LAG Schleswig-Holstein: Rechtsmissbrauch zur Erzwingung von Aufhebungsvertragsverhandlungen
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 6.2.2020 – 3 SaGa 7 öD/19
ECLI:DE:LARBGSH:2020:0206.3SAGA7OED19.00
Volltext: BB-Online BBL2020-947-5
Amtliche Leitsätze
1. Eine Freistellung nach Rückkehr aus der Arbeitsunfähigkeit zur Erzwingung und Durchführung von Verhandlungen über die Aufhebung eines Anstellungsverhältnisses, das ungekündigt und aufgrund langjähriger Betriebszugehörigkeit sowie Sonderkündigungsschutzes nicht ordentlich kündbar ist, kann rechtsmissbräuchlich und nicht schutzwürdig sein.
2. Zum Vorliegen der Voraussetzungen eines - besonderen – Beschäftigungsinteresses
Sachverhalt
Die Parteien streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens über die Beschäftigung der Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) im Rahmen eines ungekündigten Beschäftigungsverhältnisses.
Die Klägerin ist am ...1970 geboren, verheiratet und Mutter von 5 Kindern, eines ist noch minderjährig. Sie absolvierte ab 1999 ihr „praktisches Jahr“ bei der Antragsgegnerin (Im Folgenden: Beklagte). Seit September 2001 steht sie bei der Beklagten, beginnend als Ärztin, an deren L. Campus mit Einsatzort in L. in einem Beschäftigungsverhältnis.
Die Klägerin ist seit 2010 Fachärztin für Herzchirurgie. Mit Wirkung ab 15.08.2012 wurde sie arbeitsvertraglich als Fachärztin (Anlage A5) geführt.
Schon seit 2005 sind von ihr gemäß § 5 der arbeitsvertraglichen Vereinbarung vom 01.01.2005 (Anlage K A3) auch wissenschaftliche Dienstleistungen geschuldet und damit zusammenhängende Tätigkeiten zu erbringen. Weiterhin besteht seither die Verpflichtung zur Mitwirkung an der Krankenversorgung, zur Mitwirkung bei Lehrveranstaltungen sowie zur Durchführung von Lehrveranstaltungen. Die Lehrverpflichtung beträgt zur Zeit mindestens 9 Lehrveranstaltungsstunden. Des Weiteren wurde vereinbart, dass ein angemessener Teil der Arbeitszeit für eigene wissenschaftliche Arbeit mit dem Ziel der Weiterbildung und/oder der Auslese für den Hochschullehrernachwuchs zur Verfügung steht und gestellt werden muss (Vertrag v. 01.01.2005/ vom 21.05.2012).
Zum 01.01.2015 wurden infolge einer Rechtsformveränderung der Universität zu L. die Arbeitsverhältnisse der an der U…, Campus L. Tätigen, ursprünglich im Landesdienst Beschäftigten auf die Stiftungsuniversität übergeleitet (Bl. 25 d. Beiakte 7 Ca 1849 öD/19). Hiervon war auch die Klägerin erfasst.
Seit dem 01.09.2003 ist die Klägerin im Bereich der Herzchirurgie tätig. Zum 1. Februar 2016 wurde sie bei der Beklagten „Geschäftsführende Oberärztin für Herz- und Thorakale Gefäßchirurgie“ und als solche eingesetzt (Anlage A 7, Zeugnis vom 28.03.2018). Die Klägerin verfügt über diverse Zusatzqualifikationen (Bl. 3 der erstinstanzlichen Akte 7 Ga 28 öD/19), hat im Januar 2016 an der Universität L. habilitiert und ist als Hochschullehrerin, wie arbeitsvertraglich vereinbart, wissenschaftlich tätig, mit Forschungsschwerpunkt Herzchirurgie. In diesem Rahmen betreute und betreut sie u.a. zahlreiche - zur Zeit 18 - Doktorandinnen und Doktoranden bei deren Promotionsverfahren. Sie steht „kurz“ vor der Erhaltung der Zugangsmöglichkeiten für eine Professur. Um sich hierauf erfolgreich bewerben zu können, benötigt sie u.a. noch ca. 1 ½ Jahre aktive einschlägige ärztliche Tätigkeit sowie den Nachweis der zielführenden Betreuung von Doktoranden.
Die Klägerin ist tariflich unkündbar und verfügt auch als Strahlenschutzbeauftragte über Sonderkündigungsschutz. Das Arbeitsverhältnis ist ungekündigt.
Im April 2018 übernahm ein neuer Chefarzt die Klinik für Herz- und Thorakale Gefäßchirurgie und brachte zeitgleich mehrere Oberärzte und einen Assistenzarzt mit. Das führte zu einer personellen Überbesetzung des ursprünglichen Teams und in der Folgezeit zu Abgängen aus dem alten Team.
Seit dem Arbeitsantritt des neuen Chefarztes Prof. Dr. E. im April 2018 kam es u.a. zu Spannungen zwischen ihm und der Klägerin. Ende 2018 wurde über eine einvernehmliche Vereinbarung zwecks Versetzung in die Gefäßchirurgie verhandelt, zu der die Klägerin unter bestimmten Konditionen bereit gewesen wäre, nicht jedoch der neue Chefarzt zu den Konditionen. Im Herbst 2019 wurde der Klägerin mündlich nochmals eine Beschäftigung in der Gefäßchirurgie angeboten, aber nur noch als Assistenzärztin mit reduzierter Vergütung.
Die Klägerin erkrankte nach dem April 2018 - anders als jemals zuvor seit Beginn ihrer Beschäftigungszeit - erstmals wiederholt und wiederholt auch über längere Zeit, letztendlich bis zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit im November 2019. Zu den Einzelheiten wird auf die von der Antragstellerin im Kammertermin eingereichte auszugsweise E-Mail verwiesen.
Die Parteien führen auch ein Klagverfahren um die Entfernung einer Abmahnung vom 27.06.2019. Zum näheren Inhalt wird auf die Akte des erst- und zweitinstanzlich beigezogenen Verfahrens 7 Ca 1849 öd/19 verwiesen.
In dem mit Wirkung ab 01.07 2019 in Kraft gesetzten Organigramm hat die Klägerin keine Bereichsleitung mehr.
Am 22.11.2019 endete die letzte Arbeitsunfähigkeit der Klägerin. Nachdem die Klägerin morgens zu ihrem Dienst erschienen war, übergab ihr ein Vorstandsmitglied der Beklagten zusammen mit dem Chefarzt der Klinik für Herz- und Thorakale Gefäßchirurgie ein Freistellungsschreiben. Die Freistellung wurde insofern unwiderruflich für die Dauer etwaiger Urlaubsansprüche und sonstiger Freizeitausgleichsansprüche erklärt. Des Weiteren heißt es in dem Freistellungsschreiben wie folgt:
„Im Anschluss daran bleibt die Freistellung aufrechterhalten, insbesondere auch für Verhandlungen über die Aufhebung bzw. Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses oder für den Fall, dass eine – vorübergehende – Tätigkeit aus betrieblichen Gründen notwendig ist. …..“
Zu den Einzelheiten wird auf die Anlage A 17 verwiesen. Weiterhin musste die Klägerin ihre Mitarbeiterausweise, Zugangsberechtigungen, Laptop, Datenträger, Visitenkarten und Schlüssel abgeben. Zudem wurde der Account der Klägerin im System der Beklagten gelöscht. Sie hatte keine Systemzugänge zur U.. mehr, auch nicht zur Universität zu L. (UzL). Sie hatte weiterhin keine Möglichkeit mehr, ihr Adressbuch oder ihren Email-Account inklusive virtuellem Aktenschrank einzusehen. Aus den Telefonlisten und dem Urlaubsplaner wurde sie gestrichen.
Mit E-Mail vom 29.11.2019 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die IT des U… könne ihr keinen Zugang für die UzL einrichten, das müsse die Klägerin beantragen und ein Formular unterschreiben (Anlage AG 9). Zur Aktivierung hätte die Klägerin Zugang haben müssen, hatte jedoch keine Zugangskarte mehr. Durch die Sperrung des Zugangs konnte die Klägerin auch nicht mehr auf einen auf dem Server der Beklagten liegenden persönlichen Ordner zugreifen, der eigene Dateien enthält, die beispielsweise den Forschungsbereich, aber auch ihre anderweitigen Aktivitäten betrafen, u.a. die Aufgabe als Strahlenschutzbeauftragte.
Mit Antragsschrift vom 04.12.2019 leitete die Klägerin das vorliegende Verfahren auf vertragsgemäße Beschäftigung als geschäftsführende Oberärztin ein.
Am 18.12.2019 wurde der Antrag vor dem Arbeitsgericht verhandelt. Die Beklagte bot ihr als „Testlauf“ ein Prozessarbeitsverhältnis in der konservativen Intensiv (IKI) mit reduzierter Vergütung an. Die Klägerin obsiegte mit ihrem Beschäftigungsbegehren. Einen Tag später löschte die Beklagte die Klägerin komplett auf ihrer Homepage.
Die Beklagte unterbreitete der Klägerin das Angebot des Antritts einer Prozessbeschäftigung in der interdisziplinären konservativen Intensivstation (IKI) im Schichtdienst mit Wirkung ab 23.12.2019 mit reduzierter Vergütung und unter Hinweis, dass ein bereits bewilligter Urlaub nicht angetreten werden dürfe. Nach umfangreicher außergerichtlicher Korrespondenz, in der der Klägerin auch etwaige kündigungsrechtliche Folgen in den Raum gestellt wurden, ist die Klägerin jetzt im Rahmen dieses Angebots tätig, eingesetzt zu den Bedingungen einer Assistenzärztin.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie könne infolge der Freistellung und der in diesem Zuge erfolgten Entfernung aus den Systemen der Beklagten beruflich nicht mehr kommunizieren. Dies habe erhebliche Auswirkungen auf ihre berufliche, insbesondere auch wissenschaftliche Tätigkeit. Zudem erleide sie durch die Freistellung und die Beeinträchtigung ihrer Kommunikation einen massiven Reputationsschaden. Auch sei die Möglichkeit des Erhalts einer Professur stark beeinträchtigt. Sowohl für ihre wissenschaftliche Tätigkeit als auch für ihre Tätigkeit in der Forschung sei die Arbeit in der Krankenversorgung unerlässlich. Alle drei Bereiche seien untrennbar miteinander verbunden. Es gebe keinen Grund für die Freistellung, ein Verfügungsanspruch sei damit ohne Weiteres gegeben. Zudem bestehe auch das notwendige Eilbedürfnis, da ihr Beschäftigungsanspruch mit jedem Tag der Freistellung unwiederbringlich untergehe und sie massive Nachteile für ihre berufliche und wissenschaftliche Zukunft erleide. Schließlich sei es ihrer Gesundheit zuträglich, wenn sie wieder arbeiten könne, wobei sie hierzu auf ein im Termin überreichtes ärztliches Attest verweist.
Die Klägerin hat beantragt,
die Antragsgegnerin zu verurteilen, die Antragstellerin als geschäftsführende Oberärztin zu den arbeitsvertraglichen Bedingungen zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, der Antrag sei schon unzulässig, weil ihm die Vollstreckbarkeit fehle. Es sei nicht erkennbar, an welchem Ort, in welcher Abteilung und mit welcher Tätigkeit die Klägerin im Einzelnen eingesetzt werden sollte. Auch sei der Antrag zu weitgehend, da die Klägerin nach ihrem Arbeitsvertrag auch als Assistenzärztin eingesetzt werden könnte. Darüber hinaus sei die Position des geschäftsführenden Oberarztes in der Klinik für Herz- und Thorakale Gefäßchirurgie bereits besetzt.
Die Klägerin sei seit April 2018 nicht mehr geschäftsführende Oberärztin, sondern lediglich Oberärztin gewesen. Zudem sei die Freistellung nicht grundlos erfolgt, sondern aufgrund der Spannungen im Team der Klinik für Herz- und Thorakale Gefäßchirurgie, insbesondere zwischen der Klägerin und dem hiesigen Chefarzt. Angesichts der Besonderheiten eines solchen Arbeitsverhältnisses in einer Klinik sei es unumgänglich, dass der Chefarzt mit seinen Teammitgliedern bedingungslos vertrauensvoll zusammenarbeite. Außerdem habe die Klägerin Arbeitsanweisungen nicht befolgt, was ebenfalls eine vorübergehende Freistellung bis zu einer Klärung in der Hauptsache rechtfertige. Hintergrund der Freistellung seien des Weiteren die aussichtsreichen Vergleichsgespräche zwischen den Parteien gewesen. Diese seien auch der Grund für den Eilantrag der Klägerin, da sie dort den Druck erhöhen wolle. Um eine Beschäftigung gehe es ihr tatsächlich nicht. Schließlich fehle ihr auch das Eilbedürfnis. Allein der reine Zeitablauf reiche hier nicht. Vielmehr sei es so, dass die wiederholten, längeren Krankheitszeiten der Klägerin zeigten, dass ihr eine vorübergehende Freistellung zumutbar sei.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 18.12.2019 der Verfügungsklage stattgegeben. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, es sei nicht ersichtlich und nicht dargelegt, dass dem sich aus dem Persönlichkeitsrecht der Klägerin im ungekündigten Arbeitsverhältnis ergebenden Beschäftigungsanspruch konkrete überwiegende schützenswerte Interessen der Beklagten entgegenstehen. Hierarchische gegebenenfalls notwendige Strukturen eines Klinikums könnten nicht dazu führen, dass die Beklagte den Beschäftigungsanspruch der Klägerin schlicht mit dem Hinweis auf das persönliche Verhältnis der Klägerin zu ihrem Vorgesetzten suspendieren könne. Auch sei nicht erkennbar, inwieweit eine Beschäftigung der Klägerin in einer anderen Klinik ausgeschlossen sei. Gegebenenfalls habe möglicherweise der Weg einer Vertragsänderung beschritten werden müssen. Der Verfügungsgrund ergebe sich aus dem für die Klägerin zu befürchtenden Reputationsverlust und den durch die Freistellung und die Trennung von den Systemen und EDV-Zugängen erfolgten Beeinträchtigungen für ihre wissenschaftliche Tätigkeit.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Tatbestand, Anträge und Entscheidungsgründe des Urteils verwiesen.
Gegen diese der Beklagten am 20.12.2019 zugestellte Entscheidung hat sie am 20.12.2019 Berufung eingelegt, die sofort begründet wurde.
Die Beklagte ergänzt und vertieft im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen und überreicht in diesem Zusammenhang auch eine mehrseitige eidesstattliche Versicherung des Chefarztes Herrn Prof. Dr. E. vom 16.01.2020 u.a. zur Untermauerung ihres Vorbringens, die Klägerin habe keine oder allenfalls untergeordnete Aufgaben als geschäftsführende Oberärztin erfüllt.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Lübeck vom 18.Dezember 2019, Aktenzeichen: 7 Ga 28 öD/19, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle verwiesen.
Aus den Gründen
I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden (§§ 64, 66 Abs. 1 ArbGG).
II. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Beklagte ist zu Recht verurteilt worden, die ordentlich unkündbare und in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehende Klägerin bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache zu den arbeitsvertraglichen Bedingungen als geschäftsführende Oberärztin zu beschäftigen. Sie ist nicht befugt, den aus dem grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht der Klägerin ergebenden arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch einseitig „für Verhandlungen über die Aufhebung bzw. Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses“ zu suspendieren, um durchzusetzen, dass der neue Chefarzt der Klinik für Herz- und Thorakorale Gefäßchirurgie, Herr Prof. Dr. E., die Klägerin ohne Beachtung der arbeitsrechtlichen und arbeitsvertraglichen Regelungen und gesetzlichen Grenzen verdrängen und ausschließlich mit den selbst mitgebrachten Oberärzten zusammenarbeiten kann. Ein berechtigtes Interesse daran, dass die Beschäftigung der Klägerin ausnahmsweise unterbleibt, ist weder dargelegt noch existent. Die sofortige Freistellung der in der Krankenversorgung sowie gleichzeitig in der Wissenschaft und Forschung tätigen Klägerin, die u.a. verbunden war mit einer Trennung von allen Systemen und EDV-Zugängen, machte sie für die Außenwelt unsichtbar. Aus der Nichtbeschäftigung als geschäftsführende Oberärztin folgt für die Kammer zweifelsfrei ein zu befürchtender Reputationsverlust für die Klägerin sowie absehbare Beeinträchtigungen für ihre wissenschaftliche Tätigkeit. Hieraus ergibt sich der Verfügungsgrund. Insoweit folgt das Berufungsgericht der ausführlichen und überzeugenden Begründung des Arbeitsgerichts in dem angefochtenen Urteil. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf verwiesen. Lediglich ergänzend und auf den neuen Vortrag der Parteien eingehend wird folgendes ausgeführt:
A.
1. Der Antrag ist zulässig und hinreichend bestimmt. Eine Spezifizierung auf eine Beschäftigung als geschäftsführende Oberärztin in einer bestimmten Abteilung ist weder geboten noch unter Berücksichtigung der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien opportun. Die Antragsformulierung entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung und erkennt das arbeitgeberseitige Direktionsrecht an, das jedoch nur im Rahmen billigen Ermessens seitens der Beklagten ausgeübt werden darf.
2. Der auf eine Beschäftigung als „geschäftsführende Oberärztin“ gerichtete Antrag ist auch nicht zu weitgehend. Die Klägerin war, jedenfalls bis zum Arbeitsantritt des neuen Chefarztes Herrn Prof. Dr. E., als geschäftsführende Oberärztin tätig. Das bestätigt auch zweifelsfrei das ihr seitens des Vorgängers dieses neuen Chefarztes mit Datum vom 28.03.2018 erteilte Zeugnis (Anlage A7). Erst mit dem Chefarztwechsel wurde ihr diese Position mittels schlichter Weisung streitig gemacht und führte zu einer Doppelbesetzung der Position des geschäftsführenden Oberarztes der Herzchirurgie durch den Disziplinarvorgesetzten, der nicht Vertragspartner der Klägerin ist. Bei der Position der „geschäftsführenden Oberärztin“ handelt es sich um eine branchenspezifische hierarchische Qualifikationsbezeichnung im Rahmen der Organisation des ärztlichen Dienstes im Krankenhaus, die sich selbst in Tarifverträgen wiederspiegelt. Es ist unbeachtlich, dass die Klägerin nach dem Chefarztwechsel ab April 2018 in Folge der dann aufgetretenen Spannungen, der (Doppel)-Zuweisung dieser Position an einen der vom neuen Chefarzt mitgebrachten Oberärzte sowie in Folge anschließender wiederholter längerer arbeitsunfähigkeitsbedingter Abwesenheitszeiten die Position als geschäftsführende Oberärztin tatsächlich nicht ausüben konnte und durfte. Das führt arbeitsrechtlich zu keinem rechtlich relevanten Verlust dieser hierarchischen Position. Hierzu hätte es ggf. einer Vertragsänderung bedurft.
3. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis liegt vor. Die Beklagte hat die hier streitgegenständliche Freistellung vom 22. November 2019 nicht widerrufen. Das Angebot lediglich einer Prozessbeschäftigung, noch dazu nur als Assistenzärztin und mit reduzierter Vergütung ist ein „aliud“ zum Widerruf einer erfolgen Freistellung von der Tätigkeit als geschäftsführende Oberärztin. In einem Prozessbeschäftigungsverhältnis werden Urlaubs- und Fehltage nicht vergütet. Zudem ist die angebotene Tätigkeit nicht mit der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit vergleichbar. Im Übrigen versteht man unter „Widerruf“ eine Verlautbarung, mit der die Wirkungen einer früheren Handlung oder Verlautbarung beendet werden sollen. Eine solche Erklärung hat die Beklagte gegenüber der Klägerin zu keinem Zeitpunkt abgegeben.
B.
Die Klägerin hat einen Verfügungsanspruch und diesen auch hinreichend glaubhaft gemacht.
1. In einem ungekündigten Arbeitsverhältnis besteht grundsätzlich ein Beschäftigungsanspruch. Das folgt aus dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Der Anspruch ist gerichtet auf vertragsgemäße Beschäftigung. Das ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht nur ein Beschäftigungsanspruch als „gewöhnliche Ärztin“. Ausweislich des zur Akte gereichten Zeugnisses wurde die Klägerin am 1. Februar 2016 „geschäftsführende Oberärztin der Klinik für Herz- und Thorakale Gefäßchirurgie“. Das ist, wie bereits dargelegt, eine im Krankenhausbereich festgelegte hierarchische Position, die sich auch in der Vergütung niederschlägt. In eine derartige Rechtsposition kann nicht arbeitsrechtlich wirksam durch schlichte Ausübung des Direktionsrechts eingegriffen werden, was die Beklagte jedoch, handelnd durch den neuen Chefarzt Prof. Dr. E. seit April 2018 versucht.
2. Eine solche Vorgehensweise, die dem Beschäftigungsanspruch entgegenstehen könnte, ist nur dann gerechtfertigt, wenn ihm überwiegende und schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Insoweit bedarf es einer substantiierten Darlegung seitens der Arbeitgeberin sowie der Überprüfung, ob die Interessen schutzwürdig sind und einer Interessenabwägung, inwieweit die dargelegten Arbeitgeberinteressen das Interesse des Arbeitnehmers an einer Beschäftigung überwiegen. Dabei kann auf Seiten des Arbeitnehmers das allgemein zu bejahende Beschäftigungsinteresse im Einzelfall noch durch besondere Interessen ideeller und/oder materieller Art verstärkt werden, etwa der Geltung in der Berufswelt oder der Erhaltung von Fachkenntnissen.
3. Solche, überwiegend schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers sind vorliegend nicht feststellbar und auch nicht substantiiert dargelegt.
a. Es ist rechtlich unbeachtlich, dass es bei einem Chefarztwechsel üblich sein soll, dass der „neue Chef“ das Ärzteteam insgesamt anpasst und es in seinem Ermessen stehen soll, mit welchen (leitenden) Oberärzten und Assistenzärzten er zusammenarbeiten möchte. Der Chefarzt, der mit der Klägerin nicht mehr zusammenarbeiten möchte, ist nicht der Vertragsarbeitgeber, allenfalls der disziplinarische Vorgesetzte. Der Vertragsarbeitgeber ist jedoch rechtlich verantwortlich für die Einhaltung der Vorgaben des Arbeitsvertrages und die korrekte Ausübung des Direktionsrechts unter Beachtung billigen Ermessens und kann sich nicht seiner durch gesetzliche Spielregeln und Grenzen festgelegten Verantwortung unter Hinweis auf andere Beschäftigtengruppen entledigen. Wird ein neuer Chefarzt zusammen mit dessen favorisierten Team angeworben, obgleich die entsprechenden Arbeitsplätze noch besetzt sind, obliegt es der Beklagten, das Problem der Doppelbesetzung unter Beachtung der arbeitsvertraglichen Ansprüche seiner Arbeitnehmer zu lösen. Ein Teamüberhang oder ein nicht - mehr - passendes Team kann daher nicht als schutzwürdiges Interesse der Arbeitgeberseite anerkannt werden. Diese Fragestellung hätte die Beklagte ggf. bereits vor Entstehung des Überhangs lösen müssen.
b. Das seitens der Beklagten angeführte „besondere Vertrauensverhältnis“ ist ebenfalls nicht geeignet, den Beschäftigungsanspruch der Klägerin zurücktreten zu lassen. Es ist bereits nicht dargelegt, aufgrund welcher konkreter Tatsachen, die der Klägerin angelastet werden könnten, ein Vertrauensverhältnis nicht herstellbar war und ist. Nach der Überzeugung der Kammer können nach Treu und Glauben persönliche Animositäten gegenüber dem aus dem Persönlichkeitsrecht abgeleiteten Beschäftigungsanspruch nicht schutzwürdiger sein. Die Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt dargelegt und ggf. glaubhaft gemacht, dass die vorgetragenen Spannungen von der Klägerin beeinflussbar waren und von ihr mit verursacht wurden. Soweit vorgebracht wird, sie werde dem fachlichen Anspruch des Prof. Dr. E. nicht gerecht, fehlt jegliche Konkretisierung des fachlichen Anspruchs und jegliche Konkretisierung, woraus sich konkrete, berechtigte Zweifel an der fachlichen Leistung und Qualifikation der Klägerin ergeben sollen. Auch die zur Akte gereichte eidesstattliche Versicherung des Herrn Prof. Dr. E. enthält hierzu nur pauschale Aussagen, die nicht überprüfbar sind und keine konkreten, der Klägerin vorwerfbaren Fakten enthalten. Soweit jedoch sowohl in den Schriftsätzen der Beklagten als auch in der eidesstattlichen Versicherung immer wieder auf wiederholte fehlende Präsenz der Klägerin bei bestimmten Ereignissen und/oder Terminen abgestellt wird, ist darauf hinzuweisen, dass der Abwesenheit der Klägerin Arbeitsunfähigkeit zugrunde lag. Damit ist kraft Gesetzes die Nichterbringung einer Arbeitsleistung während attestierter Arbeitsunfähigkeit entschuldigt und gerechtfertigt, was ein Klinikum und Ärzte wissen müssten.
c. Demgegenüber wird das allgemeine Beschäftigungsinteresse der Klägerin noch durch besondere Interessen verstärkt. Die Klägerin schuldet arbeitsvertraglich eine dreigeteilte Arbeitsleistung. Sie ist zur Tätigkeit in der Krankenversorgung verpflichtet, sie hat in der Wissenschaft tätig zu sein und in der Forschung. Mit der Freistellung wurde sie aus allen drei Bereichen ausgeschlossen. Die Klägerin arbeitet zudem auf eine Professur hin, die sie bei ungestörtem Verlauf des Beschäftigungsverhältnisses in etwa 1 ½ Jahren erlangen könnte. Hierzu ist jedoch zwingend die Arbeit im Krankenhausbetrieb erforderlich, aber auch die Weiterarbeit in der Wissenschaft und Forschung. Damit einher geht die Weiterbetreuung der 18 Doktoranden. Ohne die Tätigkeit in dem einen Bereich, können die anderen Bereiche nicht „leben“. Die Beklagte hat die Klägerin durch die erzwungene Freistellung von einem Tag auf den anderen ausgeschaltet, ohne dass sich die Klägerin etwas zu Schulden kommen lassen hätte. Auch der insoweit angeführte Abmahnungsrechtsstreit lässt keine andere Schlussfolgerung zu. Bisher steht nicht fest, ob tatsächlich überhaupt eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung seitens der Klägerin begangen wurde. Selbst wenn das jedoch der Fall gewesen sein sollte, ergäbe sich unter keinem erdenklichen rechtlichen Gesichtspunkt eine Berechtigung seitens der Arbeitgeberin, deshalb eine ordentlich unkündbare Mitarbeiterin fristlos freizustellen.
d. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung ist vorliegend auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte nach der Überzeugung der Kammer ihre rechtliche Möglichkeit, ihre Arbeitnehmerin einseitig freizustellen, zur Durchsetzung nicht schutzwürdiger Eigeninteressen missbraucht hat. Ausweislich des Freistellungsschreibens vom 22.11.2019 erfolgte die Freistellung zur Erzwingung und Durchführung von Verhandlungen über die Aufhebung bzw. Abwicklung des Anstellungsverhältnisses, welches die Beklagte aufgrund der langjährigen Betriebszugehörigkeit der Klägerin sowie ihrer Position als Strahlenschutzbeauftragte nicht ordentlich kündigen kann. Kein Arbeitnehmer ist rechtlich verpflichtet, Verhandlungen über die Aufhebung und Abwicklung des eigenen Anstellungsvertrages durchzuführen. Das versucht die Beklagte mit der vorliegenden Freistellung jedoch durchzusetzen. Eine solche Vorgehensweise ist nicht schutzwürdig.
C.
Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hatte, liegt hier auch ein Verfügungsgrund vor.
1. Die Beklagte hat die Klägerin mit der Freistellung und der damit einhergehenden Trennung von den Systemen und EDV-Zugängen, aber auch mit den Veränderungen auf der Homepage für Dritte „unsichtbar“ gemacht. Sie war sowohl für die Krankenversorgung, als auch für die Wissenschaft, als auch für die Forschung auf Veranlassung der Beklagten nicht mehr existent. Es kann dahingestellt bleiben, ob sie über die Unterzeichnung eines Formulars die UzL-Anbindung hätte wiederherstellen lassen können, obgleich sie infolge der abgenommenen Zugangskarte keinen Zutritt mehr hatte. Jedenfalls dürfte es sich nach der Überzeugung der Kammer insoweit um keine „Holschuld“ der Klägerin gehandelt haben.
2. Die Tatsache, dass die Klägerin in der Zeit zwischen April 2018 und November 2019 nicht bereits gerichtliche Hilfe zur Durchsetzung ihrer vertraglichen Ansprüche in Anspruch genommen hat, ist nicht geeignet, den Verfügungsgrund entfallen zu lassen. Zum einen war die Klägerin insoweit unstreitig in diesem Zeitfenster lange dienstunfähig krank. Zum anderen hat die Klägerin in dieser Zeit zunächst - und das wird von jedem Arbeitnehmer/jeder Arbeitnehmerin erwartet - versucht, die Spannungen außergerichtlich zu lösen und einvernehmliche Tätigkeitsveränderungen zu suchen und herbeizuführen. Das kann ihr nicht angelastet werden. Erst nachdem die Beklagte der Klägerin am 22. November 2019 die Freistellungsverfügung aushändigte, entstand für die Klägerin die Dringlichkeit für ein Eilverfahren.
3. Es ist unschädlich, dass die Klägerin bis dato kein Hauptsacheverfahren eingeleitet hat. Das Arbeitsverhältnis ist ungekündigt. Hieraus ergibt sich ihr Beschäftigungsanspruch.
D.
Im Übrigen ist auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu verweisen.
Aus den genannten Gründen ist die Berufung der Beklagten unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.