvertrag Fahrdienst § 21 Abs. 3 TV-N als Grundlage für den örtlichen Tarifabschluss nennt. § 21 Abs. 3 TV-N vom 18.08.2006 enthält keine das Verhältnis zu örtlichen Ergänzungstarifverträgen betreffende Regelung. Bei Wegfall des § 21 Abs. 3 TV-N würde der örtliche Tarifvertrag nicht - wie die Verfügungsbeklagte meint - ersatzlos wegfallen. TV-N und der Örtliche Tarifvertrag Fahrdienst stehen nicht in einem Verhältnis der Über- und Unterordnung. 
Das Verhältnis zwischen dem mit der Verfügungsklägerin abgeschlossenen Firmentarifvertrag zum Verbandstarifvertrag bestimmt sich vielmehr nach dem Spezialitätsprinzip. Ein Arbeitgeber kann trotz Verbandszugehörigkeit und trotz eines für ihn geltenden Verbandstarifvertrages wirksam einen konkurrierenden oder ergänzenden Firmentarifvertrag abschließen (BAG vom 04.04.2001, AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz). Dies würde selbst dann gelten, wenn ein Arbeitgeber mit dem Abschluss eines Firmentarifvertrags gegen seine Verbandspflichten verstoßen würde; die Wirksamkeit des abgeschlossenen Firmentarifvertrages würde davon nicht betroffen (BAG vom 04.04.2001, aaO.). Besteht neben einem Firmentarifvertrag ein Verbandstarifvertrag über denselben Regelungsgegenstand, kommt es innerhalb tarifgebundener Arbeitsverhältnisse zur Tarifkonkurrenz, welche grundsätzlich durch einen Vorrang des Firmentarifvertrags aufgelöst wird (BAG vom 04.04.2001, aaO.; BAG vom 20.04.1999, AP Nr. 12 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt; ErfK/Franzen, 10. Aufl., § 2 TVG RdNr. 21). 
Damit kommen aber auch Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber der Verfügungsklägerin nicht in Betracht, welche zum Abschluss eines Verbandstarifvertrages führen sollen, wenn dieser Verbandstarifvertrag hinsichtlich der im Firmentarifvertrag enthaltenen Regelungen keine Wirkung entfalten könnte. Die Verfügungsbeklagte darf damit die Verfügungsklägerin nicht mit Arbeitskampfmaßnahmen konfrontieren, die auch der Durchsetzung von Schwerpunktzielen dienen, die bereits in einem Firmentarifvertrag geregelt sind. 
Anhaltspunkte dafür, dass die Verfügungsbeklagte bis zum 14.10.2010 die Voraussetzungen für die Durchführung eines auch gegenüber der Verfügungsklägerin legitimen Streiks herbeiführt, sind nicht erkennbar. Insbesondere gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass die Verfügungsbeklagte bis zum 14.10.2010 ihre mit der gegenüber der Verfügungsklägerin bestehenden Friedenspflicht kollidierenden Streikziele fallen lässt (vgl. zu diesem Gesichtspunkt: ArbG Mainz, Urteil vom 14.07.2007, 3 Ca 19/07, juris). 
Der für den Erlass der einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund liegt vor. Wie bereits in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht, kommt eine - auch nur vorübergehende - Untersagung eines Arbeitskampfes nur in Ausnahmefällen in Betracht, da durch Erlass einer einstweiligen Verfügung für den Untersagungszeitraum der Streit regelmäßig abschließend entschieden wird (Befriedigungsverfügung) und das Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG tangiert ist. 
Ein Verfügungsgrund ist demnach nur zu bejahen, wenn aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung schwerwiegende Interessen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung sprechen (Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 7. Aufl., § 62 RdNr. 114). Im zu entscheidenden Fall ist zu berücksichtigen, dass sich der Verfügungsanspruch aus der Verletzung der tariflichen Friedenspflicht ergibt, mit der die Tarifvertragsparteien autonom sich einer Beschränkung ihrer aus Art. 9 Abs. 3 GG resultierenden Grundrechtsposition unterworfen haben. 
An der Rechtswidrigkeit der von der Verfügungsbeklagten gegenüber der Verfügungsklägerin eingeleiteten und beabsichtigten Arbeitskampfmaßnahmen kann es für den Untersagungszeitraum auch keine vernünftigen Zweifel geben. In den Fällen der Verletzung der tariflichen Friedenspflicht wird die Auffassung vertreten, dass dem Antrag auf Untersagung von Streikaufrufen im Wege der einstweiligen Verfügung regelmäßig stattzugeben ist (Wenzel, AR-Blattei SD 650, Einstweilige Verfügung RdNr. 127). 
Die durch den Streik hervorgerufenen Nachteile bestehen in dem - teilweisen - Ausfall von Verkehrsdienstleistungen, die, anders als Produktionsleistungen, nicht nachholbar sind (vgl. Buchner, Der "Funktionseliten"-Streik - zu den Grenzen der Durchsetzbarkeit von Spartentarifverträgen, BB 2003, 2121 ff. [2129]). Für die Verfügungsklägerin würde sich damit ein endgültiger Rechtsverlust einstellen. Dass durch die beabsichtigten Arbeitskampfmaßnahmen es zu Einschränkungen und einem teilweisen Ausfall ihrer Dienstleistungen kommen würde, hat die Verfügungsklägerin durch die Vorlage eidesstattlicher Versicherungen glaubhaft gemacht. 
Die Berücksichtigung vorgenannter Gesichtspunkte müssen zur Bejahung des Verfügungsgrundes führen. 
Dem Erlass der gegen die Verfügungsbeklagte gerichteten einstweiligen Verfügung stand auch nicht entgegen, dass die Verfügungsbeklagte selbst keine Mitglieder hat, die Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin sind. Gleichwohl ist sie richtiger Adressat des Antrags auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung, da sie die Mitglieder der G... und sonstige Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin zum Streik aufgerufen hat. Mit der gegenüber dem gestellten Antrag einschränkenden Tenorierung wird diesem Gesichtspunkt Rechnung getragen. 
Die Anträge zu I. und II. haben sich durch Zeitablauf erledigt. Dies war festzustellen und insoweit waren der Verfügungsbeklagten die Kosten aufzuerlegen, da die einstweilige Verfügung Erfolg gehabt hätte (§ 91 a ZPO). Wie dargestellt war der am 15.09.2010 durchgeführte Streik eines Teils der Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin wegen Verstoßes gegen die tarifliche Friedenspflicht rechtswidrig. Mit dem begehrten Widerruf des Streikaufrufs hat die Verfügungsklägerin versucht, ihren Anspruch auf Beachtung der tariflichen Friedenspflicht dadurch zu erreichen, dass die Verfügungsbeklagte auf die zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer einwirken sollte, um den für den 15.09.2010 geplanten Streik zu unterlassen (zur Zulässigkeit von Einwirkungsanträgen vgl. BAG vom 21.06.1988, AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). 
Eine Entscheidung über die weiteren Hilfsanträge war nicht veranlasst. 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 91 a Abs. 1 ZPO. 
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben; die in § 72 Abs. 4 ArbGG enthaltene Einschränkung gilt auch für Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts über einstweilige Verfügungen im Beschwerdeverfahren (GK-ArbGG/Vossen, § 62 RdNr. 96 b; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 7. Aufl., § 62 RdNr. 87). 
 

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