ArbG München: Umfang der Vorlagepflicht im Rahmen von § 99 BetrVG
ArbG München, Beschluss vom 16.3.2017 – 12 BV 394/16
Volltext: BB-ONLINE BBL2017-1588-3
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Amtlicher Leitsatz
Unterlagen, über die der Arbeitgeber nicht verfügt, braucht er dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung nach § 99 BetrVG nicht vorzulegen.
Sachverhalt
I.
Die Beteiligten streiten um die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung der Mitarbeiterinnen W. und R. als Aufsicht.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1) ist die Betriebsgesellschaft des H. in M-Stadt. Dieses ist ein öffentliches Zentrum für zeitgenössische Kunst mit wechselnden Ausstellungen. Der Beteiligte zu 2) und Antragsgegner ist der für die Beteiligte zu 1) gebildete Betriebsrat.
Die Beteiligte zu 1) plante, ab 01.08.2016, im Bereich der Aufsicht zwei Stellen neu zu besetzen. Eingestellt werden sollten Frau W. und Frau R.. Beiden in Aussicht genommenen Mitarbeiterinnen wurden keine so genannten Scientology-Schutzerklärungen vorgelegt.
Mit E-Mails vom 18.07.2016 (Frau W.: Anlagenkonvolut A1 = Bl. 31 bis 36 d.A.; Frau R.: Anlagenkonvolut A2 = Bl. 37 bis 42 d.A.) informierte die Beteiligte zu 1) den Beteiligten zu 2) über die geplanten Einstellungen und ersuchte den Beteiligten zu 2) gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG um seine Zustimmung. Den E-Mails waren unter anderem die ausgefüllten Personalbögen und die Bewerbungsschreiben der beiden einzustellenden Mitarbeiterinnen beigefügt.
Mit E-Mail vom 25.07.2016 (Bl. 31 bzw. Bl. 37 d.A.) bat der Beteiligte zu 2) jeweils um Vervollständigung der Bewerbungsunterlagen um die vom Bewerber unterzeichnete Scientology-Schutzerklärung. Erst wenn diese dem Betriebsrat vorliege, könne die Zustimmung erteilt werden.
Mit E-Mails vom 28.07.2016 informierte die Beteiligte zu 2) den Beteiligten zu 1), dass die verfahrensgegenständlichen Einstellungen vorläufig durchgeführt werden würden, da dies aus sachlichen Gründen dringend erforderlich sei.
Mit E-Mails vom 29.07.2016 bestritt der Beteiligte zu 2) die Dringlichkeit der personellen Maßnahmen (Anlagenkonvolut A3 = Bl. 42 ff. d.A.).
In diesen E-Mails nahm er Bezug auf eine Nachricht der Beteiligten zu 1) vom 25.07.2016 (19:19 Uhr), nach der die Beteiligte zu 1) alle Mitarbeiter nach ihrer Beziehung zu Scientology zu befragen habe. In der Folge habe der Prokurist des Beteiligten zu 1) geäußert, dass der Fragebogen zunächst an die Verwaltung geschickt worden sei, in der nächsten Zeit aber auch in den Bereichen Aufsicht, Kasse, Pforte und Garderobe etc. angewendet werde.
Bei weiteren Einstellungsvorgängen ab Anfang August 2016 bis zum 09.03.2017 (Tag der Kammeranhörung) wurde die sogenannte Scientology-Schutzerklärung den zur Einstellung vorgesehenen Mitarbeitern vorgelegt und entsprechend auch den Anhörungsschreiben zu § 99 Abs. 1 BetrVG beigefügt.
Die Beteiligte zu 1) ist der Ansicht, dass die Zustimmung des Beteiligten zu 2) gemäß § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG als erteilt gilt. Der Arbeitgeber müsse im Rahmen der Unterrichtung nach § 99 BetrVG dem Betriebsrat nur solche Unterlagen vorlegen, die er selbst habe. Damit sei die Frist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG durch die Unterrichtung am 18.07.2016 angelaufen. Der Beteiligte zu 2) habe weder in der Wochenfrist, noch überhaupt später die Verweigerung der Zustimmung unter Angabe von Gründen erklärt.
Hilfsweise sei gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG die Zustimmung zu ersetzen und gemäß § 100 Abs. 2 BetrVG festzustellen, dass die Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war.
Die Beteiligte zu 1) beantragt:
1. Es wird festgestellt, dass die von dem Antragsgegner verweigerte Zustimmung zur Einstellung von Frau W. als Aufsicht als erteilt gilt.
2. Es wird festgestellt, dass die von dem Antragsgegner verweigerte Zustimmung zur Einstellung von Frau R. als Aufsicht als erteilt gilt.
Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1.:
1a) Die von dem Antragsgegner verweigerte Zustimmung zur Einstellung von Frau W. als Aufsicht wird ersetzt.
1b) Es wird festgestellt, dass die vorläufige Durchführung der Einstellung von Frau W. als Aufsicht ab 1. August 2016 aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist.
Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 2.:
2a) Die von dem Antragsgegner verweigerte Zustimmung zur Einstellung von Frau R. als Aufsicht wird ersetzt.
2b) Es wird festgestellt, dass die vorläufige Durchführung der Einstellung von Frau R. als Aufsicht ab 1. August 2016 aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist.
Der Beteiligte zu 2) beantragt,
die Zurückweisung der Anträge.
Er ist der Auffassung, dass die Frist des § 99 Abs. 3 BetrVG nicht angelaufen ist, weil die Beteiligte zu 1) ihrem Ersuchen nach § 99 BetrVG die Scientology-Schutzerklärungen der einzustellenden Mitarbeiterinnen nicht beigefügt habe.
Die Beteiligte zu 1) sei aufgrund einer Weisung des Aufsichtsrats und aufgrund von Nebenbestimmungen in Zuwendungsbescheiden des Freistaats Bayern verpflichtet, ihren Mitarbeitern bzw. Bewerbern Scientology-Schutzerklärungen vorzulegen. Jedenfalls fühle die Beteiligte zu 1) sich ausweislich ihrer Nachricht vom 25.07.2016 hierzu verpflichtet. Bei dieser Sachlage könne sich die Beteiligte zu 1) nicht auf das Nichtvorliegen der Scientology-Erklärungen berufen, sondern müsse diese Erklärungen eben beschaffen, bevor sie den Beteiligten zu 2) nach § 99 BetrVG anhöre.
Den Grundsatz, dass sich ein Arbeitgeber nicht darauf berufen könne, vom Betriebsrat angeforderte Unterlagen entgegen einer rechtlichen Verpflichtung nicht zu besitzen, entnimmt der Beteiligte zu 2) der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 06.05.2003 (1 ABR 13/02).
Die derzeitige Wohlverhaltensphase ändere an der Sach- und Rechtslage im vorliegenden Verfahren nichts.
Im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze mit Anlagen, die Protokolle der Anhörungen und den kompletten Akteninhalt.
Aus den Gründen
II.
Der Antrag ist zulässig und bereits im Hauptantrag begründet.
1. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist im Beschlussverfahren gemäß § 2 a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 ArbGG für die vorliegende betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit eröffnet. Das Arbeitsgericht München ist örtlich zuständig, da der Betrieb in M-Stadt liegt, § 82 Abs. 1 ArbGG. Der Antrag ist nach §§ 99, 100 BetrVG statthaft.
2. Der von der Beteiligten zu 1) gestellte Hauptantrag ist begründet. Die Zustimmung des Beteiligten zu 2) gilt nach § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG als erteilt, da der Beteiligte zu 2) seine Zustimmung nicht innerhalb der Frist des § 99 Abs. 3 BetrVG unter Angabe von Gründen schriftlich verweigert hat.
Dabei ist die Frist des § 99 Abs. 3 BetrVG durch die Unterrichtung vom 18.07.2016 angelaufen. Der Beifügung von Scientology-Schutzerklärungen bedurfte es hierfür nicht.
a. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und soweit ersichtlich auch der weit überwiegenden Ansicht in der Literatur, braucht der Arbeitgeber im Rahmen der Anhörung von § 99 BetrVG Unterlagen, über die er nicht verfügt, dem Betriebsrat nicht vorzulegen. Es ist insbesondere nicht erforderlich, Unterlagen eigens für die Anhörung nach § 99 BetrVG herzustellen (vgl. Kania, in: Erfurter Kommentar zur Arbeitsrecht, 17. Auflage 2017, Rz. 21 zu § 99 BetrVG m.w.N.).
b. Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an.
§ 99 BetrVG verfolgt den Zweck, den Betriebsrat auf den Wissensstand des Arbeitgebers zu bringen. Will der Betriebsrat demgegenüber den Arbeitgeber dazu bewegen, im Rahmen des Einstellungsprozesses standardmäßig bestimmte Unterlagen zu produzieren, ist das Verfahren nach § 99 BetrVG nicht das richtige Mittel, vielmehr kann er seine Rechte nach §§ 93 bis 95 bzw. § 23 BetrVG wahrnehmen.
Aus einem Rückschluss aus §§ 95 Abs. 2 BetrVG folgt, dass dem Betriebsrat ein Initiativrecht für die Aufstellung von Auswahlrichtlinien, deren Einhaltung er auch im Rahmen von § 99 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG einwenden kann, nur ab einer Betriebsgröße von 500 Mitarbeitern besteht. Eine Pflicht des Arbeitgebers zur Herstellung von noch nicht vorliegenden Unterlagen zum Zweck der Anhörung nach § 99 BetrVG würde der Wertung des § 95 Abs. 2 BetrVG zuwiderlaufen.
c. Soweit der Beteiligte zu 2) aus der von ihm zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts Gegenteiliges herleiten will, folgt dem die Kammer nicht, da diese Entscheidung keinen Fall des § 99 BetrVG betrifft.
d. Ob die Beteiligte zu 1) wie vom Beteiligten zu 2) argumentiert, aufgrund einer Weisung oder Einflussnahme des Aufsichtsrats oder des Freistaats Bayern oder aufgrund von Nebenbestimmungen in Bewilligungsbescheiden zur Verwendung der Scientology-Schutzerklärungen verpflichtet war bzw. ist, kann offenbleiben.
Die Kammer hat demgemäß auch davon abgesehen, im Einzelnen zu ermitteln, welche Kommunikation es diesbezüglich zwischen dem Aufsichtsrat und der Geschäftsleitung der Beteiligten zu 1) gegeben hat und welche diesbezüglichen Nebenbestimmungen in Bescheiden des Freistaats Bayern enthalten sind.
III.
Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei.