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Arbeitsrecht
16.03.2023
Arbeitsrecht
BAG: Pflegedienst in der Ambulanz einer Universitätsklinik – Zulage nach der Vorbemerkung Nr. 8 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO TV-L

BAG, Urteil vom 19.1.2023 – 6 AZR 62/22

ECLI:DE:BAG:2023:190123.U.6AZR62.22.0

Volltext: BB-Online BBL2023-691-2

Orientierungssatz

Pflegerinnen und Pflegehelferinnen an Universitätskliniken erhalten eine Zulage nach der Vorbemerkung Nr. 8 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO auch dann, wenn sie in einem der in der Vorbemerkung Nr. 6 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO genannten Bereiche beschäftigt sind und dort keine pflegerischen Tätigkeiten ausüben. Ausgenommen sind nur Beschäftigte, die überwiegend Verwaltungs- oder Empfangstätigkeiten verrichten (Rn. 19 ff.).

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Zulage.

Der Kläger ist bei dem beklagten Universitätsklinikum als Krankenpfleger beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft vertraglicher Inbezugnahme der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung. Die Anlage A Entgeltordnung zum TV-L (im Folgenden EntgO) lautet in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 11 zum TV-L mit Wirkung seit dem 1. Januar 2019 auszugsweise wie folgt:

 „Teil IV Beschäftigte im Pflegedienst

1.    Beschäftigte in der Pflege

Vorbemerkungen

1.    … 2Die Bezeichnung ‚Pflegerinnen‘ umfasst Gesundheits- und Krankenpflegerinnen, … in allen Fachrichtungen bzw. Spezialisierungen.

…      

6.    1Zu der entsprechenden Tätigkeit von Pflegehelferinnen bzw. von Pflegerinnen gehört auch die Tätigkeit in Ambulanzen, Blutzentralen, in Milchküchen oder Frauenmilchsammelstellen und Dialyseeinheiten, soweit es sich nicht überwiegend um eine Verwaltungs- oder Empfangstätigkeit handelt. …

…      

8.    1Pflegerinnen und Pflegehelferinnen an Universitätskliniken erhalten eine monatliche Zulage nach Anlage F Abschnitt IV Nr. 8. …

…      

Entgeltgruppe KR 7

1.    Pflegerinnen mit mindestens dreijähriger Ausbildung und entsprechender Tätigkeit.

…“

Die Eingruppierungsregelungen bezüglich anderer Entgeltgruppen sehen ebenfalls neben einer bestimmten Qualifikation das Erfordernis „entsprechender Tätigkeit“ vor. Die Vorbemerkungen zu Ziffern 9 bis 11 beziehen sich auf „Beschäftigte der Entgeltgruppen KR 5 bis KR 9“ und gewähren für bestimmte Tätigkeiten monatliche Zulagen.

Die Niederschriftserklärungen zur EntgO lauten in Ziffer 10 wie folgt:

„Zu Teil IV Abschnitt 1 Vorbemerkung Nr. 8

Die Tarifvertragsparteien sind sich darüber einig, dass auch Hebammen sowie Operationstechnische Assistentinnen und Anästhesietechnische Assistentinnen mit abgeschlossener Ausbildung nach der DKG-Empfehlung vom 17. September 2013 in der jeweiligen Fassung oder nach gleichwertiger landesrechtlicher Regelung, die die Tätigkeit von Gesundheits- und Krankenpflegerinnen oder von Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen auszuüben haben, die Zulage nach der Vorbemerkung Nr. 8 erhalten.“

Der Höhe nach belief sich die in Teil IV Abschnitt 1 Vorbemerkung Nr. 8 EntgO vorgesehene Zulage für Pflegerinnen und Pflegehelferinnen an Universitätskliniken nach Abschnitt IV Nr. 8 Anlage F zum TV-L bis zum 31. Dezember 2019 auf 120,00 Euro brutto monatlich.

Der Kläger wird nach Entgeltgruppe KR 7 TV-L vergütet. Er arbeitet in der Internistischen Ambulanz im Exzellenzzentrum für Entzündungsmedizin am Campus K des beklagten Universitätsklinikums. Im Wesentlichen besteht seine Tätigkeit in der Patientenaufnahme, der Blutentnahme, dem Legen von Infusionen und ggf. der Durchführung von Lungenfunktionsprüfungen. Zudem hat er die Sprechstundenassistenz mit Terminvereinbarung und Dokumentation vorzunehmen. Ihm obliegt ferner die hygienische Vor- und Nachbereitung der Behandlungsräume sowie die Materialbeschaffung. Alle Tätigkeiten werden im Wechsel mit anderen Beschäftigten verrichtet.

Nach Einführung der Zulage nach Teil IV Abschnitt 1 Vorbemerkung Nr. 8 EntgO zum 1. Januar 2019 schrieb Frau B als Ambulanzfachleitung eine E-Mail mit auszugsweise folgendem Inhalt an die Beklagte:

„… im Rahmen der Tariferhöhung sollte es eine gesonderte Erhöhung für examinierte Pflegekräfte geben. Auf meine Nachfrage vor ein paar Monaten wurde mir gesagt, dass es uns 5 (oben genannt mit mir) auch zusteht.

Laut dem letzten Info- Brief sollte dieses nun mit der Gehaltsabrechnung im Juli 2019 erfolgen.

Diese Zahlung hat aber keiner von uns erhalten. Laut Kollegen auf dem Campus ist in anderen Ambulanzen/Funktionen aber erfolgt.

Wir bitten um Klärung und Rückmeldung.“

Der Name des Klägers ist im „Cc“ der E-Mail angeführt.

Mit Schreiben vom 25. November 2019 wandte sich der Kläger selbst an das Dezernat Personal der Beklagten und beantragte die ihm „zustehenden 120,00 Euro Zulage für Pflegekräfte gemäß des letzten Tarifabschlusses rückwirkend ab dem 1.1.2019“. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 16. Dezember 2019 ab. Für die Gewährung sei zwingende Voraussetzung, dass eine krankenpflegerische Tätigkeit ausgeübt werde. Im Bereich des Klägers bilde die krankenpflegerische Tätigkeit nicht den Schwerpunkt.

Mit seiner Klage hat der Kläger die Zahlung der Zulage nach Teil IV Abschnitt 1 Vorbemerkung Nr. 8 EntgO für die Zeit seit dem 1. Januar 2019 verlangt. Er sei im Pflegedienst der Beklagten beschäftigt. Die Vorbemerkung Nr. 8 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO verlange keine „entsprechende Tätigkeit“ als Pflegerin oder Pfleger. Dessen ungeachtet stelle die Vorbemerkung Nr. 6 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO klar, dass die Tätigkeit in einer Ambulanz der Pflegetätigkeit entspreche, soweit nicht überwiegend Verwaltungs- oder Empfangstätigkeit verrichtet werde. Letzteres sei bei ihm nicht der Fall. Er sei vielmehr zu mindestens zwei Dritteln seiner Arbeitszeit pflegerisch tätig. Er leiste Behandlungspflege an den Patientinnen und Patienten der Ambulanz.

Ausgehend von einer Höhe der Zulage von monatlich 120,00 Euro brutto ergebe sich für die Monate von Januar 2019 bis einschließlich November 2020 ein Betrag von 2.760,00 Euro brutto.

Der Kläger hat beantragt,

1.    die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.760,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus auf einen Betrag von 360,00 Euro brutto ab dem 1. April 2019 sowie auf jeweils 120,00 Euro brutto seit dem 2. Mai 2019, 3. Juni 2019, 1. Juli 2019, 1. August 2019, 1. September 2019, 1. Oktober 2019, 1. November 2019, 2. Dezember 2019, 2. Januar 2020, 3. Februar 2020, 2. März 2020, 1. April 2020, 4. Mai 2020, 1. Juni 2020, 1. Juli 2020, 3. August 2020, 1. September 2020, 1. Oktober 2020, 2. November 2020 sowie dem 1. Dezember 2020 zu zahlen;

2.    festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger eine Zulage (Pflegezulage) in Höhe von 120,00 Euro brutto monatlich ab dem 4. Januar 2021 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Der Kläger sei schon nicht dem Pflegedienst zuzuordnen. Er verrichte in der Ambulanz durchweg Tätigkeiten, welche medizinischen Fachangestellten in ambulanten Praxen übertragen würden. Der Umstand, dass der Kläger noch als Krankenpfleger eingruppiert sei, stehe dem nicht entgegen. Dies beruhe auf der Entscheidung, aus sozialen Gründen auf eine korrigierende Rückgruppierung zu verzichten. Nach den tariflichen Vorgaben sei der Kläger als medizinischer Fachangestellter nach Teil II Abschnitt 10.8 EntgO einzugruppieren.

Die Gewährung setze die Verrichtung pflegerischer Tätigkeit voraus. Das verdeutlichen schon die Überschrift zu Teil IV EntgO „Beschäftigte im Pflegedienst“ und die Überschrift zu Abschnitt 1 „Beschäftigte in der Pflege“. Bezogen auf die Vorbemerkung Nr. 8 werde dieses Tarifverständnis durch die Niederschriftserklärung zu Teil IV Abschnitt 1 Vorbemerkung Nr. 8 EntgO verdeutlicht. Auch diese setze die pflegerische Tätigkeit für den Erhalt der Zulage voraus. Die Vorbemerkung Nr. 6 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO stelle demgegenüber lediglich klar, dass aus dem Umstand der Tätigkeit einer Pflegekraft in einer Ambulanz nicht gefolgert werden dürfe, dass diese nicht als Gesundheits- und Krankenpflegerin eingruppiert werden könne. Nach der Auffassung des Klägers könne hingegen selbst ein Beschäftigter, der zwar eine Ausbildung als Krankenpfleger abgeschlossen habe, aber in der Ambulanz einer Universitätsklinik als Reinigungskraft eingesetzt werde, die Zulage nach Teil IV Abschnitt 1 Vorbemerkung Nr. 8 EntgO beanspruchen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht dieses Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Er stützt den Anspruch allerdings nicht mehr in Bezug auf Mitarbeiter anderer Ambulanzen auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

Aus den Gründen

16        Die Revision ist überwiegend begründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger seit dem 1. Januar 2019 Anspruch auf die Zulage nach Teil IV Abschnitt 1 Vorbemerkung Nr. 8 EntgO. Daraus folgende Zahlungsansprüche sind bezogen auf die Monate Januar bis einschließlich Mai 2019 jedoch wegen Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist verfallen. Diesbezüglich ist die Revision zurückzuweisen.

 

17        I. Die mit dem Antrag zu 1. erhobene Zahlungsklage ist für die Zeit ab Juni 2019 begründet.

 

18        1. Der Kläger hat als Pfleger an einer Universitätsklinik nach Teil IV Abschnitt 1 Vorbemerkung Nr. 8 EntgO Anspruch auf eine monatliche Zulage nach Abschnitt IV Nr. 8 Anlage F zum TV-L.

 

19        a) Dabei kann entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts dahingestellt bleiben, ob und ggf. welche pflegerischen Tätigkeiten der Kläger im Infusionsraum der Internistischen Ambulanz verrichtet. Dies folgt aus der Vorbemerkung Nr. 6 Satz 1 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO.

 

20        aa) Abschnitt 1 des Teils IV EntgO bezieht sich auf „Beschäftigte in der Pflege“. Der Begriff der Pflege bzw. des Pflegedienstes ist tarifvertraglich nicht definiert. Zum Pflegedienst gehören ausweislich der Vorbemerkungen zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO sowie der nachfolgenden Eingruppierungsregelungen alle Pflegerinnen und Pflegehelferinnen mit „entsprechender Tätigkeit“ sowie pflegerisch tätige Beschäftigte mit einer Qualifikation, welche Pflegehelferinnen und Pflegerinnen ausweislich der Vorbemerkungen gleichgestellt ist (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Teil III Abschn. IV/1 – Beschäftigte im Pflegedienst Stand Januar 2020 Rn. 14 ff.).

 

21        bb) Teil IV Abschnitt 1 EntgO erfasst damit primär die sog. „Pflege am Bett“ (vgl. Breier/Ewinger/Faber TV-L EntgO Teil D 1.4.1 Stand Juni 2020 Rn. 14). Nach Teil IV Abschnitt 1 Vorbemerkung Nr. 6 Satz 1 EntgO gehört zu der „entsprechenden Tätigkeit“ von Pflegehelferinnen bzw. Pflegerinnen ua. aber auch die Tätigkeit in Ambulanzen, soweit es sich nicht überwiegend um eine Verwaltungs- oder Empfangstätigkeit handelt. Gleiches gilt für Blutzentralen, Milchküchen, Frauenmilchsammelstellen und Dialyseeinheiten. In der bis zum 31. Dezember 2018 geltenden Fassung sah Teil IV EntgO hierfür noch spezielle bereichsbezogene Eingruppierungsmerkmale vor. Diese sind mit der zum 1. Januar 2019 in Kraft getretenen Neufassung des Teils IV EntgO entfallen, da es sich typischerweise nicht um pflegende Tätigkeiten im dargestellten Sinne des Teils IV EntgO handelt. Über die Vorbemerkung Nr. 6 wird die Tätigkeit in den genannten Bereichen gleichwohl den „entsprechenden Tätigkeiten“ von Beschäftigten in der Pflege zugewiesen, um eine entsprechende Eingruppierung der dort beschäftigten Pflegehelferinnen und Pflegerinnen zu ermöglichen (vgl. Müller ZTR 2020, 191 unter 5.2.1).

 

22        cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Vorbemerkung Nr. 6 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO keine reine Eingruppierungsregelung. Die Tarifvertragsparteien haben mit dieser für die von ihr erfassten Beschäftigten vielmehr nicht nur eine Eingruppierung nach den für die Beschäftigten im „klassischen“ Pflegedienst geltenden Eingruppierungsregelungen ermöglicht, sondern darüber hinaus für diese Pflegehelferinnen bzw. Pflegerinnen den gesamten Anwendungsbereich des Teils IV Abschnitt 1 EntgO eröffnet, soweit sie nicht überwiegend Verwaltungs- oder Empfangstätigkeiten verrichten. Durch die Vorbemerkung Nr. 6 werden sie zu „Beschäftigten in der Pflege“ bzw. zu „Beschäftigten im Pflegedienst“. Das macht bereits der Wortlaut der Regelung deutlich. Im Unterschied zur Vorbemerkung Nr. 5 haben die Tarifvertragsparteien für den von der Vorbemerkung Nr. 6 erfassten Personenkreis nicht nur angeordnet, dass diese nach den Tätigkeitsmerkmalen für Pflegerinnen „eingruppiert sind“, sondern haben deren Tätigkeiten als „entsprechende Tätigkeit“ von Pflegehelferinnen bzw. von Pflegerinnen gewertet, sofern nicht überwiegend lediglich Verwaltungs- oder Empfangstätigkeiten zu erbringen sind. Diese umfassende Geltung des Teils IV Abschnitt 1 EntgO entspricht auch dem erkennbaren Sinn der Regelung, den genannten Beschäftigtengruppen – entsprechend ihrer Qualifikation – die Einordnung als Pflegekräfte zukommen zu lassen, ohne dass ihre konkrete Tätigkeit in den angeführten Bereichen vom Vorhandensein bzw. Ausmaß einer pflegerischen Tätigkeit abhinge. Eine weitergehende Differenzierung innerhalb der „Beschäftigten in der Pflege“ nach ihrem Anteil pflegerischer Tätigkeit würde der mit Teil IV Abschnitt 1 EntgO bezweckten umfassenden Regelung der Vergütung der „Beschäftigten im Pflegedienst“, die die Vergütung gerade vereinheitlichen will, widersprechen. Die Vorbemerkungen Nr. 1 bis Nr. 6 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO stellen in der Gesamtschau letztlich eine Zusammenfassung des Personals dar, welches – entsprechend der Überschrift – die Gruppe der „Beschäftigten in der Pflege“ bildet. Deren Vergütung richtet sich dann nach den Entgeltregelungen des Abschnitts 1 des Teils IV EntgO, so dass sie unabhängig vom Ausmaß ihrer pflegerischen Tätigkeit auch Anspruch auf die in den Vorbemerkungen enthaltenen Zulagen haben können. Die ansonsten bestehende Ungleichbehandlung lässt sich aus den Tarifregelungen nicht ableiten.

 

23        dd) Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, welche „Beschäftigten in der Pflege“ die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung bestimmter Zulagen nach den Vorbemerkungen Nr. 8 bis Nr. 11 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO erfüllen.

 

24        (1) Diese differenzieren bezüglich der Ansprüche auf Zulagen entweder nach der Beschäftigungseinrichtung (Vorbemerkung Nr. 8 – Universitätskliniken) oder nach der Eingruppierung verbunden mit besonderen Tätigkeiten (Vorbemerkungen Nr. 9 bis Nr. 11 – Entgeltgruppen KR 5 bis KR 9). Es handelt sich um jeweils selbstständige Anspruchsvoraussetzungen. Eine einheitliche „Pflegezulage“ gibt es nicht.

 

25        (2) Bezüglich der mit der Vorbemerkung Nr. 8 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO für Pflegerinnen und Pflegehelferinnen an Universitätskliniken vorgesehenen Zulage haben die Tarifvertragsparteien in Ziffer 10 der Niederschriftserklärungen zur EntgO darüber hinaus für bestimmte Beschäftigtengruppen, welche hinsichtlich ihrer Qualifikation nicht zum Kreis der „Beschäftigten in der Pflege“ gehören und nach der Vorbemerkung Nr. 5 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO nur entsprechend eingruppiert sind, den Erhalt der Zulage gewährt, falls diese die Tätigkeit von Gesundheits- und Krankenpflegerinnen oder von Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen auszuüben haben. Einer solchen Anordnung bedurfte es für die von der Vorbemerkung Nr. 6 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO erfassten Beschäftigten wegen des weitergehenden Wortlauts dieser Regelung nicht.

 

26        (3) Damit haben die Tarifvertragsparteien bei einer Gesamtschau nicht nur die Pflegekräfte, deren Tätigkeit ihrer pflegerischen Qualifikation entspricht, mit der streitbefangenen Zulage bedacht, sondern auch Personen, welche entweder nicht im eigentlichen Pflegedienst tätig sind (Vorbemerkung Nr. 6) oder zwar Pflegearbeit verrichten, hierfür aber nicht die typischen Formalqualifikationen aufweisen (Ziffer 10 der Niederschriftserklärungen zur EntgO). Dies entspricht dem Zweck der Zulagengewährung. Mit der zum 1. Januar 2019 eingeführten dynamischen Pflegezulage für Pflegerinnen und Pflegehelferinnen an Universitätskliniken sollte die Attraktivität des Pflegedienstes an solchen Kliniken erhöht werden (vgl. Müller ZTR 2020, 191 unter 5.3). Die Gewährung der Zulage setzt dementsprechend nur voraus, dass es sich bei dem Beschäftigten um einen Pfleger oder Pflegehelfer iSd. Teils IV Abschnitt 1 EntgO handelt und dieser an einer Universitätsklinik beschäftigt ist. Weitere Anspruchsvoraussetzungen bestehen nicht, insbesondere sind keine bestimmten oder besonderen pflegerischen Leistungen zu erbringen (Breier/Ewinger/Faber TV-L EntgO Teil D 1.4.1 Stand November 2022 Rn. 29). Auch auf den Einsatzort innerhalb der Universitätsklinik kommt es nicht an (BeckOK TV-L EntgO/Steuernagel TV-L-EGO T4.1.E5 Stand 1. September 2022 Rn. 7).

 

27        (4) Entgegen der Auffassung der Beklagten ergeben sich hieraus bezogen auf den Kreis der zulagenberechtigten Beschäftigten keine Widersprüchlichkeiten. Eine Reinigungskraft, welche über eine abgeschlossene Ausbildung als Pflegefachkraft verfügt, wäre nach der Vorbemerkung Nr. 6 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO nicht dem Pflegedienst zuzurechnen, da sich ihre Tätigkeit nicht auf den Aufgabenbereich einer Ambulanz als solcher bezieht. Das von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der Verhandlung vor dem Senat angeführte Beispiel eines Angehörigen der Geschäftsleitung mit pflegerischer Ausbildung verfängt ebenfalls nicht, weil die Vorbemerkung Nr. 6 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO schon diesen Bereich nicht erfasst und zudem eine Verwaltungstätigkeit vorliegen würde. Die Vergütung der medizinischen Fachangestellten ist entsprechend der unterschiedlichen Qualifikationen und Verwendungsmöglichkeiten in Teil II Abschnitt 10.8 EntgO eigenständig und abschließend geregelt. Zudem haben die Tarifvertragsparteien durch den Änderungstarifvertrag Nr. 12 zum TV-L vom 29. November 2021 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2022 für diese Beschäftigtengruppe eine eigene Zulage für den Dienst an Universitätskliniken vorgesehen.

 

28        b) Der Kläger kann eine Zulage nach der Vorbemerkung Nr. 8 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO iVm. Abschnitt IV Nr. 8 Anlage F zum TV-L beanspruchen.

 

29        aa) Er ist Pfleger iSd. Teils IV Abschnitt 1 EntgO und über die Vorbemerkung Nr. 6 Satz 1 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO in das tarifliche Vergütungssystem für Beschäftigte in der Pflege eingebunden.

 

30        (1) Als gelernter Krankenpfleger erfüllt er nach Teil IV Abschnitt 1 Vorbemerkung Nr. 1 Satz 2 EntgO die Qualifikationsanforderung für einen Beschäftigten in der Pflege. Dies steht zwischen den Parteien nicht in Streit und wird auch dadurch verdeutlicht, dass der Kläger nach Entgeltgruppe KR 7 Fallgruppe 1 TV-L vergütet wird. Diese Eingruppierung setzt eine mindestens dreijährige Ausbildung in einem Pflegeberuf voraus (zur Ausbildung von Krankenpflegern vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Teil III Abschn. IV/1 – Beschäftigte im Pflegedienst Stand Januar 2020 Rn. 76 ff.).

 

31        (2) Der Kläger ist in einer Ambulanz tätig. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts arbeitet er in der Internistischen Ambulanz im Exzellenzzentrum für Entzündungsmedizin der Beklagten.

 

32        (3) Der Kläger übt nicht überwiegend eine Verwaltungs- oder Empfangstätigkeit aus. Er hat unbestritten vorgetragen, dass er mindestens zu zwei Dritteln Tätigkeiten an den Patienten verrichte. Unabhängig von der Frage, ob es sich hierbei um pflegerische Tätigkeiten handelt, steht damit außer Streit, dass der Kläger überwiegend mit den Patienten und nicht im Verwaltungsbereich arbeitet. Ob es sich bei der Tätigkeit des Klägers inhaltlich um Aufgaben handelt, welche typischerweise medizinischen Fachangestellten und nicht Pflegekräften übertragen werde, ist nach dem vorstehend ausgeführten Tarifverständnis ohne Belang.

 

33        bb) Der Kläger ist unstreitig bei der beklagten Universitätsklinik beschäftigt und erfüllt damit die Voraussetzungen für die Zulage nach der Vorbemerkung Nr. 8 zu Teil IV Abschnitt 1 EntgO, ohne dass es entsprechend der Rechtsansicht des Landesarbeitsgerichts auf die tatsächliche Ausübung pflegerischer Tätigkeiten ankäme (aA mit Bezug auf die hier angegriffene Entscheidung Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Teil III Abschn. IV/1 – Beschäftigte im Pflegedienst Stand Juli 2022 Rn. 311a).

 

34        2. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich jedoch im Ergebnis insofern als richtig, als es die Zahlungsklage bezogen auf die Monate Januar bis einschließlich Mai 2019 abgewiesen hat. Insoweit ist die Revision zurückzuweisen (§ 561 ZPO). Dem mit dem Antrag zu 1. bezogen auf diese Monate geltend gemachten Zahlungsanspruch steht die Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist entgegen.

 

35        a) Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 TV-L sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von den Beschäftigten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. Für denselben Sachverhalt reicht die einmalige Geltendmachung des Anspruchs auch für später fällige Leistungen aus (§ 37 Abs. 1 Satz 2 TV-L). Für eine ordnungsgemäße Geltendmachung ist erforderlich, dass der Anspruchsgegner zur Erfüllung eines bestimmten Anspruchs aufgefordert wird. Der Anspruchsteller muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er Inhaber einer nach Grund und Höhe spezifizierten Forderung ist und auf der Erfüllung dieser Forderung besteht. Allein die Aufforderung, die bisherige Nichterfüllung „zu überdenken“ oder „zu überprüfen“, ist noch keine Geltendmachung im Tarifsinn, weil ihr das eindeutige Erfüllungsverlangen fehlt (BAG 23. November 2017 – 6 AZR 33/17 – Rn. 26 mwN, BAGE 161, 122). Der Erklärende bringt damit nicht zum Ausdruck, den Arbeitgeber auch unabhängig vom Ergebnis der Prüfung in Anspruch nehmen zu wollen (vgl. zu § 37 Abs. 1 TVöD-V BAG 11. April 2019 – 6 AZR 104/18 – Rn. 32 mwN, BAGE 166, 285; zu § 37 Abs. 1 TVöD-AT BAG 12. September 2022 – 6 AZR 261/21 – Rn. 51).

 

36        b) Unabhängig von der Frage der Bevollmächtigung durch den Kläger war die E-Mail von Frau B als Ambulanzfachleitung vom 2. August 2019 entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht geeignet, die Ausschlussfrist nach § 37 Abs. 1 TV-L zu wahren. Dies kann der Senat selbst entscheiden (vgl. BAG 12. September 2022 – 6 AZR 261/21 – Rn. 50). Mit der E-Mail wird nicht unmissverständlich eine Forderung erhoben, sondern nur eine Bitte „um Klärung und Rückmeldung“ geäußert. Letztlich bezweckt die E-Mail ihrem Wortlaut nach nur die Beseitigung einer Unsicherheit bezüglich der Tarifänderung. Dies stellt keine ordnungsgemäße Geltendmachung iSd. § 37 Abs. 1 Satz 1 TV-L dar.

 

37        c) Erst das Schreiben des Klägers vom 25. November 2019 erfüllt die Anforderungen an eine Geltendmachung. Mit diesem macht der Kläger deutlich, dass er sich als Inhaber des Anspruchs sieht („… mir zustehenden 120,00 Euro Zulage für Pflegekräfte …“) und dessen Erfüllung verlangt. Die Formulierung einer „Beantragung“ steht dem nicht entgegen, es handelt sich dabei erkennbar um eine Zahlungsaufforderung.

 

38        d) Diese kann jedoch keine Rückwirkung zum 1. Januar 2019 entfalten.

 

39        aa) Bei der Zulage nach Teil IV Abschnitt 1 Vorbemerkung Nr. 8 EntgO iVm. Abschnitt IV Nr. 8 Anlage F zum TV-L handelt es sich um einen monatlichen Entgeltbestandteil, der nach § 24 Abs. 1 TV-L spätestens am letzten Tag des Kalendermonats zur Zahlung fällig ist.

 

40        bb) Die Zulage für April 2019 war zum 30. April 2019 zur Zahlung fällig, dh. die Ausschlussfrist endete am 30. Oktober 2019 und konnte schon deshalb durch das Schreiben vom 25. November 2019 nicht mehr gewahrt werden. Erst recht gilt dies für die Monate Januar bis einschließlich März 2019. Bezüglich der Zulage für Mai 2019, welche am 31. Mai 2019 zur Zahlung fällig wurde, endete die Frist zur Geltendmachung am 2. Dezember 2019, weil der 30. November 2019 ein Samstag war (§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, Abs. 3, § 193 BGB). Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er das Schreiben vom 25. November 2019 der Beklagten so rechtzeitig übermittelt hat, dass – ggf. unter Berücksichtigung üblicher Postlaufzeiten – mit einem Zugang vor Ablauf der Ausschlussfrist zu rechnen war (vgl. zu diesem Erfordernis BAG 12. Dezember 2018 – 5 AZR 588/17 – Rn. 40). Erst bezüglich der Zulage für Juni 2019 ist die rechtzeitige Geltendmachung durch das ablehnende Schreiben der Beklagten vom 16. Dezember 2019 belegt.

 

41        e) Die Zahlungsklage ist daher nur bezüglich der Forderung für die Monate Juni 2019 bis einschließlich November 2020 begründet. Der Höhe nach beläuft sie sich entsprechend der Antragstellung nach Abschnitt IV Nr. 8 Anlage F zum TV-L in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung auf 120,00 Euro brutto monatlich und damit auf insgesamt 2.160,00 Euro brutto. Zudem kann der Kläger nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB Verzugszinsen für die einzelnen monatlichen Beträge jedenfalls ab dem ersten Tag des Folgemonats oder ab einem späteren Zeitpunkt verlangen.

 

42        II. Die Feststellungsklage ist dementsprechend begründet. Der Antrag ist nach dem Vorbringen des Klägers dahingehend zu verstehen, dass er sich auf die Zulage nach Teil IV Abschnitt 1 Vorbemerkung Nr. 8 EntgO iVm. Abschnitt IV Nr. 8 Anlage F zum TV-L und auf die Zeit ab Dezember 2020 bezieht. Diesbezüglich besteht wegen des Bestreitens des Anspruchs das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse an der Klärung des Streits (vgl. BAG 27. Januar 2022 – 6 AZR 564/20 – Rn. 19). Der Umstand, dass der Antrag die Tariferhöhungen ab dem 1. Januar 2020 nicht berücksichtigt, ist wegen § 308 Abs. 1 ZPO unbeachtlich.

 

43        III. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.               

                        Spelge   

                           

                        Wemheuer   

                           

                        Krumbiegel   

                                        

                           

           

 

 

 

BAG: Vertragsstrafe – Weiterbildung zum Facharzt – Allgemeine Geschäftsbedingungen – Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen – befristeter Ausschluss der ordentlichen Kündigung – unangemessene Benachteiligung – Höhe der Vertragsstrafe

BAG, Urteil vom 20.10.2022 – 8 AZR 332/21

ECLI:DE:BAG:2022:201022.U.8AZR332.21.0

Volltext: BB-Online BBL2023-▄-▄

Orientierungssätze

1. Vereinbarungen über Vertragsstrafen sind im Arbeitsleben so verbreitet, dass ihre Aufnahme in Formularverträge regelmäßig nicht überraschend ist (Rn. 32).

2. Die Regelung einer Vertragsstrafe in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist in-transparent i. S. v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, wenn das die Vertragsstrafe auslösende Fehlverhalten des Arbeitnehmers nicht präzise beschrieben wird (Rn. 36).

3. Die Höhe einer Vertragsstrafe kann eine unangemessene Benachteiligung i. S. v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB bewirken. Es gibt jedoch keinen Rechtssatz, dass eine Vertragsstrafe, die einen Bruttomonatsverdienst übersteigt, betroffene Arbeitnehmer stets unangemessen benachteiligen würde (Rn. 42 ff.).

4. Die im Fall einer fristgemäßen Kündigung einzuhaltende Kündigungsfrist kann ein relevanter Gesichtspunkt in der Abwägung sein, welche Höhe einer Vertragsstrafe noch angemessen ist. Die Länge der jeweils maßgeblichen Kündigungsfrist und die für diesen Zeitraum zu zahlende Vergütung spiegeln regelmäßig das mit der Vertragsstrafe zu sichernde wirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers an der Arbeitskraft des Arbeitnehmers wider (Rn. 49).

5. Im Fall eines langfristigen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung kann eine Vertragsstrafe, deren Höhe der bis zum Ablauf des vereinbarten Kündigungsausschlusses ausstehenden Vergütung entspricht, allerdings unangemessen hoch sein. Andernfalls würde nicht berücksichtigt, dass gerade die Kombination eines langfristigen Kündigungsausschlusses mit einer hohen Vertragsstrafe die betroffenen Arbeitnehmer besonders stark beeinträchtigt (Rn. 50).

6. Eine Vertragsstrafe i. H. v. drei Bruttomonatsvergütungen für den Fall, dass Ärzte in Weiterbildung das Arbeitsverhältnis vor Ablauf des vereinbarten Weiterbildungszeitraums durch ordentliche Kündigung beenden, kann unangemessen hoch sein (Rn. 51 ff.).

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten in der Revision noch über einen Anspruch der Klägerin auf Arbeitsentgelt für den Monat Februar 2018 sowie einen Anspruch der Beklagten auf eine Vertragsstrafe.

Die 1985 geborene, verheiratete Klägerin war seit dem 1. Februar 2016 bei den in vertragsärztlicher Gemeinschaftspraxis tätigen Dr. med. S und Dr. med. St als ärztliche Mitarbeiterin zur Weiterbildung zur Fachärztin beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lag der Arbeitsvertrag vom 7. Januar 2016 zugrunde, in dem es auszugsweise heißt:

㤠5 Arbeitszeit

Die Arbeitszeit beträgt 40 Stunden wöchentlich. …

…      

§ 11 Vertragsdauer, Kündigung

a)    Die ersten 5 Monate des Arbeitsverhältnisses gelten als Probezeit. Während der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden.

b)    Nach Ablauf der Probezeit wird die ordentliche Kündigung des

Arbeitsverhältnisses auf einen Zeitpunkt vor Ablauf des 31.7.2019 (Anm.: das Datum wurde handschriftlich eingefügt)

(42 Monate ab Beginn des Arbeitsverhältnisses) ausgeschlossen. Danach kann das Arbeitsverhältnis unter Beachtung der gesetzlichen Kündigungsfristen ordentlich gekündigt werden. Für den Arbeitgeber aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften geltende längere Kündigungsfristen sind auch vom Arbeitnehmer einzuhalten.

c)    Das Recht der Parteien zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt hiervon unberührt.

d)    Löst der Arbeitnehmer das Dienstverhältnis vertragswidrig nach Ablauf der Probezeit, so hat er eine Vertragsstrafe in Höhe von drei Bruttomonatsvergütungen zu bezahlen, höchstens jedoch eine Vertragsstrafe in der Höhe, die den Bruttovergütungen entspricht, die durch die vertragswidrige Loslösung vom Vertrag bis zum Ablauf des 42-Monats-Zeitraums entfallen.

Endet das Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers, die der Arbeitnehmer zu vertreten hat, hat der Arbeitnehmer eine Vertragsstrafe in Höhe dreier Bruttomonatsvergütungen zu bezahlen, höchstens jedoch eine Vertragsstrafe in der Höhe, die den Bruttovergütungen entspricht, die durch die außerordentliche Kündigung bis zum Ablauf des 42-Monats-Zeitraum entfallen.

Maßgeblich für die Höhe der Bruttomonatsvergütung, welche zur Berechnung der Vertragsstrafe heranzuziehen ist, ist die durchschnittliche Bruttomonatsvergütung des Arbeitnehmers aus den letzten drei vollen Kalendermonaten vor dem Kalendermonat, in welchem der die Vertragsstrafe auslösende Pflichtenverstoß stattfindet.

…“   

Zum 1. Januar 2017 ging das Arbeitsverhältnis auf die Beklagte über, die ein medizinisches Versorgungszentrum iSd. § 95 SGB V betreibt.

Mit dem Antritt des Arbeitsverhältnisses bei den Rechtsvorgängern der Beklagten begann für die Klägerin der erste Abschnitt ihrer 60-monatigen Weiterbildung zur Fachärztin für Dermatologie und Venerologie. Die Befugnis ihrer Arbeitgeber zur Weiterbildung erstreckte sich auf 30 Monate ambulante und 12 Monate stationäre Versorgung. Nach Ablauf des 42-Monats-Zeitraums hätte die Klägerin ihre Weiterbildung bei einem anderen Träger fortführen müssen, um ihre Facharztausbildung abzuschließen.

Während ihrer Weiterbildung führte die Klägerin im ambulanten Dienst eine Sprechstunde durch. Dabei standen ihr die ausbildenden Ärzte bei Bedarf unterstützend zur Verfügung. Außerdem überwachten diese die Weiterbildung der Klägerin, indem sie deren Weiterbildungsnachweise prüften. Diese Tätigkeit nahm zwischen 20 und 40 Minuten täglich in Anspruch.

Mit Schreiben vom 29. Januar 2018 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 28. Februar 2018. Zur Begründung berief sie sich auf familiäre Umstände, die einen Wohnortwechsel zu ihrem Ehemann zwingend notwendig machten.

Die Beklagte erteilte der Klägerin für den Monat Februar 2018 eine Entgeltabrechnung. Diese wies ein Bruttoentgelt iHv. 4.435,00 Euro sowie ein Nettoentgelt iHv. 3.017,39 Euro aus. Nach Abzug des Arbeitnehmerbeitrags für die Ärzteversicherung belief sich der an die Klägerin zu zahlende Betrag auf 2.604,93 Euro. Eine Auszahlung an die Klägerin erfolgte nicht. Im Berufungsverfahren ist unstreitig geworden, dass die Beklagte die Steuern und Sozialversicherungsabgaben sowie den Beitrag für die Ärzteversicherung abgeführt hat.

Mit E-Mail vom 20. März 2018 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass diese eine Vertragsstrafe iHv. 13.305,00 Euro verwirkt habe, erklärte mit dem Vertragsstrafenanspruch iHv. 2.604,93 Euro die Aufrechnung gegenüber dem Vergütungsanspruch der Klägerin und forderte die Klägerin darüber hinaus zur Zahlung einer restlichen Vertragsstrafe iHv. 10.700,07 Euro auf.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, weiterhin einen Anspruch auf Arbeitsentgelt für den Monat Februar 2018 zu haben. Dieser Anspruch sei nicht durch Aufrechnung der Beklagten erloschen. Die Aufrechnung sei insoweit bereits unzulässig, als die Pfändungsfreigrenze unterschritten werde. Im Übrigen stehe der Beklagten keine aufrechenbare Gegenforderung aus der Vertragsstrafenabrede in § 11 des Arbeitsvertrags zu. Sie, die Klägerin, habe keine Vertragsstrafe verwirkt, denn sie habe das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum Ablauf des 28. Februar 2018 gekündigt. Auf den im Arbeitsvertrag vorformulierten Kündigungsausschluss könne sich die Beklagte nicht berufen. Dieser bewirke eine unverhältnismäßige Einschränkung ihrer Berufsfreiheit und damit eine unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Darüber hinaus erweise sich auch die getroffene Vertragsstrafenabrede als unwirksam. Sie sei intransparent sowie überraschend und halte einer Angemessenheitskontrolle nicht stand. Eine Vertragsstrafe iHv. drei Bruttomonatsvergütungen sei unangemessen hoch.

Die Klägerin hat zuletzt sinngemäß beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie Vergütung für den Monat Februar 2018 iHv. 2.604,93 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. März 2018 zu zahlen.

Die Beklagte hat zuletzt sinngemäß beantragt,

die Klage insoweit abzuweisen, als die Klägerin die Zahlung eines den Betrag von 2.084,25 Euro übersteigenden Betrags nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. März 2018 fordere.

Widerklagend hat die Beklagte zuletzt beantragt,

die Klägerin zu verurteilen, an sie 12.785,25 Euro nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. April 2018 zu zahlen.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte hat – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – die Ansicht vertreten, der Anspruch der Klägerin auf das Arbeitsentgelt für den Monat Februar 2018 sei durch Aufrechnung erloschen, soweit das Entgelt pfändbar sei. Die Klägerin habe die Vertragsstrafe verwirkt. Die in § 11 des Arbeitsvertrags über die Mindestlaufzeit des Vertrags getroffene Vereinbarung sei wirksam. Ebenso wirksam sei die Vertragsstrafenregelung. Sie sei hinreichend transparent, insbesondere werde ausreichend deutlich, dass sich die Vertragsstrafe auf drei Bruttomonatsentgelte, höchstens jedoch die Summe des Entgelts bis zum Ende der Bindungsfrist belaufe. Die Höhe der Vertragsstrafe benachteilige die Klägerin auch nicht unangemessen. Es gebe keinen allgemeinen Grundsatz, dass eine Vertragsstrafe höchstens eine Bruttomonatsvergütung betragen dürfe. Vorliegend sei es ihr, der Beklagten, darum gegangen, sich den Wert der Arbeitsleistung während eines Zeitraums von 42 Monaten zu sichern. Zudem sei es nicht realistisch anzunehmen, dass eine Nachbesetzung der Stelle innerhalb eines Monats erfolgen könne. Nach der vertraglichen Gestaltung sei auch eine Übersicherung ausgeschlossen. Es könne niemals eine Vertragsstrafe anfallen, die höher sei als das Arbeitsentgelt, das für die Zeit bis zum rechtlich zulässigen Beendigungszeitpunkt zu zahlen sei.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von Arbeitsentgelt für Februar 2018 iHv. 4.435,00 Euro brutto verurteilt und die Widerklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wurde, an die Klägerin 2.604,93 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Revision, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag insoweit weiterverfolgt, als sie verurteilt wurde, an die Klägerin einen den Betrag von 2.084,25 Euro übersteigenden Betrag nebst Zinsen zu zahlen. Darüber hinaus verfolgt sie ihr Widerklagebegehren weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

Aus den Gründen

16        Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung von Arbeitsentgelt für den Monat Februar 2018 iHv. 2.604,93 Euro. Der Anspruch ist nicht – auch nicht teilweise – aufgrund der von der Beklagten erklärten Aufrechnung erloschen. Die Widerklage der Beklagten ist unbegründet. Die Beklagte hat gegenüber der Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe.

 

17        I. Die Klage ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von Arbeitsentgelt für den Monat Februar 2018 iHv. 2.604,93 Euro hat.

 

18        1. Die Parteien streiten nicht darüber, dass die Klägerin ursprünglich einen Anspruch auf Arbeitsentgelt iHv. 4.435,00 Euro brutto bzw. nach Abführung von Steuern und Sozialversicherungsabgaben sowie des Arbeitnehmerbeitrags für die Ärzteversicherung iHv. 2.604,93 Euro hatte.

 

19        2. Der Anspruch der Klägerin auf Arbeitsentgelt iHv. 2.604,93 Euro ist nicht – auch nicht teilweise – durch die mit E-Mail vom 20. März 2018 erklärte Aufrechnung der Beklagten nach § 389 BGB erloschen. Die Beklagte war zu keinem Zeitpunkt Gläubigerin einer aufrechenbaren Gegenforderung. Sie konnte von der Klägerin nicht die Zahlung einer Vertragsstrafe verlangen. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin die in § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags geregelte Vertragsstrafe überhaupt verwirkt, dh. ob sie das Arbeitsverhältnis vertragswidrig gelöst hatte oder ob – wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat – die in § 11 Buchst. b des Arbeitsvertrags über den Kündigungsausschluss getroffene Vereinbarung wegen unangemessener Benachteiligung der Klägerin iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam ist. Die Beklagte kann von der Klägerin bereits deshalb nicht die Zahlung einer Vertragsstrafe verlangen, weil die Vereinbarung über die Höhe der Vertragsstrafe in § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags zu einer unangemessenen Benachteiligung der Klägerin iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB führt und damit unwirksam ist. Die Unwirksamkeit von § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags führt gemäß § 306 Abs. 1 BGB zum ersatzlosen Fortfall der Klausel unter Aufrechterhaltung des Vertrags im Übrigen.

 

20        a) Nach § 11 Buchst. b des Arbeitsvertrags wird die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Probezeit auf einen Zeitpunkt vor Ablauf des 31. Juli 2019 (42 Monate ab Beginn des Arbeitsverhältnisses) ausgeschlossen. Danach kann das Arbeitsverhältnis unter Beachtung der gesetzlichen Kündigungsfristen ordentlich gekündigt werden. Nach § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags hat der Arbeitnehmer eine Vertragsstrafe iHv. drei Bruttomonatsvergütungen zu zahlen, höchstens jedoch eine Vertragsstrafe in der Höhe, die den Bruttomonatsvergütungen entspricht, die durch die vertragswidrige Loslösung vom Vertrag bis zum Ablauf des 42-Monats-Zeitraums entfallen, wenn er das Dienstverhältnis vertragswidrig nach Ablauf der Probezeit löst.

 

21        b) Bei den in § 11 des Arbeitsvertrags getroffenen Vereinbarungen handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts verwendet die Beklagte die Formulierungen in dem mit der Klägerin geschlossenen Arbeitsvertrag auch beim Vertragsschluss mit den anderen bei ihr zur Weiterbildung beschäftigten Ärzten. Die Vertragsbedingungen sind von der Beklagten auch unstreitig vorformuliert. Unabhängig hiervon lässt bereits das äußere Erscheinungsbild der formularmäßigen Vertragsgestaltung auf Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB schließen. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass das Datum „31.7.2019“, bis zu dem die Kündigung ausgeschlossen sein soll, von Hand eingefügt worden ist (vgl. zu einer handschriftlich vorgenommenen Streichung: BAG 16. Dezember 2021 – 8 AZR 498/20 – Rn. 19).

 

22        c) Es kann dahinstehen, ob die Klägerin durch die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zum 28. Februar 2018 die in § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags geregelte Vertragsstrafe überhaupt verwirkt, dh. ob sie das Arbeitsverhältnis vertragswidrig gelöst hat. Ob – wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat – der in § 11 Buchst. b des Arbeitsvertrags vereinbarte Kündigungsausschluss wegen unangemessener Benachteiligung der Klägerin iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam ist, kann offenbleiben.

 

23        aa) Nach der in § 11 Buchst. b des Arbeitsvertrags über den Kündigungsausschluss getroffenen Bestimmung hätte die Klägerin das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten allerdings frühestens zum 31. August 2019 kündigen können. Dies ergibt eine Auslegung dieser Bestimmung des Arbeitsvertrags nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Grundsätzen.

 

24        (1) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners zugrunde zu legen sind (vgl. etwa BAG 25. August 2022 – 8 AZR 453/21 – Rn. 22; 16. Dezember 2021 – 8 AZR 498/20 – Rn. 20; 28. Februar 2019 – 8 AZR 201/18 – Rn. 55, BAGE 166, 54). Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist (vgl. etwa BAG 16. Dezember 2021 – 8 AZR 498/20 – aaO; 3. Dezember 2019 – 9 AZR 44/19 – Rn. 15 mwN). Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen obliegt auch dem Revisionsgericht (etwa BAG 21. April 2016 – 8 AZR 753/14 – Rn. 30 mwN).

 

25        (2) Danach hätte die Klägerin das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten frühestens zum 31. August 2019 kündigen können.

 

26        Zwar wird nach § 11 Buchst. b Satz 1 des Arbeitsvertrags die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Probezeit auf einen Zeitpunkt vor Ablauf des 31. Juli 2019 (42 Monate ab Beginn des Arbeitsverhältnisses) ausgeschlossen. Dies könnte – wie die Beklagte meint – dafür sprechen, dass eine Kündigung erstmals zum 31. Juli 2019 möglich war. Allerdings ist § 11 Buchst. b Satz 1 des Arbeitsvertrags unter Berücksichtigung der in § 11 Buchst. b Satz 2 des Arbeitsvertrags getroffenen Bestimmung auszulegen, wonach das Arbeitsverhältnis „danach“ unter Beachtung der gesetzlichen Kündigungsfristen ordentlich gekündigt werden kann. In der Klausel werden demnach die Begriffe „vor Ablauf“ und „danach“, dh. nach Ablauf gegenübergestellt. Einen Zeitpunkt „mit Ablauf“ des 31. Juli 2019 gibt es nach dieser Regelung nicht.

 

27        Die in § 11 Buchst. b des Arbeitsvertrags getroffene Vereinbarung ist zudem dahin auszulegen, dass die Kündigungsfrist nicht erst nach Ablauf des Zeitraums, für den die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist, dh. erst mit dem 1. August 2019, sondern bereits mit Zugang einer vor Ablauf des og. Zeitraums ausgesprochenen Kündigung zu laufen beginnt. Dies folgt bereits aus der Formulierung in § 11 Buchst. b des Arbeitsvertrags, wonach die ordentliche Kündigung „auf einen Zeitpunkt“ vor Ablauf des 31. Juli 2019 ausgeschlossen ist. Das entspricht im Übrigen auch dem Zweck der Kündigungsfrist, dem Vertragsteil, dem gekündigt wird, genügend Zeit zu lassen, sich einen anderen Vertragspartner zu suchen. Dieser Zweck wird nicht nur bei einer Kündigung, die erst nach Ablauf des Zeitraums ausgesprochen wird, für den die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist, sondern auch bei einer Kündigung erreicht, die vor Ablauf dieses Zeitraums erklärt wird (zur Problematik der Kündigung „vor“ und „nach“ Dienstantritt vgl. etwa OLG Nürnberg 30. März 2022 – 12 U 3303/19 – zu III 4 e der Gründe unter Bezugnahme auf ua. BAG 9. Februar 2006 – 6 AZR 283/05 – Rn. 36, BAGE 117, 68).

 

28        bb) Die Klägerin hätte mit ihrer zum 28. Februar 2018 ausgesprochenen Kündigung das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten allerdings nur dann vertragswidrig gelöst iSv. § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags, wenn die in § 11 Buchst. b des Arbeitsvertrags über den Kündigungsausschluss getroffene Vereinbarung – entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts – nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung der Klägerin unwirksam wäre.

 

29        Insoweit könnte – wie die Klägerin meint – zu erwägen sein, dass das Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung (im Folgenden ÄArbVtrG) – iVm. der in § 15 Abs. 3 TzBfG in der bis zum 31. Juli 2022 geltenden Fassung (TzBfG aF) getroffenen Regelung – ein Wertungsmodell zugunsten der Zulässigkeit einer langfristigen Bindung enthält, das nicht nur für einen befristeten, sondern auch für einen – wie hier – unbefristeten Arbeitsvertrag Geltung beansprucht und daher der Annahme einer unangemessenen Benachteiligung der über den Kündigungsausschluss in § 11 Buchst. b des Arbeitsvertrags getroffenen Vereinbarung entgegenstehen könnte. Insoweit heißt es nämlich in § 1 Abs. 1 ÄArbVtrG, dass ein die Befristung eines Arbeitsvertrags mit einem Arzt rechtfertigender sachlicher Grund vorliegt, wenn die Beschäftigung des Arztes ua. seiner zeitlich und inhaltlich strukturierten Weiterbildung zum Facharzt dient. Und in § 1 Abs. 3 ÄArbVtrG ist bestimmt, dass ein befristeter Arbeitsvertrag nach Absatz 1 auf die notwendige Zeit ua. für den Erwerb der Anerkennung als Facharzt, höchstens bis zur Dauer von acht Jahren abgeschlossen werden kann. Diesen Bestimmungen – iVm. der in § 15 Abs. 3 TzBfG aF getroffenen Regelung, nach der ein befristetes Arbeitsverhältnis nur dann der ordentlichen Kündigung unterliegt, wenn dies vereinbart ist – könnte ggf. eine gesetzliche Interessenabwägung nicht nur zugunsten der Wirksamkeit einer entsprechenden Befristung des Arbeitsverhältnisses, sondern auch zugunsten eines längerfristigen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung zu entnehmen sein.

 

30        d) Dies kann jedoch dahinstehen, da jedenfalls die Vereinbarung über die Höhe der Vertragsstrafe in § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags zu einer unangemessenen Benachteiligung der Klägerin iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB führt und damit unwirksam ist.

 

31        aa) Entgegen der Annahme der Klägerin ist die Vertragsstrafenregelung in § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags zwar nicht überraschend iSv. § 305c Abs. 1 BGB und deshalb Bestandteil des Arbeitsvertrags geworden.

 

32        Die Vereinbarung von Vertragsstrafen ist im Arbeitsleben als Gestaltungsinstrument so verbreitet, dass ihre Aufnahme in Formularverträge regelmäßig nicht überraschend ist (vgl. BAG 19. August 2010 – 8 AZR 645/09 – Rn. 55). Auch deutet das äußere Erscheinungsbild des Arbeitsvertrags nicht auf einen Überraschungseffekt hin. Die Vertragsstrafenklausel ist in § 11 des Arbeitsvertrags geregelt, der die Überschrift „Vertragsdauer, Kündigung“ trägt. In § 11 des Arbeitsvertrags ist unter Buchst. a die Kündigung während der Probezeit, in Buchst. b der zeitweise Ausschluss der Kündigung nach der Probezeit und in Buchst. c das Recht zur außerordentlichen Kündigung geregelt, das unberührt bleibt. Da die Vertragsstrafe in § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags voraussetzt, dass der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Probezeit vertragswidrig löst, ist sie als Folge einer vertragswidrigen Lösung in genau dem thematischen Zusammenhang geregelt, in dem ein betroffener Arbeitnehmer sie typischerweise zuerst suchen würde.

 

33        bb) Die Regelung der Vertragsstrafe in § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags ist auch nicht bereits nach § 309 Nr. 6 BGB unwirksam. Zwar sind danach Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, durch die dem Verwender für den Fall der Nichtabnahme oder verspäteten Abnahme der Leistung, des Zahlungsverzugs oder für den Fall, dass der andere Vertragsteil sich vom Vertrag löst, die Zahlung einer Vertragsstrafe versprochen wird. Allerdings sind nach § 310 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 BGB bei der Anwendung auf Arbeitsverträge die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen. Dies führt dazu, dass § 309 Nr. 6 BGB auf arbeitsvertragliche Vertragsstrafenabreden nicht anwendbar ist und sich eine Unwirksamkeit der Vertragsstrafenvereinbarung nur aus § 307 BGB ergeben kann, wobei hier allerdings zum Schutz des Arbeitnehmers ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. BAG 24. August 2017 – 8 AZR 378/16 – Rn. 16; 4. März 2004 – 8 AZR 196/03 – zu B II der Gründe, BAGE 110, 8).

 

34        cc) Die Bestimmung über eine Vertragsstrafe in § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags ist – anders als die Klägerin meint – auch nicht wegen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam.

 

35        (1) Das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verpflichtet den Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar, verständlich und durchschaubar darzustellen. Das Transparenzgebot schließt das Bestimmtheitsgebot ein. Danach müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Sinn des Transparenzgebots ist es, der Gefahr vorzubeugen, dass der Vertragspartner des Klauselverwenders von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. Die Voraussetzungen und der Umfang der Leistungspflicht müssen deshalb so bestimmt oder zumindest so bestimmbar sein, dass der Vertragspartner des Verwenders bereits bei Vertragsschluss erkennen kann, was auf ihn zukommt (BAG 24. August 2017 – 8 AZR 378/16 – Rn. 18; vgl. auch 26. Januar 2017 – 6 AZR 671/15 – Rn. 22, BAGE 158, 81; BGH 14. März 2017 – VI ZR 721/15 – Rn. 23, BGHZ 214, 204).

 

36        (2) Eine Vertragsstrafenregelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist nur transparent iSv. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, wenn das die Vertragsstrafe auslösende Fehlverhalten des Arbeitnehmers präzise beschrieben ist (vgl. BAG 23. Januar 2014 – 8 AZR 130/13 – Rn. 25; 19. August 2010 – 8 AZR 645/09 – Rn. 49 und 51). Dieser Vorgabe wird die Regelung in § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags gerecht.

 

37        (a) Danach ist die Vertragsstrafe zu zahlen, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vertragswidrig nach Ablauf der Probezeit löst. Ein vertragswidriges Lösen liegt vor, wenn der Arbeitnehmer seiner Hauptleistungspflicht aus dem Arbeitsverhältnis auf Dauer und endgültig unter Berufung auf einen Beendigungstatbestand nicht mehr nachkommt, sich also vom Vertrag lossagt, obwohl ein rechtlich wirksamer Beendigungstatbestand (noch) nicht eingetreten ist (vgl. BAG 18. Dezember 2008 – 8 AZR 81/08 – Rn. 46). Die in § 11 Buchst. b des Arbeitsvertrags getroffene Bestimmung lässt klar erkennen, dass das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ordentlich frühestens zum 31. August 2019 gekündigt werden konnte. Demzufolge konnte die Vertragsstrafe nach § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags nur verwirkt werden, wenn der Arbeitnehmer – ohne dass ihm ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB zur Seite stand – die Arbeitsleistung vor Ablauf des 31. August 2019 oder zu einem späteren Zeitpunkt einstellte, ohne das Arbeitsverhältnis zuvor zu dem entsprechenden Termin ordentlich gekündigt zu haben.

 

38        (b) Für die gebotene Transparenz der Bestimmung in § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags ist es im Übrigen unschädlich, dass nicht ausdrücklich geregelt ist, dass die Vertragsstrafe nur verwirkt ist, wenn die Vertragsverletzung auf einem Verschulden des Arbeitnehmers beruht. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass der Regelung der juristische Fachbegriff einer „Vertragsstrafe“ zugrunde gelegt ist (BAG 19. August 2010 – 8 AZR 645/09 – Rn. 52).

 

39        (3) Eine Vertragsstrafenregelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist zudem nur transparent iSv. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, wenn die Höhe der im Fall eines Verstoßes zu leistenden Vertragsstrafe eindeutig bestimmt ist (vgl. BAG 18. August 2005 – 8 AZR 65/05 – zu II 3 b bb der Gründe).

 

40        Dieser Anforderung wird die Regelung in § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags ebenfalls gerecht. Grundsätzlich beträgt die Vertragsstrafe danach drei Bruttomonatsvergütungen, wobei der Begriff der Bruttomonatsvergütung in § 11 Buchst. d Abs. 3 des Arbeitsvertrags dahin konkretisiert wird, dass die durchschnittliche Bruttomonatsvergütung des Arbeitnehmers aus den letzten drei vollen Kalendermonaten vor dem Kalendermonat maßgeblich ist, in welchem der die Vertragsstrafe auslösende Pflichtenverstoß stattfindet. Darüber hinaus wird die Vertragsstrafe beschränkt auf höchstens den Betrag, der den Bruttovergütungen entspricht, die durch die vertragswidrige Loslösung vom Vertrag bis zum Ablauf des 42-Monats-Zeitraums entfallen. Damit ist klar und verständlich beschrieben, dass bei einer Loslösung innerhalb von drei Monaten vor Ablauf dieses Zeitraums als Vertragsstrafe nur der Betrag geschuldet ist, den die Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt als Bruttoentgelt erhalten hätte.

 

41        dd) Die Vertragsstrafenregelung in § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags benachteiligt die Klägerin jedoch entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB und ist deshalb unwirksam. Die Bestimmung führt zu einer Übersicherung der Beklagten, da sie diese berechtigen würde, von der Klägerin auch dann eine Vertragsstrafe iHv. drei Bruttomonatsverdiensten zu fordern, wenn diese das Arbeitsverhältnis bereits unmittelbar nach Ablauf der in § 11 Buchst. a des Arbeitsvertrags bestimmten Probezeit von fünf Monaten ordentlich gekündigt hätte. Dass sie dies nicht getan hat, ist unerheblich. Die gesetzlichen Vorschriften der §§ 307 ff. BGB missbilligen bereits das Stellen inhaltlich unangemessener Allgemeiner Geschäftsbedingungen, nicht erst deren unangemessenen Gebrauch im konkreten Einzelfall. Unwirksam sind deshalb auch solche Klauseln, die in ihrem Übermaßanteil in zu beanstandender Weise ein Risiko regeln, das sich im Entscheidungsfall nicht realisiert hat (st. Rspr., vgl. etwa BAG 24. August 2017 – 8 AZR 378/16 – Rn. 30 mwN).

 

42        (1) Eine unangemessene Benachteiligung kann auch aus der Höhe einer Vertragsstrafe folgen (st. Rspr., BAG 24. August 2017 – 8 AZR 378/16 – Rn. 27; 4. März 2004 – 8 AZR 196/03 – zu B III 2 b aa der Gründe, BAGE 110, 8).

 

43        (a) Allerdings gibt es – entgegen der Auffassung der Klägerin – keinen Rechtssatz, dass eine Vertragsstrafe, die einen Bruttomonatsverdienst übersteigt, den Arbeitnehmer stets unangemessen benachteiligen würde iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB und das Versprechen deshalb unwirksam wäre.

 

44        Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit in Einzelfällen eine Vertragsstrafe in Höhe eines Monatsentgelts generell als geeigneten Maßstab betrachtet und bei formularmäßigen Strafabreden ein gesteigertes Bedürfnis nach einer generellen Obergrenze gesehen, deren Überschreitung im Regelfall die Unwirksamkeit der Klausel zur Folge hat. Insoweit hat das Bundesarbeitsgericht angenommen, dass das Abstellen auf die Monatsvergütung im Normalfall auch die finanzielle Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers berücksichtige (vgl. BAG 25. September 2008 – 8 AZR 717/07 – Rn. 55; 4. März 2004 – 8 AZR 196/03 – zu B III 2 b aa der Gründe, BAGE 110, 8). Daraus folgt aber nicht, dass eine allgemeine Obergrenze in Höhe eines Bruttomonatsentgelts für eine wirksame Vertragsstrafe bestünde (vgl. BAG 28. Mai 2009 – 8 AZR 896/07 – Rn. 45; 25. September 2008 – 8 AZR 717/07 – Rn. 55). Aus § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB lässt sich eine generelle Höchstgrenze von einem Bruttomonatsentgelt für eine wirksame Vertragsstrafe im Rahmen eines formularmäßigen Arbeitsvertrags nicht herleiten (BAG 25. September 2008 – 8 AZR 717/07 – Rn. 59).

 

45        (b) Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der Arbeitnehmer durch die Höhe der vereinbarten Vertragsstrafe unangemessen benachteiligt wird iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

 

46        Unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 BGB ist jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird. Die Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung setzt eine wechselseitige Berücksichtigung und Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen der Vertragspartner voraus. Dabei bedarf es einer umfassenden Würdigung der beiderseitigen Positionen unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Bei der Beurteilung der Unangemessenheit ist ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen. Abzuwägen sind die Interessen des Verwenders gegenüber den Interessen der typischerweise beteiligten Vertragspartner. Dabei sind im Rahmen der Inhaltskontrolle Art und Gegenstand, Zweck und besondere Eigenart des jeweiligen Geschäfts zu berücksichtigen. Zu prüfen ist, ob der Klauselinhalt bei der in Rede stehenden Art des Rechtsgeschäfts generell und unter Berücksichtigung der typischen Interessen der beteiligten Verkehrskreise eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners bewirkt (st. Rspr., BAG 13. Juli 2021 – 3 AZR 298/20 – Rn. 47; 28. September 2017 – 8 AZR 67/15 – Rn. 27).

 

47        (2) Vorliegend ergibt die Abwägung der Interessen der Beklagten gegenüber den Interessen von Ärzten, die sich – wie die Klägerin – in der Weiterbildung zum Facharzt befinden, dass die Vertragsstrafenregelung in § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags eine unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB bewirkt. Die Bestimmung führt zu einer Übersicherung der Beklagten, da sie diese berechtigen würde, auch dann eine Vertragsstrafe iHv. drei Bruttomonatsverdiensten zu fordern, wenn das Arbeitsverhältnis bereits unmittelbar nach Ablauf der in § 11 Buchst. a des Arbeitsvertrags bestimmten Probezeit von fünf Monaten ordentlich gekündigt würde.

 

48        (a) Etwas anderes folgt nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte als Verwenderin mit der Vertragsstrafenregelung erreichen möchte, dass der in § 11 Buchst. b des Arbeitsvertrags bestimmte langfristige Kündigungsausschluss für einen Zeitraum von über drei Jahren – seine Wirksamkeit unterstellt – vom Vertragspartner eingehalten wird.

 

49        (aa) Zwar können nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Kündigungsfristen, die im Fall einer fristgemäßen Kündigung einzuhalten sind, ein relevanter Abwägungsgesichtspunkt zur Feststellung der Angemessenheit der Höhe der Vertragsstrafe sein. In der Länge der Kündigungsfrist kommt zum Ausdruck, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitgeber Arbeitsleistungen vom Arbeitnehmer verlangen kann und welches Interesse er an der Arbeitsleistung hat. Dabei ist die Höhe der Vergütung grundsätzlich ein geeigneter Maßstab, um den Wert der Arbeitsleistung festzustellen. Die Länge der jeweils maßgeblichen Kündigungsfrist und die für diesen Zeitraum zu zahlende Vergütung spiegeln regelmäßig das wirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers an der Arbeitskraft des Arbeitnehmers wider (BAG 24. August 2017 – 8 AZR 378/16 – Rn. 27; 17. März 2016 – 8 AZR 665/14 – Rn. 23).

 

50        (bb) Aus dieser Rechtsprechung, die die zulässige Höhe der Vertragsstrafe an die Länge der Kündigungsfrist knüpft, ergibt sich jedoch nicht, dass auch im Fall eines langfristigen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung – wie hier – eine Vertragsstrafe, deren Höhe die bis zum Ablauf des vereinbarten Kündigungsausschlusses ausstehende Vergütung nicht überschreitet, stets wirksam wäre. Die og. Rechtsprechung ist nämlich zu anderen Fallgestaltungen entwickelt worden, in denen die ordentliche Kündigung nicht – wie hier – langfristig ausgeschlossen war. Zwar kann der Arbeitgeber aufgrund eines vereinbarten langfristigen Kündigungsausschlusses – seine Wirksamkeit unterstellt – für einen langen Zeitraum die Arbeitsleistung vom Arbeitnehmer verlangen. Er hat damit ein gesteigertes Interesse, sich den hohen Wert der vertraglich für einen langen Zeitraum versprochenen Arbeitsleistung zu sichern. Dies würde ihn aber nicht berechtigen, von einem Arbeitnehmer, der das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der langfristigen Bindung und damit vertragswidrig löst, eine Vertragsstrafe zu fordern, deren Höhe die bis zum Ablauf des vereinbarten Kündigungsausschlusses ausstehende Vergütung erreicht. Andernfalls würde nicht berücksichtigt, dass gerade die Kombination eines langfristigen Kündigungsausschlusses mit einer hohen Vertragsstrafe die betroffenen Arbeitnehmer besonders stark beeinträchtigt.

 

51        (b) Die in § 11 Buchst. d des Arbeitsvertrags bestimmte Vertragsstrafe iHv. drei Bruttomonatsvergütungen ist vorliegend auch nicht deswegen angemessen, weil die ausbildenden Ärzte Aufwendungen tätigen, indem sie die Weiterbildung überwachen und die Weiterbildungsnachweise prüfen, wofür sie 20 bis 40 Minuten täglich aufwenden.

 

52        (aa) Derartige Aufwendungen des Arbeitgebers in die Ausbildung des Arbeitnehmers können allerdings ein gesteigertes Interesse der Arbeitgeberseite an einer gewissen Bindung des Arbeitnehmers begründen. Typischerweise ist der Aufwand für die Ausbildung zu Beginn der Tätigkeit höher und nimmt in deren Verlauf eher ab, während die Qualität der Arbeitsleistung mit der fortschreitenden Ausbildung zunimmt. Daraus ergibt sich ein Nachteil für die Arbeitgeberseite, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis frühzeitig beendet, weil den erhöhten Aufwendungen des Arbeitgebers in die Ausbildung zu Beginn der Tätigkeit keine höherwertige Arbeitsleistung der bereits teilweise ausgebildeten Arbeitskraft in der folgenden Zeit gegenübersteht. Dies kann ein gesteigertes anzuerkennendes Interesse des Arbeitgebers begründen, den Verbleib des Arbeitnehmers mit einer Vertragsstrafe zu sichern, damit die Aufwendungen in die Ausbildung nicht vergeblich waren. Die schadensausgleichende Funktion einer Vertragsstrafe (vgl. BAG 19. August 2010 – 8 AZR 645/09 – Rn. 42; 25. September 2008 – 8 AZR 717/07 – Rn. 51) spricht grundsätzlich dafür, in dieser Konstellation eine höhere Vertragsstrafe zuzulassen.

 

53        (bb) In der vorliegend gegebenen Fallgestaltung erweist sich eine Vertragsstrafe iHv. drei Bruttomonatsvergütungen aufgrund der vorstehenden Erwägungen jedenfalls nicht für den gesamten Zeitraum des Kündigungsausschlusses als interessengerecht. Insoweit wirkt sich aus, dass eine Vertragsstrafe iHv. drei Bruttomonatsverdiensten bereits dann geschuldet wird, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar nach der Probezeit von fünf Monaten das Arbeitsverhältnis ordentlich kündigt. Zu diesem Zeitpunkt haben die ausbildenden Ärzte zum einen erst vergleichsweise überschaubare Aufwendungen für die Ausbildung erbracht. Ein zeitlicher Aufwand von 20 bis 40 Minuten pro Arbeitstag über einen Zeitraum von fünf Monaten vermag – unter Berücksichtigung einer wöchentlichen Arbeitszeit der Ärzte in der Weiterbildung von 40 Stunden – bei wertender Betrachtung eine Vertragsstrafe von drei Bruttomonatsvergütungen nicht zu rechtfertigen. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob eine Vertragsstrafe in dieser Höhe ggf. zu einem späteren Zeitpunkt als angemessen anzusehen sein könnte. Die vorliegende Vertragsgestaltung berücksichtigt jedenfalls nicht ausreichend, dass der Ausbildungsaufwand unmittelbar nach Ablauf der Probezeit noch vergleichsweise überschaubar ist. Dennoch ist nach der Vertragsgestaltung bereits ab dem ersten Tag nach der Probezeit eine Vertragsstrafe in voller Höhe von drei Bruttomonatsvergütungen vorgesehen. Es kommt hinzu, dass während der Probezeit von fünf Monaten – bei vertragswidriger Lösung vom Vertrag – überhaupt keine Vertragsstrafe anfällt, so dass eine Vertragsstrafe iHv. drei Bruttomonatsverdiensten unmittelbar nach Ablauf der Probezeit auch vor diesem Hintergrund als unangemessen erscheint.

 

54        (c) Dass die Klägerin auch bei einer Lösung vom Vertrag unmittelbar nach Ablauf der Probezeit eine Vertragsstrafe iHv. drei Bruttomonatsvergütungen schuldet, lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass eine Nachbesetzung der Stelle – wie die Beklagte geltend gemacht hat – nicht innerhalb eines Monats hätte erfolgen können. Zwar haben Vertragsstrafen neben der schadensausgleichenden Funktion vor allem den Zweck, die Erbringung der Arbeitsleistung zu sichern (vgl. BAG 19. August 2010 – 8 AZR 645/09 – Rn. 42; 25. September 2008 – 8 AZR 717/07 – Rn. 51). Sofern Arbeitsplätze für bestimmte Tätigkeiten bei vom Einzelfall losgelöster Betrachtungsweise regelmäßig nicht zeitnah nachbesetzt werden können, mag dies das rechtlich anzuerkennende Interesse des Arbeitgebers erhöhen, die Erbringung der Arbeitsleistung durch eine Vertragsstrafe zu sichern. Nach § 11 Buchst. b des Arbeitsvertrags der Parteien kann das Arbeitsverhältnis jedoch nach Ende des Kündigungsausschlusses unter Beachtung der gesetzlichen Kündigungsfristen ordentlich gekündigt werden. Gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB beträgt die Kündigungsfrist zu diesem Zeitpunkt lediglich einen Monat zum Ende des Kalendermonats. Vor dem Hintergrund, dass das Arbeitsverhältnis nach dem Ende des Kündigungsausschlusses mit kurzer Frist gekündigt werden kann, ohne dass eine Vertragsstrafe verwirkt wäre, die Beklagte also vor demselben Problem gestanden hätte, wenn die Klägerin ordentlich zum 31. August 2019 gekündigt hätte, vermögen etwaige Schwierigkeiten bei der Nachbesetzung der Stelle eine Vertragsstrafe iHv. drei Bruttomonatsvergütungen ohnehin nicht zu rechtfertigen.

 

55        (d) Die in § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags bestimmte Vertragsstrafe iHv. drei Bruttomonatsverdiensten erweist sich auch nicht aufgrund der Höhe der Vergütung der Klägerin ausnahmsweise als angemessen iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Zwar können Arbeitnehmer, die über hohe Einkommen verfügen, in der Lage sein, Vermögen zu bilden, so dass es angemessen sein kann, auch eine höhere Vertragsstrafe in einem formularmäßigen Arbeitsvertrag zu vereinbaren (BAG 25. September 2008 – 8 AZR 717/07 – Rn. 59). Die für Ärzte in der Weiterbildung zum Facharzt übliche Vergütung – im Fall der Klägerin 4.435,00 Euro brutto bzw. 3.017,39 Euro netto abzüglich des Arbeitnehmerbeitrags zur Ärzteversicherung – ist nicht geeignet, (kurzfristig) ein höheres Vermögen zu bilden. Jedenfalls wäre es mit einer solchen Vergütung nicht möglich, bis zum Ablauf der Probezeit von fünf Monaten Ersparnisse aufzubauen, die die Höhe der Vertragsstrafe von drei Bruttomonatsvergütungen – im Fall der Klägerin 13.305,00 Euro – auch nur ansatzweise erreichen.

 

56        II. Die Widerklage ist unbegründet. Die Beklagte hat – wie unter Rn. 19 ff. ausgeführt – gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe aus § 11 Buchst. d Abs. 1 des Arbeitsvertrags.

 

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