BAG: Normative oder schuldrechtliche Tarifregelung
BAG , Urteil vom 24.08.2011 - Aktenzeichen 4 AZR 717/10 (Vorinstanz: LAG Chemnitz vom 22.10.2010 - Aktenzeichen 2 Sa 105/10; ) (Vorinstanz: ArbG Bautzen vom 13.01.2010 - Aktenzeichen 3 Ca 3356/09; ) | ||||||||||||||||||||||||||||||
Amtliche Leitsätze: Orientierungssätze: 1. Die Bestimmung des § 3 Abs. 1 Unterabs. 2 VTV Nr. 7 zum BAT-O ("Die Anpassung des Bemessungssatzes wird für die Angestellten der Vergütungsgruppen ... bis zum 31. Dezember 2007 ... abgeschlossen.") begründet keine individuellen Ansprüche tarifgebundener Arbeitnehmer für die Zeit ab dem 1. Januar 2008. Es handelte sich hier um die für die Tarifvertragsparteien des VTV Nr. 7 schuldrechtlich verbindliche Festlegung eines Regelungsprogramms. 2. An die Stelle einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeregelung, die als "Altklausel" aus der Zeit vor dem 1. Januar 2002 als Gleichstellungsabrede auszulegen war (BAG 18. April 2007 - 4 AZR 652/05 - BAGE 122, 74), tritt jedenfalls dann keine unbedingt zeitdynamische Bezugnahme auf den betreffenden Tarifvertrag, wenn nach dem 31. Dezember 2001 im Zuge einer Neuregelung zur Arbeitszeit vereinbart wurde "Im übrigen bleibt es bei den bislang geltenden Bedingungen des Arbeitsverhältnisses", und der Arbeitgeber zeitnah vor dieser Vereinbarung seine Auffassung deutlich gemacht hatte, dass er aufgrund seiner zwischenzeitlich entfallenen Tarifgebundenheit nicht mehr an neue Tarifverträge des ursprünglich in Bezug genommenen Tarifwerks gebunden sei. | ||||||||||||||||||||||||||||||
Amtliche Normenkette: TVG § 1 Abs. 1; TVG § 4 Abs. 1; Vergütungstarifvertrag Nr. 7 zum BAT-O für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) (VTV Nr. 7) § 3 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; Redaktionelle Normenkette: TVG § 1 Abs. 1; TVG § 4 Abs. 1; Vergütungstarifvertrag Nr. 7 zum BAT-O für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) (VTV Nr. 7) § 3 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2;
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der nach dem jeweiligen Vergütungstarifvertrag zum BAT für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) geltenden Beträge. |
Die Anpassung des Bemessungssatzes wird für die Angestellten der Vergütungsgruppen X bis V b und Kr. I bis Kr. VIII bis zum 31. Dezember 2007 und für die übrigen Angestellten bis zum 31. Dezember 2009 abgeschlossen. |
(2) Die Grundvergütungen für die Angestellten der Vergütungsgruppen X bis I sind für die Zeit |
a) vom 1. Januar bis 31. Dezember 2003 in den Anlagen 1 a und 1 a.1, |
b) vom 1. Januar bis 30. April 2004 in der Anlage 1 b, |
c) vom 1. Mai 2004 an in der Anlage 1 c |
festgelegt." |
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin für die Zeit ab 1. Januar 2008 die Grundvergütung gemäß Vergütungsgruppe KR Va, Stufe 9, der Anlage 1b zum BAT-O in Höhe des für den Bereich der VKA am 31. Dezember 2003 geltenden Vergütungstarifvertrages zum BAT (West) zu zahlen und die sich daraus ergebenden monatlichen Differenzbeträge jeweils ab dem jeweiligen Monatsersten des Folgemonats mit 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen. |
Entscheidungsgründe: |
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. | RN 12 |
I. Die Klage ist zulässig. | RN 13 |
Der Feststellungsantrag, den die Klägerin, wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat, auch weiterhin verfolgt, ist hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin strebt mit ihrer Klage zuletzt nur noch die Verpflichtung der Beklagten an, ab dem 1. Januar 2008 die Vergütung zu zahlen, welche die Klägerin als in Vergütungsgruppe KR Va Stufe 9 BAT-O eingruppierte Krankenschwester im Tarifgebiet West aufgrund der dortigen Tariflage am 31. Dezember 2003 zu erhalten gehabt hätte. | RN 14 |
1. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klage einen bestimmten Antrag enthalten. Streitgegenstand und der Umfang der gerichtlichen Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis müssen klar umrissen sein (BAG 19. März 2003 - 4 AZR 271/02 - zu II 2 der Gründe, BAGE 105, 275). Die klagende Partei muss eindeutig festlegen, welche Entscheidung sie begehrt. Bei einer stattgebenden Entscheidung darf keine Unklarheit über den Umfang der Rechtskraft bestehen, damit der Streit der Parteien nicht in die Vollstreckung verlagert wird. Diese Anforderung ist auch erfüllt, wenn der Antrag durch Auslegung, insbesondere unter Heranziehung der Klageschrift und des sonstigen Vorbringens, hinreichend bestimmt ist (st. Rspr., etwa BAG 10. Mai 2005 - 9 AZR 230/04 - zu B I 2 a der Gründe mwN, BAGE 114, 299). | RN 15 |
2. Hiernach genügt der Klageantrag dem Bestimmtheitsgrundsatz des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin bezeichnet den Tarifzustand, von dem aus sie ihre Vergütung ermittelt haben will, zeitlich präzise. Dass sie nicht die zu diesem Zeitpunkt maßgebende Tarifvorschrift benennt, ist unschädlich. Die maßgebende Vergütung ist ohne weiteres ermittelbar, weil die Beklagte von dieser Bezugsvergütung ausgehend nach einem Bemessungssatz die Vergütung der Klägerin errechnet hat. Diese Vergütung soll auch der Maßstab für den Vergütungsanspruch der Klägerin ab dem 1. Januar 2008 sein. Dies ergibt sich ohne weiteres auch aus der Klageschrift, in der die Klägerin ihren zunächst bezifferten Klageantrag dergestalt ermittelt hat, dass sie die ihr von der Beklagten gezahlte Bruttovergütung ausgehend von dem damals für das Tarifgebiet Ost geltenden Bemessungssatz von 92,5 vH auf eine 100 vH-Vergütung hochgerechnet und die monatlichen Differenzbeträge eingeklagt hat. | RN 16 |
3. Die Klägerin hat für ihren Feststellungsantrag auch das erforderliche besondere Feststellungsinteresse iSv. § 256 Abs. 1 ZPO. Sie hat ein rechtliches Interesse daran, dass das im Antrag bezeichnete Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. | RN 17 |
a) Da sich eine Feststellungsklage auch auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken kann - sog. Elementenfeststellungsklage - (s. nur BAG 15. März 2006 - 4 AZR 75/05 - Rn. 15, BAGE 117, 248), kann die Klägerin im Rahmen des § 256 Abs. 1 ZPO auch eine gerichtliche Feststellung über den für sie maßgebenden Vergütungsanspruch anstreben. | RN 18 |
b) Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, wenn durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag der Streit insgesamt beseitigt wird und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt werden kann (st. Rspr., etwa BAG 14. Dezember 2005 - 4 AZR 522/04 - Rn. 12, AP ZPO 1977 § 256 Nr. 94 = EzA ZPO 2002 § 256 Nr. 7; 29. November 2001 - 4 AZR 757/00 - zu I 2 b der Gründe, BAGE 100, 43). Diese Voraussetzung liegt vor. Die Rechtskraft der Entscheidung verhindert weitere gerichtliche Auseinandersetzungen (zu diesem Kriterium s. etwa BAG 29. November 2001 - 4 AZR 757/00 - aaO.) über die zukünftige Vergütung der Klägerin, für die zwischen den Parteien allein der maßgebende Bemessungssatz streitig ist. Die Beklagte hat darüber hinaus durch Protokollerklärung in erster Instanz - im Anschluss an eine entsprechende Zusicherung in ihrem Schreiben vom 11. April 2008, mit dem sie die angestrebte Zahlung abgelehnt hat - auch ausdrücklich klargestellt, dass sie sich einem Feststellungsurteil unterwerfen werde; damit war erkennbar gemeint, dass sie schon aufgrund einer lediglich feststellenden Entscheidung entsprechend dem Klageantrag eine hieran orientierte (Neu-)Abrechnung und Auszahlung vornehmen werde. | RN 19 |
II. Die zulässige Feststellungsklage ist jedoch unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht darauf erkannt, dass die Klägerin nicht verlangen kann, ab dem 1. Januar 2008 die Vergütung zu erhalten, welche eine wie sie eingruppierte Krankenschwester am 31. Dezember 2003 im Tarifgebiet West zu beanspruchen hatte. Ein derartiger Anspruch ergibt sich nicht aus § 3 Abs. 1 Unterabs. 2 VTV Nr. 7, der sowohl kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit, im Falle der Beklagten aus § 3 Abs. 3 TVG, als auch kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme im Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet. Die von der Klägerin angezogene Tarifbestimmung begründet keine individuellen Ansprüche. § 3 Abs. 1 Unterabs. 2 VTV Nr. 7 ist keine Inhaltsnorm iSv. § 4 Abs. 1 iVm. § 1 Abs. 1 Halbs. 2 TVG, sondern eine schuldrechtliche Bestimmung (§ 1 Abs. 1 Halbs. 1 TVG). | RN 20 |
1. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob es sich bei der vertraglichen Verweisung im ursprünglichen Arbeitsvertrag um eine "Altklausel", also eine Gleichstellungsabrede, oder im Hinblick auf die nach dem 1. Januar 2002 abgeschlossenen Änderungsverträge um eine "Neuklausel", also möglicherweise um eine unbedingt zeitdynamische Verweisung, handelt (vgl. hierzu nur BAG 18. April 2007 - 4 AZR 652/05 - BAGE 122, 74). Für die von der Klägerin angestrebte Vergütungsanpassung kommt als Anspruchsgrundlage zunächst ausschließlich der VTV Nr. 7 in Betracht. Er wurde vor dem Ende der Tarifgebundenheit der Beklagten im Januar 2003 vereinbart und ist deshalb in jedem Falle auch von der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag der Parteien mit umfasst. | RN 21 |
"Für Beschäftigte der Entgeltgruppen 1 bis 8 und für Beschäftigte der Entgeltgruppe 9 gemäß Anlage bestimmt sich das Tabellenentgelt (§ 15 Abs. 1 TVöD) ab 1. Januar 2008 nach der Anlage A (VKA). Im Übrigen bleiben § 3 Abs. 1 Satz 2 des Vergütungstarifvertrages Nr. 7 zum BAT-O für den Bereich der VKA und § 3 Abs. 1 Satz 2 des Vergütungstarifvertrages Nr. 7 zum BAT-Ostdeutsche Sparkassen unberührt." |
"Am 1. Januar 2010 wird das Entgelt der individuellen Endstufe für Beschäftigte der Entgeltgruppe 10 und höher, auf die die Regelungen des Tarifgebiets Ost Anwendung finden, um den Faktor 1,03093 erhöht." |
3. Die Klage kann auch nicht allein auf die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag der Parteien vom 6. Dezember 1996 gestützt werden, wonach der BAT-O und die ergänzenden oder ersetzenden Tarifverträge im Arbeitsverhältnis Anwendung finden. | RN 33 |
b) Dies kann aber letztlich offenbleiben, weil die Bezugnahmeklausel nicht zur Geltung der tariflichen Vergütungsregelungen zum TVöD/VKA führt. Der Arbeitsvertrag der Klägerin enthält keine unbedingt zeitdynamische Verweisung auf das öffentliche Dienstrecht, sondern nur eine Gleichstellungsabrede im Sinne der früheren Rechtsprechung des Senats, die aus Gründen des Vertrauensschutzes für Verträge, die vor dem 1. Januar 2002 abgeschlossen worden sind, weiter zugrunde gelegt wird; hiernach endet die vereinbarte Dynamik mit dem Ende der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers, weil danach auch gegenüber den tarifgebundenen Beschäftigten, mit denen die Gleichstellung beabsichtigt ist, neu abgeschlossene Tarifverträge nicht mehr angewendet werden müssen (vgl. nur BAG 14. Dezember 2005 - 4 AZR 536/04 - BAGE 116, 326; 18. April 2007 - 4 AZR 652/05 - BAGE 122, 74). | RN 35 |
bb) Am Inhalt der arbeitsvertraglichen Vereinbarung als Gleichstellungsabrede hat sich in der Folgezeit nichts geändert. | RN 37 |
In dem außergerichtlichen Vergleich vom 14. August 2008 wird die zuvor im - auch gerichtlichen - Streit befindliche Arbeitszeit neu geregelt und festgelegt, dass es ansonsten "bei den bislang geltenden Bedingungen des Arbeitsverhältnisses" bleibt. Die letztgenannte Klausel stellt schon nach ihrem Wortlaut keine bewusste Aufnahme des 1996 vertraglich Gewollten in den neu gebildeten Vertragswillen dar (dazu zuletzt BAG 24. Februar 2010 - 4 AZR 691/08 - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 75 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 47). Zumindest ist mit dieser Vereinbarung unter den Begleitumständen des Einzelfalles keine neue unbedingt zeitdynamische Verweisung auf das Tarifrecht des öffentlichen Dienstes vereinbart worden. Als der Vergleich, der nur auf das bislang Geltende Bezug nimmt, vereinbart wurde, hatte die Beklagte bereits im Streit um die Frage, ob die Klägerin Vergütung nach dem VTV Nr. 7 iVm. den Tarifen des BAT verlangen kann, unter dem 11. April 2008 auf ihren Rechtsstandpunkt hingewiesen, dass sie zu einer entsprechenden Zahlung nicht verpflichtet sei, ua. weil sie mangels Mitgliedschaft nicht dem TVöD unterfalle. Unter diesen Umständen konnte die Klägerin auch dann, wenn sie aus der Verweisung auf das alte Vertragsrecht auch eine willentliche Inkorporierung der alten Verweisungsklausel in das neue Arbeitsvertragsrecht geschlossen haben sollte, nicht davon ausgehen, dass die Beklagte sich mit einer derartigen nicht näher bestimmten Wiederholung entgegen der wenige Monate zuvor deutlich gemachten Rechtsauffassung unbedingt zeitdynamisch dem Tarifrecht für den öffentlichen Dienst unterwerfen wollte. | RN 39 |
III. Da die Klägerin nach alledem keinen Anspruch auf die geltend gemachte Vergütung hat, ist die Klage in den Vorinstanzen zu Recht abgewiesen worden, weshalb ihre Revision mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen ist. | RN 40 |