LAG Düsseldorf: Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage i.S.v. § 4 KSchG – sog. „Ausklammerung“
LAG Düsseldorf, Beschluss vom 25.1.2021 - 4 Ta 401/20
ECLI:DE:LAGD:2021:0125.4TA401.20.00
Volltext: BB-Online BBL2021-627-3
Amtlicher Leitsatz
1. Der Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG kann im Rechtsstreit i.d.R. nicht eingeschränkt werden auf die isolierte Feststellung, dass diese Kündigung ein "möglicherweise noch bestehendes Arbeitsverhältnis nicht beendet hat" (sog. "Ausklammerung"). Dies entspräche weder dem allein vom Kläger zu bestimmenden Klageziel noch ließe es sich im Wege eines zulässigen Teilurteils (§ 301 ZPO) herstellen noch bestünde für ein solches hypothetisches Gutachten ein Rechtsschutzbedürfnis (Abgrenzung zu BAG 22.11.2012 - 2 AZR 732/11, juris, Rn. 20).
2. In Bestandsschutzsachen i.S.v. § 61a Abs. 1 ArbGG kommt eine Aussetzung i.d.R. erst in Betracht, wenn der über die Aussetzung nach Maßgabe des § 55 Abs. 1 Nr. 8 ArbGG allein entscheidende Vorsitzende aufgrund vorläufiger Einschätzung positiv von der tatsächlichen und nicht nur möglichen Vorgreiflichkeit i.S.v. § 148 ZPO ausgeht. Diese Einschätzung kann i.d.R. nicht erfolgen, bevor dem kün-digenden Beklagten Gelegenheit zur Begründung der Kündigung und dem gekündigten Kläger zur Erwiderung gegeben wurde.
3. Zur Ermessensabwägung nach § 148 ZPO im Einzelfall.
Sachverhalt
I.
Die sofortige Beschwerde des Beklagten wendet sich gegen die Aussetzung des Verfahrens durch das Arbeitsgericht gemäß § 148 ZPO.
Der Kläger ist Pilot und war bei der Air C. PLC & Co (Schuldnerin) bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin am 01.11.2017 kündigte der beklagte Insolvenzverwalter -noch als Sachwalter bei angeordneter Eigenverwaltung - das Arbeitsverhältnis des Klägers (ebenso das etwa 6.000 weiterer Arbeitnehmer) mit Schreiben vom 28.11.2017 zum 28.02.2018. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage des Klägers hatte vor Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht keinen Erfolg und schwebt noch in der Revisionsinstanz (6 AZR 178/19). Das Bundesarbeitsgericht hat am 13.02.2020 in mehreren Parallelverfahren mit identischen Sachverhalten entschieden, dass die streitbefangenen Kündigungen des Cockpitpersonals der Schuldnerin vom 28.11.2017 unwirksam sind (vgl. ua. BAG 13.02.2020 - 6 AZR 146/19, juris). Hiergegen hat der Beklagte Verfassungsbeschwerden erhoben und deswegen beim Bundesarbeitsgericht die Aussetzung der noch nicht entschiedenen Parallelverfahren, auch des Klägers, angeregt. Der Kläger hat dieser Anregung widersprochen. In einem dieser Parallelverfahren hat das Bundesarbeitsgericht mit Blick auf die Verfassungsbeschwerde die Verhandlung bis zum 31.03.2022 ausgesetzt (BAG 10.09.2020 - 6 AZR 136/19 (A), juris).
Am 27.08.2020 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut, diesmal zum 30.11.2020. Das Arbeitsgericht hat die Verhandlung über die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage des Klägers mit dessen Einverständnis durch Beschluss vom 26.10.2020 gemäß § 148 ZPO ausgesetzt, da über die Kündigung vom 28.11.2017 noch nicht rechtskräftig entschieden, diese aber im vorliegenden Rechtsstreit vorgreiflich sei. Im Rahmen seines Ermessens hat es der Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen sowie dem Aspekt der Prozesswirtschaftlichkeit Vorrang vor dem Beschleunigungsgrundsatz beigemessen. Eine Klageerwiderung hat es nicht abgewartet. Ebenso ist es in mehreren Parallelverfahren vorgegangen.
Gegen den ihm am 03.11.2020 zugestellten Beschluss wendet sich die am 17.11.2020 beim Arbeitsgericht eingegangene sofortige Beschwerde des Beklagten. Er rügt eine fehlerhafte Ermessensausübung. Das Arbeitsgericht habe den Beschleunigungsgrundsatz zu gering bewertet, insbesondere nicht berücksichtigt, dass seit der ersten Kündigung vom 28.11.2017 bereits mehr als drei Jahre vergangen seien. Der Beklagte benötige baldige Rechtsklarheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, damit das Insolvenzverfahren ordnungsgemäß abgewickelt werden könne. Zudem könne der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen dadurch begegnet werden, dass im vorliegenden Rechtsstreit die Frage, ob bei Zugang der Kündigung ein Arbeitsverhältnis bestanden habe, gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgeklammert werde (BAG 22.11.2011 - 2 AZR 732/11, juris, Rn. 20).
Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie der Beschwerdekammer zur Entscheidung vorgelegt.
Aus den Gründen
II.
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde des Beklagten ist in der Sache begründet. Die Aussetzung des Verfahrens durch das Arbeitsgericht kommt derzeit bereits deshalb nicht in Betracht, weil die Vorgreiflichkeit des beim Bundesarbeitsgericht anhängigen Rechtsstreits über die Kündigung vom 28.11.2017 für das vorliegende Verfahren auf der bisherigen Tatsachengrundlage nicht festgestellt werden kann.
1. Gemäß § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Rechtsstreits auszusetzen ist. Die Aussetzung der Verhandlung setzt damit Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtsstreit oder dem Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung im Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus (aM, vgl. Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., § 148 Rdn. 5 mwN).
Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gegen eine Aussetzungsentscheidung nach § 148 ZPO ist für die Prüfung der Vorgreiflichkeit die Ansicht der Vorinstanz über die im ausgesetzten Rechtsstreit maßgeblichen Rechtsfragen zugrunde zu legen, sofern der Mangel der Entscheidungserheblichkeit nicht offensichtlich ist. Die Auffassung des aussetzenden Gerichts kann insoweit nur im Rechtsmittelverfahren gegen die spätere Sachentscheidung überprüft werden (Zöller/Greger, ZPO 33. Aufl. § 252 Rn. 3 mwN). Ob aber auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Beurteilung des aussetzenden Gerichts ein Aussetzungsgrund vorliegt, ist eine davon zu unterscheidende Frage, deren Überprüfung im von § 252 ZPO eröffneten Beschwerdeverfahren uneingeschränkt vorzunehmen ist (BAG 26.10.2009 - 3 AZB 24/09, NZA 2009, 1436, Rn. 9).
Bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung, ob das Verfahren bei Vorliegen der Vorgreiflichkeit ausgesetzt werden soll, hat das Beschwerdegericht den Entscheidungsspielraum des Erstgerichts zu achten (MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 252 Rn 26). Seiner Prüfung unterliegt insoweit lediglich, ob das Erstgericht die Grenzen des ihm durch § 148 ZPO eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens bei der Anordnung der Aussetzung überschritten hat (OLG Düsseldorf - 2 W 26/84, NJW 1985, 1966). Es hat die angegriffene Entscheidung zunächst nur auf etwaigen Missbrauch des Ermessens zu überprüfen (Musielak, ZPO, 3. Aufl., Rn 4 zu § 252), das heißt darauf, ob sich das Erstgericht von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte in seine Entscheidung einbezogen hat (Dahlem/Wiesner, NZA-RR 2001, 173). Solange dies nicht der Fall ist, fehlt dem Beschwerdegericht die Befugnis, sein Ermessen an die Stelle des dem Erstgericht eingeräumten Ermessens zu setzen (OLG Düsseldorf - 2 W 26/84, NJW 85, 1967). Da der Ermessensspielraum des § 148 ZPO weit ist, wird ein Ermessensfehlgebrauch nur in besonderen Ausnahmefällen vorliegen (OLG Düsseldorf, aaO).
2. In Anwendung dieser Grundsätze ist die Aussetzung der Verhandlung durch das Arbeitsgericht beschwerderechtlich zu beanstanden. Auf der bisherigen Tatsachengrundlage kann die Vorgreiflichkeit des beim Bundesarbeitsgericht anhängigen Rechtsstreits über die Kündigung vom 28.11.2017 für das vorliegende Verfahren nicht festgestellt werden.
a. Allerdings hat das Arbeitsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass der Rechtsstreit über eine zeitlich früher wirkende Kündigung für den Rechtsstreit über die später wirkende Kündigung vorgreiflich sein kann. Denn Streitgegenstand einer den §§ 4, 13 KSchG entsprechenden Klage ist die Frage, ob ein Arbeitsverhältnis aus Anlass einer ganz bestimmten Kündigung zu dem beabsichtigten Termin aufgelöst worden ist. Mit der Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils ist festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung zu dem bestimmten Termin nicht aufgelöst worden ist. Außerdem steht - jedenfalls in aller Regel - in Rechtskraft fest, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat (vgl. BAG 27.04.2006 - 2 AZR 360/05, juris, Rn. 16 f. mwN). Diese Feststellung kann das Arbeitsgericht aber grundsätzlich nur nach (inzidenter) Prüfung der Wirksamkeit der früheren Kündigung treffen, die Gegenstand des vorgreiflichen Rechtsstreits ist.
b. Auf der bisherigen Tatsachengrundlage lässt sich aber nicht positiv abschätzen, ob das beim Bundesarbeitsgericht anhängige Verfahren der Parteien über die Kündigung vom 28.11.2017 für den Rechtstreit tatsächlich vorgreiflich ist. Das wäre nämlich nicht der Fall, wenn die Kündigung vom 27.08.2020 wirksam ist. In diesem Fall käme es auf die Wirksamkeit der Kündigung vom 28.11.2017 nicht an und es gäbe keinen Grund für eine Aussetzung. Die Klage wäre als unbegründet abzuweisen.
In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit wird aus diesem Grund mit Blick auf den allgemeinen arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 5 ArbGG vor der Aussetzung eines Verfahrens idR die positive Feststellung der Vorgreiflichkeit verlangt (so etwa LAG Schleswig-Holstein 06.05.2009 - 5 Ta 91/09; LAG C.-Brandenburg 09.09.2009 - 13 Ta 1695/09; uU auch die Durchführung einer Beweisaufnahme für erforderlich haltend LAG C.-Brandenburg 26.03.2012 - 6 Ta 402/12, alle juris). Jedenfalls aber in Bestandsschutzsachen, die - wie hier - unter dem besonderen Beschleunigungsgebot des § 61a Abs. 1 ArbGG stehen, kommt eine Aussetzung in der Regel erst dann in Betracht, wenn der über die Aussetzung nach Maßgabe des § 55 Abs. 1 Nr. 8 ArbGG allein entscheidende Vorsitzende aufgrund vorläufiger Einschätzung von der tatsächlichen und nicht nur möglichen Vorgreiflichkeit ausgeht. Diese Einschätzung kann aber nicht erfolgen, bevor dem kündigenden Beklagten Gelegenheit zur Klageerwiderung und dem gekündigten Kläger zur Replik gegeben wurde. Dies ist nicht geschehen.
Die Verhandlung vor dem Arbeitsgericht sollte demgemäß zunächst auf die Wirksamkeit der Folgekündigung vom 27.08.2020 fokussiert werden. Erst wenn diese sich nach vorläufiger Einschätzung des Vorsitzenden nicht erweisen sollte, stellt sich im Lichte des Beschleunigungsgrundsatzes (§ 61a Abs. 1 ArbGG) die Frage der Aussetzung. Das Gleiche dürfte gelten, wenn die Frage der Wirksamkeit der Folgekündigung ausnahmsweise nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand zu beantworten ist.
3. Sollte das Arbeitsgericht nach Prüfung von Klageerwiderung und Replik erneut zu dem Ergebnis gelangen, dass Vorgreiflichkeit im dargestellten Sinn gegeben ist, könnten folgende weitere Gesichtspunkte von Bedeutung sein:
a. Die Frage, ob der Vorgreiflichkeit gemäß der Anregung des Beklagten dadurch ausgewichen werden kann, dass der Streitgegenstand beschränkt und die Frage, ob bei Zugang der Kündigung vom 27.08.2020 noch ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestand, im Urteil "ausgeklammert" wird, entscheidet das Arbeitsgericht als Prozessgericht. Dies ist vom Beschwerdegericht (§ 252 ZPO) grundsätzlich nicht zu überprüfen (vgl. oben Ziff. II. 1., zweiter Absatz). Doch soll darauf hingewiesen werden, dass ein solches Vorgehen mit der Prozessordnung kaum in Einklang stünde.
Der Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage kann im Rechtsstreit nicht eingeschränkt werden auf die isolierte Feststellung, dass diese Kündigung ein "möglicherweise noch bestehendes Arbeitsverhältnis nicht beendet hat". Soweit das Bundesarbeitsgericht unter besonderen Umständen eine solche Beschränkung der Rechtskraft einer vereinzelten arbeitsgerichtlichen Entscheidung angenommen hat (BAG 22.11.2012 - 2 AZR 732/11, juris, Rn. 20), stand nicht die prozessuale Zulässigkeit einer solchen "Ausklammerung" zur Entscheidung, sondern allein die Frage, ob sie dem Urteil tatsächlich zugrunde lag. Eine Beschränkung der Entscheidung in diesem Sinne durch das Gericht dürfte aus prozessualen Gründen ausscheiden. Sie entspräche weder dem allein vom Kläger zu bestimmenden Klageziel noch ließe sie sich im Wege eines zulässigen Teilurteils (§ 301 ZPO) herstellen noch bestünde für ein solches zunächst hypothetisches Gutachten ein Rechtsschutzbedürfnis.
Für eine Ausklammerung im vorgenannten Sinne besteht auch keine Notwendigkeit. Denn das Arbeitsgericht ist wegen der fortbestehenden Anhängigkeit des Rechtsstreits um die Kündigung vom 28.11.2017 grundsätzlich nicht gehindert, den Rechtsstreit um die hier streitige Kündigung vom 27.08.2020 fortzusetzen. Legt es dabei die im Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu der Kündigung vom 28.11.2017 in dem Parallelverfahren (ua. BAG 13.02.2020 - 6 AZR 146/19, juris, Rn. 29 ff.) vertretene Auffassung zugrunde mit der Folge, dass die Kündigung vom 28.11.2017 auch im Falle der Klägerin unwirksam sein dürfte, wird es über die Wirksamkeit der Kündigung vom 27.08.2020 zu entscheiden haben. Folgt es indessen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht und hält bereits die Kündigung vom 28.11.2017 (wie die Vorinstanzen) für wirksam, hat es die Klage gegen die Kündigung vom 27.08.2020 schon mangels eines bei Zugang der Kündigung bestehenden Arbeitsverhältnisses als unbegründet abzuweisen.
Bei stattgebendem Urteil des Arbeitsgerichts erwächst in Rechtskraft, dass am Kündigungstermin 30.11.2020 ein Arbeitsverhältnis bestand und durch die Kündigung vom 28.07.2020 nicht aufgelöst worden ist (BAG 27.04.2006 - 2 AZR 360/05, juris, Rn. 16 f. mwN). Damit wäre auch der beim Bundesarbeitsgericht noch anhängige Rechtsstreit präjudiziert, weil das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses jedenfalls bis zum 30.11.2020 feststünde. Das wäre jedenfalls anzunehmen, wenn das Urteil diese Feststellung - ungeachtet der prozessualen Zulässigkeit eines solchen Vorgehens - nicht deutlich erkennbar von der Entscheidung ausgeklammert hat (BAG 22.11.2012 - 2 AZR 732/11, juris, Rn. 20). Bei Abweisung der Klage stellt sich dagegen kein Rechtskraftproblem. Der erste Rechtsstreit über die Kündigung vom 28.11.2017 wäre fortzusetzen, es stünde aber fest, dass jedenfalls über den Kündigungstermin der Folgekündigung vom 27.08.2020, also den 30.11.2020, hinaus ein Arbeitsverhältnis nicht mehr besteht.
In beiden Fällen dürfte bei Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Arbeitsgerichts und späterer endgültiger Aufhebung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder der Vorinstanzen im Vorprozess ein Wiederaufnahmeverfahren gemäß § 580 Nr. 6 ZPO ausscheiden, wenn das Arbeitsgericht seine Entscheidung nicht im Sinne dieser Norm auf eine der aufgehobenen Entscheidungen "gegründet" hat. Das ist nur der Fall, wenn dem Urteil des Arbeitsgerichts durch die Aufhebung des in Bezug genommenen Urteils eine der Grundlagen entzogen würde, auf denen es beruht (BGH 21.01.1988 - III ZR 252/86, NJW 1988, 1914, 1915 unter 2 c der Gründe). Dies ist noch nicht der Fall, wenn sich das Arbeitsgericht lediglich bei eigener Prüfung der Auffassung des Bezugsurteils angeschlossen hatte (OLG Karlsruhe 07.09.1993 - U 1/93 RhSch, NJW-RR 1994, 894).
b. Das Arbeitsgericht entscheidet, sobald es mit hinreichender Gewissheit von der Vorgreiflichkeit des Vorprozesses ausgeht (vgl. oben Ziff. II. 2), nach seinem Ermessen über die Aussetzung der Verhandlung gemäß § 148 ZPO. Den Ermessensspielraum des Erstgerichts hat das Beschwerdegericht (§ 252 ZPO) zu achten (vgl. oben Ziff. II. 1, letzter Absatz).
Wegen der Komplexität der Frage sei aber - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - auf folgende Gesichtspunkte hingewiesen:
aa. Das Arbeitsgericht ist in dem Beschluss vom 26.10.2020 zutreffend von den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 05.08.2013 (1 BvR 2965/10, Rn 20, juris) und des Bundesarbeitsgerichts vom 27.04.2006 (2 AZR 360/05, Rn 19 ff., juris) ausgegangen. Hingewiesen wird auch auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.04.2014 (10 AZB 6/14, juris) sowie des Landesarbeitsgerichts Hessen vom 06.07.2020 (15 Ta 181/20, juris, Rn. 14).
Die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO dient den Gesichtspunkten der Prozessökonomie und der Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen. Es ist so genau wie möglich zu prüfen, ob und inwieweit sich diese Ziele durch eine Aussetzung erreichen lassen. Dem sind die mit der Verzögerung des Rechtsstreits verbundenen Nachteile für die Parteien gegenüberzustellen, wobei insoweit wiederum so genau wie möglich die Dauer der Verzögerung und ihre Folgen für jede Partei zu erfassen sind. Dabei kommt auch eine befristete Aussetzung in Betracht (arg. § 150 Satz 1 ZPO, BAG 10.09.2020 - 6 AZR 136/19 (A), juris, Rn 46 f.).
bb. Der Gewinn einer Aussetzung für die Prozessökonomie ergibt sich aus dem Aufwand, der bei einer Fortsetzung des Verfahrens anfiele und durch eine Aussetzung erspart würde. Die zur Entscheidung gestellte Folgekündigung vom 27.08.2020 ist dabei in jedem Fall - zumindest kursorisch - zu prüfen, da sonst schon die Vorgreiflichkeit des Vorprozesses für den Ausgang des Rechtsstreits nicht festgestellt werden kann (vgl. oben Ziff. II. 2. b). Der zusätzliche Aufwand für die gebotene Inzidentprüfung der Kündigung vom 28.11.2017 würde im Falle einer Aussetzung entfallen, wenn über diese Kündigung rechtskräftig und endgültig im Vorprozesses entschieden wäre. Dieser ersparte Aufwand kann wegen der nach wie vor vielfältigen und strittigen Sach- und Rechtsfragen um die Kündigung vom 28.11.2017 erheblich sein. Dabei kann die derzeit gegebene besondere Belastung der Arbeitsgerichtsbarkeit in Folge der Pandemie ins Gewicht fallen. Insoweit wäre auch die - bislang nicht festgestellte - Anzahl der dem Arbeitsgericht anfallenden Verfahren über Folgekündigungen des Beklagten von Bedeutung.
cc. Für den Gesichtspunkt der Vermeidung widerstreitender Entscheidungen käme es u.a. auf den etwaig zu erwartender Ausgang des vorgreiflichen Verfahrens und ggfs. der Grad seiner Wahrscheinlichkeit an. Dabei ist allerdings über den Ausgang der Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts kaum mehr als Spekulation möglich. Zu berücksichtigen sein dürfte aber, dass die aufgrund der Kündigung vom 28.11.2017 aufgeworfenen Fragen auch nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.02.2020 nach wie vor sehr umstritten sind (vgl. dazu die bei juris bisher schon aufgelisteten Anmerkungen und Besprechungen zu BAG 13.02.2020 - 6 AZR 146/19). Das Abwarten der Rechtskraft insoweit hat danach Gewicht für die Vermeidung widerstreitender Entscheidungen.
dd. Für die Bewertung der Verzögerung ist zunächst deren zu erwartende Dauer abzuschätzen. Dabei ist auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen (BVerfG 05.08.2013 - 1 BvR 2965/13, juris, Rn. 20), nicht aber eine vorprozessual verstrichene Zeit, die allein auf der Disposition des Beklagten beruht, nämlich dem späten Ausspruch der Folgekündigung nach fast drei Jahren. Eine Befristung der Aussetzung würde deren Dauer einerseits begrenzen, andererseits aber uU nicht den erhofften Gewinn in Bezug auf Prozessökonomie und Vermeidung widersprüchlicher Urteile bringen. Zu beachten ist hier weiter, dass der Rechtsstreit, dessentwegen das vorliegende Verfahren ausgesetzt werden soll, bereits weit gediehen und beim Bundesarbeitsgericht anhängig ist. Soweit die Verhandlung dort ausgesetzt ist, erfolgte dies nur befristet.
Für die Bewertung der Verzögerung ist von Bedeutung, dass sie hier eine unter besonderem Beschleunigungsgebot stehende Bestandsstreitigkeit betrifft (§ 61a Abs. 1 ArbGG). Dieser Gesichtspunkt verengt allerdings das Ermessen nicht von vornherein und ohne Beachtung der übrigen Aspekte auf eine Versagung der Aussetzung. Es sind möglichst konkret die Folgen der Verzögerung für den Rechtsstreit (etwa Verlust von Beweismitteln) und die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien festzustellen. Auf Seiten des Klägers sind keine nennenswerten Nachteile zu besorgen: Er hat keine Aussichten auf eine Weiterbeschäftigung durch den beklagten Insolvenzverwalter und allenfalls (beschränkte) finanzielle Erwartungen an den Ausgang des Rechtsstreits ohne wirtschaftlich existenzielle Bedeutung (vgl. BAG 10.09.2020 - 6 AZR 136/19 (A), Rn. 48). Demgemäß hat er der Aussetzung zugestimmt.
Der Beklagte hat sich bislang wenig spezifisch auf die Schaffung klarer Verhältnisse zur ordnungsgemäßen Durchführung des Insolvenzverfahrens berufen, ohne dass bislang auch nur vorgetragen wäre, warum und in welchem Maße diese davon abhängig ist und wie viele Verfahren über Folgekündigungen vom 27.08.2020 überhaupt anhängig sind.
3. Im Beschwerderechtszug über die Aussetzung eines Verfahrens ergeht im Erfolgsfall keine Kostenentscheidung; das Beschwerdeverfahren bildet nur einen Bestandteil des Hauptverfahrens (BGH 12.12.2005 - II ZB 30/04, MDR 2006, 704).
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde iSv. §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG bestanden nicht. Die möglicherweise höchstrichterlich klärungsbedürftige Frage, wie weit ein Rechtsstreit unter Beachtung des besonderen Beschleunigungsgrundsatzes (§ 61a Abs. 1 ArbGG) bis zur Feststellung der Vorgreiflichkeit iSv. § 148 ZPO zu betreiben ist, bevor eine Aussetzung in Betracht kommt (vgl. oben Ziff. II. 2. b), war hier noch eindeutig zu beantworten.
Gegen diese Entscheidung ist somit ein Rechtsmittel nicht gegeben.