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Arbeitsrecht
01.12.2022
Arbeitsrecht
BAG: Sachgrundlose Befristung – Tarifvertrag – Auslegung

BAG, Urteil vom 20.7.2022 – 7 AZR 247/21

ECLI:DE:BAG:2022:200722.U.7AZR247.21.0

Volltext: BB-Online BBL2022-2867-1

Orientierungssätze

1. § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG eröffnet den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit, die Höchstdauer der sachgrundlosen Befristung und die Anzahl der Vertragsverlängerungen abweichend von § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG festzulegen. Diese tarifliche Regelungsbefugnis unterliegt aus verfassungs und unionsrechtlichen Gründen einer Beschränkung dahingehend, dass ihre Grenze bei der Festlegung der Dauer eines sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisses auf maximal sechs Jahre und der höchstens neunmaligen Verlängerung bis zu dieser Gesamtdauer erreicht ist (Rn. 18).

2. Die Tarifvertragsparteien können im Rahmen des § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG die erweiterte Möglichkeit zur sachgrundlosen Befristung zugunsten des Arbeitnehmers (§ 22 TzBfG) von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig machen und damit einschränken. Diese Voraussetzungen können vergangenheits- und/oder zukunftsbezogen sein (Rn. 18).

3. Wie die Auslegung der im Streitfall maßgeblichen tariflichen Norm ergibt, haben die Tarifvertragsparteien – in zulässiger Weise – die erweiterte Befristungsmöglichkeit eines Personaldienstleistungsunternehmens nicht nur an eine Entgeltaufstockung, sondern auch an den Einsatz des Arbeitnehmers ausschließlich in Betrieben bestimmter Unternehmen (Entleiher) gebunden (Rn. 21 ff.).

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund Befristung am 31. Dezember 2019 geendet hat.

Der Kläger war bei der Beklagten – einem Personaldienstleistungsunternehmen – seit dem 4. September 2017 als Helfer beschäftigt. Im ersten, zum 31. Januar 2018 befristeten Arbeitsvertrag vom 30. August 2017 heißt es unter § 8 auszugsweise:

„Auf das Arbeitsverhältnis finden der Mantel- und Entgeltrahmentarifvertrag für Zeitarbeit zwischen einerseits der A GmbH & Co. OHG und andererseits der IG Metall und der Entgelttarifvertrag für Zeitarbeit zwischen einerseits der A GmbH & Co. OHG und andererseits der IG Metall in ihrer jeweils gültigen Fassung und alle weiteren zukünftigen Tarifverträge in vollem Umfang Anwendung.“

Mit Vertrag vom 18. Januar 2018 verlängerten die Parteien die Befristung bis zum 31. August 2018; mit Vereinbarung vom 28. August 2018 bis zum 30. April 2019 sowie mit Vereinbarung vom 25. April 2019 bis zum 30. September 2019. Unter dem 5./13. August 2019 vereinbarten die Parteien eine Verlängerung der Befristung bis zum 31. Dezember 2019.

Der von der Beklagten (unter ihrer alten Firma) und der IG Metall geschlossene Dienstleistungstarifvertrag Mantel- und Entgeltrahmentarifvertrag für Zeitarbeit vom 12. Dezember 2013 (MERZ TV) lautet auszugsweise:

„§ 3  

Beginn des Arbeitsverhältnisses

3.1     Grundsatz

Grundsätzlich werden unbefristete Arbeitsverhältnisse abgeschlossen.

Der Abschluss von befristeten Arbeitsverhältnissen ist im Rahmen der gesetzlichen Regelungen und der Grundsätze der Rechtsprechung möglich.

Ein befristetes Arbeitsverhältnis eines/einer bei der V AG, der V S GmbH oder der V O GmbH eingesetzten Beschäftigten kann bis zu einer Gesamtdauer von drei Jahren vereinbart und innerhalb dieser Zeitspanne bis zu fünfmal verlängert werden; Voraussetzung ist das Bestehen einer Entgeltaufstockungsvereinbarung zwischen Ent- und Verleiher.“

Der Kläger war bis zum 12. März 2019 bei der C AG & Co. OHG eingesetzt. Die Beklagte zahlte ihm während dieses Einsatzes eine (widerrufliche) Zulage auf Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung vom 29. August 2017. Ab dem 13. März 2019 war der Kläger bei der V AG in H eingesetzt. In einer „Zusatzvereinbarung“ vom 5. März 2019 ist zur Vergütung ua. niedergelegt, dass „[b]ei einem Einsatz bei dem Entleiher V AG … eine Zulage gezahlt“ wird.

Mit seiner am 20. Januar 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Befristung zum 31. Dezember 2019 geltend gemacht. Er hat die Ansicht vertreten, die Befristung könne weder auf § 14 TzBfG noch auf § 3.1 Satz 3 MERZ TV gestützt werden. Insbesondere lägen die Voraussetzungen der tarifvertraglich vorgesehenen erweiterten sachgrundlosen Befristungsmöglichkeit nicht vor. § 3.1 Satz 3 MERZ TV greife nur, wenn der befristet beschäftigte Arbeitnehmer während der gesamten Zeit – oder zumindest zeitlich überwiegend – eine Entgeltaufstockung aufgrund seines Einsatzes in einem der drei in § 3.1 Satz 3 Halbs. 1 MERZ TV genannten Unternehmen erhalte.

Der Kläger hat beantragt

1.    festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der am 5. August 2019 vereinbarten Befristung am 31. Dezember 2019 beendet worden ist;

2.    im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten Bedingungen als Helfer zu beschäftigen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertreten, es genüge für eine zulässige sachgrundlose Befristung, dass die in Satz 3 Halbs. 2 des § 3.1 MERZ TV erforderliche Entgeltaufstockungsvereinbarung mit einem der in Halbs. 1 der Tarifnorm genannten Unternehmen im Zeitpunkt der letzten Verlängerungsvereinbarung vorgelegen habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

Aus den Gründen

10        Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung (§ 562 Abs. 1 ZPO), zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung und zur Stattgabe der Befristungskontrollklage (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht aufgrund der Befristung am 31. Dezember 2019 geendet.

11        I. Der zulässige Befristungskontrollantrag ist begründet. Die streitbefangene Befristung ist unwirksam.

12        1. Die Befristung zum 31. Dezember 2019 gilt nicht nach § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG als wirksam. Der Kläger hat rechtzeitig eine Befristungskontrollklage iSv. § 17 Satz 1 TzBfG erhoben. Er hat die Rechtsunwirksamkeit der Befristung mit seiner am 20. Januar 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage geltend gemacht.

13        2. Die Befristung zum 31. Dezember 2019 ist nicht nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG gerechtfertigt.

14        a) Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines Sachgrundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Bis zu dieser Gesamtdauer ist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 TzBfG die höchstens dreimalige Verlängerung des sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags zulässig.

15        b) Das vom 4. September 2017 bis 31. Dezember 2019 bestehende Arbeitsverhältnis der Parteien überschreitet die Höchstbefristungsdauer. Zudem ist der Arbeitsvertrag des Klägers viermal verlängert worden.

16        3. Die Befristung ist nicht nach § 14 Abs. 1 TzBfG gerechtfertigt. Auf einen Sachgrund für die Befristung hat sich die Beklagte nicht berufen.

17        4. Die Befristung kann auch nicht – anders als von den Vorinstanzen angenommen – auf § 14 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 TzBfG iVm. § 3.1 Satz 3 MERZ TV gestützt werden.

18        a) Nach § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG kann die Anzahl der Verlängerungen oder die Höchstdauer der sachgrundlosen Befristung durch Tarifvertrag abweichend von § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG festgelegt werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach § 14 Abs. 2 Satz 4 TzBfG die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren. Die den Tarifvertragsparteien durch § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG eröffnete Möglichkeit, die Höchstdauer der Befristung und die Anzahl der Vertragsverlängerungen abweichend von § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG festzulegen, ist zwar nach dem Gesetzeswortlaut nicht eingeschränkt. Aufgrund des systematischen Gesamtzusammenhangs und Sinn und Zwecks von § 14 TzBfG sowie aus verfassungs- und unionsrechtlichen Gründen besteht aber eine immanente Beschränkung der durch § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG eröffneten Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Grenze der tariflichen Regelungsbefugnis bei der Festlegung der Dauer eines sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisses auf maximal sechs Jahre und der höchstens neunmaligen Verlängerung bis zu dieser Gesamtdauer erreicht (vgl. BAG 24. Februar 2021 – 7 AZR 99/19 – Rn. 16 mwN; grdl. BAG 26. Oktober 2016 – 7 AZR 140/15 – Rn. 17, 31 ff., BAGE 157, 141). Die Tarifvertragsparteien können nicht nur die Anzahl der Verlängerungen und die Höchstdauer der sachgrundlosen Befristung abweichend von § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG regeln, sondern dürfen – sofern sie von ihrer Regelungsbefugnis Gebrauch machen – die von ihnen erweiterte Möglichkeit zur sachgrundlosen Befristung zugunsten des Arbeitnehmers (§ 22 TzBfG) von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig machen und damit einschränken (BAG 21. März 2018 – 7 AZR 428/16 – Rn. 22; Arnold/Gräfl/Gräfl TzBfG 5. Aufl. § 14 TzBfG Rn. 357).

19        b) Zwar haben die Parteien die Anwendung des MERZ TV – und damit auch dessen erweiterte sachgrundlose Befristungsmöglichkeit – arbeitsvertraglich vereinbart. Auch haben die Tarifvertragsparteien mit der Ausgestaltung von § 3.1 Satz 3 MERZ TV, wonach ein befristetes Arbeitsverhältnis „eines/einer bei der V AG, der V S GmbH oder der V O GmbH eingesetzten Beschäftigten“ bei Bestehen einer „Entgeltaufstockungsvereinbarung zwischen Ent- und Verleiher“ bis zu einer Gesamtdauer von drei Jahren vereinbart und innerhalb dieser Zeitspanne bis zu fünfmal verlängert werden kann, ihre Regelungsbefugnis nicht überschritten. Hingegen sind die Voraussetzungen der tariflichen Befristungsmöglichkeit nicht erfüllt. Der Kläger ist nicht während der gesamten Zeit seiner befristeten Arbeitsverträge bei einem der in § 3.1 Satz 3 Halbs. 1 MERZ TV genannten Unternehmen eingesetzt gewesen. Hieran knüpft die Tarifnorm aber – wie ihre Auslegung ergibt – an.

20        aa) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags, die in der Revisionsinstanz in vollem Umfang überprüfbar ist, folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 13. Oktober 2021 – 4 AZR 365/20 – Rn. 21 mwN).

21        bb) Nach diesen Maßgaben ist § 3.1 Satz 3 MERZ TV so zu verstehen, dass die erweiterte sachgrundlose Befristungsmöglichkeit – abgesehen vom Bestehen einer Entgeltaufstockungsvereinbarung zwischen der Beklagten als Verleiherin und dem jeweiligen Entleiher – nur für diejenigen Beschäftigten eröffnet ist, die während der gesamten Dauer ihrer arbeitsvertraglichen Bindung mit der Beklagten bei der V AG, V S GmbH oder V O GmbH eingesetzt waren und weiter eingesetzt werden sollen (im Fall der Verlängerung der Befristung) bzw. deren Einsatz von vornherein nur bei einem der genannten Unternehmen erfolgen soll (im Fall einer einmaligen Befristung von drei Jahren).

22        (1) Hierauf deutet bereits der Wortlaut der Tarifnorm unter Berücksichtigung deren systematischer Stellung. Die Tarifvertragsparteien haben in Übereinstimmung mit der dem TzBfG zugrundeliegenden Wertung (vgl. dazu zB BAG 17. Juni 2020 – 7 AZR 398/18 – Rn. 34 mwN) den unbefristeten Arbeitsvertrag als Normalfall und den befristeten Vertrag als Ausnahme angesehen. Das zeigt unmissverständlich Satz 1 von § 3.1 MERZ TV mit dem vorangestellten Begriff „Grundsatz“. Neben einem Verweis auf die gesetzlichen Möglichkeiten einer Befristung (§ 3.1 Satz 2 MERZ TV) legt § 3.1 Satz 3 MERZ TV eine Ausnahme von diesem Grundsatz fest, welche aber nach Halbs. 1 der Tarifnorm nur für bestimmte Beschäftigte gilt und nach Halbs. 2 der Tarifnorm an die näher angeführte „Voraussetzung“ der Entgeltaufstockungsvereinbarung gebunden ist. Der persönliche Geltungsbereich der erweiterten Befristungsmöglichkeit ist ausdrücklich auf die in den Unternehmen V AG, V S GmbH oder V O GmbH „eingesetzten“ Beschäftigten begrenzt. In der Verwendung des Partizip Perfekt klingt an, dass die Tarifvertragsparteien auf eine bereits erfolgte Handlung abgehoben haben und als einen bereits erfolgten Einsatz ausschließlich den bei einem der drei genannten Unternehmen ansehen.

23        (2) Allerdings schließt der Wortlaut des § 3.1 Satz 3 MERZ TV dessen Interpretation nicht aus, die erweiterte Befristungsmöglichkeit könne auch bei Beschäftigten greifen, welche nicht die gesamte bisherige Dauer ihrer (Leih-)Arbeitnehmereinsätze bei der V AG, V S GmbH oder V O GmbH absolviert haben, solange ein solcher Einsatz jedenfalls im Zeitpunkt der Verlängerungsabrede erfolgt. Ebenso verhält sich die Formulierung der Tarifnorm nicht eindeutig zu einer einmaligen dreijährigen Befristungsmöglichkeit bei einem erst beabsichtigten Einsatz des (Leih-)Arbeitnehmers bei der V AG, V S GmbH oder V O GmbH. Die hierauf gestützte Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Tarifvertragsparteien hätten das Vorliegen der Voraussetzung eines unternehmensbezogenen Einsatzes bereits bei Beginn des befristeten Arbeitsverhältnisses deutlicher formuliert, wenn sie einen „engeren“ Anwendungsbereich des § 3.1 Satz 3 MERZ TV hätten regeln wollen, verfängt hingegen nicht. Es ließe sich umgekehrt ebenso argumentieren, die Tarifvertragsparteien hätten unmissverständlich ausdrücken müssen, dass es ihnen allein auf einen dauerunabhängigen und nur im Zeitpunkt der Befristungsabrede stattgefundenen Einsatz bei einem der drei angeführten Unternehmen ankommt. Das Landesarbeitsgericht vernachlässigt zum einen, dass für jeden Normgeber die Schwierigkeit besteht, textlich unmissverständlich zu formulieren (vgl. zu Gesamtbetriebsvereinbarungen BAG 21. Januar 2020 – 3 AZR 565/18 – Rn. 17 mwN), und zum anderen, dass die von ihm angenommene Wortlauteindeutigkeit die Berücksichtigung weiterer Auslegungskriterien nicht ausschließt. Zudem klammert das Verständnis des Landesarbeitsgerichts den Ausnahmecharakter von § 3.1 Satz 3 MERZ TV aus. Dieser gibt eine restriktive Norminterpretation vor. Wenn jenseits von § 14 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 TzBfG – was § 3.1 Satz 1 und Satz 2 MERZ TV explizit verdeutlicht – die Ausnahme einer sachgrundlosen Befristung nur für bei bestimmten Entleihern „eingesetzte“ Beschäftigte greifen soll, erschließt sich zwar allein anhand der textlichen Fassung der Tarifnorm nicht, ob es sich um kurzzeitig, überwiegend oder ausschließlich bei diesen Entleihern eingesetzte Beschäftigte handeln muss. Bei einer der systematischen Ausnahmestellung gerecht werdenden Deutung des tariflichen Regelungsinhalts ist aber angezeigt, den Anwendungsbereich eng zu fassen und auf einen ausschließlichen Einsatz bei einem der in § 3.1 Satz 3 Halbs. 1 MERZ TV angeführten Unternehmen abzustellen.

24        (3) Tarifsystematische und teleologische Gesichtspunkte stützen diese Tarifnorminterpretation.

25        (a) Die Tarifvertragsparteien haben die erweiterte Befristungsmöglichkeit nicht lediglich an das Bestehen einer Entgeltaufstockungsvereinbarung zwischen Ent- und Verleiher „an sich“ gebunden, sondern – daneben und als zusätzliche Voraussetzung – nur für die in § 3.1 Satz 3 MERZ TV genannten, bei bestimmten Unternehmen eingesetzten Beschäftigten vorgesehen. Die Argumentation der Beklagten, die Tarifregelung kompensiere eine zu ihren Gunsten höhere Flexibilität bei der Befristung von Arbeitsverträgen durch eine Aufstockung des Entgelts der an einem unbefristeten (Leih-)Arbeitsverhältnis interessierten Arbeitnehmer, greift daher von vornherein zu kurz. Wäre es den Tarifvertragsparteien nur darum gegangen, hätten sie es bei der Festlegung einer Entgeltaufstockungsvereinbarung zwischen Ent- und Verleiher als Voraussetzung für die erweiterte Befristungsmöglichkeit belassen können.

26        (b) Es ist daher naheliegend, dass die Befristungsoption nicht nur einer Entgeltaufstockung „an sich“, sondern spezifischen Einsatzbedingungen bei der V AG, V S GmbH oder V O GmbH geschuldet ist. Diese mögen in einer besonders attraktiven („unternehmensspezifischen“) Entgeltaufstockung liegen, was einen tariflichen Regelungsinhalt dahingehend spiegeln würde, dass der Beklagten nur bei dieser Art von Aufstockung der Vergütung der Leiharbeitnehmer während deren gesamten Einsatzes bei bestimmten Entleihern eine höhere Befristungsflexibilität eröffnet sein soll. Da die tarifliche Befristungsnorm neben der möglichen Befristungsdauer auch die Anzahl der möglichen Verlängerungen eines befristeten Arbeitsvertrags erhöht, erschließt sich nicht, inwieweit der Bezug einer unternehmensspezifisch attraktiven Entgeltaufstockung uU nur für eine kurze Einsatzzeit das Bestandsinteresse des (Leih-)Arbeitnehmers angemessen ausgleichen soll. Jedenfalls für die in § 3.1 Satz 3 MERZ TV genannte V AG sind aber auch anderweitige besondere (tariflich geregelte) Einsatzbedingungen anhand des Parteivorbringens ersichtlich. § 4.3.1 des von der Beklagten zur Akte gereichten, von ihr, der V AG und der IG Metall geschlossenen Tarifvertrags über die Vergütung und Einsatzbedingungen von Zeitarbeitnehmern vom 5. Dezember 2013 (TV VEZ) legt eine Befristung des Einsatzes von Zeitarbeitnehmern der Beklagten bei der V AG für maximal 36 aufeinander folgende Monate fest. Nach § 4.3.2 Satz 1 TV VEZ erfolgt „[e]ine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bei der V AG … regelmäßig nach 36 Monaten Einsatzdauer“. Diese tariflichen Einsatz- und Übernahmebedingungen belegen, dass § 3.1 Satz 3 MERZ TV – jedenfalls bei der in der Tarifbestimmung genannten V AG – bei der auf drei Jahre (36 Monate) erweiterten Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung auf eine entsprechende Dauer – und nicht lediglich einen Zeitpunkt – des Einsatzes des Zeitarbeitnehmers bei der V AG rekurriert. Zwar ist die Befristung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem bei der V AG „eingesetzten“ Beschäftigten und der Beklagten keine rechtliche Voraussetzung für die Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis nach § 4.3.2 TV VEZ; die Bestimmungen des § 3.1 Satz 3 MERZ TV sind aber auf diese Regularien der für die V AG geltenden tariflichen Einsatzbedingungen abgestimmt.

27        (4) Dieses Verständnis von § 3.1 Satz 3 MERZ TV verbietet sich nicht vor dem Hintergrund gesetzlicher Vorgaben des TzBfG und des AÜG.

28        (a) Soweit das Landesarbeitsgericht – im Anschluss an die Argumentation der Beklagten – darauf verwiesen hat, dass für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Befristung der Zeitpunkt ihrer Abrede maßgeblich ist (vgl. dazu grdl. – noch zu § 620 BGB – BAG 8. Mai 1985 – 7 AZR 191/84 – BAGE 49, 73), trägt dies nicht den von ihm gezogenen Schluss, § 3.1 Satz 3 MERZ TV verlange schon aus Praktikabilitätsgründen (nur) einen im Zeitpunkt der Befristungsabrede vorliegenden Einsatz des befristet Beschäftigten bei einem bestimmten Entleiher und setze keinen (vergangenheits- und zukunftsbezogenen) „durchgängigen“ Einsatz bei diesem bestimmten Entleiher voraus. Der maßgebliche Prüfungszeitpunkt für die Rechtswirksamkeit einer Befristung besagt nichts darüber, welche Wirksamkeitsvoraussetzungen vorzuliegen haben. Bei den Tatbestandsmerkmalen für eine zulässige Befristung an vergangenheits- und/oder zukunftsbezogene Sachverhalte anzuknüpfen, ist weder dem gesetzlichen Befristungsrecht fremd – wie § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG oder die Befristungshöchstdauer und die zulässige Anzahl der Verlängerungen nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG sowie der Sachgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG zeigen – noch den Tarifvertragsparteien im Rahmen einer erweiterten Befristungsregelung auf der Grundlage von § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG verwehrt. Es erscheint auch nicht von vornherein impraktikabel, bei einer auf § 3.1 Satz 3 MERZ TV gestützten Befristung zu verlangen, dass der bisherige und der beabsichtigte weitere (bzw. bei der einmaligen dreijährigen Befristung der gesamte beabsichtigte) Einsatz des befristet beschäftigten Arbeitnehmers ausschließlich bei einem der dort genannten Unternehmen erfolgt. Der Einwand der Beklagten, dies vernachlässige unvorhersehbare Beendigungstatbestände eines Leiharbeitnehmereinsatzes bei der V AG, V S GmbH oder V O GmbH, verfängt nicht. Die Tatbestandsmerkmale einer zulässigen Befristung können sich auf beabsichtigte – prognostisch zu beurteilende – Gesichtspunkte beziehen. Es wird „nur“ verlangt, dass im Zeitpunkt der Befristungsvereinbarung ein Einsatz bei einem der in § 3.1 Satz 3 MERZ TV genannten Unternehmen seitens der Beklagten vorgesehen ist und hierfür objektive Anhaltspunkte bestehen. Wird der Einsatz aufgrund im Zeitpunkt der Befristungsvereinbarung unvorhersehbarer Umstände vorzeitig beendet und der Arbeitnehmer entweder gar nicht oder bei einem nicht in § 3.1 Satz 3 MERZ TV genannten Unternehmen eingesetzt, hätte dies auf die Wirksamkeit der Befristung keinen Einfluss. Es wäre der Beklagten dann allein verwehrt, eine weitere Verlängerung der sachgrundlosen Befristung auf § 3.1 Satz 3 MERZ TV zu stützen, sofern die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG nicht (mehr) vorliegen.

29        (b) Dem Verständnis von § 3.1 Satz 3 MERZ TV vor dem Hintergrund der – jedenfalls bei der in der Tarifnorm genannten V AG geltenden – besonderen tariflichen Arbeitsbedingungen der 36monatigen Einsatzdauer des befristet beschäftigten Arbeitnehmers bei demselben Entleiher steht schließlich nicht entgegen, dass nach der Grundregel von § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen und der Entleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen darf. Ungeachtet dessen, dass nach § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG eine hiervon abweichende Überlassungshöchstdauer in einem Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche festgelegt werden kann, ist die 18monatige Höchstgrenze der Überlassungsdauer erst mit dem am 1. April 2017 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze (BGBl. I S. 258) eingeführt worden. Der die erweiterte Befristungsmöglichkeit in seinem § 3.1 Satz 3 regelnde MERZ TV vom 12. Dezember 2013 sowie der die Einsatzdauer und die Übernahme in seinem § 4.3 gestaltende TV VEZ vom 5. Dezember 2013 sind vor dem Hintergrund von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG in der vom 1. Dezember 2011 bis 31. März 2017 gültigen Fassung zu verstehen. Nach dieser Rechtslage war eine nicht mehr vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung verboten, wobei der Gesetzgeber auf die Festlegung bestimmter Höchstüberlassungsfristen verzichtet hatte (ausf. BAG 10. Juli 2013 – 7 ABR 91/11 – Rn. 32 ff. und 53 ff., BAGE 145, 355). Hieran haben die Tarifvertragsparteien – ohne dass nunmehr aktuellere Tarifabschlüsse ersichtlich sind – seinerzeit augenscheinlich angeknüpft.

30        cc) Die so verstandenen tariflichen Befristungsvoraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Im Zeitpunkt der Befristungsabrede (5. August 2019) mag ein fortwährender Einsatz des Klägers im Werk H bei der V AG, welcher dort seit dem 13. März 2019 eingesetzt war, bis zum Ende der vereinbarten Befristung am 31. Dezember 2019 geplant gewesen sein. Bis zum 12. März 2019 war der Kläger aber bei der C AG & Co. OHG tätig. Er ist daher kein bei der V AG, der V S GmbH oder der V O GmbH eingesetzter Beschäftigter iSd. § 3.1 Satz 3 MERZ TV.

31        II. Der Antrag zu 2., mit dem der Kläger seine vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits geltend macht, fällt nicht zur Entscheidung an, da der Rechtsstreit hinsichtlich des Befristungskontrollantrags mit der Verkündung der Entscheidung des Senats rechtskräftig abgeschlossen ist (vgl. BAG 18. Januar 2017 – 7 AZR 236/15 – Rn. 39).

32        III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

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