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Arbeitsrecht
15.12.2022
Arbeitsrecht
LAG Nürnberg: Streitwert – Vergleichsmehrwert – Weiterbeschäftigung – Freistellung

LAG Nürnberg, Beschluss vom 11.10.2021 – 2 Ta 80/21

Volltext: BB-Online BBL2022-2995-4

Leitsatz

Die Vereinbarung einer Freistellung führt nicht zu einem Vergleichsmehrwert, wenn sie nur Teil der Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits ist.

 

Sachverhalt

A.

Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Klägervertreter gegen den Streitwertbeschluss des Arbeitsgerichts vom 20.07.2021, in dem der Streitwert für das Verfahren auf 11.931,00 € und der überschießende Vergleichswert auf 8.798,79 € festgesetzt worden ist.

Gegenstand der Klage vom 16.06.2021 war eine Kündigung der Beklagten vom 26.05.2021 zum 31.12.2021, ein allgemeiner Feststellungsantrag und ein Weiterbeschäftigungsantrag. Das Bruttomonatsgehalt des Klägers betrug 3.977,00 €. Das Verfahren endete durch Vergleich vom 20.07.2020. Die Parteien einigten sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2021 und die Freistellung des Klägers ab dem 01.09.2021 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Neben der Zahlung einer Abfindung beinhaltet der Vergleich außerdem die Verpflichtung der Beklagten, ein Weihnachtsgeld in Höhe von 2.139,29 € brutto und ein Urlaubsgeld in Höhe von 2.682,50 € brutto zu bezahlen und ein sehr gutes Zwischen- und Endzeugnis zu erteilen.

Das Arbeitsgericht bewertete den Kündigungsschutzantrag mit drei Bruttomonatsgehältern und setzte in dieser Höhe den Verfahrenswert fest. Für den überschießenden Vergleichswert setzte das Gericht neben den vereinbarten Zahlungsbeträgen ein Bruttomonatsgehalt für die Einigung hinsichtlich des Zeugnisses fest.

Mit Schriftsatz vom 22.07.2021 legten die Klägervertreter hiergegen Beschwerde ein. Sie sind der Auffassung, dass der Weiterbeschäftigungsantrag im Rahmen des Verfahrensstreitwerts mit einem weiteren Bruttomonatsgehalt zu berücksichtigen sei. Darüber hinaus sei für die Vereinbarung der Freistellung auch der Vergleichsmehrwert um ein Bruttomonatsgehalt zu erhöhen.

Das Arbeitsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 26.07.2021 nicht ab und legte das Verfahren dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vor. Wegen der Einzelheiten wird auf den Nichtabhilfebeschluss (Blatt 33, 34 der Akten) verwiesen.

Das Landesarbeitsgericht gab den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Beklagte teilte mit, eine Stellungnahme werde nicht abgegeben. Die Klägervertreter nahmen mit Schriftsatz vom 07.10.2021 unter Aufrechterhaltung und weiterer Vertiefung ihrer Rechtsansicht Stellung. Der Weiterbeschäftigungsantrag sei zu bewerten, da er unbedingt gestellt worden sei. Im Rahmen der Vergleichsverhandlungen habe der Kläger zunächst eine Freistellung von sieben Monaten verlangt, die Beklagte habe eine Freistellung von drei Monaten angeboten. Schließlich habe man sich auf eine viermonatige Freistellung geeinigt. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 54-57 der Akten verwiesen.

Aus den Gründen

B.

I. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richtet sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist. Dies gilt auch für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts (LAG Nürnberg 28.05.2020 - 2 Ta 76/20 juris; 24.02.2016 - 4 Ta 16/16 juris mwN). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,- €. Die Beschwerde ist innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG. Die Klägervertreter können aus eigenem Recht Beschwerde einlegen, § 32 Abs. 2 RVG.

II. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Weder der Weiterbeschäftigungsantrag noch die Vereinbarung über die Freistellung erhöhen den Streitwert.

Die seit 01.01.2020 für Streitwertbeschwerden allein zuständige Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Nürnberg folgt grundsätzlich den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission. Diese sind im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit niedergelegt (derzeitige Fassung vom 09.02.2018, NZA 2018, 498). Der Streitwertkatalog entfaltet zwar keine Bindungswirkung. Er stellt aber aus Sicht des erkennenden Gerichts eine ausgewogene mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmende Orientierung für die Arbeitsgerichte dar.

1. Das Arbeitsgericht hat den Streitwert für das Verfahren zu Recht mit drei Monatsgehältern bewertet.

a. Der Streit um den Bestand des Arbeitsverhältnisses ist gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG mit maximal einem Vierteljahreseinkommen zu bewerten.

b. Den Weiterbeschäftigungsantrag hat das Arbeitsgericht zu Recht nicht bewertet. Nach ständiger Rechtsprechung des LAG Nürnberg (z.B. 19.03.2020 - 2 Ta 15/20; 08.07.2016 - 4 Ta 78/16) und anderer Landesarbeitsgerichte ist der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung streitwerterhöhend nur dann gemäß § 45 Abs. 4 iVm. Abs. 1 Satz 2 GKG zu berücksichtigen, wenn über ihn entschieden worden ist, wenn der Antrag in einem Vergleich sachlich mitgeregelt wird und dieser eine Regelung über ihn enthält oder wenn der Antrag ausdrücklich als unbedingter Hauptantrag gestellt worden ist (vgl. BAG 13.08.2014 - 2 AZR 871/14 Rn 4, juris; 30.08.2011 - 2 AZR 668/11, juris; LAG Niedersachsen 24.01.2020 - 8 Ta 13/20 Rn 7 mit zahlreichen Nachweisen, juris). Dies deckt sich auch mit Ziff. I Nr. 18 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit. Im Zweifel ist der Weiterbeschäftigungsantrag im wohlverstandenen Kosteninteresse der Partei, dem der Rechtsanwalt verpflichtet ist, als Hilfsantrag auszulegen (LAG Nürnberg 08.07.2016 - 4 Ta 78/16; LAG Niedersachsen 24.01.2020 - 8 Ta 13/20).

Im vorliegenden Fall ist der Weiterbeschäftigungsantrag zwar nicht als Hilfsantrag formuliert. Andererseits ist er auch nicht ausdrücklich entgegen dem Kosteninteresse der Partei als unbedingter Hauptantrag angekündigt. Auch aus der Begründung ergibt sich dies nicht. Da somit Zweifel verblieben sind, war der Antrag als Hilfsantrag auszulegen. Da das Verfahren durch Vergleich endete, erging über ihn keine Entscheidung.

Der Weiterbeschäftigungsantrag fiel wertmäßig auch nicht wegen der Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich gem. § 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 GKG an. Denn ihn betreffend haben die Parteien im Vergleich keine Vereinbarung getroffen, die mit einer gerichtlichen Entscheidung im Rahmen des § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG vergleichbar wäre (vgl. BAG v. 13.08.2014 - 2 AZR 871/12). Dies wäre nur dann der Fall, wenn ein über den Entlassungstermin der angegriffenen Kündigung hinausgehender Bestand des Arbeitsverhältnisses verabredet worden wäre (vgl. LAG Nürnberg a.a.O.). Nach Ziffer 1 des Vergleichs wird das Arbeitsverhältnis jedoch durch die angegriffene Kündigung zum 31.12.2021, dem beabsichtigten Entlassungstermin, beendet.

2. Auch den Vergleichsmehrwert hat das Arbeitsgericht zutreffend festgesetzt. Der Vergleichsmehrwert war nicht wegen der vereinbarten Freistellung um ein Monatsgehalt zu erhöhen.

a. Hinsichtlich der Einigung auf die Zahlung von Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und Zeugniserteilung haben die Beschwerdeführer keine Einwendungen gegen die Festsetzung erhoben.

b. Die Vereinbarung über die Freistellung war wertmäßig nicht zu berücksichtigen.

aa. Eine Einigungsgebühr für die anwaltliche Tätigkeit fällt gem. Nr. 1000 VV RVG (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages an, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis oder einen Rechtsanspruch beseitigt wird. Dem tragen die Regelungen für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts in Ziffer I Nr. 25.1 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit Rechnung, wonach ein Vergleichsmehrwert nur festzusetzen ist, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Dabei muss gerade über die Frage eines Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweilige Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben; keine Werterhöhung tritt ein, wenn es sich lediglich um eine Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt. Abzustellen ist auf die Umstände zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses. Nur wenn eine Partei sich eines Anspruchs auf oder eines Rechts zur Freistellung berühmt hat, wird die Freistellungsvereinbarung mit bis zu 1 Monatsvergütung bewertet (Ziff. I. Nr. 25.1.4 Streitwertkatalog).

bb. Im vorliegenden Fall hatten sich die Parteien nach dem erläuternden Sachvortrag auf die Freistellung ab 01.09.2021 geeinigt, nachdem der Kläger im Rahmen der Vergleichsverhandlungen eine sofortige Freistellung verlangt hat und die Beklagte zunächst keine, dann eine dreimonatige Freistellung angeboten hatte. Mit dieser Einigung ist aber kein weiterer Streit oder eine weitere Ungewissheit beseitigt worden. Der Kläger hat sich nicht eines Anspruchs auf Freistellung während der Kündigungsfrist berühmt, vielmehr war die Freistellung lediglich als Teil der Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits vereinbart, etwa nach dem Motto: Wenn ich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses akzeptiere, dann will ich auch nicht mehr arbeiten müssen. Das ist nicht die Geltendmachung oder des sich Berühmens eines Anspruchs.

C.

Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.

Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.

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