BAG: Nichtzulassungsbeschwerde – rechtliches Gehör – Überspannung der Substantiierungsanforderungen
BAG, Beschluss vom 21.3.2024 – 2 AZN 785/23
ECLI:DE:BAG:2024:210324.B.2AZN785.23.0
Volltext: BB-Online BBL2024-947-1
Orientierungssätze
1. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann vorliegen, wenn das Gericht die an eine hinreichende Substantiierung zu stellenden Anforderungen überspannt und in der Folge einen angebotenen Beweis zu Unrecht nicht erhebt (Rn. 3).
2. Gemäß § 373 ZPO hat die Partei, die die Vernehmung eines Zeugen beantragen will, den Zeugen zu benennen und die Tatsachen zu bezeichnen, über die er vernommen werden soll. Für einen ordnungsgemäßen Beweisantritt ist es nicht erforderlich, dass sich der Beweisführer (auch) dazu verhält, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptung habe (Rn. 3).
3. Geht es darum, ob der Zeuge eine bestimmte Person wiedererkennt, kann es sich anbieten, diese Person im Termin zur Beweisaufnahme im Publikum zu „verstecken“ (Rn. 4).
Aus den Gründen
1 Die Beschwerde ist begründet. Die Beklagte hat dargetan, dass das Landesarbeitsgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG iVm. Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Dies führt zur Aufhebung des Urteils vom 10. Mai 2023 und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht nach § 72a Abs. 7 ArbGG.
2 1. Die Beklagte hat die vorrangige außerordentliche fristlose Kündigung ua. darauf gestützt, dass der Kläger am 24. September 2021 auf dem Gelände B an einem Eigentumsdelikt zu ihren Lasten beteiligt gewesen sei. Als Zeugen für diesen Kündigungssachverhalt hat sie insbesondere Herrn C benannt. Das Landesarbeitsgericht ist diesem Beweisantritt nicht nachgegangen, weil die Beklagte nicht dargetan habe, woran der Zeuge die Identität des Klägers festgemacht haben will (vgl. S. 18 f. des Berufungsurteils). Aus diesem Grund erweise sich auch die hilfsweise erklärte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist als unwirksam und die Widerklage der Beklagten auf Erstattung der für die Überwachung durch einen Detektiv (den Zeugen C) angefallenen Kosten als unbegründet. Zudem sei die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet.
3 2. Das Landesarbeitsgericht hat die Anforderungen an ein ausreichend substantiiertes, einer Beweisaufnahme zugängliches Vorbringen in einer mit Art. 103 Abs. 1 GG nicht mehr zu vereinbarenden Weise überspannt. Gemäß § 373 ZPO hat die Partei, die die Vernehmung eines Zeugen beantragen will, den Zeugen zu benennen und die Tatsachen zu bezeichnen, über die dieser vernommen werden soll. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Beweisführer sich auch darüber äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptung habe (BAG 6. April 2022 – 5 AZN 700/21 – Rn. 3).
4 3. Der Gehörsverstoß ist für die Entscheidung über alle Klageanträge erheblich, die Gegenstand der Berufung der Beklagten waren (Kündigungsschutzanträge, Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung und Widerklage auf Schadensersatz). Hierfür genügt es, dass das Landesarbeitsgericht insoweit bei Vernehmung des von der Beklagten benannten Zeugen C (und ggf. des Zeugen K) möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Das ist nicht auszuschließen. Insbesondere könnte es sein, dass der Zeuge C den Kläger – ggf. „versteckt“ im Publikum – im Gerichtssaal als eine der am 24. September 2021 auf dem Gelände B anwesenden Personen wiedererkennt.
5 4. Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass dem Landesarbeitsgericht die Schriftsätze aus dem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht vorliegen.