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Arbeitsrecht
02.10.2015
Arbeitsrecht
ArbG Berlin: Notwendigkeit erneuter Betriebsratsanhörung für erneute, inhaltsgleiche Kündigung

ArbG Berlin, Urteil vom 10.7.2015 – 28 Ca 6457/15

Leitsätze

Hat der Arbeitgeber nach Anhörung des Betriebsrates die Kündigung einer Arbeitsperson bereits erklärt, so ist das Gremium zu neuerlicher Kündigung (etwa bei nachgeholter Konsultation des Integrationsamtes) in aller Regel auch dann erneut nach § 102 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen, wenn die Zweitkündigung auf dieselben Umstände wie die vorherige gestützt werden soll (BAG 10.11.2005 – 2 AZR 623/04 – AP § 626 BGB Nr. 196 = EzA § 626 BGB 2002 Nr. 11 = NZA 2006, 491 = AiB 2006, 762 [Orientierungssatz 2]). Eine Ausnahme mag allenfalls dann in Betracht kommen, wenn der Betriebsrat der früheren Kündigung zuvor „vorbehaltlos zugestimmt“ hatte (BAG a.a.O.).

Sachverhalt

Es geht im Wesentlichen um auf Gründe im Verhalten gestützte – ausschließlich fristlose – Kündigung. - Vorgefallen ist folgendes:

I.              Der (heute ) 48-jährige Kläger trat im April 2007 als „Fachberater Außendienst “ (Kopie Arbeitsvertrag : Urteilsanlage I.) in die Dienste der Beklagten, die mit mehr als zehn Arbeitspersonen  Tabakprodukte und Raucherbedarfsartikel an Händler vertreibt . Er ist einem schwerbehinderten Menschen (§ 2 Abs. 2 SGB IX ) gleichgestellt (§ 2 Abs. 3 SGB IX ) und bezog zur Zeit der Ereignisse, die den Hintergrund des Rechtsstreits bilden, ein Monatsgehalt von 2.775,-- Euro  (brutto).

II.             Mit besagten „Ereignissen“ hat es folgende Bewandtnis:

1.            Von April 2010 bis zum 27. April 2014  amtierte der Kläger als Mitglied des im Hause der Beklagten gewählten Betriebsrates. Während dieses Zeitraums war der Kläger aus Gründen, die nicht näher ausgeleuchtet, für den Rechtsstreit aber auch einerlei sind, ab Mai 2011 zwei Jahre lang arbeitsunfähig . Unter Begleitumständen, zu denen die Darstellungen der Parteien auseinander gehen (s. dazu einerseits unten, S. 6-7 [3.]; andererseits unten, S. 8 [vor VIII.]), sah er 2014 von einer neuerlichen Kandidatur ab, so dass sich das Nachfolgegremium am 28. April 2014 ohne ihn konstituierte .

2.            Vom 17. bis 20. März 2015 ließ die Beklagte aus Gründen, die abermals nicht festgestellt sind, die vom Kläger den 12. bis 19. März 2015 gefertigte Dienstberichterstattung nach eigener – allerdings bestrittener - Darstellung für (mindestens) 12 seiner Ansprechpartner durch ihren Verkaufsleiter Nord (Herrn A. Sch.) überprüfen . Hierbei ergab sich ihren Angaben zufolge, „dass der Kläger sowohl diverse Marketingfragen falsch beantwortet“ als auch „eine Vielzahl von falschen Distributionseinträgen vorgenommen“ habe .

3.            Dass die Beklagte den Kläger hiernach zu ihren so gewonnenen Eindrücken vorsorglich zunächst einmal befragt hätte, ist nicht vorgetragen. Im Gegenteil: Der Kläger lässt unwidersprochen darauf hinweisen, zu etwaigen Unstimmigkeiten nicht gehört worden zu sein . Fest steht, dass die Beklagte sich mit Schreiben vom 25. März 2015  (Kopie: Urteilsanlage II.), auf dessen Einzelheiten verwiesen wird, wegen der Absicht an besagten Betriebsrat wandte, das Arbeitsverhältnis des Klägers noch innerhalb der Schutzfrist des § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG  fristlos zu kündigen. Mit Schreiben desselben Tages  (25. März 2015; Kopie: Urteilsanlage III.) ließ das Gremium die Beklagte wissen, dass es zur beabsichtigten Maßnahme „keine Stellungnahme abgeben“ werde. Hiernach erklärte die Beklagte dem Kläger unter dem Datum des Folgetages (26. März 2015 ) die fristlose Kündigung seines Arbeitsverhältnisses, die die Beklagte mittlerweile in einem insoweit (wohl) abgeschlossenen Vorprozess gleichen Rubrums allerdings hat fallen lassen .

4.            Mit Schreiben vom 30. März 2015  (Kopie: Urteilsanlage IV.), auf dessen Einzelheiten ebenfalls verwiesen wird, beantragte die Beklagte beim Integrationsamt in Bremen die Zustimmung der Schutzbehörde zur (neuerlichen) fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Dies beschied die Behörde unter dem 14. April 2015  (Kopie: Urteilsanlage V.) unter anderem mit dem Hinweis auf § 91 SGB IX : Da sie eine Entscheidung nicht innerhalb zweier Wochen nach Eingang des Antrags treffen könne, gelte ihre Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung als erteilt.

5.            Mit Schreiben gleichfalls noch vom 14. April 2015  (Kopie: Urteilsanlage VI.), das den Kläger am selben Tage erreichte, erklärte die Beklagte nunmehr (abermals) die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

III.            Damit will es dieser nicht bewenden lassen. Er nimmt die Beklagte mit seiner am 5. Mai 2015 bei Gericht eingereichten und sechs Tage später (11. Mai 2015) zugestellten Klage im Wesentlichen auf Feststellung in Anspruch, dass die erwähnte Kündigung (Urteilsanlage VI.) sein Arbeitsverhältnis nicht beende. Außerdem wünscht er bei Obsiegen vorläufige Weiterbeschäftigung. - Er hält die Kündigung für unwirksam. Sie entbehre sowohl eines wichtigen Grundes als auch etwaiger sozialer Rechtfertigung . Außerdem rügt der Kläger Nichteinhaltung der sogenannten Kündigungserklärungsfrist (§ 626 Abs. 2 BGB ) und bestreitet die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 BGB ).

IV.           Der Kläger beantragt sinngemäß,

1.            festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten im Schreiben vom 14. April 2015 nicht beendet wird;

2.            festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht;

3.            die Beklagte im Falle seines Obsiegens mit dem Antrag zu 1. und/oder zu 2. zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Außendienstmitarbeiter weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

V.            Sie hält die Klagebegehren der Sache nach für gegenstandslos . Angesichts der schon erwähnten Vorwürfe (s. oben, S. 2 [II.2.]), die sie zunächst - „exemplarisch“  - anhand dreier Einträge des Klägers zu Marketingabfragen zum Produkt „Cubero“ (s. zum Erscheinungsbild : Urteilsanlage VII.) anlässlich seiner erwähnten Besuche bei Verkaufskunden (Farbkopien : Urteilsanlagen VIII.1 bis VIII.8.) illustrieren lässt, sei ihr eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten. Hier habe der Kläger seinen Berichtseinträgen zufolge die Marketingabfrage „Cubero Display platziert“ jeweils positiv beantwortet, während sich bei der Überprüfung durch ihren Herrn Sch. demgegenüber herausgestellt habe, „dass weder ein Verkauf erfolgt“ noch „Cubero im jeweiligen Geschäft vorgefunden worden“ sei . Weiter heißt es bei der Beklagten :

„Bei einem Abgleich der Besuchsberichte und der tatsächlichen Situation stellt sich die Situation so dar, dass der Kläger von den zwölf Besuchsberichten keinen einzigen Besuchsbericht korrekt angefertigt hat. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht nur jeder Besuchsbericht falsch ist, sondern dass vielmehr jeder einzelne Besuchsbericht mehrere Fehler enthält. Die Überprüfungen haben mithin ergeben, dass der Kläger systematisch Besuchsberichte und somit Arbeitsnachweise fälscht und der Beklagten vorsätzlich falsche Kundeninformationen liefert. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger systematisch die Marketingfragen falsch beantwortet hat, um unberechtigterweise Prämien zu erhalten.

Nach Auswertung der am 20. März 2015 vorliegenden Ergebnisse, hat sich die Beklagte entschlossen, gegenüber dem Kläger eine fristlose Kündigung auszusprechen“.

VI.           Hierzu erwidert der Kläger unter anderem , der gegen ihn erhobene Vorwurf schwerwiegender Pflichtverletzung sei unberechtigt . Abgesehen davon, dass die behaupteten Kontrollbesuche des Verkaufsleiters bestritten würden, entsprächen die angeblichen Feststellungen nicht den Tatsachen .

1.            Soweit die Beklagte zur Fundierung ihrer Vorwürfe nur auf die Anlage B 1 zur Klageerwiderungsschrift verweise, sei dies nach der Judikatur des Bundesarbeitsgerichts (BAG) als Vortragsersatz unzulässig .

2.            Zum Themenkreis „Cubero“ lässt der Kläger mit Blick auf die von der Beklagten beigebrachte „Fotodokumentation“ (Auszug: Urteilsanlage VIII.1 bis VIII.8.) dies vortragen :

„Vonseiten des Kunden D. wurde nicht zuletzt aus Platzgründen die Platzierung u.a. von ,Cubero' im angrenzenden Internetcafé erbeten, was auch so geschehen ist. Eine Festlegung, dass nur die Platzierung im Kassenbereich vorgenommen werden darf, gab und gibt es nicht. Die ,Fotodokumentation' ist insoweit unergiebig. Gleichwohl ist die räumliche Enge im Thekenbereich zu erkennen. Die Angabe des Klägers war daher wahrheitsgemäß.

Der Kläger hatte geplant, den besagten Kunden 4 Wochen später wegen der Fortsetzung der Geschäftsbeziehung – er hatte die Tabakwaren zunächst auf Kommissionsbasis überlassen – erneut aufzusuchen. Hierzu ist es wegen der Kündigungen indes nicht mehr gekommen.

Was den Kunden L. anbelangt, so ist dem Kläger ein Versehen unterlaufen. Der Kunde hatte sich nach längerer Überlegung doch nur für das angebotene Produkt ,Break' entschieden und dem Kläger gegenüber bekundet, die Abnahme von ,Cubero' beim nächsten Besuch in Betracht zu ziehen. Der Kläger hat das Produkt aus dem Lieferschein wieder herausgenommen, aber aus Versehen bei der Marketingfrage nicht. Ein betrügerisches Vorgehen kann hieraus nicht abgeleitet werden.

Mit dem Kunden Demircan hatte der Kläger telefonischen Kontakt. Dieser teilte mit, dass das Produkt ,Break' gut laufe, ,Cubero' hingegen nicht. Dieses Produkt wollte er ausdrücklich nicht mehr haben. Der Kläger hat sodann die Marketingabfrage versehentlich mit ,ja' markiert.

Eine verlässliche Feststellung von Unterlassungen ließe sich insoweit allenfalls treffen, wenn die jeweilige Kontrolle unmittelbar im Anschluss an den jeweiligen Besuch des Klägers stattgefunden hätte. Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich jedoch, dass Herr Sch. in keinem Fall taggleich eine Kontrolle vorgenommen haben will. Im Falle des Kunden D. sogar erst 5 Tage (!) später. Häufig ändern die Händler bzw. die Reinigungskräfte die Platzierung nachträglich selber“.

3.            Im Übrigen legt der Kläger unter anderem Wert auf die Feststellung, ihm sei vor der jüngsten Wahl des Betriebsrates „arbeitgeberseitig (namentlich von Herrn P. )“ zwecks „Verbesserung des Arbeitsklimas angeraten“ worden, nicht mehr für das Gremium zu kandidieren . Im Vertrauen darauf, dass dieses Zugeständnis die Arbeitgeberseite zu einem anderen Verhalten veranlasse, habe er sich sich hierauf eingelassen . Allerdings sei dieses Vertrauen enttäuscht worden . Die arbeitgeberseitig bewusst erschwerten Arbeitsbedingungen und „eine Mobbingsituation“ hätten dazu geführt, dass er sich in fachärztliche Behandlung habe begeben müssen und seine Gleichstellung nach § 2 Abs. 3 SGB IX  erfolgt sei . Etwaige Fehler seinerseits seien allenfalls auf die von der Beklagten pflichtwidrig verursachte gesundheitliche Situation zurückzuführen . Eine vorsätzliche Schlechtleistung bzw. ein systematisches Fälschen von Besuchsberichten werde ausdrücklich bestritten .

4.            Schließlich verweist der Kläger darauf, dass eine Anhörung des Betriebsrates in Bezug auf die hiesige Kündigung unterblieben sei, die Konsultationsschrift vom 25. März 2015 (s. oben, S. 3 [3.]; Urteilsanlage II.) vielmehr die nicht mehr verfolgte Kündigung vom 26. März 2015 betreffe .

VII.          Die Beklagte entgegnet unter anderem , es sei „unzutreffend, dass eine Anhörung des Betriebsrats in Bezug auf die streitbefangene Kündigung unterblieben“ sei . Immerhin habe sie das Gremium „hinsichtlich des Ausspruchs einer fristlosen Kündigung angehört“ . Unschädlich sei auch, wie sie meint, dass sie „zwei fristlose Kündigungen mit dem gleichen Kündigungsvorwurf ausgesprochen“ habe . Dies sei nämlich ausschließlich dem Umstand geschuldet gewesen, dass sie keine Kenntnis davon gehabt habe, ob der Kläger einem Schwerbehinderten gleichgestellt sei . Dass der Betriebsrat nun vor Konsultation des Integrationsamtes befasst worden sei und nicht nachher, sei, wie sie meint, gleichfalls unschädlich : Seine Anhörung könne nach ständiger Rechtsprechung des BAG schon vor der Durchführung des Zustimmungsverfahrens beim Integrationsamt durchgeführt werden, zumal die Behörde ihrerseits eine Stellungnahme des Gremiums nach § 87 Abs. 2 SGB IX  einhole . Schließlich sei der Betriebsrat auch vor Ausspruch der Kündigung am 14. April 2014 „über den Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes Bremen in Kenntnis gesetzt worden“ . - Im Übrigen sei es auch falsch, dass Herr P. dem Kläger zwecks Verbesserung des Betriebsklima's angeraten hätte, sich nicht mehr für den Betriebsrat zu bewerben . Richtig sei vielmehr, dass der Kläger diesen (Herrn P.) „im Rahmen des Leistungsbeurteilungsgesprächs für das Jahr 2013“ davon in Kenntnis gesetzt habe, dass er persönlich entschieden habe, für den nächsten Betriebsrat nicht mehr zu kandidieren . Dass er seine fachärztliche Behandlung mit arbeitgeberseitig erschwerten Arbeitsbedingungen und einer „Mobbingsituation“ in Verbindung bringe, sei schließlich „schlichtweg eine Unverschämtheit“ . Seine gesundheitliche Situation, die ihr überdies mangels Mitteilung des Klägers überhaupt nicht bekannt sei, auf Pflichtwidrigkeiten ihrerseits zurückzuführen, sei „eine ebensolche Unverschämtheit“ . Er möge sich „mäßigen oder seinen phrasenhaften Sachvortrag mit Inhalt füllen“ .

VIII.         Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und auf deren Anlagen sowie auf den Inhalt der Sitzungsniederschriften verwiesen. - Zu ergänzen ist, dass die Beklagte nach weiterer Kündigung vom 28. April 2015  dem Kläger im Gütetermin des hiesigen Verfahrens am 27. Mai 2015 eine (wohl insgesamt vierte) Kündigung hat überreichen lassen, über deren etwaige rechtliche Wirkungen anderweitig befunden wird.

Aus den Gründen

Die Klage hat wegen des Kündigungsschutzantrags Erfolg, nicht aber darüber hinaus. - Im Einzelnen:

A.         Der Kündigungsschutz (Klageantrag 1.)

Die Kündigungsschutzklage ist begründet: Die Kündigung im Schreiben vom 14. April 2015 (Urteilsanlage VI.) hat das Arbeitsverhältnis der Parteien weder mit ihrem Zugang am selben Tag aufgelöst, noch wird sie Lösungswirkung zu einem späteren Zeitpunkt entfalten. Sie ist unwirksam. - Der Reihe nach:

I.          Der Kläger hat seine Feststellungsklage binnen dreier Wochen nach Zugang des Kündigungsschreibens (14. April 2015) bei Gericht einreichen lassen (5. Mai 2015). Die Zustellung ist am 11. Mai 2015 bewirkt worden. Damit hat er bei - rechtlich gebotener  - Berücksichtigung der gesetzlichen Wertungen aus § 167 ZPO  die ihm durch § 4 Satz 1 KSchG  zur Klageerhebung gesetzte dreiwöchige Frist gewahrt. Die Kündigung „gilt“ folglich nicht schon kraft Gesetzes nach § 7 (1. Halbsatz) KSchG  als „von Anfang an rechtswirksam“. Sie bedarf zu ihrer Wirksamkeit vielmehr eines besonderen, hier sogar „wichtigen“ Grundes und darf – selbstverständlich – auch sonst nicht gegen zwingendes Gesetzesrecht verstoßen.

II.         Letzteres (Gesetzesverstoß) tut sie aber. Daher kann auf sich beruhen, ob der Kläger der Beklagten mit den von dieser zur Sprache gebrachten Umständen einen Grund gegeben hat, sein Arbeitsverhältnis – gar abrupt - aufzukündigen. Jedenfalls erweist sich die Kündigung bereits deshalb (unmittelbar ) nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG  als unwirksam, weil die Beklagte ihren Betriebsrat nicht vor deren Ausspruch pflichtgemäß angehört hat. - Der Reihe nach:

1.         § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG  schreibt dem Arbeitgeber vor, den Betriebsrat „vor jeder Kündigung“ zu hören. Will er die Zielperson wiederholt kündigen, so muss er das Gremium folglich auch mehrfach konsultieren. Wird das für eine (oder mehrere) der Kündigungen versäumt, so erklärt das Gesetz jedenfalls diese Kündigung(en) – wie gerade schon vorausgeschickt – für unheilbar unwirksam.

2.         So verhält es sich hier: Die Beklagte hat ihren Betriebsrat zur hiesigen Kündigung vom 14. April 2015 (Urteilsanlage VI.) nicht angehört, so dass die kodifizierten Konsequenzen für diese Kündigung eingetreten sind. Daran können die Einwände der Beklagten nichts ändern:

a.         Dieser ist allerdings zuzubilligen , dass eine wiederholte Einschaltung des Betriebsrates im Zusammenhang mit der Beteiligung des Integrationsamtes nach der Rechtsprechung des Zweiten Senats des BAG bei vorheriger Befassung des Gremiums zumindest bei unverändert gebliebenem Sachverhalt auch dann nicht vor Ausspruch der intendierten Kündigung geboten ist, wenn das behördliche Verfahren nebst anschließendem Verwaltungsprozess sich über Monate oder gar Jahre hinziehen sollte . Davon ist jedoch der Fall strikt zu unterscheiden, dass der Arbeitgeber seinen erklärten Trennungswillen nach Anhörung des Betriebsrates – wie hier – durch Ausspruch der Kündigung bereits verwirklicht hat: Für diese Problemlage hat der Zweite Senat die prozedurale Pflichtenstellung der Beteiligten schon im November 2005  mit folgenden Worten auf den Begriff gebracht :

„Einer – erneuten – Anhörung des Betriebsrats bedarf es schon immer, wenn der Arbeitgeber bereits nach Anhörung des Betriebsrats eine Kündigung erklärt hat, d.h. wenn die erste Kündigung dem Arbeitnehmer zugegangen ist und der Arbeitgeber damit seinen Kündigungswillen bereits verwirklicht hat und nunmehr eine neue (weitere) Kündigung aussprechen will. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber die Kündigung auf den gleichen Sachverhalt stützt. Dieses Gestaltungsrecht und die damit im Zusammenhang stehende Betriebsratsanhörung ist mit dem Zugang der Kündigungserklärung verbraucht. Dies gilt insbesondere auch in den Fällen, in denen der Arbeitgeber wegen Bedenken gegen die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vorsorglich erneut kündigt. Etwas anderes kommt nur in den Ausnahmefällen in Betracht, in denen der Arbeitgeber seinen Kündigungsentschluss noch nicht verwirklicht hat. Nur dann kann eine erneute Beteiligung des Betriebsrats entbehrlich sein, wenn das frühere Anhörungsverfahren ordnungsgemäß war, der Betriebsrat der Kündigung vorbehaltlos zugestimmt hat und eine Wiederholungskündigung in angemessenem zeitlichen Zusammenhang ausgesprochen und auf denselben Sachverhalt gestützt wird“.

Dem hat die Kammer nichts hinzuzufügen.

b.         Verhält es sich so, dann ist den Folgen nicht auszuweichen: Die Beklagte hat den Betriebsrat zwar zu ihrer ursprünglichen – im späteren Rechtsstreit für hinfällig erklärten (s. oben, S. 3 [3.]) - Kündigung im Schreiben vom 26. März 2015 angehört (Urteilsanlage II.), nicht aber nochmals zu derjenigen im hiesigen Schreiben vom 14. April 2015 (Urteilsanlage VI.). Das Gremium hat der früheren Kündigung auch keineswegs „vorbehaltlos zugestimmt“ (s. BAG a.a.O.), sondern die Beklagte ausdrücklich wissen lassen (Urteilsanlage III.), dass es zur Maßnahme der Beklagten „keine Stellungnahme abgeben“ werde (s. nochmals oben, S. 3 [3.]). Damit ist das Schicksal der hier interessierenden Kündigungserklärung, ohne dass es auf ihre übrigen Wirksamkeitsanforderungen namentlich nach § 626 Abs. 1 BGB  oder auch Fragen von Konsultationsgebote im Verhältnis zum Kläger selber  noch ankäme, auf Anhieb besiegelt. Ebensowenig kommt es für die Beurteilung des Streitfalls auf moderne Erkenntnisse konstruktiver betrieblicher Fehlerkultur  oder auf die nicht minder wichtigen Zusammenhänge zwischen unnötig belastendem zwischenmenschlichen Umgang am Arbeitsplatz und dem Preis an, den Unternehmen, betroffene Belegschaften und ggf. die Solidargemeinschaft für einschlägige gesundheitliche Gefährdungslagen bei ungünstigem Verlauf zu zahlen pflegen .

III.         Die Konsequenzen spiegelt der Tenor zu I. des Urteils.

B.         Der „Schleppnetzantrag“ (Klageantrag 2.)

Der Klage war ihr Erfolg jedoch zu versagen, soweit der Kläger mit seinem Klageantrag zu 2. festgestellt sehen will, dass sein Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände ende, sondern auf unbestimmte Zeit  fortbestehe: Zwar ist in der Judikatur der Gerichte für Arbeitssachen anerkannt, dass ein Arbeitnehmer mit seiner Klage gegen die Kündigung vorsorglich auch den sogenannten allgemeinen Feststellungsantrag nach § 256 Abs. 1 ZPO  stellen kann, um zu verhindern, dass der Arbeitgeber sich während des Rechtsstreits überraschend auf andere – zuweilen schlicht untergeschobene - Beendigungstatbestände beruft . Dieses Klagebegehren wird daher im Fachschrifttum auch pointiert als „Schleppnetzantrag“ bezeichnet . Es bestehen auch keine Bedenken, das ihm zugrunde liegende Schutzbedürfnis dem hiesigen Kläger – ohne gegen die Akteure der Beklagten persönlichen Argwohn zu hegen – objektiv zuzubilligen. Allerdings lässt sich angesichts mehrerer weiterer Kündigungen der Beklagten, die nicht im hiesigen Rechtsstreit zu überprüfen sind, aktuell nicht absehen, wie es um den Bestand des Arbeitsverhältnisses mit Rücksicht auf die dort zur Sprache gebrachten Trennungsgründe bestellt sein mag. Da dem Kläger insofern somit in der Sache (derzeit) nicht bescheinigt werden kann, dass sein Arbeitsverhältnis „auf unbestimmte Zeit“ fortbestehe, hat er mit diesem Antragsbegehren das Nachsehen. - Daher also: Tenor zu II.

C.         Die Weiterbeschäftigung (Klageantrag zu 3.)

Aus denselben Gründen kann die Beklagte im hiesigen Rechtsstreit auch nicht zu seiner (vorläufigen) Weiterbeschäftigung angehalten werden. Das wäre zwar anders, wenn es nur die hiesige Kündigung gäbe. Dann nämlich kämen die Grundsätze in BAGE 48, 122  für die Kammer zwanglos zur Geltung. Da dies aber – wegen der (mindestens zwei) Folgekündigungen nicht der Fall ist, gilt auch insofern: Tenor zu II.

D.         Kosten und Streitwerte

Für Kosten und Streitwerte lässt es sich kurz machen:

I.          Soweit das Gericht auch ohne bekundeten Wunsch der Parteien über die Verpflichtung zur Tragung der Kosten seiner Inanspruchnahme entschieden hat, bedurfte es hierzu keines Antrags (§ 308 Abs. 2 ZPO ). Diese Kosten hat das Gericht den Parteien aufgrund des § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO  und in den Grenzen des § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG  je nach den Anteilen ihres Unterliegens im Rechtsstreit zuweisen müssen. - Dabei ergeben sich die besagten Anteile nach deren Werten:

II.         Diese hat das Gericht, soweit über die Klage streitig entschieden werden musste, aufgrund des § 61 Abs. 1 ArbGG  im Tenor festgesetzt und für die Kündigungsschutzklage nach Maßgabe des § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG  mit der dreifachen Monatsvergütung des Klägers bemessen. Das macht (3 x 2.775,-- Euro = ) 8.325,-- Euro. Der Wert des „Schleppnetzantrags“ ist den Gebräuchen der forensischen Praxis entsprechend ohne gesonderten Ansatz geblieben und der Beschäftigungsantrag mit einem weiteren Monatsgehalt (2.775,-- Euro) veranschlagt. So ergeben sich insgesamt (8.325,-- Euro + 2.775,-- Euro = ) 11.100,-- Euro, was den Tenor zu IV. erklärt.

III.         Dies bedingt zugleich die eben schon angesprochene Kostenquote: Da die Beklagte wegen des Kündigungsschutzantrags mit drei von vier Vierteln der beteiligten Werte unterliegt, hat sie auch drei Viertel der Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das restliche Viertel wird der Kläger beisteuern müssen. - Fazit: Tenor zu III.

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