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Arbeitsrecht
02.06.2008
Arbeitsrecht
BAG: Mitbestimmung bei Wegfall betrieblicher Leistungsprämien

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 23.01.2008
Aktenzeichen: 1 ABR 82/06
Rechtsgebiete: BetrVG, ZPO, Verkaufs-, Abspaltungs- und Überleitungs-TV
Vorschriften:

      BetrVG § 77 Abs. 6
      BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
      ZPO § 256 Abs. 1
      Verkaufs-, Abspaltungs- und Überleitungs-TV für die Arbeitnehmer der RWE Umwelt AG vom 26. September 2004 § 7

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! BESCHLUSS

1 ABR 82/06

Verkündet am 23. Januar 2008

In dem Beschlussverfahren

hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Anhörung vom 23. Januar 2008 durch die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Schmidt, die Richter am Bundesarbeitsgericht Kreft und Linsenmaier sowie die ehrenamtlichen Richter Rath und Kunz für Recht erkannt:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. September 2006 - 5 TaBV 10/06 - wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

Gründe:

A. Die Beteiligten streiten über die Geltung einer Betriebsvereinbarung.

Die Arbeitgeberin betreibt private Entsorgung. Sie firmierte bis Ende des Jahres 2005 als RWE Umwelt Hessen GmbH & Co. KG. Sie gehörte zum RWE-Umwelt-Konzern, dieser seinerseits zum RWE-Konzern. Die Arbeitgeberin ist seit jeher Mitglied im Verband der deutschen Entsorgungswirtschaft und an die von diesem geschlossenen Tarifverträge gebunden. Der Antragsteller ist der für den Betrieb der Arbeitgeberin in B gewählte Betriebsrat.

Der Betrieb wurde ursprünglich von der E Entsorgung Süd GmbH geführt. Mit dieser schloss der Betriebsrat am 1. März 1996 eine Betriebsvereinbarung über ein "System von Prämienregelungen" (BV), die an die Stelle "übertariflicher Zuschläge" treten sollte. In ihrer Fassung vom 30. September 1997 sah die BV Prämien für ununterbrochene Anwesenheiten, unfallfreies Fahren und Arbeiten und für "Verhalten" vor. Die BV galt für die gewerblichen Mitarbeiter mit Ausnahme der Beschäftigten in der Werkstatt. Einzelne Angestellte erhielten auf individualrechtlicher Grundlage übertarifliche Zuschläge zur Abgeltung von Überstunden oder besonderer Arbeitsleistungen. Die BV war nach ihrem § 11 mit einer Frist von sechs Monaten zum Monatsende kündbar.

Im Jahr 2004 beschloss die RWE AG sich von ihrer Umweltsparte zu trennen. Dazu sollten in einem ersten Schritt etwa 70 % ihrer Beteiligung an der RWE Umwelt AG an die damalige R-Gruppe veräußert werden. In diesem Zusammenhang schlossen die RWE AG und die RWE Umwelt AG - diese zugleich für alle mit ihr in einem Konzernverhältnis stehenden Gesellschaften - auf der einen und die Gewerkschaften ver.di, IG Metall und IG BCE auf der anderen Seite am 26. September 2004 einen "Verkaufs-Abspaltungs- und Überleitungstarifvertrag" (TV). Er hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

"Präambel

Ziel der folgenden Vereinbarungen ist es, soziale Standards und Rechte aus Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und sonstigen Regelungen der derzeit Beschäftigten auch nach dem Verkauf von 70 % des Geschäftsvolumens des RWE Umwelt-Konzerns an die R-Gruppe sowie der vorherigen Abspaltung von 30 % des Geschäftsvolumens in noch zu gründende Gesellschaften ... zu erhalten. ...

§ 1 Geltungsbereich

Dieser Tarifvertrag gilt für alle am 27.09.2004 in einem Arbeitsverhältnis zur RWE Umwelt AG oder einem dieser ... zurechenbaren Konzernunternehmen stehenden Arbeitnehmer mit Ausnahme der leitenden Angestellten ... Er behält seine Gültigkeit für diesen Personenkreis unabhängig davon, ob die jeweilige Arbeitgebergesellschaft künftig zur R-Gruppe gehört oder vorläufig im RWE-Konzern verbleibt.

...

§ 7 Konzernbetriebsvereinbarungen/Gesamtbetriebsver-einbarungen/Betriebsvereinbarungen

Für die vom Verkauf betroffenen Arbeitnehmer behalten alle bisher bestehenden Betriebsvereinbarungen, Gesamtbetriebsvereinbarungen und Konzernbetriebsvereinbarungen sowie alle sonstigen betrieblichen Regelungen materiellen Inhalts weiterhin Gültigkeit.

...

§ 9 Inkrafttreten/Laufzeit

Dieser Tarifvertrag tritt zum 27.09.2004 in Kraft und kann mit einer Frist von sechs Monaten, erstmals zum 31.12.2007 gekündigt werden und schließt eine Nachwirkung aus."

Mit Schreiben vom 23. November 2004 kündigte die Arbeitgeberin gegenüber dem Betriebsrat die BV fristgerecht und stellte entsprechende Zahlungen an die Mitarbeiter mit Ablauf des 31. August 2005 ein.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, diese Kündigung sei unwirksam. Durch § 7 TV sei die Kündigung bestehender Betriebsvereinbarungen für die Dauer der Laufzeit des TV, zumindest bis zum 31. Dezember 2007 ausgeschlossen. Eine Kündigung der BV scheide auch deshalb aus, weil diese an die Stelle individualrechtlich begründeter Rechtspositionen der Arbeitnehmer getreten sei. In jedem Fall sei die BV kraft Nachwirkung weiter anzuwenden. Ihre Regelungen beträfen eine nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtige Angelegenheit. Die Streichung der Prämien für gewerbliche Mitarbeiter sei nicht mitbestimmungsfrei möglich gewesen, weil Angestellte weiterhin freiwillige Leistungen erhielten.

Der Betriebsrat hat beantragt

festzustellen, dass die Regelungen, die in der zwischen ihm und der E Entsorgung Süd GmbH geschlossenen Betriebsvereinbarung "Prämiensystem" vom 1. März 1996 in der Fassung des Änderungsvertrags vom 30. September 1997 enthalten sind, während der Laufzeit des zwischen der RWE AG, der RWE Umwelt AG sowie den Gewerkschaften ver.di, IG Metall und Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie geschlossenen Verkaufs-, Abspaltungs- und Überleitungstarifvertrags vom 26. September 2004 von der Arbeitgeberin weiter anzuwenden sind;

hilfsweise

festzustellen, das die Regelungen, die in zwischen ihm und der E Entsorgung Süd GmbH geschlossenen Betriebsvereinbarung "Prämiensystem" vom 1. März 1996 in der Fassung des Änderungsvertrags vom 30. September 1997 enthalten sind, von der Arbeitgeberin über den 31. August 2005 hinaus weiter anzuwenden sind, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Dem haben die Vorinstanzen entsprochen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat sein Begehren weiter.

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden. Die Arbeitgeberin hat die Bestimmungen der gekündigten BV nicht mehr anzuwenden.

I. Das Feststellungsbegehren des Betriebsrats ist zulässig.

1. Das Begehren bedarf der Klarstellung. Entgegen dem äußeren Anschein hat der Betriebsrat nur einen Antrag zur Entscheidung gestellt. Er hat sein Rechtsbegehr zwar in einen Haupt- und einen Hilfsantrag gestuft. Diese haben aber denselben Gegenstand. Beide sind darauf gerichtet festzustellen, dass die Arbeitgeberin die BV weiter anzuwenden hat. Sie unterscheiden sich lediglich in Begründungsansätzen und möglichen Anlässen für einen Wegfall der Anwendungspflicht. Dies sind nicht Elemente des Verfahrensgegenstands.

2. Der - einheitliche - Antrag ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er erfüllt auch die Anforderungen des § 256 Abs. 1 ZPO. Er ist auf die Feststellung eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses gerichtet. Die Regelungen einer Betriebsvereinbarung bilden ein Rechtsverhältnis im Sinne dieser Vorschrift. Dessen Fortbestand soll festgestellt werden. Daran hat der Betriebsrat angesichts des Bestreitens der Arbeitgeberin ein berechtigtes Interesse. Der Betriebsrat ist antragsbefugt iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG. Er macht nicht Individualansprüche der Arbeitnehmer, sondern einen eigenen, aus § 77 Abs. 1 BetrVG oder der BV als solcher herzuleitenden Durchführungsanspruch geltend.

II. Der Antrag ist unbegründet. Die Arbeitgeberin muss die Bestimmungen der BV nicht mehr anwenden.

1. Die BV hat geendet. Die Arbeitgeberin hat sie mit Schreiben vom 23. November 2004 wirksam zum 31. Mai 2005 gekündigt.

a) Eine fristgerechte Kündigung zu diesem Datum war nicht durch die BV selbst ausgeschlossen. Diese wurde nach § 11 ihrer Regelungen ohne Mindestlaufzeit auf unbestimmte Zeit geschlossen und war mit sechsmonatiger Frist zum Ende eines Monats kündbar.

b) Ein Kündigungsausschluss folgt nicht aus den Bestimmungen des TV vom 26. September 2004. Zwar ist es laut Präambel dessen Ziel, soziale Standards und Rechte der Beschäftigten aus Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und sonstigen Regelungen für die Zeit nach einem Verkauf des größten Teils des Geschäftsvolumens der RWE Umwelt AG zu erhalten. Dazu sollten gem. § 7 TV alle bestehenden Einzel-, Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen und die sonstigen betrieblichen Regelungen materiellen Inhalts weiterhin "Gültigkeit behalten". Daraus folgt jedoch kein Verbot einer Kündigung der BV. Das ergibt die Auslegung von § 7 TV.

aa) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags richtet sich nach den Grundsätzen der Gesetzesauslegung. Auszugehen ist vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck der Regelungen zu berücksichtigen, falls diese im Regelungswerk ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang der Regelung. Dieser kann Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern. Darüber hinaus können die Gerichte auf weitere Kriterien zurückgreifen. Dazu gehören die Entstehungsgeschichte und die bisherige Anwendung der Regelung in der Praxis. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, gesetzeskonformen und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 3. Mai 2006 - 1 ABR 2/05 - Rn. 32, 33, BAGE 118, 141 mwN).

bb) Danach enthält § 7 TV keinen Ausschluss der Kündigung von Betriebsvereinbarungen.

(1) Dagegen spricht schon der Wortlaut. Ihm zufolge "behalten alle bisher bestehenden Betriebsvereinbarungen ... weiterhin Gültigkeit". Er gibt nichts dafür her, dass Betriebsvereinbarungen hinsichtlich der in ihnen enthaltenen Kündigungsbestimmungen eine Modifizierung erfahren sollen. Die Formulierung lässt bereits offen, ob es sich bei § 7 TV um eine rechtsgeschäftliche Erklärung der Tarifvertragsparteien im Sinne einer Rechtsfolgen erzeugenden Regelung handelt oder nur um einen Hinweis auf die Rechtslage. Auch wenn zugunsten des Betriebsrats ein Regelungscharakter angenommen wird, hat § 7 TV lediglich die unveränderte Weitergeltung der Betriebsvereinbarungen zum Inhalt.

Eine Betriebsvereinbarung, die "weiterhin Gültigkeit behalten" soll, soll durch ein bestimmtes Ereignis - hier den beabsichtigten Verkauf von Teilen des Geschäftsvolumens der bisherigen Eigner - ihre bestehende Geltung nicht verlieren. Sie soll in jeder Hinsicht so weitergelten wie bisher. Mit der Anordnung der Weitergeltung sind danach keine inhaltlichen Veränderungen verbunden. Das bedeutet mit Blick auf die BV Prämienregelung, dass sie mit all ihren Regelungen fortgilt. Zu diesen gehört die Kündigungsmöglichkeit nach § 11 BV.

(2) Das vom Wortlaut vorgegebene Verständnis wird verstärkt durch Sinn und Zweck der Bestimmung. Der TV hat zum Ziel, die sozialen Standards und Rechte der Beschäftigten ua. aus bestehenden Betriebsvereinbarungen zu erhalten. Die Arbeitnehmer sollen durch den geplanten Eignerwechsel keine Nachteile erfahren. Dieser Zweck verlangt nicht nach einem Kündigungsausschluss für Betriebsvereinbarungen. Die Arbeitnehmer würden andernfalls regelmäßig besser gestellt als sie es vor dem ins Auge gefassten Eigentümerwechsel waren. Die beteiligte Arbeitgeberin konnte die BV jederzeit fristgemäß kündigen. Mit diesem Risiko waren deren Bestimmungen für Betriebsrat und Belegschaft stets behaftet. Dieses Risiko zumindest vorübergehend zu beseitigen, wäre mit einer deutlichen Besserstellung der Beschäftigten verbunden gewesen und ginge über das von den Tarifvertragsparteien verlautbarte Ziel des TV hinaus. Das wäre allenfalls dann anders zu beurteilen, wenn bei Abschluss des TV die Einschätzung berechtigt war, es würde die Arbeitgeberin ohne die geplanten Veränderungen von ihrer Kündigungsmöglichkeit auf absehbare Zeit keinen Gebrauch gemacht haben. Dafür fehlt es an Anhaltspunkten.

(3) Ein anderes Verständnis würde außerdem zu nicht sachgerechten Folgen führen. § 7 TV unterscheidet nicht danach, ob die bestehenden Betriebsvereinbarungen in Angelegenheiten der zwingenden oder der freiwilligen Mitbestimmung ergangen sind. Würde die Regelung mit dem Betriebsrat als Kündigungsausschluss verstanden, könnten sich zumindest die an den TV gebundenen Arbeitgeber für dessen Dauer auch von Betriebsvereinbarungen etwa zur Ordnung im Betrieb, zur Lage der Arbeitszeit oder zu Urlaubsgrundsätzen nach § 87 Abs. 1 BetrVG nicht lossagen. Das hätte erhebliche Beeinträchtigungen der betrieblichen Praxis zur Folge. Es kann nicht angenommen werden, dass die Tarifvertragsparteien eine solche Regelung haben treffen wollen, ohne das deutlich zum Ausdruck zu bringen.

c) Ein Ausschluss des Kündigungsrechts folgt nicht daraus, dass mit den Prämienregelungen der BV nach dem Vorbringen des Betriebsrats individualrechtliche Rechtspositionen abgelöst wurden. Waren die individualvertraglichen Positionen günstiger und wurden sie durch die BV deshalb möglicherweise nicht wirksam verdrängt, bestehen sie unabhängig von deren Kündigung fort. Wurden sie seinerzeit wirksam abgelöst, stellt sich allenfalls die Frage, ob sie nach der Kündigung der BV wieder auflebten. In keinem Fall ist das Kündigungsrecht als solches ausgeschlossen.

2. Die Regelungen der BV wirken nicht nach § 77 Abs. 6 BetrVG nach.

Gem. § 77 Abs. 6 BetrVG gelten die Regelungen einer Betriebsvereinbarung auch nach deren Ablauf weiter, wenn sie Angelegenheiten betreffen, in denen der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann. Dies ist der Fall in Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG. In Ansehung des Gegenstands der BV kommen hier allein Fragen der betrieblichen Lohngestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG in Betracht. Ein Prämienlohn iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG wird durch die BV nicht geregelt.

a) Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG betrifft insbesondere die Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts sind die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen. Die konkrete Höhe des Arbeitsentgelts ist dagegen mitbestimmungsfrei (BAG 3. Dezember 1991 - GS 2/90 -BAGE 69, 134, zu C III 3 der Gründe; 28. Februar 2006 - 1 ABR 4/05 - Rn. 15, BAGE 117, 130 mwN). Der Betriebsrat kann von einem tarifgebundenen Arbeitgeber nicht über § 87 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 BetrVG die Gewährung bestimmter über- oder außertariflicher Entgeltleistungen erzwingen. Der Arbeitgeber ist frei in seiner Entscheidung, ob er solche Leistungen überhaupt erbringt, welche Mittel er dafür zur Verfügung stellt, welcher Zweck mit ihnen verfolgt und wie der begünstigte Personenkreis abstrakt bestimmt werden soll. Erst die Entscheidung darüber, wie im Rahmen dieser autonom bestimmten Vorgaben die einzelnen Leistungen berechnet und ihre Höhe im Verhältnis zueinander bestimmt werden sollen, unterliegt der Mitbestimmung. Diese Festlegungen betreffen nicht die absolute, sondern die relative Höhe bestimmter Leistungen und schaffen auf diese Weise Entlohnungsgrundsätze (BAG 18. November 2003 - 1 AZR 604/02 - BAGE 108, 299, zu I 3 c bb der Gründe mwN).

So wie der Arbeitgeber allein darüber entscheidet, ob er über- oder außertarifliche Leistungen überhaupt erbringt, kann er mitbestimmungsfrei darüber entscheiden, ob und wann er sie vollständig wieder einstellt. Der Umstand, dass der Betriebsrat über die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und den auf ihnen beruhenden Leistungsplan mitzubestimmen hat, ändert daran nichts. Der Arbeitgeber kann mit den Mitteln des Betriebsverfassungsrechts nicht gezwungen werden, eine freiwillige Leistung länger zu erbringen, als er auf Grund der in der Betriebsvereinbarung selbst eingegangen Bindung verpflichtet ist (BAG 18. November 2003 - 1 AZR 604/02 - aaO mwN). Fällt die kollektivrechtlich begründete Leistungsverpflichtung bei einem an eine tarifliche Vergütungsordnung gebundenen Arbeitgeber weg, ist für einen mitbestimmten Verteilungsplan kein Raum mehr. Die Verteilung des verbliebenen Vergütungsvolumens ist tariflich festgelegt. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, mit dem dieser die Aufstellung anderer Entlohnungsgrundsätze für das tariflich strukturierte Vergütungsvolumen erreichen könnte, besteht wegen § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG nicht (BAG 28. Februar 2006 - 1 ABR 4/05 -Rn. 21, BAGE 117, 130; 18. November 2003 - 1 AZR 640/02 - aaO mwN).

b) Eine aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG herzuleitende Nachwirkung der gekündigten Betriebsvereinbarung scheidet danach aus. Die Arbeitgeberin war bei Kündigung und Ablauf der BV im November 2004 bzw. Mai 2005 an die Tarifverträge der privaten Entsorgungswirtschaft gebunden. Nach der mit dem Kündigungsausspruch umgesetzten, mitbestimmungsfrei möglichen Entscheidung, sämtliche Prämienleistungen nach der BV zu streichen, gab es kein Vergütungsvolumen mehr, auf dessen Gestaltung der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hätte Einfluss nehmen können. Die Arbeitgeberin wollte die für die BV verwendeten Mittel nicht kürzen oder anders verteilen, sondern gänzlich entfallen lassen. Die übrige Vergütung der gewerblichen Arbeitnehmer ist tariflich geregelt.

Ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG besteht nicht deshalb, weil einige Angestellte weiterhin über- oder außertarifliche Leistungen erhalten. Die dafür bereitgestellten Mittel sind ausschließlich für diese Beschäftigtengruppe bestimmt. Sie werden nach gänzlich anderen Kriterien verteilt und sind teilweise lediglich Vergütung von Überstunden. Sie sind deshalb nicht Teil eines einheitlichen Gesamtbudgets, das die Arbeitgeberin unaufgegliedert sowohl für die gewerblichen als auch für die angestellten Mitarbeiter zur Verfügung gestellt hätte und über dessen Verteilung nur ein einheitlicher Leistungsplan entscheiden könnte. Sie werden von der Arbeitgeberin auf Grund einer eigenständigen Zweckbestimmung bereitgestellt und fließen einem separat festgelegten Personenkreis zu. Wenn der Betriebsrat die für diese Mittel bestehenden Verteilungsgrundsätze ändern möchte, muss er von seinem Initiativrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 Gebrauch machen; die Weitergewährung der Leistungen an die Angestellten führt aber nicht dazu, dass die Streichung der Prämien für die gewerblichen Arbeitnehmer mitbestimmungspflichtig wäre.


Stichworte: Mitbestimmung bei Wegfall betrieblicher Leistungsprämien
Verfahrensgang: ArbG Gießen, 1 BV 9/05 vom 24.11.2005
Hessisches LAG, 5 TaBV 10/06 - vom 07.09.2006

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