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Arbeitsrecht
03.06.2009
Arbeitsrecht
BAG: Tarifvertragliche Ausschlussfrist und Mehrarbeitszuschläge (Entscheidungsreport von Dr. Stefan Vetter)

BAG, Urteil vom 14.1.2009 - 5 AZR 246/08

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LEITSÄTZE DES BEARBEITERS


1.         Bezieht sich eine im Manteltarifvertrag geregelte Ausschlussfrist auf die Geltendmachung von „Ansprüchen auf Zahlung von Gehalt oder Lohn", werden hiervon mangels entgegenstehender Anhaltspunkte nicht nur Ansprüche aus dem Gehalts- und Lohntarifvertrag, sondern auch Entgeltansprüche aus dem Manteltarifvertrag selbst, etwa Ansprüche auf Mehrarbeitszuschläge, umfasst.


2.         Die Nichtanwendung der tariflichen Ausschlussfrist bei „vorsätzlicher untertariflicher Bezahlung" des Arbeitgebers betrifft - wie die Ausschlussfrist selbst - im Zweifel alle tariflichen Vergütungsansprüche und setzt die Kenntnis des Arbeitgebers vom konkreten tariflichen Anspruch und das Bewusstsein, tarifwidrig zu handeln, voraus. Auf den Willen zur untertariflichen Bezahlung kommt es hingegen nicht an.


ZUSAMMENFASSUNG


Die Klägerin erhob gegen ihre Arbeitgeberin Zahlungs- und Stufenklage in Bezug auf tarifliche Mehrarbeitszuschläge. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beidseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel im Bundesland Brandenburg (MTV) Anwendung, der Zuschläge für Mehrarbeit vorsieht. Daneben besteht ein gesonderter Gehalts- und Lohntarifvertrag. § 18 MTV regelt Ausschlussfristen. Danach verfallen „Ansprüche auf Zahlung von Gehalt oder Lohn", wenn sie nicht fristgerecht schriftlich geltend gemacht werden. Als Ausnahme hiervon gilt: „Vorsätzliche untertarifliche Bezahlung fällt nicht hierunter. Sie liegt vor, wenn ein/e Arbeitgeber/in in Kenntnis des Gehalts- und Lohntarifs unter Tarif bezahlt." Unabhängig vom Streit, ob Mehrarbeit vorlag, hatte die Klägerin unstreitig nur einen Teil der Ansprüche fristgerecht geltend gemacht.

Das BAG hat die vollständige Klagabweisung des Landesarbeitsgerichts bestätigt. Ansprüche auf Mehrarbeitszuschläge seien, sofern sie überhaupt entstanden sind, mangels rechtzeitiger Geltendmachung überwiegend nach § 18 MTV verfallen. Dies gelte auch für die Herausgabe- und Auskunftsansprüche. Die Ausschlussklausel erfasse die Arbeitsvergütung insgesamt und damit auch Entgeltansprüche aus dem MTV wie etwa die Mehrarbeitszuschläge. Dies ergebe sich aus dem allgemeinen Sprachgebrauch und der Systematik des MTV. Zudem spreche gerade der Zweck von Ausschlussfristen, Rechtsfrieden und Rechtssicherheit herzustellen, dafür, die Ausschlussfrist auf (nicht selten streitige) Ansprüche auf Mehrarbeitszuschläge anzuwenden, soweit dies im Rahmen des Wortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs liege. Eine „vorsätzliche untertarifliche Bezahlung" der Beklagten, die den Verfall der Ansprüche ausgeschlossen hätte, hat das BAG verneint. Zwar erfasse diese Ausnahmeklausel alle tariflichen Vergütungsansprüche, die auch von der tariflichen Ausschlussfrist erfasst werden. Die Beklagte habe aber nicht vorsätzlich in Kenntnis des Gehalts- und Lohntarifvertrags unter Tarif bezahlt. Dies setze nach dem Tarifvertrag zwar keinen Willen zur untertariflichen Bezahlung voraus. Zu verlangen sei aber - in Bezug auf den konkret geltend gemachten Anspruch - die Kenntnis des tariflichen Anspruchs und das Wissen um die Tarifwidrigkeit. Allein die Kenntnis des Wortlauts der maßgeblichen Tarifregelung reiche nicht aus. Sei die Auslegung der Tarifnorm streitig und ungeklärt, müsse der Arbeitgeber ernsthaft mit der für ihn ungünstigen Auslegung gerechnet haben. Für die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung sei der Arbeitnehmer beweisbelastet, wobei ihm eine abgestufte Darlegungslast zugute kommen könne. In Bezug auf die fristgerecht geltend gemachten Ansprüche sei die Klage ebenfalls abzuweisen gewesen, da die Klägerin diese Ansprüche nicht schlüssig dargelegt habe.


PRAXISFOLGEN


Das BAG hat für die Ausschlussfristen des MTV Einzelhandel für Brandenburg - und vergleichbar auch für Berlin (siehe BAG vom 14.1.2009 - 5 AZR 154/08) - für die Praxis wichtige Auslegungsfragen geklärt und der Ausnahmeregelung der „vorsätzlichen untertariflichen Bezahlung" durch den Arbeitgeber zutreffend enge Grenzen gesetzt. Auch allein bei einer abweichenden Rechtsauffassung des Arbeitnehmers liegt noch keine vorsätzliche untertarifliche Bezahlung vor. Die Entscheidung gibt aber auch wichtige Hinweise für andere tarifliche Ausschlussfristen. Wenn Wortlaut und Systematik des Tarifvertrags nicht ausdrücklich entgegenstehen, kann die Rechtsfriedens- und Rechtssicherheitsfunktion von Ausschlussfristen bei einer Auslegung der Tarifklausel auf in der Praxis oft streitige Ansprüche stärker herangezogen werden.

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