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Arbeitsrecht
27.10.2022
Arbeitsrecht
BAG: Nichtigkeitsklage – Besetzung des Gerichts – gesetzlicher Richter – Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV

BAG, Urteil vom 28.7.2022 – 6 AZR 24/22

ECLI:DE:BAG:2022:280722.U.6AZR24.22.0

Volltext: BB-Online BBL2022-2547-3

Leitsatz

Ein willkürlicher Verstoß eines letztinstanzlichen Gerichts gegen seine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV an den Gerichtshof der Europäischen Union, nach § 45 Abs. 2 ArbGG an den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts oder an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG kann nach § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO mit der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden.

Sachverhalt

Die Klägerin begehrt die Wiederaufnahme des abgeschlossenen Revisionsverfahrens unter Aufhebung des Senatsurteils vom 15. Oktober 2021 (- 6 AZR 253/19 -).

Die Parteien haben im Ausgangsverfahren über die Zuschlagspflicht von Arbeitsstunden nach § 8 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Buchst. a TVöD-K (Überstundenzuschlag) gestritten, die die in Teilzeit beschäftigte Klägerin entsprechend den Festsetzungen des Dienstplans (sog. geplante Arbeitsstunden) bzw. über die Festsetzungen des Dienstplans hinaus (sog. ungeplante Arbeitsstunden) erbracht hat. Die regelmäßige Arbeitszeit von Vollbeschäftigten hat die Klägerin in keinem Fall überschritten.

Der Senat hat in dem mit der vorliegenden Klage angefochtenen Urteil darauf abgestellt, dass im Dienstplan eingeplante Arbeitsstunden nach den Bestimmungen des TVöD-K unter keinen Umständen Überstunden und damit auch nicht zuschlagspflichtig sein könnten. Ungeplante Arbeitsstunden seien nach § 7 Abs. 7 TVöD-K nur dann Überstunden, soweit der Arbeitnehmer mit ihnen die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten überschreite. Dies gelte auch für Teilzeitbeschäftigte, wie § 7 Abs. 6 TVöD-K zeige. Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 GG oder eine Diskriminierung iSd. § 4 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 TzBfG bzw. wegen des Geschlechts iSv. §§ 1, 3 Abs. 2, § 7 AGG sei hiermit nicht verbunden. Im Hinblick auf geplante Überstunden würden Teilzeitbeschäftigte und Vollbeschäftigte gleichbehandelt. Hinsichtlich der ungeplanten Arbeitsstunden befänden sich die beiden Beschäftigtengruppen im Tarifsystem des TVöD-K nicht in einer vergleichbaren Situation. Der Senat hat dies aus § 6 Abs. 5 TVöD-K, aus den Teilzeitbeschäftigte teilweise sogar begünstigenden Abgeltungsregelungen für Überstunden und Mehrarbeit sowie den verschiedenartigen Freizeitausgleichsregimen geschlossen. Abschließend hat der Senat darauf hingewiesen, dass sich – anders als etwa in dem Vorabentscheidungsverfahren des Zehnten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 11. November 2020 (- 10 AZR 185/20 (A) – BAGE 173, 10) – die Frage, ob für die Feststellung einer Benachteiligung ein Gesamt- oder Einzelvergleich durchzuführen sei, aufgrund der Besonderheiten des TVöD-K und der daraus folgenden fehlenden Vergleichbarkeit von Teilzeit- und Vollbeschäftigten nicht stelle.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 3. Januar 2022 eine Anhörungsrüge nach § 78a ArbGG erhoben, die der Senat durch Beschluss vom 24. März 2022 (- 6 AZR 3/22 (F) -) zurückgewiesen hat, weil es nach seiner Argumentationslinie nicht entscheidungserheblich darauf ankomme, nach welchem Maßstab eine Benachteiligung der Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollbeschäftigten festzustellen sei und ob dies die Auslegung von Unionsrecht betreffe und deshalb in die Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union falle.

Mit der vorliegenden Nichtigkeitsklage vom 18. Januar 2022 verlangt die Klägerin die Wiederaufnahme des Ausgangsverfahrens. Sie vertritt die Auffassung, sie sei zwar vor Erhebung einer auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gestützten Verfassungsbeschwerde nicht gehalten, eine Nichtigkeitsklage gemäß § 578 Abs. 1, § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 79 Satz 1 ArbGG einzulegen. Da insoweit hinsichtlich der Zulässigkeit einer entsprechenden Verfassungsbeschwerde aber Rechtsunsicherheit bestehe, mache sie den Wiederaufnahmegrund der vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts vorsorglich zunächst auf diesem Wege geltend.

Zur Begründung der Klage führt sie aus, das angefochtene Urteil sei unter Verletzung des Verfahrensgrundrechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zustande gekommen. Der Senat habe gegen seine Pflicht, das Verfahren gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorzulegen, willkürlich verstoßen.

Zudem rügt sie eine willkürliche Verletzung des Verfahrens nach § 45 ArbGG. Der Senat habe in der angefochtenen Entscheidung unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung angenommen, tarifvertragliche Regelungen könnten unter bestimmten Voraussetzungen nicht vom Pro-rata-temporis-Grundsatz erfasst werden. Dadurch sei er von der Rechtsprechung des Zehnten Senats des Bundesarbeitsgerichts in dem Vorlagebeschluss vom 11. November 2020 (- 10 AZR 185/20 (A) – BAGE 173, 10) sowie den dem zwischenzeitlich ergangenen Vorlagebeschluss des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Oktober 2021 (- 8 AZR 370/20 (A) -) zugrundeliegenden Erwägungen abgewichen, ohne zuvor eine Divergenzanfrage beim Zehnten und beim Achten Senat nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG gestellt und gegebenenfalls diese Rechtsfrage dem Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts zur Entscheidung vorgelegt zu haben. Auch dadurch habe ihr der Senat den gesetzlichen Richter iSv. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entzogen.

Die Klägerin regt an, das Verfahren gemäß Art. 267 AEUV auszusetzen und den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung über die entscheidungserheblichen Fragen zur Auslegung des Unionsrechts zu ersuchen, hilfsweise das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs über die Vorabentscheidungsersuchen des Zehnten und des Achten Senats auszusetzen sowie das Verfahren gemäß § 45 Abs. 2 ArbGG dem Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts vorzulegen, soweit der Zehnte und der Achte Senat an ihrer Rechtsauffassung festhielten.

Die Klägerin beantragt,

1.    das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Oktober 2021 – 6 AZR 253/19 – aufzuheben,

2.    auf die Revision der Klägerin das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 3. Mai 2019 – 8 Sa 340/18 – teilweise aufzuheben, das Urteil des Arbeitsgerichts Weiden vom 8. August 2018 – 2 Ca 1322/17 – teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 173,39 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Aus den Gründen

11        Die Nichtigkeitsklage hat keinen Erfolg. Das Verfahren – 6 AZR 253/19 – ist nicht wiederaufzunehmen. Der Senat war gesetzlicher Richter iSv. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG für die von ihm entschiedenen Fragen und deshalb bei Erlass des Urteils am 15. Oktober 2021 vorschriftsmäßig besetzt. Der von der Klägerin geltend gemachte Nichtigkeitsgrund eines nicht vorschriftsmäßig besetzten Gerichts nach § 578 Abs. 1, § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 79 Satz 1 ArbGG liegt nicht vor.

12        I. Nach Ansicht des Senats bestehen allerdings Bedenken, ob die Nichtigkeitsklage überhaupt zulässig ist.

13        1. Zwar sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 589 Abs. 1 Satz 1 ZPO iVm. § 79 Satz 1 ArbGG erfüllt.

14        a) Die Klage richtet sich gegen ein rechtskräftiges Endurteil iSv. § 578 Abs. 1 ZPO, § 79 Satz 1 ArbGG. Die angefochtene Ausgangsentscheidung des Senats (- 6 AZR 253/19 -) ist mit ihrer Verkündung am 15. Oktober 2021 formell rechtskräftig geworden (vgl. hierzu BAG 13. Dezember 2017 – 5 AZA 84/17 – Rn. 11 mwN; 20. August 2002 – 3 AZR 133/02 – zu II 2 der Gründe, BAGE 102, 242).

15        b) Die am 18. Januar 2022 beim Bundesarbeitsgericht eingegangene und der Beklagten am 27. Januar 2022 zugestellte Klage ist fristgerecht iSv. § 589 Abs. 1 Satz 1, § 586 Abs. 1, § 167 ZPO, § 79 Satz 1 ArbGG erhoben worden. Die Frist beginnt nach § 586 Abs. 2 Satz 1 ZPO, sobald die Partei vom Nichtigkeitsgrund erfährt. Das angefochtene Urteil vom 15. Oktober 2021 (- 6 AZR 253/19 -) ist der Klägerin am 20. Dezember 2021 zugestellt worden. Ab diesem Zeitpunkt erhielt sie die erforderliche positive und sichere Kenntnis der Tatsachen, die den Wiederaufnahmegrund ausfüllen können (vgl. hierzu BAG 20. August 2002 – 3 AZR 133/02 – zu II 4 der Gründe, BAGE 102, 242).

16        c) Die Klägerin ist durch das angefochtene Urteil auch beschwert (zu diesem Erfordernis vgl. etwa BGH 20. März 1963 – IV ZR 147/62 – juris-Rn. 12, BGHZ 39, 179; MüKoZPO/Braun/Heiß 6. Aufl. § 589 Rn. 1). Ihre Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 3. Mai 2019 (- 8 Sa 340/18 -) wurde zurückgewiesen.

17        2. Der Senat hat jedoch erhebliche Zweifel daran, dass die Nichtigkeitsklage im Streitfall statthaft ist.

18        a) Diese Bedenken ergeben sich entgegen der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 28. Juli 2022 vertretenen Auffassung zwar nicht aus dem im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 1 ArbGG. Diese Verfahrensregelung ordnet allgemein die Beschleunigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens in den drei Instanzen an und ist bei der Auslegung und Anwendung von Verfahrensvorschriften, die Einfluss auf die Verfahrensdauer haben, zu berücksichtigen (vgl. ErfK/Koch 22. Aufl. ArbGG § 9 Rn. 1; GWBG/Waas ArbGG 8. Aufl. § 9 Rn. 2; Düwell/Lipke/Reinfelder 5. Aufl. § 9 Rn. 3). Insoweit könnte dem Beschleunigungsgedanken allenfalls bei der Durchführung eines Wiederaufnahmeverfahrens nach §§ 578 ff. ZPO im arbeitsgerichtlichen Verfahren Bedeutung zukommen. Zu einem Ausschluss der Nichtigkeitsklage als einen außerordentlichen Rechtsbehelf (BVerfG 27. April 2021 – 1 BvR 2731/19 – Rn. 4) im arbeitsgerichtlichen Verfahren führt er jedoch nicht. Dagegen spricht schon, dass die aus Art. 19 Abs. 4 GG folgende Verpflichtung des Staates, allen Rechtsschutzsuchenden in angemessener Zeit Rechtsschutz zu gewähren (BVerfG 27. November 2018 – 1 BvR 957/18 – Rn. 7), auch dem Zivilprozess immanent ist (GMP/Prütting 10. Aufl. § 9 Rn. 8). Weiter spricht gegen das Argument der Klägerin, dass der Gesetzgeber in Kenntnis des § 9 Abs. 1 ArbGG die Verweisungsnorm in § 79 Satz 2 ArbGG lediglich insoweit modifiziert hat, als es das Berufungsverfahren der ehrenamtlichen Richter betrifft und die Regelung damit abschließend zu verstehen ist.

19        b) Die Zweifel an der Statthaftigkeit der Nichtigkeitsklage ergeben sich aus Sicht des Senats jedoch aus der Funktion dieses außerordentlichen Rechtsbehelfs.

20        aa) Mit der Nichtigkeitsklage iSv. § 579 ZPO hat der Gesetzgeber neben der Restitutionsklage iSd. § 580 ZPO ein Mittel geschaffen, um eine Durchbrechung der Rechtskraft in Fällen zu ermöglichen, in denen schwerste Mängel des Verfahrens oder gravierende inhaltliche Fehler gegen den Bestand des Urteils sprechen und dadurch das Vertrauen der Parteien in die Urteilsgrundlage in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise erschüttert ist (vgl. BFH 2. Dezember 1998 – X R 15-16/97 – zu II 3 b der Gründe mwN, BFHE 188, 1; BSG 23. März 1965 – 11 RA 304/64 – zu II der Gründe, BSGE 23, 30; Musielak/Voit/Musielak ZPO 19. Aufl. § 578 Rn. 1; Stein/Jonas/Jacobs 23. Aufl. vor § 578 – 591 Rn. 24 f.; MüKoZPO/Braun/Heiß 6. Aufl. § 579 Rn. 1; Anders/Gehle/Hunke ZPO 80. Aufl. § 579 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Büscher 4. Aufl. § 579 ZPO Rn. 1; PG/Meller-Hannich 14. Aufl. § 579 Rn. 1 f.; Hk-ZPO/Kemper 9. Aufl. § 579 Rn. 1; Gaul FS Schumann 2001 S. 89, 127).

21        bb) Daraus folgt, dass die Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 ZPO auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt ist (vgl. BVerwG 26. Januar 1994 – 6 C 2/92 – juris-Rn. 24, BVerwGE 95, 64; Wieczorek/Schütze/Büscher 4. Aufl. § 578 ZPO Rn. 1 ff.; Stein/Jonas/Jacobs 23. Aufl. vor § 578 – 591 Rn. 25). Sie dient nicht dazu, eine vom Gericht des Ausgangsverfahrens in Kenntnis der Problematik bereits beantwortete Rechtsfrage erneut zur Überprüfung zu stellen (vgl. zB BAG 21. Juli 1993 – 7 ABR 25/92 – zu B I 3 c aa der Gründe [zu einer Entscheidung im Rechtsmittelverfahren], BAGE 73, 378; BFH 2. Dezember 1998 – X R 15-16/97 – zu II 3 b der Gründe mwN, BFHE 188, 1; Gaul FS Schumann 2001 S. 89, 125). Andernfalls bestünde die Gefahr, dass über die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe keine endgültige Entscheidung ergehen könnte, weil auch das im Wiederaufnahmeverfahren ergangene Urteil seinerseits mit einer weiteren Nichtigkeitsklage anfechtbar wäre (Stein/Jonas/Jacobs § 579 Rn. 2).

22        cc) Deshalb ist die Nichtigkeitsklage nach allgemeiner Ansicht nur dann statthaft, wenn sie auf einen Wiederaufnahmegrund gestützt wird, der im Ausgangsverfahren übersehen bzw. unerkannt geblieben ist (vgl. zB BAG 21. Juli 1993 – 7 ABR 25/92 – zu B I 3 c aa der Gründe, BAGE 73, 378; BFH 2. Dezember 1998 – X R 15-16/97 – zu II 3 b der Gründe mwN, BFHE 188, 1; BSG 23. März 1965 – 11 RA 304/64 – zu II der Gründe, BSGE 23, 30; Gaul FS Schumann 2001 S. 89, 124 ff. mwN in Fn. 156; ders. mit Nachweisen zur Entstehungsgeschichte des § 579 ZPO und zur Bedeutung des § 584 ZPO für die Funktion der Nichtigkeitsklage in FS Kralik 1986 S. 157, 166 ff.; Stein/Jonas/Jacobs 23. Aufl. § 579 Rn. 2; Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht 18. Aufl. § 161 Rn. 8; aA zu § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO siehe BGH 5. Mai 1982 – IVb ZR 707/80 – zu 2 a der Gründe, BGHZ 84, 24 und die hierzu geäußerte Kritik von Gaul FS Schumann 2001 S. 89, 125). Nach dieser Ansicht sollen die Bestimmungen in § 579 Abs. 1 Nr. 2 und § 579 Abs. 2 ZPO den Willen des Gesetzgebers erkennen lassen, dass eine Wiederaufnahme im Wege einer Nichtigkeitsklage nur in den Fällen zuzulassen ist, in denen die Berücksichtigung des geltend gemachten Rechtsfehlers nicht schon vor der Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung möglich war. Damit soll eine doppelte Prüfung der bereits entschiedenen Rechtsfrage verhindert werden (vgl. etwa BVerwG 26. Januar 1994 – 6 C 2/92 – juris-Rn. 24, BVerwGE 95, 64; siehe auch BFH 2. Dezember 1998 – X R 15-16/97 – aaO; OVG Bremen 26. März 2018 – 2 LA 223/16 – zu II der Gründe).

23        dd) Diese Erwägungen sprechen aus Sicht des Senats dafür, dass in Konstellationen wie der vorliegenden, in denen die strittigen Rechtsfragen bereits im Ausgangsverfahren erörtert und beschieden worden sind, eine Wiederaufnahme des Verfahrens im Wege einer Nichtigkeitsklage gemäß § 579 Abs. 1 ZPO nicht statthaft wäre.

24        3. Die Statthaftigkeit der Nichtigkeitsklage kann vorliegend jedoch dahinstehen, denn die Klage ist jedenfalls unbegründet.

25        a) Im Ausgangspunkt zutreffend hat die Klägerin angenommen, dass das durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt ist, wenn ein letztinstanzliches Gericht willkürlich seine Vorlagepflicht an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (vgl. zB BVerfG 24. Mai 2022 – 1 BvR 2342/17 – Rn. 9 ff.; 5. Januar 2021 – 1 BvR 1771/20 ua. – Rn. 7) bzw. an den Großen Senat eines obersten Bundesgerichts (vgl. zB BVerfG 26. März 2014 – 1 BvR 3185/09 – Rn. 34 mwN) verletzt hat. Nach allgemeiner Auffassung schützt auch § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO das Recht auf den gesetzlichen Richter, sodass ein Nichtigkeitsgrund vorliegt, wenn ein zur Vorlage verpflichtetes Gericht diese Pflicht willkürlich verletzt (vgl. BFH 7. Februar 2018 – XI K 1/17 – Rn. 21 mwN zur st. Rspr. des BFH, BFHE 260, 410; GK-ArbGG/Mikosch § 79 Stand Juni 2019 Rn. 20; Anders/Gehle/Hunke ZPO 80. Aufl. § 579 Rn. 3; MüKoZPO/Braun/Heiß 6. Aufl. § 579 Rn. 4; Musielak/Voit/Musielak ZPO 19. Aufl. § 579 Rn. 2; Wieczorek/Schütze/Büscher 4. Aufl. § 579 ZPO Rn. 11 f.; aA Hummel UR 2021, 736, 738 f.; zu Verstößen gegen Heranziehungsregeln in Geschäftsverteilungsplänen vgl.: BAG 20. August 2002 – 3 AZR 133/02 – zu III der Gründe, BAGE 102, 242; BVerwG 28. Februar 2022 – 9 A 12/21 – Rn. 10; OLG Frankfurt 27. August 2021 – 26 Sch 11/21 – Rn. 6 f.).

26        b) Eine solche Verletzung einer Vorlagepflicht ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Für den Senat bestand nach seiner Argumentationslinie im Ausgangsverfahren (- 6 AZR 253/19 -) kein Anlass, den Gerichtshof der Europäischen Union im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV oder den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts nach § 45 Abs. 2 ArbGG anzurufen.

27        aa) Ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 Abs. 3 AEUV war entgegen der Auffassung der Klägerin nicht geboten, da nach dem Begründungsansatz des Senats in dem angefochtenen Urteil vom 15. Oktober 2021 (- 6 AZR 253/19 -) keine ungeklärten Fragen des Unionsrechts betroffen waren.

28        (1) Der Senat ist zunächst hinsichtlich der geplanten, über die vertraglich geschuldete Arbeitszeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden sowie der (geplanten oder ungeplanten) Arbeitsstunden, die das vertraglich geschuldete Arbeitszeitsoll nicht überschreiten, davon ausgegangen, dass diese weder bei Teilzeit- noch bei Vollbeschäftigten zuschlagspflichtig sind und der TVöD-K insoweit eine Gleichbehandlung dieser beiden Arbeitnehmergruppen sicherstellt (Rn. 34 ff. der Ausgangsentscheidung). Im Hinblick auf die ungeplanten, über die jeweilige vertragliche Arbeitszeit hinausgehenden Arbeitsstunden hat der Senat aufgrund der in den Rn. 39 ff. der Ausgangsentscheidung dargelegten Umstände angenommen, dass die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten mit der Gruppe der Vollbeschäftigten bereits nicht vergleichbar ist. Schon aus diesem Grund hat der Senat sowohl einen Gleichheitsverstoß iSv. Art. 3 Abs. 1 GG als auch eine Diskriminierung iSv. § 4 TzBfG, eine Diskriminierung wegen des Geschlechts bzw. eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verneint. Eine (mittelbare) Diskriminierung kann nämlich nur vorliegen, wenn die benachteiligten und die begünstigten Personen vergleichbar sind (BAG 27. Januar 2011 – 6 AZR 526/09 – Rn. 33, BAGE 137, 80). Auch das von der Klägerin angesprochene, gemäß Art. 157 AEUV, Art. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/54/EG, Paragraph 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG gegenüber Teilzeitbeschäftigten bestehende Diskriminierungsverbot ist nur spezifischer Ausdruck des zu den tragenden Grundsätzen des Verfassungs- und des Unionsrechts zählenden allgemeinen Gleichheitssatzes, wonach gleiche Sachverhalte nicht ungleich behandelt werden dürfen, es sei denn, eine Ungleichbehandlung ist sachlich gerechtfertigt. Auch diese besondere Ausprägung des Diskriminierungsverbots kann daher nur auf Personen Anwendung finden, die sich in der gleichen Lage befinden (EuGH 12. Oktober 2004 – C-313/02 – [Wippel] Rn. 54 bis 56). Dass und unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt ein solcher Lösungsansatz eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union erfordern würde, hat die Klägerin im Instanzenzug nicht geltend gemacht und auch nicht in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 15. Oktober 2021 angeführt, obwohl dieser Lösungsansatz dort ausführlich erörtert worden ist.

29        (2) Nach diesem Tarifverständnis, dem die Annahme zugrunde liegt, dass die Tarifvertragsparteien des TVöD-K ein äußerst ausdifferenziertes Regelungsregime für das Entstehen und den Ausgleich von Mehrarbeit geschaffen haben, welches sich von dem für das Entstehen und den Ausgleich von Überstunden grundlegend unterscheidet und es sich daher nicht mehr um vergleichbare Sachverhalte iSv. Art. 3 Abs. 1 GG handelt (Rn. 45 der Ausgangsentscheidung), brauchte der Senat gerade nicht zu entscheiden, auf der Grundlage welchen Maßstabs eine Benachteiligung der Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollbeschäftigten festzustellen ist und inwieweit dies die Auslegung von Unionsrecht betrifft und damit in die Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union fällt. Darauf hat der Senat in Rn. 50 der Ausgangsentscheidung auch hingewiesen. Es ist Sache des für die Würdigung des Sachverhalts allein zuständigen nationalen Gerichts, festzustellen, ob sich bestimmte Arbeitnehmergruppen in vergleichbaren Situationen befinden (vgl. zB EuGH 30. Juni 2022 – C-192/21 – [Comunidad de Castilla y León] Rn. 35; 5. Juni 2018 – C-574/16 – [Grupo Norte Facility] Rn. 49 mwN).

30        bb) Ebenso war der Senat im Ausgangsverfahrens nicht gehalten, das Verfahren nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG einzuleiten und gegebenenfalls den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts nach § 45 Abs. 2 ArbGG anzurufen. Aus den unter Rn. 28 f. dargelegten Gründen besteht – entgegen der Auffassung der Klägerin – keine Divergenz zu dem Vorlagebeschluss des Zehnten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 11. November 2020 (- 10 AZR 185/20 (A) – BAGE 173, 10). Nach dem im Ausgangsverfahren streitgegenständlichen Regelungssystem des TVöD-K stellt sich anders als in dem angezogenen Vorlagebeschluss des Zehnten Senats, dem das Regelungsregime der Tarifvertragsparteien für die Mitarbeiter des Cockpitpersonals der Lufthansa CityLine GmbH zugrunde liegt, nicht die Frage, ob für die Feststellung einer Benachteiligung von Teilzeit- gegenüber Vollbeschäftigten auf die Gesamtvergütung oder isoliert auf den Überstundenzuschlag abzustellen ist und ob eine solche Benachteiligung gerechtfertigt sein kann, wenn mit der zusätzlichen Vergütung für Überstunden eine besondere Arbeitsbelastung ausgeglichen werden soll. Der Lösungsansatz des Senats bezieht sich im Unterschied zu dem Ansatz, der der Vorlage des Zehnten Senats zugrunde liegt, nicht auf die Frage, welche Bestandteile des Entgelts in die Vergleichsbetrachtung einzubeziehen sind. Er bezieht sich auch nicht auf die von § 2 Abs. 1 TzBfG vorgegebene Vergleichsgruppenbildung, dh. auf die Bestimmung der vergleichbaren Vollbeschäftigten, sondern darauf, dass sich Teilzeit- und Vollbeschäftigte im Regelungssystem des TVöD-K aufgrund der tariflichen Ausgestaltung der Normen zur Mehrarbeit bzw. zu den Überstunden nicht mehr in einer vergleichbaren Lage befinden, sodass von vornherein keine Diskriminierung vorliegen kann. Auch darauf hat der Senat in Rn. 50 der angefochtenen Ausgangsentscheidung hingewiesen.

31        cc) Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, der Senat hätte zudem eine Divergenzanfrage iSv. § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG an den Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts stellen müssen, da sich dieser in seinem Vorlagebeschluss vom 28. Oktober 2021 (- 8 AZR 370/20 (A) -) der Rechtsprechung des Zehnten Senats des Bundesarbeitsgerichts zum Pro-rata-temporis-Grundsatz im Zusammenhang mit der Behandlung von Teilzeit- gegenüber Vollzeitarbeitnehmern angeschlossen habe, fehlt es bereits an einer schlüssigen Behauptung eines Wiederaufnahmegrundes iSv. § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (zu diesem Erfordernis siehe BAG 13. Oktober 2015 – 3 AZN 915/15 (F) – Rn. 19; 12. September 2012 – 5 AZN 1743/12 (F) – Rn. 7; 18. November 1999 – 2 AZR 869/98 – zu B II der Gründe; BFH 29. Januar 2015 – I K 1/14 – Rn. 7; Musielak/Voit/Musielak ZPO 19. Aufl. § 579 Rn. 9; Anders/Gehle/Hunke ZPO 80. Aufl. § 579 Rn. 1). Die Klägerin hat selbst darauf hingewiesen, dass der von der angefochtenen Ausgangsentscheidung vom 15. Oktober 2021 vermeintlich divergierende angezogene Beschluss des Achten Senats vom 28. Oktober 2021 datiert und somit 13 Tage später als die angefochtene Ausgangsentscheidung gefällt worden ist. Schon deshalb kam eine Divergenzanfrage und in der Folge eine Anfrage an den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts nach § 45 ArbGG durch den erkennenden Senat nicht in Betracht. Zudem besteht aus den in Rn. 28 f. dargelegten Gründen ebenfalls keine Divergenz zum Achten Senat.

32        4. Soweit der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung die Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bei Rügen von willkürlichen Verletzungen von Vorlagepflichten auch dann für statthaft hält, wenn die Vorlagepflicht bereits Gegenstand des Instanzenzugs war und in dem mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Endurteil beschieden worden ist (BFH 7. Februar 2018 – XI K 1/17 – Rn. 8, 14 ff., BFHE 260, 410; 13. Juli 2016 – VIII K 1/16 – Rn. 5 ff., 15, BFHE 254, 481), bedurfte es keiner Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG, weil keine entscheidungserhebliche Divergenz vorliegt.

33        II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

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