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Arbeitsrecht
09.03.2023
Arbeitsrecht
LAG Nürnberg: Titelgegenklage – Bestimmtheit – Vergleich – Freistellung

LAG Nürnberg, Urteil vom 14.12.2022 – 4 Sa 132/22

Volltext: BB-Online BBL2023-628-2

Leitsatz

Die in einem gerichtlich protokollierten Vergleich getroffene Vereinbarung der unwiderruflichen Freistellung unter Fortzahlung einer zahlenmäßig genau benannten monatlichen Bruttovergütung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses stellt keinen vollstreckbaren Zahlungstitel dar.

§§ 767 Abs. 1, 770 ZPO; § 371 S. 1 BGB

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem vor dem Arbeitsgerichts Weiden – Kammer Schwandorf unter dem Aktenzeichen 4 Ca 472/19 am 20.12.2019 geschlossenen Vergleiches sowie die Herausgabe des Vollstreckungstitels. Dieser lautet wie folgt:

„1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endet aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung vom 26.04.2019 mit Ablauf des 31.12.2020.

2. Die Klägerin wird ab 01.11.2019 unwiderruflich unter Fortzahlung der monatlichen Vergütung in Höhe von 4.000,00 € brutto und unter Anrechnung auf offene Urlaubsansprüche bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt.

3. Die Klägerin hat die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis gegenüber der Beklagten mit einer Frist von 14 Kalendertagen schriftlich vorzeitig zum Monatsende zu beenden. Bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhält die Klägerin eine Abfindung, die den Bruttogehältern, die beim vorzeitigen Beendigungstermin bis zu dem in Ziffer 1 dieses Vergleichs vereinbarten Beendigungstermin angefallen wären, entspricht.

4. Die Beklagte verpflichtet sich, der Klägerin ein wohlwollendes, qualifiziertes Arbeitszeugnis, das sich auf die Leistung und das Verhalten im Arbeitsverhältnis erstreckt, mit dem Gesamtprädikat „stets zur vollsten Zufriedenheit“ auszustellen und zu übersenden.

5. Darüber hinaus bestehen aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung keine finanziellen Ansprüche mehr.“

Das Arbeitszeugnis gem. Ziffer 4 des Vergleiches wurde von der Klägerin erteilt. Die Beklagte betrieb dann die Zwangsvollstreckung aus Ziffer 2 des Vergleiches bezüglich der ihr aus ihrer Sicht hiernach zustehenden Vergütungsansprüche für den Zeitraum von Januar bis einschließlich Dezember 2020 in Höhe von 4.000,00 € brutto monatlich.

Das Erstgericht hat dann auf Antrag der Klägerin mit Beschluss vom 29.07.2021 (Bl. 39 ff. d. A.) die Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung des Rechtsstreits einstweilen eingestellt.

Mit Beschluss vom 30.09.2021 erließ das Amtsgericht Berlin auf den Antrag der Beklagten vom 19.07.2021 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auf Grund der Ziffer 2 des Vergleiches vom 19.07.2021, wobei die Beklagte die Zwangsvollstreckung insoweit dann nicht weiterbetrieben hat.

Die Klägerin trägt vor, dass gegen sie bereits aus formalen Gründen nicht vollstreckt werden könne, da sämtliche Gegenstände des Aktiv- oder Passivvermögens an die gemeinnützige P… GmbH abgespalten worden seien, die nicht Grundbesitz, grundstücksgleiche Rechte und Geschäftsanteile an grundstücksgleichen Tochtergesellschaften betreffen würden. Darüber hinaus weise die Ziffer 2 des Vergleichs keinen vollstreckungsfähigen Inhalt auf. Zudem sei die Beklagte nicht mehr Inhaberin der streitgegenständlichen Forderungen, weil sie bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Krankengeld bezogen habe.

Die Klägerin beantragte mit ihrer am 16.07.2021 erhobenen Klage,

1. die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des Arbeitsgerichts Weiden vom 20.12.2019 (Az. 4 Ca 472/19) für unzulässig zu erklären.

2. die Beklagte zu verurteilen, die vollstreckbare Ausfertigung des unter Ziffer 1. genannten Vollstreckungstitels an die Klägerin herauszugeben.

3. Die Zwangsvollstreckung aus dem unter Ziffer 1 bezeichneten Vollstreckungstitel bis zur Rechtskraft des Urteils ohne Sicherheitsleistung einzustellen.

Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Ziffer 2 des Vergleiches hinreichend bestimmt sei. Der Bezug von Krankengeld stünde der Vergütungspflicht nicht entgegen, da es sich um einen auf zwölf Monate gestückelten Abfindungsanspruch handele. Ein Anspruchsübergang scheide daher aus.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 11.02.2022 der Klage vollumfänglich stattgegeben. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts war die Zwangsvollstreckung im Wege einer sogenannten Titelgegenklage gem. § 767 Abs. 1 ZPO analog einzustellen. Ziffer 2 des Vergleiches sei nur auf die Fragen der Freistellung der Beklagten gerichtet und enthalte selbst keine Zahlungsverpflichtungen. Darüber hinaus wäre auch die konkrete Anspruchshöhe offen, da das Vollstreckungsorgan selbst ermitteln müsste, was die Parteien unter der Formulierung „bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses“ verstanden hätten. Aufgrund der unzulässig Erklärung sei die Beklagte auch verpflichtet, den Titel gemäß § 371 S. 1 BGB analog herauszugeben und die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung bis zur Rechtskraft im Endurteil zu bestätigen, § 770 S. 1 ZPO.

Das Urteil wurde der Beklagten am 17.02.2022 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 14.03.2022 legte die Beklagte Berufung ein und begründete diese mit Schriftsatz vom 14.04.2022.

Die Parteien führen vor dem erkennenden Gericht unter dem Az: 4 Sa 134/22 ein weiteres Verfahren, in welchem die hiesige Beklagte Zahlungsansprüche auf Grund der Regelung in Ziffer 2 des Vergleiches vom 20.12.2019 für das Jahr 2020 in Höhe von 48.000,00 € brutto geltend macht.

Die Beklagte trägt in der Berufungsinstanz ergänzend vor, dass es sich bei einer interessensgerechten Auslegung des Wortlautes der Ziffer 2 gemäß §§ 133, 157 BGB um zwei eigenständige und selbstständig zu realisierende und auch zu vollstreckende Verpflichtungen der Klägerin handele und zwar sowohl um die Freistellung, als auch um die Vergütung. Es mangele auch nicht an einer hinreichenden Bestimmung im Hinblick auf die Anspruchshöhe bzw. Anspruchsdauer. Die Bedenken seien schließlich vom Amtsgericht Berlin als Vollstreckungsgericht auch nicht geteilt worden. Es mute darüber hinaus auch seltsam an, dass das Arbeitsgericht zunächst einen Vergleich formuliere, um diesem dann nachfolgend einen vollstreckungsfähigen Inhalt abzusprechen.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt im Berufungsverfahren,

das am 11.02.2022 verkündete Urteil des Arbeitsgerichtes

Weiden i.d. Opf., Az.: 4 Ca 575/21, aufzuheben und die Klage

abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin trägt ergänzend vor, dass der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss durch das Amtsgericht Berlin für das vorliegende Verfahren keine Bedeutung habe. Soweit sich die Beklagte bei Zustimmung zu diesem Vergleich irgendwelche Gedanken gemacht haben sollte, so seien diese unbekannt geblieben und mithin bei der Auslegung nicht zu berücksichtigen. Ziffer 2 des Vergleiches enthalte einzig und allein eine Regelung im Hinblick auf die Freistellung.

Aus den Gründen

I.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht beim Landesarbeitsgericht eingereichte und begründete Berufung ist in der Sache unbegründet.

II.

Das Rechtsmittel der Berufung der Beklagten ist gem. § 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

III.

Die Berufungskammer folgt den zutreffenden Begründungen im Endurteil des Arbeitsgerichts und schließt sich ihnen an, so dass auf eine erneute, nur wiederholende Darstellung verzichtet werden kann (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Im Hinblick auf die in der Berufungsinstanz vorgetragenen weiteren Argumente ist wie folgt auszuführen:

1. Die Titelgegenklage gem. § 767 Abs. 1 ZPO analog ist begründet, da entgegen der Auffassung der Beklagten Ziffer 2 keinen vollstreckungsfähigen Inhalt aufweist, soweit es die streitgegenständliche Vergütungsfrage betrifft (vgl. hierzu BAG, Beschl. v. 05.02.2020 - 10 AZB 31/19, Rz. 28, juris).

a) Der Vergleich vom 20.12.2019 ist ein Prozessvertrag, der eine rechtliche Doppelnatur hat. Er ist sowohl eine Prozesshandlung, deren Wirkung sich nach den Grundsätzen des Verfahrensrechts richtet, als auch ein privatrechtlicher Vertrag, für den die Regeln des materiellen Rechts gelten. Inhalt und Umfang der materiell-rechtlichen Vereinbarung einerseits und des prozessualen Vertrags als Vollstreckungstitel andererseits können auseinanderfallen. Während die Parteien durch den Prozessvergleich materiell-rechtlich gebunden sind, soweit es ihrem übereinstimmenden – unter Umständen nicht eindeutig nach außen hervorgetretenen – Willen entspricht, ist ein Prozessvergleich Vollstreckungstitel i. S. von § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nur insoweit, als er einen aus sich heraus bestimmten oder zumindest bestimmbaren Inhalt hat. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das der Fall ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Maßgebend hierfür ist allein der protokollierte Inhalt des Vergleichs (BAG, Beschl. v. 31. 5. 2012 − 3 AZB 29/12 Rz. 15, juris). Für dessen Auslegung ist nicht in erster Linie der übereinstimmende Wille der Parteien maßgebend, der den Inhalt eines privatrechtlichen Vertrags bestimmt und für diesen selbst dann maßgebend bleibt, wenn die Erklärungen der Vertragspartner objektiv eine andere Bedeutung haben sollten. Vielmehr ist darauf abzustellen, wie das hierzu berufene Vollstreckungsorgan den Inhalt der zu erzwingenden Leistungen verständigerweise versteht und festlegt. Unklarheiten über den Inhalt der Verpflichtung dürfen nicht aus dem Erkenntnisverfahren in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden. Dessen Aufgabe ist es zu klären, ob der Vollstreckungsschuldner seiner festgelegten Verpflichtung nachgekommen ist, nicht aber, worin diese besteht (vgl. BAG, aaO).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt keine hinreichende Bestimmtheit des Titels vor, auch wenn dies vom Arbeitsgericht Berlin als Vollstreckungsgericht angenommen wurde. Es kann dahingestellt bleiben, ob bereits dem Wortlaut der Ziffer 2 des Vergleichs nach mit diesem nur die Verpflichtung der Klägerin zur Freistellung der Beklagten sowie deren Ausgestaltung oder aber auch ein eigener Titel für eine Zahlungsverpflichtung der Klägerin vereinbart werden sollte. Unterstellt Letzteres wäre der Fall, scheidet die Vollstreckbarkeit des Titels insoweit aus, da die Frage des Bestehens eines Anspruches dem Grund und der Höhe nach unzulässig in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden würde. Es kann an dieser Stelle unentschieden bleiben, ob dies schon in Anbetracht der Möglichkeit des vorzeitigen Ausscheidens durch die Regelung in Ziffer 3 und der Formulierung „bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses“ in Ziffer 2 der Fall ist. Bereits das zwischen den Parteien vor dem erkennenden Gericht unter dem Az: 4 Sa 134/22 geführte Verfahren über die Vergütungsansprüche der Beklagten aus Ziffer 2 des Vergleiches verdeutlicht eindrücklich, dass in Anbetracht der damaligen Arbeitsunfähigkeit der Beklagten und der erhaltenen Krankengeldzahlungen zwischen den Parteien gerade streitig ist, ob und falls ja in welcher Höhe überhaupt auf Grund von Ziffer 2 des Vergleichs Vergütungsansprüche der Beklagten entstanden sind. Die Klärung dieser Frage obliegt aber nicht dem Zwangsvollstreckungs-, sondern dem Erkenntnisverfahren.

2. Die Berufung ist auf Grund der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung somit ebenfalls unbegründet, soweit sich die Beklagte gegen die Stattgabe der Klage auf Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung gem. § 371 Satz 1 BGB analog sowie gegen die Bestätigung der durch Beschluss vom 29.07.2021 verfügten Einstellung der Zwangsvollstreckung bis zur Rechtskraft des Urteils wendet, § 770 Satz 1 ZPO.

IV.

1. Die Beklagte hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 97 Absatz 1 ZPO.

2. Für die Zulassung der Revision bestand kein gesetzlich begründeter Anlass, § 72 Absatz 1 und 2 ArbGG.

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