BAG: Teilurteil – Zustellungsveranlasser iSd. § 172 ZPO
BAG, Urteil vom 22.2.2024 – 6 AZR 125/23
ECLI:DE:BAG:2024:220224.U.6AZR125.23.0
Volltext: BB-Online BBL2024-1529-1
Amtlicher Leitsatz
1. Das Erfordernis der Widerspruchsfreiheit betrifft nicht von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeitsfragen und steht deshalb der Zulässigkeit von Teilurteilen nicht entgegen.
2. Bei von Amts wegen vorzunehmenden Zustellungen ist allein das Gericht „Zustellender“ iSd. § 172 Abs. 1 ZPO.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf § 134 Abs. 1 InsO gestützten Insolvenzanfechtung.
Der Kläger war Sachwalter in dem auf Antrag vom 24. November 2020 am 1. Februar 2021 eröffneten, in Eigenverwaltung durchgeführten und mit Wirkung vom 2. Dezember 2021 aufgehobenen Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Wiesbaden e.V. (im Folgenden Schuldner).
Der vom Insolvenzgericht bestätigte Insolvenzplan vom 29. Juli 2021 enthielt in dem gestaltenden Teil C Ziff. II.9 folgende Bestimmung:
„9. Anfechtungsansprüche und Haftungsansprüche im weiteren Sinne
Der Sachwalter wird gem. § 259 Abs. 3 InsO ermächtigt, die zum Zeitpunkt der Aufhebung des Insolvenzverfahrens rechtshängigen Rechtsstreite fortzuführen, welche die Verfolgung von Ansprüchen aus Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff., § 280 InsO zum Gegenstand haben. …“
Die seit 1984 beim Schuldner angestellte Beklagte war seit 1998 im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als Geschäftsführerin tätig.
In der Zeit von Januar 2017 bis Januar 2020 bezog sie vom Schuldner zusätzlich zu ihrem Geschäftsführergehalt zahlreiche monetäre Leistungen, darunter die Bezahlung der Kosten für einen chirurgischen Eingriff im Januar 2017. Nachdem die Beklagte am 23. Januar 2017 von dem behandelnden Krankenhaus zur Vorauszahlung der mutmaßlichen Behandlungskosten iHv. 11.200,00 Euro aufgefordert worden war, wies der stellvertretende Geschäftsführer des (späteren) Schuldners mit E-Mail vom 24. Januar 2017 die noch am selben Tag ausgeführte Zahlung dieses Betrags an das Krankenhaus an.
Mit Schreiben vom 16. August 2021 erklärte der Kläger unmittelbar gegenüber der Beklagten die Anfechtung wegen unentgeltlicher Leistungen iHv. ca. einer Million Euro, darunter auch die streitgegenständlichen Behandlungskosten, und setzte eine Zahlungsfrist bis zum 31. August 2021. Nachdem der Rechtsanwalt der Beklagten dem Büro des Klägers mit E-Mail vom 23. August 2021 mitgeteilt hatte, im Insolvenzverfahren des Schuldners von der Beklagten mandatiert zu sein, wurde ihm noch am selben Tag das Anfechtungsschreiben per E-Mail zur Kenntnisnahme übermittelt. Mit dem wiederum persönlich an die Beklagte übersandten Schreiben vom 1. September 2021 erinnerte der Kläger an die Anfechtung. In der Folge nahm der Rechtsanwalt der Beklagten zu den Gründen der Anfechtung mit Schreiben vom 15. September 2021 gegenüber den Prozessbevollmächtigten des Klägers Stellung.
Am 3. Oktober 2021 reichte der Kläger in seiner Eigenschaft als Sachwalter über das Vermögen des Schuldners Anfechtungsklage iHv. rund 750.000,00 Euro gegen die Beklagte ein mit der Bitte um beschleunigte Zustellung wegen der Ausschlusswirkung des § 259 Abs. 3 InsO. Das Rubrum der Klageschrift enthielt keine Angaben zu etwaigen Prozessbevollmächtigungen. Das Arbeitsgericht stellte deshalb die Klage der Beklagten am 7. Oktober 2021 persönlich zu. Ausweislich eines von der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts ebenfalls am 7. Oktober 2021 gefertigten Vermerks meldete sich der Rechtsanwalt der Beklagten noch am selben Tag telefonisch und teilte mit, dass er entsprechend einer vorliegenden Generalvollmacht die Beklagte vertrete und die Klageschrift dringend benötige. Auf dem Blatt des Vermerks notierte eine Mitarbeiterin der Geschäftsstelle des Gerichts handschriftlich am 8. Oktober 2021, dass der Rechtsanwalt der Beklagten fernmündlich nunmehr erklärt habe, den Klageschriftsatz von seiner Mandantin erhalten zu haben und sein Antrag damit erledigt sei.
Mit seiner Anfechtungsklage hat der Kläger ua. die Rückzahlung der Behandlungskosten iHv. 11.200,00 Euro geltend gemacht und die Auffassung vertreten, es handele sich um eine iSd. § 134 Abs. 1 InsO unentgeltliche Leistung des Schuldners an die Beklagte. Er sei zur Führung des Anfechtungsprozesses nach § 259 Abs. 3 InsO befugt, da die Klage am 7. Oktober 2021 der Beklagten wirksam zugestellt und damit rechtzeitig vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens erhoben worden sei. Der nunmehrige Prozessbevollmächtigte der Beklagten sei zum Zeitpunkt ihrer Zustellung durch das Arbeitsgericht noch nicht iSv. § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO bestellt gewesen.
Der Kläger hat – soweit für die Revision gegen das vorliegende Teilurteil von Bedeutung – beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.200,00 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2021 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, dem Kläger fehle vorliegend die Prozessführungsbefugnis. Der Rechtsstreit sei bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht rechtshängig gewesen. Die Klage habe statt an sie persönlich an ihren Prozessbevollmächtigten zugestellt werden müssen. Dessen umfassende Bevollmächtigung sei dem Kläger bereits durch die Anmeldung ihrer Forderung zur Insolvenztabelle bekannt gewesen. Zudem habe der Kläger durch den E-Mail-Verkehr zur Insolvenzanfechtung und die anwaltliche Stellungnahme vom 15. September 2021 von der Bevollmächtigung ausgehen müssen und in einem weiteren Rechtsstreit zwischen den Parteien vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden sogar eingeräumt, Zustellungen in Anfechtungsverfahren bewusst an die Partei und nicht an einen Prozessbevollmächtigten zu veranlassen. Auch der Vorsitzende der zuständigen Kammer des Arbeitsgerichts habe von der Bevollmächtigung gewusst. Eine Heilung nach § 189 ZPO scheide aus. Es fehle an der dafür erforderlichen Zustellungsabsicht, da die Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts lediglich die Übersendung der Klageschrift zur Kenntnisnahme an ihren Prozessbevollmächtigten angeboten habe.
Bei den arbeitgeberseitig übernommenen Behandlungskosten iHv. 11.200,00 Euro handele es sich nicht um unentgeltliche Leistungen iSv. § 134 Abs. 1 InsO. Die Zuwendung sei als Beihilfe zu Gesundheitskosten und zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit erbracht worden. Bei der Beklagten sei wegen einer schweren Gonarthrose eine dringende Operation beider Knie veranlasst gewesen, welche eine Gewichtsreduzierung von mindestens 50 Kilogramm vorausgesetzt habe. Ihre Krankenkasse habe die Übernahme der Kosten für einen chirurgischen Eingriff zur Gewichtsreduktion abgelehnt und stattdessen ein zwölfmonatiges Sport- und Abnehmprogramm vorgeschlagen. Ihr hoher Arbeitseinsatz von 80 Wochenstunden habe der Teilnahme an einem solchen Konzept entgegengestanden. Der Vorstand habe sich deshalb zur Kostenübernahme bereit erklärt, damit durch eine anschließende Knieoperation ihre Leistungsfähigkeit kurzfristig wiederhergestellt werden könne. Für eine solche Entscheidung komme diesem eine breite, gerichtlich nicht überprüfbare Einschätzungsprärogative zu. Die Gegenleistung liege in den vom Schuldner ersparten Ausfallkosten für eine Führungskraft und damit in dessen eigenem Interesse.
Das Arbeitsgericht hat der Anfechtungsklage vollumfassend stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Rückerstattung der Behandlungskosten iHv. 11.200,00 Euro gerichtet hat, mit Teilurteil vom 25. Januar 2023 zurückgewiesen und hinsichtlich der übrigen angefochtenen Leistungen Fortsetzungstermin mit Auflagen anberaumt. Mit ihrer gegen das Teilurteil eingelegten Revision verfolgt die Beklagte ihren diesbezüglichen Klageabweisungsantrag weiter.
Aus den Gründen
13 Die Revision gegen das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts ist unbegründet. Die Beklagte muss die Behandlungskosten iHv. 11.200,00 Euro nach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO an die Insolvenzmasse zurückgewähren. Die Übernahme dieser Kosten durch den (späteren) Schuldner ist eine unentgeltliche Leistung iSv. § 134 Abs. 1 InsO.
14 I. Die von Amts wegen zu überprüfenden Voraussetzungen für den Erlass eines Teilurteils nach § 301 Abs. 1 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG durch das Landesarbeitsgericht (vgl. hierzu zB BAG 23. Februar 2022 – 4 AZR 250/21 – Rn. 10 mwN; 24. Februar 2021 – 10 AZR 8/19 – Rn. 30 mwN, BAGE 174, 193) sind vorliegend erfüllt.
15 1. Nach § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht die Entscheidung durch Endurteil (Teilurteil) zu erlassen, wenn von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur ein (Teil-)Anspruch zur Endentscheidung reif ist, insoweit also Teilbarkeit der Klageforderung besteht. Des Weiteren darf ein Teilurteil nur ergehen, wenn die (abstrakte) Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist, sogenanntes Gebot der Widerspruchsfreiheit. Hierfür genügt bereits die Abhängigkeit des durch Teilurteil beschiedenen Anspruchs und der noch rechtshängigen Ansprüche von gemeinsamen Vorfragen. Das ist ua. der Fall, wenn bei einer Mehrheit selbständiger prozessualer Ansprüche zwischen diesen eine materiell-rechtliche Verzahnung besteht (vgl. zu allem zB BAG 23. Februar 2022 – 4 AZR 250/21 – Rn. 11 mwN; 24. Februar 2021 – 10 AZR 8/19 – Rn. 31 mwN, BAGE 174, 193; 8. Februar 2022 – 1 AZR 233/21 – Rn. 13 mwN, BAGE 177, 112; 8. September 2011 – 2 AZR 388/10 – Rn. 54 mwN; 23. März 2005 – 4 AZR 243/04 – zu I der Gründe mwN, BAGE 114, 194; BGH 25. Juni 2020 – I ZB 108/19 – Rn. 15 ff. mwN; 21. August 2014 – VII ZR 24/12 – Rn. 9 mwN).
16 2. Danach konnte das Landesarbeitsgericht durch Teilurteil entscheiden.
17 a) Bei den arbeitgeberseitig übernommenen Behandlungskosten handelt es sich um einen prozessual eigenständigen Einzelanspruch einer im Wege der objektiven Klagehäufung iSv. § 260 ZPO vom Kläger mit der Insolvenzanfechtungsklage (§ 143 Abs. 1 InsO) geltend gemachten Mehrheit von selbständigen prozessualen Ansprüchen. Umstände, welche die erforderliche Entscheidungsreife iSd. § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO wegen einer im Zeitpunkt des Teilurteilserlasses nicht hinreichend geklärten Tatsachengrundlage in Zweifel ziehen (zu den Anforderungen sh. zB BAG 22. Januar 2020 – 10 AZR 387/18 – Rn. 17 f. mwN, BAGE 169, 285; BGH 25. Juni 2020 – I ZB 108/19 – Rn. 17), sind nicht dargelegt.
18 b) Das Gebot der Widerspruchsfreiheit stand der Zulässigkeit des Teilurteils nicht entgegen. Dieses Erfordernis bezieht sich nicht auf von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeitsfragen (vgl. OLG Köln 7. März 2013 – I-19 U 5/13 ua. – zu I 2 der Gründe; 26. Juni 1991 – 2 U 171/90 -; ablehnend allerdings für nur auf Rüge zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzungen sh. OLG Celle 28. Februar 1996 – 2 U 186/95 -; die Zulässigkeit ersichtlich unterstellend etwa OLG Stuttgart 26. Juni 2017 – 10 U 132/15 – zu II der Gründe; Hanseatisches OLG Hamburg 14. April 2016 – 5 U 117/12 – juris-Rn. 106 ff.; vgl. auch OLG Frankfurt 28. Mai 2020 – 26 Sch 7/19 – zu II 1 der Gründe; ablehnend bei fehlender Parteifähigkeit allerdings im Zusammenhang mit auf Gesamthandvermögen bezogenen Prozessen OLG Düsseldorf 17. Juli 2019 – 14 U 107/15 – juris-Rn. 457; zustimmend: Zöller/Feskorn ZPO 35. Aufl. § 301 Rn. 12; Stein/Jonas/Althammer ZPO 23. Aufl. § 301 Rn. 29; Rensen in Wieczorek/Schütze ZPO 5. Aufl. § 301 Rn. 31).
19 aa) Zu diesen von Amts wegen zu prüfenden Prozessvoraussetzungen gehören ua. die Zulässigkeit der Berufung (sh. zB BAG 28. Juni 2023 – 5 AZR 9/23 – Rn. 13; 24. Mai 2023 – 7 AZR 169/22 – Rn. 12 mwN) und die Prozessführungsbefugnis (st. Rspr., zB BAG 25. Februar 2015 – 5 AZR 593/13 – Rn. 15; BGH 20. April 2023 – I ZR 140/22 – Rn. 13 mwN). Letztere ist vorliegend zu prüfen, weil die Voraussetzungen der entsprechend auf Sachwalter anwendbaren Bestimmung des § 259 Abs. 3 InsO (BGH 8. Februar 2024 – IX ZR 194/22 – Rn. 9; 16. Juni 2016 – IX ZR 114/15 – Rn. 11 f., BGHZ 210, 372; 24. März 2016 – IX ZR 157/14 – Rn. 7) streitbefangen sind. Nach dieser Norm kommt bei entsprechender Gestaltung des bestätigten Insolvenzplans (§ 221 Satz 2, § 248 Abs. 1 InsO) dem Insolvenzverwalter nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Befugnis zu, im Wege einer (gewillkürten) Prozessstandschaft (vgl. zB BGH 26. April 2018 – IX ZB 49/17 – Rn. 16 mwN; zur gesetzlichen Prozessstandschaft sh. BGH 24. März 2016 – IX ZR 157/14 – Rn. 7) einen anhängigen Anfechtungsrechtsstreit fortzuführen.
20 bb) Zwar besteht auch bei diesen für sämtliche zwischen den Parteien streitbefangenen Einzelansprüchen geltenden Zulässigkeitsvoraussetzungen die (abstrakte) Gefahr, dass sie von den Gerichten in jeder Instanz im Rahmen eines weiteren Teil- oder des Schlussurteils abweichend beurteilt werden und es dadurch zu widersprüchlichen Entscheidungen kommen kann. Dies steht – bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen – dem Erlass eines Teilurteils nach § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO jedoch nicht entgegen. Ein Teilurteil trennt den Rechtsstreit in zwei oder mehrere selbständige Verfahren, die nach dessen Erlass so zueinanderstehen, als wären die Ansprüche von vornherein isoliert eingeklagt worden (vgl. BAG 7. Juli 2011 – 2 AZR 396/10 – Rn. 14; BGH 30. Oktober 1997 – VII ZR 299/95 – zu II 3 a der Gründe; zur Streitgenossenschaft BGH 1. Oktober 2013 – VI ZR 409/12 – Rn. 10). Bei einer Geltendmachung der verschiedenen Streitgegenstände in getrennten Verfahren bestünde ebenfalls die Gefahr einer unterschiedlichen Beurteilung etwa der Prozessführungsbefugnis oder der Zulässigkeit der Berufung durch die Gerichte und insoweit widersprechender Entscheidungen. Würde das Gebot der Widerspruchsfreiheit auch für die allgemeinen, von Amts wegen zu berücksichtigenden Prozessvoraussetzungen gelten, wären Teilurteile praktisch ausgeschlossen (vgl. OLG Köln 26. Juni 1991 – 2 U 171/90 -; Zöller/Feskorn ZPO 35. Aufl. § 301 Rn. 12). Ebenso hätte es eine Partei in der Hand, durch – auch offensichtlich unbegründete – Zulässigkeitsrügen den Erlass eines Teilurteils zu verhindern und damit den Zweck des § 301 ZPO zu unterlaufen, hinsichtlich des entscheidungsreifen Teils möglichst schnell einen Titel zu schaffen (zum Beschleunigungszweck des § 301 ZPO vgl. zB: BAG 28. Juni 2018 – 8 AZR 141/16 – Rn. 21; 10. November 2011 – 6 AZR 342/10 – Rn. 20 mwN; BGH 24. Februar 2015 – VI ZR 279/14 – Rn. 7 mwN; Musielak/Voit/Musielak ZPO 20. Aufl. § 301 Rn. 1; Anders/Gehle/Hunke ZPO 82. Aufl. § 301 Rn. 4; Rensen in Wieczorek/Schütze ZPO 5. Aufl. § 301 Rn. 1; BeckOK ZPO/Elzer Stand 1. Dezember 2023 § 301 Rn. 4; Hk-ZPO/Saenger 10. Aufl. § 301 Rn. 1).
21 II. Die Revision ist entgegen der Annahme des Klägers nicht bereits deshalb erfolglos, weil die Berufung der Beklagten unzulässig ist. Diese genügt den gesetzlichen Anforderungen nach § 519 Abs. 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG.
22 1. Nach § 519 Abs. 2 ZPO muss die Berufungsschrift das Urteil bezeichnen, gegen das das Rechtsmittel gerichtet ist und die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde. Zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift gehört dabei auch die eindeutige Angabe, für und gegen wen sie eingelegt ist. Die Person des Berufungsklägers ebenso wie die des Berufungsbeklagten müssen im Interesse der Rechtssicherheit eindeutig bestimmt sein, ohne dabei rein formalistische Anforderungen aufzustellen. Die Parteibezeichnung ist rechtsschutzgewährend auszulegen (vgl. zB BAG 13. Dezember 2012 – 6 AZR 348/11 – Rn. 41 mwN, BAGE 144, 125). Es genügt, wenn bei einer verständigen Würdigung des Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung jeder Zweifel an der Person des Berufungsklägers ausgeschlossen ist (vgl. etwa BAG 29. August 2007 – 4 AZR 571/06 – Rn. 15 mwN; sh. auch BAG 29. Juni 1977 – 5 AZR 72/77 -; BGH 7. März 2023 – VI ZB 74/22 – Rn. 8 mwN; 26. April 2022 – XI ZB 27/21 – Rn. 8 f. mwN). An die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners sind dabei weniger strenge Anforderungen zu stellen als an die des Rechtsmittelführers (vgl. zB BGH 7. März 2023 – VI ZB 74/22 – Rn. 8 mwN; 19. März 2019 – VI ZB 50/17 – Rn. 9 mwN). Nicht erforderlich ist die Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Rechtsmittelbeklagten bzw. seines Prozessbevollmächtigten (sh. hierzu BAG 16. September 1986 – GS 4/85 – zu B II der Gründe mwN, BAGE 53, 30; 25. September 1996 – 1 ABR 25/96 – zu B II 3 der Gründe).
23 2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Berufung nicht unzulässig, weil die Berufungsschrift vom 17. Juni 2022 den Kläger als Berufungsgegner nicht korrekt und vollständig bezeichnet hat.
24 a) Zwar hat die Beklagte in der Berufungsschrift den Kläger infolge eines Buchstabendrehers unzutreffend bezeichnet und nicht ausdrücklich angeführt, ob das Berufungsverfahren gegen diesen persönlich oder in seiner Eigenschaft als (ehemaliger) Sachwalter geführt werden soll. Auch hat sie der Berufungsschrift keine Kopie der angefochtenen Entscheidung beigefügt bzw. sie innerhalb der Rechtsmittelfrist nachgereicht, aus der der Rechtsmittelgegner unmissverständlich hätte entnommen werden können.
25 b) Entgegen der Auffassung des Klägers lässt die zutreffende Nennung des erstinstanzlichen Gerichts in Verbindung mit dem korrekten Aktenzeichen des angegriffenen Urteils im Kopf des Schriftsatzes und die unter Angabe des Verkündungs- und Zustellungstermins erfolgte Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, jedoch mit hinreichender Eindeutigkeit erkennen, gegen wen sich die Berufung richtet. Insoweit ist offensichtlich, dass bei der Namensnennung lediglich ein Schreibfehler mittels Buchstabendreher unterlaufen ist. Ebenso lässt sich wegen der eindeutigen Urteilsbezeichnung durch Auslegung unmissverständlich feststellen, dass der Kläger nicht persönlich, sondern in seiner Eigenschaft als Sachwalter über das Vermögen des Schuldners gemeint ist. Anhaltspunkte für einen Willen der Beklagten, abweichend von den Parteirollen erster Instanz den Kläger nunmehr als Privatperson in das Berufungsverfahren einzubeziehen, gibt es nicht. Unklarheiten hinsichtlich der Person des Rechtsmittelgegners sind darum mit ausreichender Sicherheit ausgeschlossen. Davon ist im Ergebnis auch das Landesarbeitsgericht in Abgrenzung zu der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 22. Februar 2012 (- I-15 U 130/11 ua. -) zutreffend ausgegangen.
26 III. Die Revision ist jedoch unbegründet, weil das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten angesichts der zulässigen und begründeten Anfechtungsklage zu Recht zurückgewiesen hat.
27 1. Die Klage ist zulässig.
28 a) Der Kläger ist für den vorliegenden Rechtsstreit prozessführungsbefugt iSd. § 259 Abs. 3 InsO.
29 aa) § 259 Abs. 3 InsO verleiht dem Insolvenzverwalter bzw. dem Sachwalter (dazu vorstehend Rn. 19) ungeachtet der Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Befugnis, einen bereits anhängigen Anfechtungsrechtsstreit fortzuführen, wenn dies wie vorliegend im gestaltenden Teil des bestätigten Insolvenzplans vorgesehen ist (§ 221 Satz 2, § 248 Abs. 1 InsO). Mit Hilfe dieser Regelung soll vermieden werden, dass sich der Anfechtungsprozess mit der Aufhebung des Verfahrens erledigt und der Anfechtungsgegner aus diesem Grund den gegen ihn eingeleiteten Rechtsstreit zu verschleppen sucht (BT-Drs. 12/2443 S. 214). Die auf einen noch nicht beendeten anhängigen Rechtsstreit zugeschnittene Regelung erlaubt aber nicht, eine Anfechtungsklage erst nach Aufhebung des Verfahrens einzuleiten. Ist das Insolvenzverfahren oder die Eigenverwaltung aufgehoben worden, schließt das Gesetz eine Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters bzw. des Sachwalters für neue, erst anhängig zu machende Anfechtungsklagen aus. Da aufgrund des systematischen Kontextes „anhängig“ iSd. § 259 Abs. 3 InsO „rechtshängig“ bedeutet, liegt ein anhängiger Rechtsstreit im Sinne der Norm auch dann nicht vor, wenn zum Zeitpunkt der Verfahrensaufhebung lediglich eine Anfechtungsklage eingereicht, diese aber noch nicht (wirksam) zugestellt ist (vgl. etwa BGH 26. April 2018 – IX ZB 49/17 – Rn. 16; 11. April 2013 – IX ZR 122/12 – Rn. 11 mwN; 10. Dezember 2009 – IX ZR 206/08 – Rn. 10 mwN).
30 bb) Die Voraussetzungen des § 259 Abs. 3 InsO sind erfüllt. Die Anfechtungsklage wurde von der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts am 7. Oktober 2021 und damit vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens zum 2. Dezember 2021 wirksam zugestellt. Sie war zu diesem Zeitpunkt somit rechtshängig und damit anhängig iSv. § 259 Abs. 3 InsO. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass das Arbeitsgericht die Klage der Beklagten persönlich und nicht ihrem Prozessbevollmächtigten zugestellt hat.
31 (1) In einem anhängigen Verfahren hat die Zustellung nach der Grundregel des § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO – ausschließlich – an den für den (jeweiligen) Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen. Diese in § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO enthaltene Verpflichtung des Gerichts soll gewährleisten, dass der Rechtsanwalt, in dessen Verantwortung die Prozessführung gelegt ist, im gesamten Verfahren Kenntnis von zuzustellenden Schriftstücken erhält (vgl. etwa BVerfG 16. Juli 2016 – 2 BvR 1614/14 – Rn. 15 mwN; BGH 25. Januar 2022 – VIII ZR 233/20 – Rn. 24 mwN). Zustellungen an die Partei persönlich unter Verstoß gegen diese Bestimmung sind daher unwirksam und setzen Fristen nicht in Lauf (vgl. zB BVerfG 16. Juli 2016 – 2 BvR 1614/14 – Rn. 19 mwN; BGH 8. November 2022 – VIII ZB 21/22 – Rn. 15 mwN; 18. Juni 2020 – I ZB 83/19 – Rn. 9 mwN).
32 (2) Die Bestellung erfolgt, indem die vertretene Partei oder ihr Vertreter dem Gericht – bzw. im Fall einer Parteizustellung dem Gegner – Kenntnis von dem Vertretungsverhältnis gibt. Sie kann auch durch eine Anzeige des Prozessgegners erfolgen, wenn dieser vom Bestehen einer Prozessvollmacht Kenntnis hat. Ist im Rubrum der Klageschrift ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter des Beklagten angegeben, hat das Gericht die Zustellung an diesen und nicht an die Partei vorzunehmen (ausführlich hierzu BGH 6. April 2011 – VIII ZR 22/10 – Rn. 13 mwN; sh. auch BGH 12. September 2019 – IX ZR 262/18 – Rn. 28 mwN; zur Vorgängerregelung § 176 ZPO aF: BGH 28. Juli 1999 – VIII ZB 3/99 – zu II 1 b der Gründe; 9. Oktober 1985 – IVb ZR 59/84 – zu 1 der Gründe). Ist kein Prozessbevollmächtigter „bestellt“, muss gemäß § 172 Abs. 2 Satz 3 ZPO an die Partei persönlich zugestellt werden (vgl. BAG 11. November 1976 – 3 AZR 641/75 – zu II der Gründe).
33 (3) Nach diesen Grundsätzen ist die gemäß § 253 Abs. 1, § 166 Abs. 2, § 168 Abs. 1 Satz 1 ZPO von Amts wegen auszuführende Zustellung der Klageschrift durch die Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts ordnungsgemäß an die Beklagte persönlich bewirkt worden. Im – maßgeblichen – Zeitpunkt des Beginns der Zustellung (vgl. hierzu BGH 9. Oktober 1985 – IVb ZR 59/84 – zu 1 der Gründe; 5. Dezember 1980 – I ZR 51/80 – zu II der Gründe; Zöller/Schultzky ZPO 35. Aufl. § 172 Rn. 8; Rohe in Wieczorek/Schütze ZPO 5. Aufl. § 172 Rn. 17; Stein/Jonas/Roth ZPO 23. Aufl. § 172 Rn. 10; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 44. Aufl. § 172 Rn. 4) war dem Arbeitsgericht eine Bestellung des Anwalts der Beklagten zum Prozessbevollmächtigten für den vorliegenden Anfechtungsrechtsstreit nicht bekannt gegeben worden.
34 (a) Eine solche Bestellung erfolgte weder durch eine entsprechende Angabe im Rubrum der Klageschrift noch hat die Beklagte behauptet, das Arbeitsgericht bereits vorprozessual über die Bestellung ihres Anwalts im Fall einer etwaig erfolgenden Anfechtungsklage in Kenntnis gesetzt zu haben. Sie hat auch nicht dargetan, dass dem Arbeitsgericht die Bestellung durch ihren Prozessbevollmächtigten ausdrücklich oder durch schlüssiges Handeln bekannt gegeben worden sei. Die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, dass keine Generalvollmacht ihres Prozessbevollmächtigten beim Arbeitsgericht hinterlegt gewesen sei, hat sie – ungeachtet der Wirkungen einer solchen Vollmacht auf die Zustellung – nicht mit einer Revisionsrüge angegriffen. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann auch die Kenntnis über Prozessvollmachten in anderen Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien, zB in den Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht oder im Insolvenzverfahren des Schuldners, eine entsprechende Mitteilung betreffend den vorliegenden Anfechtungsrechtsstreit nicht ersetzen. Die Verpflichtung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO bezieht sich allein auf das konkrete anhängige Verfahren und auf die hierfür verlautbarte Bestellung (Zöller/Schultzky ZPO 35. Aufl. § 172 Rn. 6). Eine Pflicht zur Amtsermittlung besteht nicht (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 23. März 2021 – 6 Sa 273/20 – zu A II 1.1 b der Gründe; LAG Sachsen-Anhalt 16. Dezember 1997 – 5 Ta 242/97 – zu II 2 der Gründe; Zöller/Schultzky aaO Rn. 7; sh. hierzu auch MüKoZPO/Häublein/Müller 6. Aufl. § 172 Rn. 9; aA wohl Rohe in Wieczorek/Schütze ZPO 5. Aufl. § 172 Rn. 10). Zudem hat eine Partei stets die Möglichkeit, bei der Bestellung eines Rechtsanwalts für die jeweiligen Verfahren einen Wechsel vorzunehmen.
35 (b) Unschädlich ist, dass das Arbeitsgericht ausweislich des Vermerks vom selben Tag am 7. Oktober 2021 und damit am Zustellungstag von der Bestellung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten erfahren hat. Die Kenntnisnahme erfolgte durch einen Telefonanruf des Beklagtenvertreters, nachdem die Beklagte die Klageschrift erhalten hatte und somit unstreitig nach erfolgter Zustellung. Eine Kenntniserlangung nach diesem Zeitpunkt machte die bereits wirksam erfolgte Zustellung an die Beklagte nicht fehlerhaft. Eine neue Zustellung an den nunmehr iSd. § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO bestellten Rechtsanwalt war nicht veranlasst (vgl. BAG 11. November 1976 – 3 AZR 641/75 – zu II der Gründe; Hanseatisches OLG Hamburg 6. November 1987 – 14 U 127/87 – zu 1 b der Gründe; Musielak/Voit/Wittschier ZPO 20. Aufl. § 172 Rn. 4; vgl. auch MüKoZPO/Häublein/Müller 6. Aufl. § 172 Rn. 9).
36 (c) Unerheblich ist, ob der Kläger Kenntnis davon hatte, dass der jetzige Prozessbevollmächtigte auch für das vorliegende Verfahren mandatiert war. Für eine Bestellung iSd. § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist allein maßgebend, ob dem Zustellenden die Bevollmächtigung zur Kenntnis gebracht worden ist. „Zustellender“ ist bei der hier vorliegenden Amtszustellung allein das Gericht (vgl. zB BVerfG 16. Juli 2016 – 2 BvR 1614/14 – Rn. 16; BGH 6. April 2011 – VIII ZR 22/10 – Rn. 13 mwN; 28. November 2006 – VIII ZB 52/06 – Rn. 7; 28. Juli 1999 – VIII ZB 3/99 – zu II 1 b der Gründe; Stein/Jonas/Roth ZPO 23. Aufl. § 172 Rn. 9; Rohe in Wieczorek/Schütze ZPO 5. Aufl. § 172 Rn. 8). Die Beklagte kann sich darum nicht auf die vorprozessuale Korrespondenz zwischen ihrem Prozessbevollmächtigten und dem Kläger bezüglich der Insolvenzanfechtung oder auf die Angaben in der Anmeldung eigener Forderungen zur Insolvenztabelle und die dabei erlangte Kenntnis des Klägers über eine etwaige Bevollmächtigung des jetzigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten stützen.
37 b) Auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor. Insbesondere ist der Antrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger verlangt die Rückgewährung im Einzelnen bezeichneter Leistungen des Schuldners an die Beklagte unter detaillierter Angabe ihrer jeweiligen Höhe. Es ist erkennbar, in welchem Umfang sich die Klagesumme dem Grunde und der Höhe nach auf die Einzelansprüche bezieht (vgl. BAG 31. Mai 2023 – 5 AZR 273/22 – Rn. 10 sowie – 5 AZR 305/22 – Rn. 12 mwN; 24. Juni 2020 – 5 AZR 93/19 – Rn. 20, BAGE 171, 161; 19. März 2014 – 7 AZR 480/12 – Rn. 11).
38 2. Die Klage ist – soweit sie in die Revisionsinstanz gelangt ist – auch begründet. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 134 Abs. 1 InsO sind erfüllt. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückgewährung der streitgegenständlichen Behandlungskosten an die Insolvenzmasse (§ 143 Abs. 1 Satz 1 InsO).
39 a) Die vierjährige Anfechtungsfrist nach § 134 Abs. 1 InsO ist gewahrt. Nach den nicht gerügten Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist die Zahlung der voraussichtlichen Behandlungskosten iHv. 11.200,00 Euro durch den Schuldner am 24. Januar 2017 per Banküberweisung an das die Operation durchführende Krankenhaus und damit nicht früher als vier Jahre vor dem am 24. November 2020 gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden (§ 139 Abs. 1 InsO).
40 b) Bei der angefochtenen Zahlung von 11.200,00 Euro an das Krankenhaus handelt es sich um eine Leistung des (späteren) Schuldners iSd. § 134 Abs. 1 InsO. Sie führt infolge des Vermögensabflusses bei diesem zu einer objektiven Gläubigerbenachteiligung iSd. § 129 Abs. 1 InsO (vgl. hierzu BAG 17. Dezember 2015 – 6 AZR 186/14 – Rn. 9 mwN, BAGE 154, 28).
41 c) Die arbeitgeberseitige Übernahme der Behandlungskosten ist auch unentgeltlich iSd. § 134 Abs. 1 InsO erfolgt.
42 aa) Für die Beurteilung, ob Unentgeltlichkeit vorliegt, ist grundsätzlich danach zu unterscheiden, wie viele Personen am Zuwendungsvorgang beteiligt sind (st. Rspr., vgl. zB BGH 10. März 2022 – IX ZR 4/21 – Rn. 10; 29. Oktober 2015 – IX ZR 123/13 – Rn. 6; 17. Oktober 2013 – IX ZR 10/13 – Rn. 6). Sind wie vorliegend drei Personen involviert (Drei-Personen-Verhältnis) und wird mit der Leistung des (späteren) Insolvenzschuldners eine fremde Schuld getilgt, erlischt die Forderung des Gläubigers als Leistungsempfänger gegen den eigentlichen Schuldner der Leistung (Dritten), sofern dieser der Zahlung nicht widerspricht (§ 267 BGB). Durch die Zuwendung hat der Dritte einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt, sodass im Verhältnis zu ihm grundsätzlich eine unentgeltliche Leistung des Insolvenzschuldners vorliegt. Damit ist der adäquate Anfechtungsgegner iSd. § 134 InsO grundsätzlich der Dritte, dessen Schuld getilgt wird und der durch die Leistung des Insolvenzschuldners frei wird. Die Leistung ist jedoch im Verhältnis zum Dritten dann nicht unentgeltlich, wenn den (späteren) Insolvenzschuldner diesem oder dessen Gläubiger gegenüber eine eigene entgeltliche Leistungspflicht trifft, da insoweit durch seine Zahlung die gegen ihn bestehende Forderung erlischt, er also mit der fremden Schuld zugleich eine eigene tilgt (grundlegend vgl. BGH 15. April 1964 – VIII ZR 232/62 – zu 2 der Gründe, BGHZ 41, 298; vgl. auch BGH 10. März 2022 – IX ZR 4/21 – Rn. 34; 16. Juni 1994 – IX ZR 94/93 – zu III 1 der Gründe mwN; 15. Dezember 1982 – VIII ZR 264/81 – zu I 2 a der Gründe; KPB/Bork InsO § 134 Stand Juni 2022 Rn. 67 mwN; sh. auch Uhlenbruck/Borries/Hirte 15. Aufl. § 134 InsO Rn. 64).
43 bb) Danach sind die Voraussetzungen für die Unentgeltlichkeit iSv. § 134 Abs. 1 InsO hinsichtlich der Behandlungskostenübernahme erfüllt.
44 (1) Der Schuldner hat eine fremde Schuld getilgt, indem er die der Beklagten (der Dritten) vom behandelnden Krankenhaus (Gläubiger) in Rechnung gestellten voraussichtlichen Kosten für den durchzuführenden chirurgischen Eingriff bezahlt hat.
45 (2) Eine Verpflichtung hierzu bestand weder nach dem Gesetz noch – auch unter Berücksichtigung tariflicher Regelungen – vertraglich.
46 (a) Eine entsprechende Leistungspflicht folgt nicht aus § 241 Abs. 2 BGB. Bei dem chirurgischen Eingriff zur Reduzierung des Gewichts der Beklagten handelte es sich um eine Maßnahme zur Vorbereitung einer weiteren Heilbehandlung (Knieoperation) zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Gesundheit. Es ist weder festgestellt noch von der Beklagten vorgetragen worden, dass die Ursachen für ihre insoweit angegriffene körperliche Verfassung im Zusammenhang mit ihrer Arbeitsleistung stehen, weshalb diese dem privaten Bereich zuzurechnen sind, für den die Beklagte selbst verantwortlich ist (vgl. BAG 21. Dezember 2017 – 8 AZR 853/16 – Rn. 38, BAGE 161, 245).
47 (b) Die Beklagte hat auch keinen tariflichen Anspruch auf eine solche Leistung dargelegt. Selbst wenn zu ihren Gunsten eine umfassende einzelvertragliche Inbezugnahme des BMT-AW II und ab dem 1. Januar 2007 des TVöD angenommen würde, ergäbe sich ein solcher Anspruch nicht. Der BMT-AW II sieht weder in seiner Ursprungsfassung vom 1. November 1977 noch in den Folgefassungen einen entsprechenden Beihilfeanspruch vor. Gleiches gilt für die übrigen Tarifverträge der Arbeiterwohlfahrt. Ein Anspruch folgt auch nicht aus dem TVöD, der seit dem 1. Januar 2007 für Beschäftigte des Schuldners aufgrund des Tarifvertrags Nr. 1 zur Anwendung des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) und zur Überleitung der Beschäftigten der Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Wiesbaden e.V. in den TVöD gilt. Vor dem Hintergrund der zu § 4 dieses Tarifvertrags ergangenen Protokollnotiz, die Überleitung erfolge aus den bisher geltenden Tarifverträgen, sowie der – im Rahmen einer augenscheinlich individuell vereinbarten qualifizierten Schriftformklausel – getroffenen Abreden in § 9 des Geschäftsführervertrags ist nicht ersichtlich, dass nach § 1 dieses Vertrags, selbst unter Berücksichtigung seiner Rückdatierung auf den 1. Januar 1998 und der Übernahme aller Rechte aus dem Arbeitsvertrag vom 1. Januar 1984, die Protokollerklärung zu § 13 TVÜ-VKA oder TVÜ-Bund über die Wahrung des Besitzstands der nach § 40 BAT beihilfeberechtigten Beschäftigten Anwendung finden sollte.
48 (3) Die Revision kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Begleichung der Behandlungskosten deshalb nicht unentgeltlich erfolgt sei, weil der Schuldner und die Beklagte die Gegenleistung in der Verhinderung einer längeren Arbeitsunfähigkeit der Beklagten sowie der damit ua. verbundenen Entgeltfortzahlung gesehen hätten und sich der Schuldner deshalb im eigenen betrieblichen Interesse für die Kostenübernahme entschieden habe.
49 (a) Auch bei Unterstellung des Vorbringens der Beklagten zu dem zwischen ihr und dem Schuldner beabsichtigten Austauschverhältnis als zutreffend, hat Letzterer mit der Übernahme der Behandlungskosten keine eigene (entgeltliche) Verpflichtung gegenüber der Beklagten erfüllt. Eine solche Obliegenheit behauptet die Beklagte auch nicht. Sie ist lediglich der Ansicht, dass die Übernahme dieser Kosten noch von einer Einschätzungsprärogative des Vorstands des späteren Schuldners gedeckt gewesen sei. Daraus folgt jedoch allenfalls eine Berechtigung, nicht aber eine Verpflichtung des späteren Schuldners zur Kostenübernahme. Ebenso wenig wie eine bloße Hoffnung (vgl. hierzu BGH 18. April 2013 – IX ZR 90/10 – Rn. 9; 13. März 2008 – IX ZR 117/07 – Rn. 8; OLG Celle 17. Oktober 1989 – 20 U 25/89 – juris-Rn. 5; K. Schmidt/Ganter/Weinland InsO 20. Aufl. § 134 Rn. 28; MüKoInsO/Kayser/Freudenberg 4. Aufl. § 134 Rn. 23; Uhlenbruck/Borries/Hirte 15. Aufl. § 134 InsO Rn. 21) kann die Annahme einer Berechtigung zur Tilgung einer fremden Schuld die Entgeltlichkeit der Leistung begründen.
50 (b) Selbst wenn im vorliegenden Einzelfall zugunsten der Beklagten angenommen würde, sie sei so zu stellen, als habe sie die Operationskosten zunächst selbst getragen und diese seien ihr anschließend vom Schuldner erstattet worden, weil der Insolvenzmasse durch die Direktzahlung an das Krankenhaus wegen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beklagten bzw. des Krankenhauses kein weitergehender Betrag entzogen worden sei, ändert sich an der Beurteilung nichts. Auch in diesem Fall läge nach den dann Anwendung findenden Grundsätzen der Anfechtung im Zwei-Personen-Verhältnis keine Unentgeltlichkeit vor.
51 (aa) Zwar muss die Gegenleistung, die eine Unentgeltlichkeit iSd. § 134 InsO ausschließt, im Zwei-Personen-Verhältnis keine solche iSd. §§ 320 ff. BGB sein. Vielmehr reicht jeder entsprechend werthaltige Vermögensvorteil, den der Insolvenzschuldner durch die Rechtshandlung erlangt. Insoweit genügt es, wenn beide Teile nach den objektiven Umständen im konkreten Fall von einem Austauschgeschäft ausgehen und zudem in gutem Glauben von der Werthaltigkeit der dem Insolvenzschuldner gewährten Gegenleistung überzeugt sind (vgl. BGH 20. April 2017 – IX ZR 252/16 – Rn. 23, BGHZ 214, 350; MüKoInsO/Kayser/Freudenberg 4. Aufl. § 134 Rn. 17a; Uhlenbruck/Borries/Hirte 15. Aufl. § 134 InsO Rn. 25). Dabei kommt ihnen grundsätzlich auch ein angemessener Beurteilungsspielraum zu. Ihre subjektive Bewertung muss jedoch, um den gesetzlich beabsichtigten Gläubigerschutz nicht zu unterlaufen, nachvollziehbar und realistisch sein (vgl. zB BAG 17. Dezember 2015 – 6 AZR 186/14 – Rn. 13, BAGE 154, 28; 12. September 2013 – 6 AZR 913/11 – Rn. 51; BGH 5. März 2015 – IX ZR 133/14 – Rn. 49, BGHZ 204, 231).
52 (bb) Eine solche Gegenleistung der Beklagten für die Übernahme der Operationskosten durch den Schuldner konnte nicht ihre Unterziehung unter den adipositas-chirurgischen Eingriff sein. Vielmehr gehörten dieser sowie eine anschließende Knieoperation – unbeschadet der rechtlichen Einordnung einer solchen Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien – zu den Grundlagen, die die erwartete Gegenleistung, nämlich ersparte mögliche Ausfallkosten als Folge längerer Arbeitsunfähigkeitszeiten, erst schaffen sollten. Bei den beabsichtigten Operationen handelt es sich um medizinische Maßnahmen, die mit Risiken und Unsicherheiten auch hinsichtlich des von den Parteien angestrebten Erfolgs einhergehen. Die Beurteilung, ob eine unentgeltliche Leistung iSv. § 134 Abs. 1 InsO vorliegt, kann aber nur vor dem Hintergrund des der Norm innewohnenden Gläubigerschutzgedankens erfolgen. Ist wie vorliegend für den Eintritt der erwarteten Gegenleistung die Realisierung mehrerer Vorbedingungen erforderlich, die mit erheblichen Unwägbarkeiten verbunden sind, geht der Insolvenzschuldner im Zeitpunkt seiner Leistung für ihn erkennbar ein nicht absehbares Risiko ein, keine werthaltige Gegenleistung zu erlangen. Damit bilden Vorbereitungshandlungen, die eine Gegenleistung erst ermöglichen sollen, keine hinreichend reale und nachvollziehbare Grundlage für die subjektive Bewertung der Parteien, ob es sich um eine entgeltliche oder unentgeltliche Leistung des Insolvenzschuldners handelt. Hinzu kommt, dass die Beklagte – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat – dem Schuldner gegenüber keine Verpflichtung traf, sich (zeitnah) auch der Knieoperation zu unterziehen, welche letztlich die entscheidende Behandlungsmethode zur Zweckerreichung war. In der Gesamtschau handelt es sich bei den Vorstellungen des Schuldners zum Zeitpunkt seiner Leistungserbringung nur um eine bloße Hoffnung auf eine ungewisse Gegenleistung. Eine solche macht aus einer Zuwendung, wie ausgeführt (Rn. 49) noch keine entgeltliche Leistung.
53 d) Auf eine Entreicherung nach § 143 Abs. 2 InsO beruft sich die Beklagte nicht.
54 e) Darauf, ob eine tarifliche Verfallklausel auf das Arbeitsverhältnis der Beklagten Anwendung findet, kommt es nicht an. Der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch aus § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO ist als gesetzliches Schuldverhältnis der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien entzogen. Er unterfällt tariflichen Ausschlussfristen nicht (vgl. zB BAG 3. Juli 2014 – 6 AZR 451/12 – Rn. 27 mwN; 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 35; 24. Oktober 2013 – 6 AZR 466/12 – Rn. 17 ff.).
55 3. Der Zinsanspruch folgt aus § 143 Abs. 1 Satz 3 InsO, § 286 Abs. 1 Satz 1, § 288 Abs. 1 BGB.
56 IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
BAG: Tatbestand – Beweiskraft – Entkräftung durch Sitzungsprotokoll – Überleitung in S-Entgelttabelle im Tarifbereich der TdL – Antragsrecht – Gleichheitsverstoß
BAG, Urteil vom 25.1.2024 – 6 AZR 119/23
ECLI:DE:BAG:2024:250124.U.6AZR119.23.0
Volltext: BB-Online BBL2024-1203-1
Orientierungssätze
1. Werden in der mündlichen Verhandlung entgegen § 137 ZPO keine Anträge gestellt, kann dieser Mangel nicht nach § 295 ZPO geheilt werden (Rn. 16).
2. Die Beweiskraft des Urteilstatbestands gemäß § 314 Satz 1 ZPO erfasst jedenfalls die Antragstellung in der mündlichen Verhandlung als solche (Rn. 18).
3. Eine Entkräftung dieser Beweiswirkung durch das Sitzungsprotokoll gemäß § 314 Satz 2 ZPO setzt einen ausdrücklichen bzw. zumindest unzweideutigen Widerspruch zwischen Tatbestand und Protokoll voraus. Bloße Lücken oder ein Schweigen im Protokoll sind unzureichend (Rn. 21).
4. In § 29e TVÜ-Länder haben die Tarifvertragsparteien die Überleitung der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst in die S-Entgeltgruppen zum 1. Januar 2020 bewusst nicht von einem vorherigen Antrag des/der Beschäftigten abhängig gemacht. Daher kann sich ein solches Antragsrecht auch nicht durch ergänzende Tarifvertragsauslegung ergeben (Rn. 26, 27 ff.).
5. Den Besitzstandsinteressen der Beschäftigten haben die Tarifvertragsparteien durch eine rein auf den Überleitungsstichtag 1. Januar 2020 bezogene Vergleichsentgeltbetrachtung (§ 29e Abs. 3 und Abs. 4 TVÜ-Länder) Rechnung getragen (Rn. 31).
6. Die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) erlaubt den Tarifvertragsparteien, Tarifverträge auch zum Nachteil der Beschäftigten – wie vorliegend durch die Verlängerung der Stufenlaufzeiten in den Stufen 2 und 3 um jeweils ein Jahr gemäß § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L idF des § 52 Nr. 3 TV-L – zu ändern. Dabei müssen sie das Rückwirkungsverbot beachten (Rn. 34).
7. Regelungen der Tarifvertragsparteien zur Überleitung der Beschäftigten in neue Entgeltsysteme unterliegen ebenso wie Stichtags- und Erschwerniszuschlagsregelungen (mit Ausnahme der Nachtarbeitszuschläge) im Hinblick auf einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich nur einer Willkürkontrolle. Willkürlich ist eine Tarifregelung nur, wenn sich für sie kein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund finden lässt (Rn. 37).
8. Es stellt keinen Gleichheitsverstoß dar, dass § 29e TVÜ-Länder die Fachkräfte für Schulsozialarbeit im Sozial- und Erziehungsdienst in die S-Entgeltgruppen überleitet, während die sozialpädagogischen Mitarbeiter in der Schuleingangsphase an Grund- und Förderschulen sowie die Fachkräfte aus den anderen pädagogischen Berufsgruppen im Rahmen von multiprofessionellen Teams als Lehrkräfte iSd. § 44 Nr. 1 TV-L weiterhin nach dem Tarifvertrag über die Eingruppierung und die Entgeltordnung für die Lehrkräfte der Länder (TV EntgO-L) eingruppiert sind (Rn. 38 ff.).
▄Amtlicher Leitsatz
Der durch den Tatbestand eines Urteils erbrachte Beweis wird durch bloße Lücken des Sitzungsprotokolls oder sein Schweigen über bestimmte Vorgänge nicht entkräftet. § 314 Satz 2 ZPO setzt voraus, dass die Feststellungen im Protokoll ausdrücklich oder doch unzweideutig dem Tatbestand widersprechen.
Sachverhalt
Die Parteien streiten nach der Neuregelung des Entgelts für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) zum 1. Januar 2020 über die Anwendung dieser Sonderregelungen auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin.
Die Klägerin ist beim beklagten Land seit dem 7. Januar 2014 als Fachkraft für Schulsozialarbeit beschäftigt und am C-Berufskolleg der Stadt B tätig. § 2 des Arbeitsvertrags nimmt den TV-L sowie die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung in Bezug. Die Klägerin war gemäß § 3 des Arbeitsvertrags zu Beginn des Arbeitsverhältnisses „nach Teil II Abschnitt 20.4 der Entgeltordnung zum TV-L in Entgeltgruppe 10 TV-L eingruppiert“ und darin aufgrund einschlägiger Berufserfahrung der Stufe 3 zugeordnet worden. Zum 1. Januar 2017 stieg sie in die Stufe 4 der Entgeltgruppe 10 TV-L auf.
Der gemäß § 2 Nr. 7, § 5 Nr. 2 des Änderungstarifvertrags Nr. 11 zum TV-L mit Wirkung zum 1. Januar 2020 neu eingefügte § 52 TV-L lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 52
Sonderregelungen
für Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst
Nr. 1
Zu § 1 – Geltungsbereich –
Diese Sonderregelungen gelten für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst.
Nr. 2
Zu § 15 – Tabellenentgelt –
§ 15 Absatz 2 gilt in folgender Fassung:
‚(2) Die Höhe der Tabellenentgelte ist in der Anlage G festgelegt.‘
Nr. 3
Zu § 16 – Stufen der Entgelttabelle –
1. § 16 Absatz 1 Satz 1 gilt in folgender Fassung:
‚1Die Entgeltgruppen S 2 bis S 18 umfassen sechs Stufen.‘
…
3. § 16 Absatz 3 Satz 1 gilt für die Entgeltgruppen S 3 bis S 18 in folgender Fassung:
‚1Die Beschäftigten erreichen die jeweils nächste Stufe – von Stufe 3 an in Abhängigkeit von ihrer Leistung gemäß § 17 Absatz 2 – nach folgenden Zeiten einer ununterbrochenen Tätigkeit innerhalb derselben Entgeltgruppe bei ihrem Arbeitgeber (Stufenlaufzeit):
Stufe 2 nach einem Jahr in Stufe 1,
Stufe 3 nach drei Jahren in Stufe 2,
Stufe 4 nach vier Jahren in Stufe 3,
Stufe 5 nach vier Jahren in Stufe 4,
Stufe 6 nach fünf Jahren in Stufe 5.‘
…“
Damit war die Stufenlaufzeit in den Stufen 2 und 3 jeweils um ein Jahr gegenüber der Regelung in § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L verlängert.
Zeitgleich fügten die Tarifvertragsparteien eine Entgelttabelle für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst als „Anlage G“ zum TV-L ein und passten die Eingruppierungsregelungen für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst in Teil II Abschnitt 20 der Anlage A Entgeltordnung zum TV-L den neugeschaffenen S-Entgeltgruppen an.
Der bereits mit Wirkung zum 1. Januar 2019eingefügte § 29e des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Länder) regelt die Überleitung der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst in das neue Entgeltsystem des TV-L am 1. Januar 2020 auszugsweise wie folgt:
„§ 29e
Überleitung der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst am 1. Januar 2020
(1) Beschäftigte im Sinne von Teil II Abschnitt 20 der Entgeltordnung zum TV-L,
– deren Arbeitsverhältnis zu einem Arbeitgeber, der Mitglied der TdL oder eines Mitgliedsverbandes der TdL ist, über den 31. Dezember 2019 hinaus fortbesteht, und
– die am 1. Januar 2020 unter den Geltungsbereich des TV-L fallen,
sind in die neue S-Entgeltgruppe übergeleitet.
(2) 1Beschäftigte im Sinne von Absatz 1 sind wie folgt einer Stufe und innerhalb dieser Stufe dem Jahr der Stufenlaufzeit unter Mitnahme der Restzeit zugeordnet:
bisherige Stufe/Jahr innerhalb der Stufe/Restzeit (R) neue Stufe/Jahr innerhalb der Stufe / Restzeit (R)
1 / 1 / R 1 / 1 / R
2 / 1 / R 2 / 1 / R
2 / 2 / R 2 / 2 / R
3 / 1 / R 2 / 3 / R
3 / 2 / R 3 / 1 / R
3 / 3 / R 3 / 2 / R
4 / 1 / R 3 / 3 / R
4 / 2 / R 3 / 4 / R
4 / 3 / R 4 / 1 / R
4 / 4 / R 4 / 2 / R
5 / 1 / R 4 / 3 / R
5 / 2 / R 4 / 4 / R
5 / 3 / R 5 / 1 / R
5 / 4 / R 5 / 2 / R
5 / 5 / R 5 / 3 / R
6 / 1 / R 5 / 4 / R
6 / 2 / R 5 / 5 / R
6 / 3 / R 6
[Es folgen Sonderregelungen für Beschäftigte der Entgeltgruppen S 4 Fallgruppe 2 des Unterabschnitts 6, S 8b der Unterabschnitte 5 oder 6, S 8b des Unterabschnitts 4 sowie S 2.] 6Der weitere Stufenaufstieg richtet sich nach den für das jeweilige Tätigkeitsmerkmal geltenden Stufenregelungen. 7Beschäftigte, die im Januar 2020 in ihrer bisherigen Entgeltgruppe bei Fortgeltung des bisherigen Rechts einen Stufenaufstieg gehabt hätten, werden für die Bemessung des Vergleichsentgelts so behandelt, als wäre der Stufenaufstieg bereits im Dezember 2019 erfolgt. … [Es folgen Sonderregelungen für Beschäftigte in einer individuellen Endstufe.]
(3) 1Es wird ein Vergleichsentgelt gebildet, das sich aus den für Januar 2020 zustehenden Entgeltbestandteilen im Sinne des Satzes 2 zusammensetzt, die ohne die Änderungen in Teil II Abschnitt 20 der Entgeltordnung zustehen würden. …
(4) 1Ist das Vergleichsentgelt nicht höher als das Tabellenentgelt nach Anlage G der sich nach Absatz 2 ergebenden Stufe der Entgeltgruppe, in der die/der Beschäftigte am 1. Januar 2020 eingruppiert ist, erhält die/der Beschäftigte das entsprechende Tabellenentgelt ihrer/seiner Entgeltgruppe. 2Übersteigt das Vergleichsentgelt das Tabellenentgelt der sich nach Absatz 2 ergebenden Stufe, erhält die/der Beschäftigte so lange das Vergleichsentgelt, bis das jeweils zustehende Tabellenentgelt das Vergleichsentgelt erreicht bzw. übersteigt. 3Das Vergleichsentgelt verändert sich um denselben Vomhundertsatz bzw. in demselben Umfang wie die nächstniedrigere Stufe.
(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für Beschäftigte im Sinne des § 1 Absatz 2.“
Mit Schreiben vom 9. Juni 2020 informierte das beklagte Land die Klägerin darüber, dass sie am 1. Januar 2020 „in die Entgeltgruppe S 15 Stufe 04, im 1. Jahr innerhalb der Stufe, mit einer Restzeit von 3 Jahren“ übergeleitet worden sei. Dem widersprach die Klägerin und machte mit Schreiben vom 21. Mai 2021 geltend, sie sei weiterhin nach Entgeltgruppe 10 TV-L zu vergüten, wobei sie zum 1. Januar 2021 in die Stufe 5 dieser Entgeltgruppe aufgestiegen sei. Die Klägerin verlangte die Auszahlung der monatlichen Differenzbeträge.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, das Ziel der Überleitung in die gesonderten Entgeltgruppen für den Sozial- und Erziehungsdienst sei eine Besserstellung der betroffenen Beschäftigten gewesen. Dieses Ziel werde in ihrem Fall nicht erreicht, weil sie im weiteren Verlauf des Arbeitsverhältnisses bedingt durch die zeitlich hinausgeschobenen Stufenaufstiege infolge der Verlängerung der Stufenlaufzeiten Entgeltnachteile im Vergleich zu einer unveränderten Vergütung nach Entgeltgruppe 10 TV-L erleide. Es sei davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien ihre Schlechterstellung übersehen hätten. Diese planwidrige Regelungslücke sei im Wege der ergänzenden Auslegung des Tarifvertrags zu schließen. Bei Kenntnis der durch die Regelung entstehenden Nachteile hätten die Tarifvertragsparteien § 29e TVÜ-Länder um ein Antragsrecht entsprechend der Regelung in § 29a Abs. 3 Satz 1 TVÜ-Länder ergänzt, welches sie nicht ausgeübt hätte. Die Überleitungsregelung stelle zudem eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters dar, weil vor allem rentennahe Beschäftigte Nachteile erlitten. Schließlich liege eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung darin, dass nicht alle im Schulbereich tätigen Sozialarbeiter in das neue Entgeltsystem übergeleitet worden seien, sondern etwa die Schulsozialarbeiter in der Schuleingangsphase in der Entgeltgruppe 10 TV-L verblieben seien.
Dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht lässt sich nicht entnehmen, dass die Parteien Anträge gestellt hätten. Nach dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils hat die Klägerin beantragt,
1. festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die Klägerin seit dem 1. Januar 2020 nach der Entgeltgruppe 10 TV-L zu vergüten und die sich jeweils als Differenz zur Entgeltgruppe S 15 TV-L ergebenden Bruttonachzahlungsbeträge ab dem jeweils 1. des Folgemonats mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB zu verzinsen;
2. das beklagte Land zu verurteilen, an sie 2.891,00 Euro (brutto) zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 1. Februar 2021, 1. März 2021, 1. April 2021, 1. Mai 2021, 1. Juni 2021, 1. Juli 2021 und dem 1. August 2021 aus jeweils 413,11 Euro (brutto) zu zahlen.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin den Zahlungsantrag um die Ansprüche für die Monate August 2021 bis März 2022 erweitert und nunmehr insgesamt 6.196,65 Euro (brutto) nebst der entsprechenden Zinsen verlangt.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat behauptet, die Klägerin erleide nur in den Jahren 2021, 2022, 2026 und 2027 einen Entgeltnachteil. Im Übrigen werde die Differenz zum Entgelt nach der Entgeltgruppe 10 TV-L nicht nur ausgeglichen, vielmehr erziele die Klägerin bis zu ihrer Verrentung insgesamt eine höhere Vergütung. Gegen eine Regelungslücke spreche, dass die Tarifvertragsparteien die Bildung eines Vergleichsentgelts vorgesehen hätten, um etwaige Entgeltnachteile auszugleichen. Eine Benachteiligung wegen des Alters liege ebenso wenig vor wie eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung im Vergleich zu sonstigen Beschäftigten pädagogischer Berufe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Klägerin ihr Begehren – bezüglich des Feststellungsantrags infolge ihrer Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat beschränkt auf den Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2020 sowie auf den Zeitraum ab 1. April 2022 – weiter und beantragt zudem hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.
Aus den Gründen
13 Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zurecht zurückgewiesen. Die Klägerin hat aufgrund ihrer wirksamen Überleitung in die sog. S-Tabelle für den Sozial- und Erziehungsdienst keinen Anspruch mehr auf ein Entgelt nach der Entgeltgruppe 10 TV-L.
14 I. Die Revision hat nicht deshalb Erfolg, weil der Senat den Rechtsstreit unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen an das Arbeitsgericht zurückverweisen müsste. Es liegt kein Verfahrensfehler des Arbeitsgerichts vor, der – ungeachtet des § 68 ArbGG – eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an die erste Instanz erforderlich macht. Das hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei erkannt.
15 1. Nach § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist das Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Eine Verletzung dieses Antragsgrundsatzes liegt nicht nur dann vor, wenn einer Partei ohne ihren Antrag etwas zugesprochen wird, sondern auch, wenn ihr ein Anspruch aberkannt wird, den sie nicht zur Entscheidung gestellt hat. Ein Verstoß der Vorinstanzen gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist vom Senat von Amts wegen zu beachten (BAG 25. Januar 2023 – 4 AZR 171/22 – Rn. 11 f.), so dass es des ausdrücklichen „Hilfsantrags“ der Klägerin nicht bedurft hätte.
16 2. Gemäß § 137 Abs. 1 ZPO wird die mündliche Verhandlung dadurch eingeleitet, dass die Parteien ihre Anträge stellen. Für die Form des Antrags gilt § 297 ZPO. Formmängel bei der Antragstellung sind gemäß § 295 ZPO heilbar. Das gilt jedoch nicht für den Mangel der Erhebung des Antrags „an sich“ (zum arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren BAG 25. April 2018 – 7 ABR 30/16 – Rn. 13; Thomas/Putzo/Seiler ZPO 44. Aufl. § 297 Rn. 3). Trifft ein Arbeitsgericht eine Entscheidung, ohne dass wirksam Sachanträge gestellt worden sind, kommt – entgegen § 68 ArbGG – eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht in Betracht, da ein Verfahrensfehler vorliegt, der in der Rechtsmittelinstanz nicht korrigiert werden kann (vgl. BAG 16. August 2023 – 7 AZR 300/22 – Rn. 11; 14. Oktober 2020 – 5 AZR 712/19 – Rn. 17, BAGE 172, 372).
17 3. Dem Arbeitsgericht ist kein die Zurückverweisung des Rechtsstreits begründender Verfahrensfehler unterlaufen. Vielmehr ist mit dem Landesarbeitsgericht davon auszugehen, dass die Parteien in der mündlichen Verhandlung erster Instanz verfahrensordnungsgemäß Anträge gestellt haben. Das steht durch den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils fest.
18 a) Nach § 314 Satz 1 ZPO liefert der Tatbestand eines Urteils den Beweis für das mündliche Parteivorbringen vor dem erkennenden Gericht. Dies schließt die Abgabe von Prozesserklärungen in der mündlichen Verhandlung ein (BAG 24. Oktober 2017 – 1 AZR 166/16 – Rn. 18 mwN) und gilt auch für die Antragstellung in der mündlichen Verhandlung jedenfalls hinsichtlich der Frage, ob überhaupt Anträge gestellt wurden (vgl. BAG 25. April 2018 – 7 ABR 30/16 – Rn. 15; 24. Oktober 2017 – 1 AZR 166/16 – Rn. 18; BGH 18. Juli 2013 – III ZR 208/12 – Rn. 8). Ob die Beweiskraft darüber hinaus auch den Antragsinhalt erfasst, kann hier dahinstehen (zum Streitstand BAG 25. April 2018 – 7 ABR 30/16 – Rn. 15). Dieser ist vorliegend nicht streitig.
19 b) Im Tatbestand der erstinstanzlichen Entscheidung heißt es: „Die Klägerin beantragt …“ sowie „Das beklagte Land verhandelt mit dem Klageabweisungsantrag.“. Die darin liegende Feststellung liefert den Beweis dafür, dass Anträge gestellt wurden.
20 4. Dieser Beweis wird nicht durch das Sitzungsprotokoll vom 9. Dezember 2021 entkräftet.
21 a) Der durch den Tatbestand erbrachte Beweis kann zwar nach § 314 Satz 2 ZPO durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden. Insoweit geht bei Widersprüchen zwischen Protokoll und Tatbestand das Protokoll vor (BAG 9. Februar 2022 – 5 AZR 347/21 – Rn. 15). Das setzt jedoch voraus, dass die Feststellungen im Protokoll ausdrücklich oder doch unzweideutig dem Tatbestand widersprechen; Lücken des Protokolls oder sein Schweigen über bestimmte Vorgänge reichen hierfür nicht (BGH 23. Februar 2021 – II ZR 184/19 – Rn. 17; 18. Juli 2013 – III ZR 208/12 – Rn. 8; Zöller/Feskorn ZPO 35. Aufl. § 314 Rn. 8; Musielak/Voit/Musielak ZPO 20. Aufl. § 314 Rn. 7; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze ZPO 5. Aufl. § 165 Rn. 5; aA – nicht tragend – BAG 25. April 2018 – 7 ABR 30/16 – Rn. 17 f.; vgl. zum – hier nicht vorliegenden – ausdrücklichen Widerspruch zwischen Tatbestand und Protokoll BAG 9. Februar 2022 – 5 AZR 347/21 – Rn. 11 ff. mwN).
22 b) Das Sitzungsprotokoll vom 9. Dezember 2021 enthält keine ausdrücklichen Feststellungen zur (fehlenden) Antragstellung, sondern schweigt dazu und entkräftet den durch den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils erbrachten Beweis deshalb nicht.
23 II. Die Revision ist unbegründet. Die von der Klägerin mit der Klage einschließlich der zweitinstanzlichen Klageerweiterung, von deren Zulässigkeit der Senat in entsprechender Anwendung von § 268 ZPO auszugehen hat (st. Rspr., sh. nur BAG 31. Mai 2023 – 5 AZR 273/22 – Rn. 9; 27. April 2017 – 6 AZR 119/16 – Rn. 52, BAGE 159, 92), erhobenen Anträge sind in dem zuletzt noch zur Entscheidung des Senats gestellten Umfang zulässig, aber unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei erkannt, dass die Klägerin keinen Anspruch gegen das beklagte Land auf Vergütung nach der Entgeltgruppe 10 TV-L hat. Die Klägerin ist am 1. Januar 2020 in die neu eingeführte Entgeltgruppe S 15 TV-L übergeleitet worden und wird vom beklagten Land seitdem zutreffend nach dieser Entgeltgruppe vergütet. Eine Verknüpfung der Überleitung mit einem Antragsrecht haben die Tarifvertragsparteien nicht vorgesehen und mussten ein solches entgegen der Annahme der Revision auch nicht schaffen.
24 1. Die Klägerin wurde gemäß § 29e Abs. 1 TVÜ-Länder am 1. Januar 2020 in die S-Entgeltgruppen übergeleitet. Dessen Voraussetzungen liegen unstreitig vor. Dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum beklagten Land erst nach dem 31. Oktober 2006 begonnen hat, steht der Anwendung des § 29e TVÜ-Länder nicht entgegen (§ 29e Abs. 5 iVm. § 1 Abs. 2 TVÜ-Länder).
25 Infolge der Überleitung ist die Klägerin mit Wirkung vom 1. Januar 2020 nicht mehr in die Entgeltgruppe 10, sondern in die Entgeltgruppe S 15 TV-L eingruppiert. Die Tätigkeitsmerkmale der Entgeltgruppe 10 TV-L in Teil II Abschnitt 20.4 der Anlage A Entgeltordnung zum TV-L in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung sind hinsichtlich Sozialarbeitern und Sozialpädagogen in der seit 1. Januar 2020 geltenden Fassung inhaltlich unverändert in die Entgeltgruppe S 15 TV-L übernommen worden (vgl. auch die Synopse der Tätigkeitsmerkmale bei Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Teil IV/3 TVÜ-Länder Stand Juli 2021 Rn. 923 sowie bei BeckOK TV-L/Dannenberg Stand 1. Dezember 2023 TVÜ-Länder § 29e Rn. 10).
26 2. § 29e TVÜ-Länder macht die Überleitung der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst nicht von deren vorheriger Antragstellung abhängig. Eine solche Regelung sieht die Norm – anders als bspw. § 29a Abs. 3 Satz 1 oder § 29d Abs. 2 Satz 1 TVÜ-Länder – nicht vor (Breier/Dassau TV-L Teil B 3 § 29e TVÜ-Länder Stand März 2020 Rn. 2; Effertz/Bach-Terhorst Das Tarifrecht der Länder Teil 2 § 29e TVÜ-Länder Stand Juli 2020 S. 4; Muschinsky ZTR 2020, 320, 324).
27 3. Ein solches Antragsrecht lässt sich – anders als die Klägerin meint – auch nicht durch ergänzende Auslegung des Tarifvertrags in diesen hineinlesen. Das hat das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler erkannt.
28 a) Tarifvertragliche Regelungen sind einer ergänzenden Auslegung grundsätzlich nur dann zugänglich, wenn damit kein Eingriff in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie verbunden ist. Eine ergänzende Auslegung eines
Tarifvertrags scheidet daher aus, wenn die Tarifvertragsparteien eine regelungsbedürftige Frage bewusst ungeregelt lassen und diese Entscheidung höherrangigem Recht nicht widerspricht. Voraussetzung für eine ergänzende Auslegung ist, dass entweder eine unbewusste Regelungslücke vorliegt oder eine Regelung nachträglich lückenhaft geworden ist (BAG 20. Juli 2023 – 6 AZR 256/22 – Rn. 33; 23. April 2013 – 3 AZR 23/11 – Rn. 29 mwN). Für die Beantwortung der Frage, ob es sich um eine bewusste oder unbewusste Tariflücke handelt, ist auf den Willen der Tarifvertragsparteien abzustellen (BAG 20. Juli 2023 – 6 AZR 256/22 – Rn. 33; 11. Juli 2019 – 6 AZR 460/18 – Rn. 26 mwN).
29 b) Es liegt keine unbewusste Regelungslücke vor.
30 aa) Das folgt zunächst aus den Sonderregelungen in § 29e Abs. 2 Sätze 2 bis 6 und Satz 8 TVÜ-Länder, die die Tarifvertragsparteien abweichend von der Grundregel des § 29e Abs. 2 Satz 1 TVÜ-Länder für Beschäftigte getroffen haben, für die besondere Stufenregelungen galten.
31 bb) Das folgt weiter aus § 29e Abs. 3 und Abs. 4 TVÜ-Länder. Danach wird ein sog. Vergleichsentgelt gebildet, das sich aus näher definierten Entgeltbestandteilen zusammensetzt, die dem Beschäftigten im Januar 2020 zugestanden hätten, wäre er nicht übergeleitet worden. Dieses Vergleichsentgelt wird besitzstandswahrend anstelle des „neuen“ Tabellenentgelts nach Anlage G zum TV-L gezahlt, sofern es letzteres übersteigt. Damit vermeiden die Tarifvertragsparteien, dass Beschäftigte aufgrund der Überleitung in die S-Tabelle und der in § 29e Abs. 2 TVÜ-Länder dabei vorgesehenen Stufenzuordnung, die die in § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L idF des § 52 Nr. 3 TV-L enthaltenen verlängerten Stufenlaufzeiten zum Erreichen der Stufen 3 und 4 widerspiegelt, weniger verdienen als zuvor (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Teil IV/3 TVÜ-Länder Stand Oktober 2019 Rn. 941). Die Feststellung, ob das Vergleichsentgelt das „neue“ Tabellenentgelt übersteigt, ist dabei – unabhängig davon, wie lange das Vergleichsentgelt zu zahlen ist und dass es gemäß § 29e Abs. 4 Satz 3 TVÜ-Länder dynamisiert ist – aufgrund des eindeutigen Tarifwortlauts stets nach den Gegebenheiten am 1. Januar 2020 zu treffen. Einen Ausgleich für die im Unterschied zu § 16 Abs. 3 TV-L längeren Stufenlaufzeiten im Sozial- und Erziehungsdienst in den Stufen 2 und 3 sieht die Vorschrift hingegen nicht vor. Daraus folgt, dass die Tarifvertragsparteien lediglich den Besitzstand stichtagsbezogen zum 1. Januar 2020 schützen wollten. Durch die Neuregelung im Sozial- und Erziehungsdienst beabsichtigten sie entgegen der Annahme der Revision hingegen nicht, „jedwede Verschlechterung“ auch im Hinblick auf künftige Entgelterwartungen zu vermeiden. Vielmehr haben sie die dem neuen Entgeltsystem immanenten Nachteile, die durch den darin vorgesehenen verzögerten Stufenaufstieg für Beschäftigte vorübergehend eintreten können, in Kauf genommen.
32 cc) Dass den Tarifvertragsparteien bewusst war, dass mit dem Tabellenwechsel zum 1. Januar 2020 für übergeleitete Beschäftigte hinsichtlich ihres Stufenaufstiegs und der damit einhergehenden Vergütungserwartung Nachteile verbunden sein konnten, zeigt sich überdies in der – von der Revision als „Härtefallregelung“ bezeichneten – Vorschrift des § 29e Abs. 2 Satz 7 TVÜ-Länder. Danach werden Beschäftigte, die im Januar 2020 in ihrer bisherigen Entgeltgruppe bei Fortgeltung des bisherigen Rechts einen Stufenaufstieg gehabt hätten, für die Bemessung des Vergleichsentgelts so behandelt, als wäre der Stufenaufstieg bereits im Dezember 2019 erfolgt. Diese Regelung bestätigt die ausschließlich stichtagsbezogene Besitzstandswahrung. Sie zeigt zugleich aber auch, dass sich die Tarifvertragsparteien bewusst dagegen entschieden haben, nach dem bisherigen Tarifrecht zu einem späteren Zeitpunkt anstehende Stufenaufstiege zu schützen. Anders als die Revision meint, steht § 29e Abs. 2 Satz 7 TVÜ-Länder nicht im Zusammenhang mit Rechtsfolgen, die sich aus § 17 Abs. 4 Satz 4 TV-L ergeben sollen. Diese Regelung betrifft nur den Beginn der Stufenlaufzeit im Falle einer Höhergruppierung und ist auf die Fälle der Überleitung nach § 29e TVÜ-Länder nicht anwendbar (vgl. zu § 29c TVÜ-Länder BAG 18. Februar 2021 – 6 AZR 702/19 – Rn. 18 ff., BAGE 174, 63).
33 dd) Dass sich die Tarifvertragsparteien bewusst gegen ein Antragsrecht entschieden haben, folgt schließlich auch aus § 29d TVÜ-Länder. Dieser sieht für diejenigen Beschäftigten, die ausschließlich aufgrund der zum 1. Januar 2020 in Kraft tretenden Änderungen in der Entgeltordnung zum TV-L höherzugruppieren wären, eine unveränderte Eingruppierung in der bisherigen Entgeltgruppe verbunden mit einem Antragsrecht auf Eingruppierung in die neue (höhere) Entgeltgruppe vor. Hiervon nimmt § 29d Abs. 4 TVÜ-Länder ua. die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst ausdrücklich aus. Bei diesen bedurfte es aufgrund der Neueinführung der S-Entgeltgruppen einer gesonderten Überleitungsregelung, die in sich abgeschlossen ist. § 29d TVÜ-Länder zeigt, dass den Tarifvertragsparteien die Gestaltungsmöglichkeit eines Antragsrechts zur Vermeidung von Nachteilen bei der Überleitung bewusst war. In § 29e TVÜ-Länder haben sie sich aber lediglich für eine Besitzstandswahrung mittels einer stichtagsbezogenen Vergleichsentgeltbetrachtung entschieden.
34 4. Die Tarifvertragsparteien waren auch nicht verpflichtet, darüber hinaus bloßen, nach dem bisherigen Tarifsystem bestehenden Aussichten bzw. Erwartungen Rechnung zu tragen, bei unverändert bleibenden tariflichen Voraussetzungen künftig eine höhere Vergütung zu erzielen (vgl. zum TVöD (Bund) BAG 17. Dezember 2009 – 6 AZR 665/08 – Rn. 27). Auch daher bedurfte es keines Antragsrechts. Der in § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L idF des § 52 Nr. 3 TV-L im Vergleich zu § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L vorgesehene Stufennachteil ist von der den Tarifvertragsparteien durch Art. 9 Abs. 3 GG zustehenden Tarifautonomie gedeckt. Tarifvertraglichen Regelungen ist der Vorbehalt ihrer nachträglichen Abänderung durch Tarifvertrag immanent. Solche Änderungen dürfen nicht nur Vorteile, sie können – in den Grenzen des Rückwirkungsverbots (dazu zuletzt BAG 30. November 2022 – 5 AZR 27/22 – Rn. 44 ff.) – auch Nachteile für die Arbeitnehmer enthalten (vgl. BAG 30. November 2022 – 5 AZR 27/22 – Rn. 44; 19. Dezember 2019 – 6 AZR 563/18 – Rn. 31, BAGE 169, 163). Das ist notwendige Folge des Kompromisscharakters des Tarifvertrags („Gesamtpaket“, vgl. dazu BAG 20. Juli 2023 – 6 AZR 256/22 – Rn. 37; 24. September 2008 – 6 AZR 76/07 – Rn. 27, BAGE 128, 73).
35 5. Entgegen der Annahme der Revision verstößt die tarifliche Differenzierung zwischen den dem Sozial- und Erziehungsdienst unterfallenden Fachkräften für Schulsozialarbeit einerseits und den sozialpädagogischen Mitarbeitern in der Schuleingangsphase an Grund- und Förderschulen sowie den Fachkräften aus den anderen pädagogischen Berufsgruppen im Rahmen von multiprofessionellen Teams andererseits nicht gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.
36 a) Die ua. von den Gerichten für Arbeitssachen aufgrund des aus Art. 1 Abs. 3 GG folgenden Schutzauftrags sicherzustellende Wahrung der Grundrechte führt zu einer mittelbaren Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien. Das betrifft auch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, der als fundamentale Gerechtigkeitsnorm eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie bildet. Die Gerichte sind darum aufgrund des Schutzauftrags der Verfassung verpflichtet, gleichheitswidrige Differenzierungen in Tarifnormen zu unterbinden (BAG 19. November 2020 – 6 AZR 449/19 – Rn. 21 mwN). Diese Grenze ist zu beachten, obwohl Tarifnormen nicht selten Ergebnisse tarifpolitischer Kompromisse sind („Gesamtpaket“), und kann damit zur Beschränkung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Rechte der Tarifvertragsparteien führen (BAG 20. Juli 2023 – 6 AZR 256/22 – Rn. 37).
37 b) Allerdings steht den Tarifvertragsparteien bei ihrer Normsetzung aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu (ausführlich zuletzt BAG 20. Juli 2023 – 6 AZR 256/22 – Rn. 38 mwN). Das gilt gerade auch im Bereich der Lohnfindung. Die Festlegung der Höhe des Entgelts ist nach der Konzeption des Grundgesetzes grundsätzlich den Tarifvertragsparteien übertragen, weil dies nach Überzeugung des Verfassungsgebers zu sachgerechteren Ergebnissen als eine staatlich beeinflusste Lohnfindung führt (BAG 23. August 2023 – 10 AZR 384/20 – Rn. 69; 17. Dezember 2009 – 6 AZR 665/08 – Rn. 19 unter Bezugnahme auf BVerfG 4. Juli 1995 – 1 BvF 2/86 ua. – zu C der Gründe, BVerfGE 92, 365; 26. Juni 1991 – 1 BvR 779/85 – zu C I der Gründe, BVerfGE 84, 212). Das schließt auch die Befugnis zu Entgeltregelungen ein, die Betroffenen ungerecht und Außenstehenden nicht zwingend sachgerecht erscheinen (vgl. BAG 23. August 2023 – 10 AZR 384/20 – Rn. 69; 20. Juli 2023 – 6 AZR 256/22 – Rn. 39; 25. Januar 2012 – 4 AZR 147/10 – Rn. 32, BAGE 140, 291; 17. Dezember 2009 – 6 AZR 665/08 – Rn. 19). Erst recht kommt den Tarifvertragsparteien im Zusammenhang mit der Überleitung von Arbeitnehmern in ein gänzlich neues Vergütungssystem die Befugnis zu, die vergütungsrechtliche Wertigkeit von Tätigkeiten sowie die für die Höhe des Entgelts aus dieser Entgeltgruppe maßgebliche Stufe einschließlich der Stufenzuordnungs- und Stufenaufstiegsregelungen autonom festzulegen (vgl. zu § 4 TVÜ-Bund BAG 17. Dezember 2009 – 6 AZR 665/08 – Rn. 20). Bei der Regelung von derartigen Massenerscheinungen müssen die Tarifvertragsparteien notwendigerweise generalisieren, pauschalieren und typisieren, ohne jeder Besonderheit gerecht werden zu können und zu müssen (vgl. BAG 17. Dezember 2009 – 6 AZR 665/08 – Rn. 21). Die den Tarifvertragsparteien zukommende Einschätzungsprärogative ist deshalb bei Regelungen zur Überleitung in neue Entgeltsysteme ebenso wie bei Stichtagsregelungen als „Typisierungen in der Zeit“ (dazu BAG 19. November 2020 – 6 AZR 449/19 – Rn. 24) und bei Bestimmungen über den Ausgleich von Erschwernissen (mit Ausnahme der Zuschläge für die Arbeitsleistung während der tarifvertraglich definierten Nachtzeit, BAG 20. Juli 2023 – 6 AZR 256/22 – Rn. 39, 41) grundsätzlich erst dann überschritten, wenn das Willkürverbot als äußerste Grenze der Tarifautonomie verletzt ist. Von den Arbeitsgerichten nachzuprüfen ist deshalb nur, ob solche Tarifregelungen offenkundig auf sachwidrigen, willkürlichen Erwägungen beruhen. Das ist der Fall, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für eine Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (vgl. BVerfG 20. März 2023 – 1 BvR 669/18 ua. – Rn. 15; zur Willkürkontrolle auch BAG 20. Juli 2023 – 6 AZR 256/22 – Rn. 39 mwN). Allerdings wäre es von der Tarifautonomie nicht mehr gedeckt, in einem einheitlichen Vergütungssystem oder in mehreren, von denselben Tarifvertragsparteien als demselben Normgeber geschlossenen Tarifverträgen Arbeitnehmer, die identische Tätigkeiten verrichten, vergütungsrechtlich unterschiedlich zu behandeln (BAG 17. Dezember 2009 – 6 AZR 665/08 – Rn. 24).
38 c) Daran gemessen verstößt § 29e TVÜ-Länder nicht gegen den Gleichheitssatz, soweit die Vorschrift zu einer unterschiedlichen Eingruppierung und damit einer unterschiedlichen Vergütung zwischen den in die S-Entgeltgruppen übergeleiteten Fachkräften für Schulsozialarbeit im Sozial- und Erziehungsdienst einerseits und den sozialpädagogischen Mitarbeitern in der Schuleingangsphase an Grund- und Förderschulen sowie den Fachkräften aus den anderen pädagogischen Berufsgruppen im Rahmen von multiprofessionellen Teams andererseits führt. Die Eingruppierung der beiden letztgenannten Gruppen richtet sich als Lehrkräfte iSd. § 44 Nr. 1 TV-L weiterhin nach dem Tarifvertrag über die Eingruppierung und die Entgeltordnung für die Lehrkräfte der Länder (TV EntgO-L), § 44 Nr. 2a TV-L.
39 aa) Diese Unterscheidung galt indes auch schon vor der Überleitung der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst in die S-Entgeltgruppen. Nach der Protokollerklärung zu § 44 Nr. 1 TV-L sind Lehrkräfte im Sinne der Regelung Personen, bei denen die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten im Rahmen eines Schulbetriebs der Tätigkeit das Gepräge gibt. Für Lehrkräfte iSd. § 44 Nr. 1 TV-L gilt der TV EntgO-L, wie sich dessen § 1 entnehmen lässt. Darüber hinaus regelt Abschnitt 4.2 der Anlage zum TV EntgO-L, dass pädagogische und heilpädagogische Unterrichtshilfen und sonderpädagogische Fachkräfte dann Lehrkräfte im Sinne der Anlage sind, wenn sie nach landesrechtlichen Vorschriften Lehrkräfte oder solchen gleichgestellt sind. Unter Abschnitt 4.3 der Anlage zum TV EntgO-L fallen Lehrkräfte in Schulkindergärten oder in Vorschulklassen für schulpflichtige Kinder.
40 bb) Mit diesen Regelungen bewegen sich die Tarifvertragsparteien offenkundig innerhalb des ihnen zustehenden Entscheidungsspielraums. Die Herausnahme der Lehrkräfte gemäß § 44 Nr. 2a TV-L aus dem Geltungsbereich der Entgeltordnung zum TV-L und der Abschluss einer gesonderten Entgeltordnung für diese Beschäftigten ist weder sachwidrig noch willkürlich. Lehrkräfte nehmen im System der Beschäftigten der Länder schon deshalb eine Sonderstellung ein, weil sie sowohl als Arbeitnehmer als auch als Beamte im Schuldienst tätig sein können. Die Eingruppierung von angestellten Lehrern an beamtenrechtlichen Regelungen zu orientieren, ist deshalb sachgerecht und begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 931/12 – Rn. 32; vgl. zur Befugnis der Tarifvertragsparteien, in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes auf die für Beamte geltenden gesetzlichen Bestimmungen zu verweisen, BAG 18. März 2010 – 6 AZR 434/07 – Rn. 21 ff.). Es ist daher aus Gleichbehandlungsgründen auch nicht zu beanstanden, dass die Tarifvertragsparteien die abschließende Bestimmung, wer Lehrkraft im Sinne der Anlage zum TV EntgO-L ist, in Teilen den Bestimmungen der Landesgesetzgeber überlassen hat.
41 cc) Soweit die Klägerin meint, die „Einheitlichkeit der Arbeitsvorgänge des erzieherisch-pädagogischen Fachpersonals“ belege die Vergleichbarkeit der auszuübenden Tätigkeiten der verschiedenen Gruppen, verkennt sie grundlegend den eingruppierungsrechtlichen Begriff des Arbeitsvorgangs. Dieser knüpft an die tatsächliche Ausgestaltung der Tätigkeit eines Beschäftigten an (BAG 9. September 2020 – 4 AZR 195/20 – Rn. 29, BAGE 172, 130; vgl. ausführlich zur Bestimmung eines Arbeitsvorgangs BAG 28. Februar 2018 – 4 AZR 816/16 – Rn. 23 ff., BAGE 162, 81). Diese kann dazu führen, dass die gesamte übertragene Tätigkeit als einheitlicher Arbeitsvorgang anzusehen und insoweit nach dem für den Beschäftigten einschlägigen Tätigkeitsmerkmal zu bewerten ist(vgl. nur BAG 20. Mai 2009 – 4 AZR 184/08 – Rn. 18). Die Tarifvertragsparteien haben aber unterschiedliche Eingruppierungsmerkmale für die in die S-Entgeltgruppen übergeleiteten Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst einerseits und die Lehrkräfte andererseits geschaffen. Darum geht die Annahme der Klägerin fehl, Sozialarbeiter und Pädagogen seien stets gleich einzugruppieren.
42 dd) Der Inhalt der von der Klägerin in Bezug genommenen Runderlasse 21-13 Nr. 6 (Beschäftigung von Fachkräften für Schulsozialarbeit) und 21-13 Nr. 12 (Multiprofessionelle Teams an Förderschulen) des Ministeriums für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen kann schon deshalb nicht zur Gleichheitswidrigkeit der tariflichen Regelungen führen, weil sie nicht Gegenstand des Tarifvertrags sind und nicht von demselben Normgeber stammen (vgl. BAG 25. Januar 2024 – 6 AZR 363/22 – Rn. 50). Vor diesem Hintergrund führt auch die Verfahrensrüge, das Landesarbeitsgericht habe im Hinblick auf die Nichtberücksichtigung der Runderlasse seine Hinweispflicht gemäß § 139 ZPO verletzt, nicht zum Erfolg. Der mögliche Verfahrensfehler war nicht entscheidungserheblich. Auch unter Berücksichtigung des ergänzenden Vorbringens der Klägerin aus der Revisionsbegründung läge kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vor.
43 ee) Unterstellt man zugunsten der Klägerin, dass die von ihr behauptete Vergleichbarkeit der pädagogischen Berufsgruppen besteht, wäre gleichwohl unklar, welche der Berufsgruppen – Fachkräfte für Schulsozialarbeit im Sozial- und Erziehungsdienst einerseits und sozialpädagogische Mitarbeiter in der Schuleingangsphase an Grund- und Förderschulen sowie Fachkräfte aus den anderen pädagogischen Berufsgruppen im Rahmen von multiprofessionellen Teams andererseits – benachteiligt werden. Ein Verstoß einer tariflichen Regelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG setzte voraus, dass die tarifliche Regelung gerade die Gruppe der Fachkräfte für Schulsozialarbeit benachteiligt, der die Klägerin angehört. Die Klägerin hat jedoch lediglich ihre persönliche Benachteiligung behauptet, nicht die Benachteiligung der gesamten Vergleichsgruppe.
44 ff) Die Klägerin kann einen Verstoß des § 29e TVÜ-Länder gegen den Gleichheitssatz schließlich nicht damit begründen, dass die Vorschrift den von ihr erfassten Beschäftigten kein Antragsrecht gewähre, ein solches in anderen Überleitungsregelungen aber vorgesehen sei. Bei der Überleitung nach § 29e TVÜ-Länder einerseits und etwa den §§ 29a und 29d TVÜ-Länder andererseits handelt es sich offensichtlich um gänzlich unterschiedliche Sachverhalte, zwischen denen keine Vergleichbarkeit besteht.
45 6. Auf einen Verstoß der Überleitungsregelungen gegen § 7 Abs. 1, Abs. 2 iVm. § 1 AGG und damit auf eine unzulässige Altersdiskriminierung rentennaher Beschäftigter kann sich die Klägerin bereits deshalb nicht stützen, weil sie selbst nicht vorbringt, zur Gruppe der von ihr als rentennah angesehenen Beschäftigten zu gehören und damit Träger des aus ihrer Sicht verpönten Merkmals zu sein. Sie hat damit eine eigene Benachteiligung nicht behauptet (vgl. zu diesem Erfordernis BAG 15. November 2012 – 6 AZR 359/11 – Rn. 37).
46 III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.