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Arbeitsrecht
20.08.2008
Arbeitsrecht
BAG: Statusverfahren bei Aufsichtsratswahl

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 16.04.2008
Aktenzeichen: 7 ABR 6/07
Rechtsgebiete: DrittelbG, AktG, EGAktG
Vorschriften:

      DrittelbG § 1 Abs. 1 Nr. 3
      AktG § 96 Abs. 2
      AktG § 97
      AktG § 98
      EGAktG § 27

Bei einem Streit zwischen einem Unternehmen und dem Gesamtbetriebsrat oder Betriebsrat, ob bei einer bislang aufsichtsratslosen GmbH nach den Bestimmungen des Drittelbeteiligungsgesetzes ein Aufsichtsrat zu bilden ist, muss vor der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer ein Statusverfahren nach § 27 EGAktG, § 98 Abs. 1 AktG vor dem dafür allein zuständigen Landgericht durchgeführt werden. Eine zuvor vorgenommene Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer ist nichtig.


BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! BESCHLUSS

7 ABR 6/07

Verkündet am 16. April 2008

In dem Beschlussverfahren

hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Beratung vom 16. April 2008 durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts Dörner, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Gräfl, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Koch sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Spie und Vorbau für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 21. Dezember 2006 - 4 TaBV 61/06 - aufgehoben.

Die Beschwerde des Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat der S GmbH, M, gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 26. Januar 2006 - 19a BV 444/04 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Beschlusses lautet:

Es wird festgestellt, dass die am 30. November 2004 erfolgte Wahl des Arbeitnehmervertreters M im Aufsichtsrat der S GmbH nichtig ist.

Von Rechts wegen!

Gründe:

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl des Beteiligten zu 2) als Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der Antragstellerin.

Die Antragstellerin ist eine Beteiligungsgesellschaft. Ihre Tätigkeit beschränkt sich nach dem Handelsregisterauszug auf die Verwaltung eigener Industriebeteiligungen. Sie beschäftigt - mit Ausnahme eines auf der Grundlage eines Beratervertrags tätigen Prokuristen - keine Mitarbeiter. Die Antragstellerin ist Gesellschafterin der I mbH (I), von deren Stammkapital sie 87,4 % hält. Über weitere Beteiligungen verfügt die Antragstellerin nicht. Zwischen der Antragstellerin und der I besteht ein Beherrschungsvertrag. Die I beschäftigt rund 1.000 Arbeitnehmer. Bei ihr besteht ein nach den Vorschriften über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer gebildeter Aufsichtsrat.

Bei der Antragstellerin war bis November 2004 kein Aufsichtsrat gebildet. Im Februar 2004 hatte der bei der I bestehende Gesamtbetriebsrat einen Hauptwahlvorstand zur Durchführung der Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der Antragstellerin bestellt. Der Hauptwahlvorstand erließ am 15. Oktober 2004 das Wahlausschreiben. Bei der Wahl am 30. November 2004 wurde der Beteiligte zu 2) als Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der Antragstellerin gewählt. Das Wahlergebnis wurde am 1. Dezember 2004 bekannt gegeben. Weitere Aufsichtsratsmitglieder wurden bislang nicht bestellt. Der Gesamtbetriebsrat der I beantragte im Januar 2005 beim Amtsgericht München nach § 104 Abs. 1 AktG die Ergänzung des Aufsichtsrats um zwei Mitglieder. Das Verfahren wurde bis zum Abschluss des vorliegenden Beschlussverfahrens ausgesetzt.

Mit der am 7. Dezember 2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift hat die Antragstellerin die Nichtigkeit der Wahl des Beteiligten zu 2) als Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen des Drittelbeteiligungsgesetzes zur Bildung eines Aufsichtsrats lägen nicht vor, da sie keine Arbeitnehmer beschäftige. § 2 Abs. 2 DrittelbG sei nicht anwendbar. Bei einer arbeitnehmerlosen Konzernmuttergesellschaft sei kein mitbestimmter Aufsichtsrat zu bilden.

Die Antragstellerin hat beantragt,

die Aufsichtsratswahl vom 30. November 2004 für unwirksam zu erklären.

Der Beteiligte zu 2) hat die Zurückweisung des Antrags beantragt.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2) hat das Landesarbeitsgericht den Beschluss des Arbeitsgerichts abgeändert und den Antrag zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Antragstellerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Beteiligte zu 2) beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Wiederherstellung der Entscheidung des Arbeitsgerichts. Die am 30. November 2004 auf der Grundlage des Drittelbeteiligungsgesetzes durchgeführte Wahl des Beteiligten zu 2) als Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der Antragstellerin ist nichtig, da die Voraussetzungen für diese Wahl nicht vorlagen. Vor der Wahl hätte in einem Statusverfahren nach §§ 98, 99 AktG geklärt werden müssen, ob in dem Unternehmen der Antragstellerin nach den Vorschriften des Drittelbeteiligungsgesetzes ein Aufsichtsrat zu bilden ist. Da die Wahl nicht nur anfechtbar, sondern nichtig ist, hat der Senat den Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung zur Klarstellung neu gefasst.

I. 1. Bei dem Antrag handelt es sich trotz des Antragswortlauts nicht um eine 9 Wahlanfechtung iSv. § 11 DrittelbG, sondern ausschließlich um einen Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Wahl. Dies ergibt sich aus der zur Auslegung des Antrags heranzuziehenden Antragsbegründung. Die Antragstellerin hat sich stets darauf berufen, dass die Wahl nichtig sei, weil die Voraussetzungen für die Bildung eines mitbestimmten Aufsichtsrats nach dem Drittelbeteiligungsgesetz in ihrem Unternehmen nicht erfüllt seien und deshalb für die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds der Arbeitnehmer keine Rechtsgrundlage bestehe. Zur Anfechtung der Wahl wäre die Antragstellerin nach § 11 Abs. 2 DrittelbG im Übrigen auch nicht berechtigt. Ein Wahlanfechtungsrecht stünde nach § 11 Abs. 2 Nr. 3 DrittelbG dem zur gesetzlichen Vertretung des Unternehmens befugten Organ, dh. den beiden Geschäftsführern der Antragstellerin, zu. Die Nichtigkeit der Wahl kann hingegen von jedermann jederzeit geltend gemacht werden, sofern hieran ein rechtliches Interesse besteht (vgl. etwa Ulmer/Habersack/Henssler Mitbestimmungsrecht 2. Aufl. § 11 DrittelbG Rn. 9; ErfK/Oetker 8. Aufl. § 11 DrittelbG Rn. 8, jeweils mwN; vgl. zur Betriebsratswahl: BAG 21. Juli 2004 - 7 ABR 57/03 -AP BetrVG 1972 § 4 Nr. 15 = EzA BetrVG 2001 § 4 Nr. 1, zu B II 1 a der Gründe). Dies ist bei der Antragstellerin der Fall.

2. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht neben der Antragstellerin nur den als Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer gewählten M an dem Verfahren beteiligt. Dieser wird durch die zu erwartende Entscheidung in seiner mitbestimmungsrechtlichen Rechtsposition unmittelbar betroffen. Erweist sich die Wahl als nichtig, hat er durch die Wahl nicht die Rechtsstellung eines Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat der Antragstellerin erlangt (vgl. zur Beteiligung im Wahlanfechtungsverfahren: BAG 12. Februar 1985 - 1 ABR 11/84 - BAGE 48, 96 = AP BetrVG 1952 § 76 Nr. 27 = EzA BetrVG 1972 § 19 Nr. 21, zu B I 1 der Gründe). Weitere Personen oder Stellen, insbesondere der bei der I bestehende Gesamtbetriebsrat oder die für die Betriebe der I gewählten einzelnen Betriebsräte, die die Unwirksamkeit der Wahl nicht selbst geltend gemacht haben, sind mangels eigener unmittelbarer mitbestimmungsrechtlicher Betroffenheit von der Entscheidung am Verfahren nicht zu beteiligen (vgl. zu Beteiligung des Betriebsrats im Wahlanfechtungsverfahren: BAG 27. Januar 1993 - 7 ABR 37/92 -BAGE 72, 161 = AP BetrVG 1952 § 76 Nr. 29 = EzA BetrVG 1972 § 76 Nr. 14, zu B I der Gründe).

II. Der Antrag ist begründet. Die am 30. November 2004 erfolgte Wahl des Beteiligten zu 2) als Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer zum Aufsichtsrat der Antragstellerin ist nichtig. Die Voraussetzungen für eine Wahl lagen nicht vor. Da in dem Unternehmen der Antragstellerin bislang kein Aufsichtsrat bestand und zwischen der Antragstellerin und dem bei der I bestehenden Gesamtbetriebsrat streitig ist, ob die Antragstellerin die Voraussetzungen des Drittelbeteiligungsgesetzes zur Bildung eines Aufsichtsrats erfüllt, hätte diese Frage vor der Durchführung einer Wahl nach § 27 EGAktG, § 98 Abs. 1 AktG in einem Statusverfahren bei dem dafür ausschließlich zuständigen Landgericht geklärt werden müssen.

1. In einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG ein Aufsichtsrat zu bilden. Dieser setzt sich nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG, § 96 Abs. 1 AktG aus Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zusammen. Nach § 27 EGAktG sind die unmittelbar nur für Aktiengesellschaften geltenden Regelungen in § 96 Abs. 2, §§ 97 bis 99 AktG auf Gesellschaften mit beschränkter Haftung sinngemäß anzuwenden. Ist streitig oder ungewiss, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist, entscheidet hierüber nach § 98 Abs. 1 Satz 1 AktG auf Antrag ausschließlich das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. Antragsberechtigt für ein derartiges Statusverfahren nach §§ 98, 99 AktG sind ua. der Gesamtbetriebsrat der Gesellschaft oder, wenn in der Gesellschaft nur ein Betriebsrat besteht, der Betriebsrat (§ 98 Abs. 2 Nr. 4 AktG) sowie der Gesamtbetriebsrat eines anderen Unternehmens, dessen Arbeitnehmer nach den gesetzlichen Vorschriften, deren Anwendung streitig oder ungewiss ist, an der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Gesellschaft teilnehmen oder, wenn in dem anderen Unternehmen nur ein Betriebsrat besteht, der Betriebsrat (§ 98 Abs. 2 Nr. 6 AktG). Nach anderen als den zuletzt angewandten gesetzlichen Vorschriften kann der Aufsichtsrat nach § 96 Abs. 2 AktG nur zusammengesetzt werden, wenn die in der Bekanntmachung des Vorstands nach § 97 AktG oder die in der gerichtlichen Entscheidung in einem Statusverfahren nach §§ 98, 99 AktG angegebenen gesetzlichen Vorschriften anzuwenden sind.

2. Im Streitfall ist zwar nicht streitig oder ungewiss, nach welchen gesetzlichen Vorschriften ein bei der Antragstellerin zu bildender Aufsichtsrat zusammenzusetzen wäre. Dafür kommen bei der in der Rechtsform einer GmbH betriebenen Antragstellerin, bei der in der Vergangenheit kein Aufsichtsrat bestanden hat, nur die Vorschriften des Drittelbeteiligungsgesetzes in Betracht. Zwischen der Antragstellerin und dem bei der I bestehenden Gesamtbetriebsrat ist jedoch streitig, ob die Voraussetzungen des Drittelbeteiligungsgesetzes für die Bildung eines Aufsichtsrats bei der Antragstellerin vorliegen, was nur der Fall sein könnte, wenn die bei der von der Antragstellerin auf Grund eines Beherrschungsvertrags abhängigen I beschäftigten rund 1.000 Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 DrittelbG als Arbeitnehmer der Antragstellerin anzusehen wären. Diese Frage kann nicht in dem vorliegenden, auf Feststellung der Nichtigkeit der Wahl des Aufsichtsratsmitglieds der Arbeitnehmer gerichteten arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren entschieden werden. Die in § 27 EGAktG angeordnete sinngemäße Anwendung von § 96 Abs. 2, §§ 97 bis 99 AktG auf Gesellschaften mit beschränkter Haftung erfasst auch die erstmalige Bildung eines Aufsichtsrats bei einer GmbH. Ist streitig oder ungewiss, ob bei einer bislang aufsichtsratslosen GmbH überhaupt ein Aufsichtsrat zu bilden ist, ist diese Frage vorab in einem Statusverfahren nach §§ 98, 99 AktG zu klären (vgl. etwa Ulmer/Habersack/Henssler Mitbestimmungsrecht 2. Aufl. § 6 MitbestG Rn. 11; WWKK/Kleinsorge Mitbestimmungsrecht 3. Aufl. § 1 DrittelbG Rn. 18; MünchArbR/Wißmann 2. Aufl. § 376 Rn. 3; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck GmbHG 18. Aufl. § 52 Rn. 15; Scholz/Schneider GmbHG 9. Aufl. § 52 Rn. 35; Göz ZIP 1998, 1523, 1524). Es ist in einem derartigen Fall nicht zulässig, ohne vorheriges Statusverfahren ein Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer zu wählen und beim Amtsgericht nach § 104 AktG die Ergänzung des Aufsichtsrats um weitere Mitglieder zu beantragen (so aber Fitting BetrVG 21. Aufl. § 77 Rn. 11; Hachenburg/Raiser GmbHG 8. Aufl. § 52 Rn. 161; Lutter/Hummelhoff GmbHG 16. Aufl. § 52 Rn. 22). Dies wäre mit Sinn und Zweck des nach § 96 Abs. 2 AktG geltenden Kontinuitätsprinzips und des in §§ 98, 99 AktG bestimmten Statusverfahrens nicht zu vereinbaren.

a) § 98 Abs. 1 AktG regelt ausdrücklich nur den Fall, dass streitig oder ungewiss ist, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist. Die unmittelbar nur für Aktiengesellschaften geltende Bestimmung trifft keine ausdrückliche Regelung darüber, ob das Statusverfahren nach §§ 98, 99 AktG auch dann durchzuführen ist, wenn streitig oder ungewiss ist, ob bei der Gesellschaft überhaupt ein Aufsichtsrat zu bilden ist. Dies beruht darauf, dass eine derartige Streitigkeit oder Ungewissheit bei einer Aktiengesellschaft nicht auftreten kann, weil bei einer Aktiengesellschaft die Bildung eines Aufsichtsrats stets und ausnahmslos obligatorisch ist. Demgegenüber ist bei einer GmbH die Bildung eines Aufsichtsrats nicht zwingend vorgesehen. Ein Aufsichtsrat wird bei einer GmbH nur gebildet, wenn die Satzung dies bestimmt (§ 52 Abs. 1 GmbHG) oder wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bildung eines mitbestimmten Aufsichtsrats, zB nach dem Mitbestimmungsgesetz oder nach dem Drittelbeteiligungsgesetz, vorliegen. Bereits dieser Unterschied zwischen der Aktiengesellschaft und der GmbH legt es nahe, die Verweisung in § 27 EGAktG auf § 96 Abs. 2, §§ 97 bis 99 AktG so zu verstehen, dass ein Statusverfahren auch dann durchzuführen ist, wenn Streit oder Ungewissheit darüber besteht, ob die Voraussetzungen für die Bildung eines Aufsichtsrats bei einer bislang aufsichtsratslosen GmbH überhaupt gegeben sind. Dies wird für den Anwendungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes durch § 6 Abs. 2 Satz 1 MitbestG bestätigt. Aus der Verweisung in § 6 Abs. 2 Satz 1 MitbestG auf §§ 98, 99 AktG nicht nur hinsichtlich der Zusammensetzung, sondern auch hinsichtlich der Bildung des Aufsichtsrats ergibt sich, dass das Statusverfahren auch durchzuführen ist, wenn streitig ist, ob bei der Gesellschaft überhaupt ein Aufsichtsrat zu bilden ist (vgl. hierzu etwa WWKK/Kleinsorge Mitbestimmungsrecht 3. Aufl. § 1 DrittelbG Rn. 18; MünchArbR/Wißmann 2. Aufl. § 376 Rn. 2). Die im Streitfall maßgebliche Regelung in § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG verweist nach ihrem Wortlaut zwar nur hinsichtlich der Zusammensetzung des Aufsichtsrats und seiner Rechte und Pflichten ua. auf §§ 98, 99 AktG. Die Bildung des Aufsichtsrats wird in § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG - anders als in § 6 Abs. 2 Satz 1 MitbestG - nicht erwähnt. Aus der unterschiedlichen Formulierung der Vorschriften kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die Frage, ob ein Aufsichtsrat nach dem Drittelbeteiligungsgesetz zu bilden ist, anders als bei einem nach dem Mitbestimmungsgesetz zu bildenden Aufsichtsrat nicht in einem Statusverfahren zu klären ist. Die Regelungen in § 6 Abs. 2 MitbestG und in § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG sind sprachlich insgesamt zu unterschiedlich gefasst, um aus dem Wortlaut der Vorschriften derartige Schlussfolgerungen ziehen zu können. Aus Sinn und Zweck der Bestimmungen in § 96 Abs. 2, §§ 97 bis 99 AktG und der Verweisung in § 27 EGAktG ergibt sich vielmehr die Erforderlichkeit eines vorherigen Statusverfahrens auch zur Klärung der Frage, ob bei einer bislang aufsichtsratslosen GmbH ein Aufsichtsrat nach dem Drittelbeteiligungsgesetz zu bilden ist.

aa) Nach § 96 Abs. 2 AktG gilt hinsichtlich der Zusammensetzung des Aufsichtsrats das Kontinuitätsprinzip, dh. der Aufsichtsrat wird stets nach den zuletzt angewandten gesetzlichen Vorschriften zusammengesetzt. Abweichungen hiervon sind erst nach Durchführung des in §§ 97 bis 99 AktG bestimmten Verfahrens zulässig.

Nach § 97 Abs. 1 AktG hat der Vorstand der Gesellschaft, wenn er die Auffassung vertritt, dass die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nicht der Rechtslage entspricht, dies in den Gesellschaftsblättern und durch Aushang in sämtlichen Betrieben der Gesellschaft und ihrer Konzernunternehmen bekannt zu machen. Gleichzeitig hat er darauf hinzuweisen, nach welchen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammengesetzt wird, wenn nicht Antragsberechtigte nach § 98 Abs. 2 AktG innerhalb eines Monats das nach § 98 Abs. 1 AktG zuständige Landgericht anrufen. Wird das Landgericht nicht angerufen, ist der neue Aufsichtsrat nach § 97 Abs. 2 Satz 1 AktG entsprechend der Ankündigung des Vorstands zusammenzusetzen. Andernfalls entscheidet das Landgericht nach §§ 98, 99 AktG. Ist von vornherein streitig oder ungewiss, nach welchen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist, kann nach § 98 Abs. 1 AktG unmittelbar eine Entscheidung des Landgerichts beantragt werden.

Diesen Vorschriften ist zu entnehmen, dass bei der Bildung des Aufsichtsrats vor einem Abweichen von der bisherigen Praxis zunächst eine für alle Beteiligten verbindliche Klärung darüber herbeizuführen ist, nach welchen Regelungen der Aufsichtsrat künftig zusammenzusetzen ist. Entsprechendes gilt auf Grund der Verweisung in § 27 EGAktG für die Bildung eines Aufsichtsrats bei einer GmbH. Die Vorschrift ordnet - ohne Beschränkung auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats - die sinngemäße Anwendung von § 96 Abs. 2, §§ 97 bis 99 AktG auf Gesellschaften mit beschränkter Haftung an. Damit verweist die Vorschrift auch auf das Kontinuitätsprinzip in § 96 Abs. 2 AktG. Bestand bei einer GmbH bislang kein Aufsichtsrat, kann nach dem Kontinuitätsprinzip hiervon nur nach Durchführung des in §§ 97 bis 99 AktG vorgesehenen Verfahrens abgewichen werden. Sieht die Geschäftsführung einer bislang aufsichtsratslosen GmbH für die Bildung eines Aufsichtsrats nach dem Drittelbeteiligungsgesetz keine Veranlassung und leitet sie kein Verfahren nach § 97 AktG ein, können ua. der Gesamtbetriebsrat oder der Betriebsrat nach § 98 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 6 AktG eine gerichtliche Entscheidung in einem Statusverfahren nach § 98 Abs. 1 AktG beantragen. Erst nach einer entsprechenden Entscheidung des ausschließlich zuständigen Landgerichts können die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer gewählt werden.

bb) Diese Auslegung der Verweisung in § 27 EGAktG entspricht Sinn und Zweck des Statusverfahrens und der Zuständigkeitsregelung in § 98 Abs. 1 AktG. Nach dieser Bestimmung ist das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat, ausschließlich zuständig für die Entscheidung, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammengesetzt ist. Diese Frage ist in dem Statusverfahren nach §§ 98, 99 AktG zu klären. Durch dieses Verfahren sollte die bis zu seiner Einführung bestehende Rechtslage, wonach für diese Frage teils die ordentlichen Gerichte, teils die Arbeitsgerichte zuständig waren, geändert und die Zuständigkeit vereinheitlicht werden. Die bis dahin bestehende Rechtslage hatte sich als unbefriedigend erwiesen, weil die Verfahren bisweilen sehr zeitraubend waren und zu widersprechenden Entscheidungen führen konnten (BT-Drucks. IV/171 S. 135). Eine derart unbefriedigende Rechtslage entstünde aber, wenn die Frage, ob bei einer bislang aufsichtsratslosen GmbH überhaupt ein Aufsichtsrat zu bilden ist, nicht im Rahmen eines Statusverfahrens nach §§ 98, 99 AktG zu klären wäre, sondern unmittelbar ein Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer gewählt und die Ergänzung des Aufsichtsrats nach § 104 AktG beim Amtsgericht beantragt werden könnte. Dann hätten sowohl die Arbeitsgerichte im Rahmen der Anfechtung der Wahl des Aufsichtsratsmitglieds der Arbeitnehmer als auch die ordentlichen Gerichte bei Streitigkeiten über die Bestellung der Vertreter der Anteilseigner über dieselbe Rechtsfrage zu befinden. Dieses vom Gesetzgeber erklärtermaßen als unerwünscht erachtete Ergebnis kann nur vermieden werden, wenn auch die Klärung, ob überhaupt ein Aufsichtsrat zu bilden ist, einem Statusverfahren nach §§ 98, 99 AktG vorbehalten ist.

cc) Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 2) kann aus dem Umstand, dass vor der Bildung des ersten Aufsichtsrats bei einer Aktiengesellschaft kein Verfahren nach §§ 97 bis 99 AktG durchzuführen ist, nicht geschlossen werden, dass auch vor der erstmaligen Bildung eines Aufsichtsrats bei einer GmbH ein derartiges Verfahren entbehrlich ist.

Der erste Aufsichtsrat bei einer Aktiengesellschaft wird nach §§ 30, 31 AktG in der Regel ohne Beteiligung von Arbeitnehmern (§ 30 Abs. 2 AktG) von den Gründern der Gesellschaft bestellt. Dadurch wird die Bildung eines Aufsichtsrats bereits im Gründungsstadium der Aktiengesellschaft sichergestellt. Dies ist zwingend erforderlich, weil der Aufsichtsrat nach § 30 Abs. 4 AktG den Vorstand der Gesellschaft bestellt. Im Gegensatz dazu ist bei einer GmbH ein Aufsichtsrat nicht stets obligatorisch und zur Gründung der Gesellschaft auch nicht erforderlich. Deshalb verweisen weder § 27 EGAktG noch § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG oder andere mitbestimmungsrechtliche Vorschriften hinsichtlich der Bestellung des ersten Aufsichtsrats bei einer GmbH auf §§ 30, 31 AktG. Allerdings sehen § 30 Abs. 3, § 31 Abs. 3 AktG vor, dass vor Ablauf der Amtszeit des ersten Aufsichtsrats bzw. unverzüglich nach der Einbringung oder Übernahme eines Unternehmens (-teils) als Sacheinlage oder Sachübernahme vom Vorstand bekannt zu geben ist, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der (nächste) Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist. Sowohl § 30 Abs. 3 AktG als auch § 31 Abs. 3 AktG verweisen auf §§ 97 bis 99 AktG. Das Kontinuitätsprinzip des § 96 Abs. 2 AktG gilt nicht. Daraus ergibt sich, dass auch bei einer Aktiengesellschaft vor der endgültigen Etablierung des Aufsichtsrats in einem Verfahren nach §§ 97 bis 99 AktG zu klären ist, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist. Nichts anderes gilt auf Grund der Verweisung in § 27 EGAktG auf § 96 Abs. 2, §§ 97 bis 99 AktG bei einer GmbH. Da es der Bestellung eines Aufsichtsrats im Gründungsstadium entsprechend §§ 30, 31 AktG nicht bedarf, ist die Klärung bereits vor der erstmaligen Bildung eines Aufsichtsrats herbeizuführen.

b) Die im Streitfall unterbliebene Durchführung eines Statusverfahrens führt zur Nichtigkeit der Wahl des Beteiligten zu 2) als Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer (vgl. hierzu etwa MünchArbR/Wißmann 2. Aufl. § 376 Rn. 5). Diese Rechtsfolge ergibt sich zwar nicht aus § 250 Abs. 1 Nr. 1 AktG. Diese Vorschrift findet nur auf die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch die Hauptversammlung Anwendung. Die Wahl des Beteiligten zu 2) ist jedoch nichtig, da die Voraussetzungen für eine Wahl nicht vorlagen (ErfK/Oetker 8. Aufl. § 11 DrittelbG Rn. 8). Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer bei einer bislang aufsichtsratslosen GmbH ist erst möglich, nachdem in einem Verfahren nach §§ 97 bis 99 AktG für alle Beteiligten verbindlich geklärt ist, ob und gegebenenfalls nach welchen Vorschriften ein Aufsichtsrat zu bilden ist. Bis dahin fehlt es an einer wesentlichen Voraussetzung für die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern. Eine gleichwohl durchgeführte Wahl entfaltet daher von Anfang an keine Rechtswirkungen.


Für die Amtliche Sammlung: ja
Stichworte: Aufsichtsratswahl - Statusverfahren
Verfahrensgang: ArbG München, 19a BV 444/04 vom 26.01.2006
LAG München, 4 TaBV 61/06 vom 21.12.2006

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