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Arbeitsrecht
05.12.2013
Arbeitsrecht
BAG: Ladung zu einer Betriebsratssitzung

BAG, Beschluss vom 9.7.2013 - 1 ABR 2/13 (A)


Sachverhalt


A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsvereinba-rung.


Die antragstellenden Arbeitgeberinnen betreiben ein Distributionscenter (DC W) zum Vertrieb von Kosmetika und Parfums in der Form eines Gemeinschaftsbetriebs. In diesem ist der zu 3. beteiligte Betriebsrat am 11. Februar 2010 gewählt worden (Betriebsrat). Zuvor war der von den Mitarbeitern der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberinnen der Standorte D und W gewählte Betriebsrat für diesen Betrieb zuständig (Betriebsrat We). Durch Tarifvertrag wurde dessen Übergangsmandat bis zum 28. Februar 2010 verlängert.


Der Betriebsrat We schloss mit der Rechtsvorgängerin der Arbeitgebe-rinnen für den Standort W eine Betriebsvereinbarung über die Durchführung von Torkontrollen (BV-Torkontrolle). Diese datiert vom 8. Dezember 2009. In ihr ist bestimmt:


„... wird vor dem Hintergrund der aktuellen, im September 2009 in Kraft getretenen arbeitsrechtlich relevanten Änderungen des Bundesdatenschutzes, insbesondere des § 32 BDSG, ist eine Anpassung der derzeitigen betriebli-chen Regelung über die Durchführung von Torkontrollen, wie folgt erforderlich:


...


2.


Geltungsbereich:


Diese Vereinbarung gilt für alle Beschäftigten am Standort DC W und alle dort eingesetzten Arbeit-nehmer von Zeitarbeitsunternehmen.


...


4.


Durchführung der Torkontrollen:


4.1.


Zum Schutze des persönlichen und betrieblichen Eigentums werden aus den Ausgangsdrehkreuzen durch dazu bestimmten Personen Kontrollen durch-geführt. Alle Betriebsangehörigen haben auf Verlan-gen über Betriebsprodukte in ihrem Besitz einen Nachweis vorzuzeigen (Kassenbon Personalver-kauf).


4.2.


Durch die beim Verlassen des Werkes notwendige Öffnung der Drehkreuze mittels des Werksausweises wird eine Auswahl der zu kontrollierenden Personen über einen Zufallsgenerator getroffen. Der Kontroll-zyklus wird dem Betriebsrat mitgeteilt. Bei Verlassen des Werksgeländes über die Pforte, kann ebenfalls jederzeit eine Kontrolle durchgeführt werden.


4.3.


Die Kontrolle findet im Pförtnerraum an einer nicht einsehbaren Stelle statt. Die Kontrolle bezieht sich auf die Durchsicht mitgeführter Behältnisse, Jacken- und Manteltaschen. In begründeten Verdachtsfällen wird der Mitarbeiter aufgefordert sämtli-che Kleidertaschen (Hosen und Kleider) zu leeren. Weigert sich der Mitarbeiter dem nachzukommen, kann die Kontrolle auf Veranlassung der Firma, durch die zuständige Polizei durchgeführt werden. Über jede durchgeführte Kontrolle wird ein Protokoll angefertigt. Dieses Protokoll ist von demjenigen zu unterzeichnen, der die Kontrolle durchgeführt hat und von dem/der betroffenen Mitarbeiter/in gegenzu-zeichnen. Es dient als Nachweis der Durchführung sowie hinsichtlich etwaig beschlagnahmter Gegen-stände.


5.


Zusätzliche Kontrollmaßnahmen:


Bei Verdacht des Diebstahls von Firmen- oder Privateigentum können außerhalb der Zufallskontrol-le weitergehende Kontrollmaßnahmen an den Werkstoren und im Werk angeordnet werden. Der Betriebsrat ist hierüber zu informieren. ...


6.


Schlußbestimmung:


Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft und ist erstmals mit einer Frist von 3 Monaten zum 01.08.2012 und sodann mit einer Frist von 3 Monaten jeweils zum Folgejahr kündbar. Im Falle der Kündigung wirkt die Betriebsvereinba-rung bis zum Abschluss einer neuen Vereinbarung nach.


Mit Unterzeichnung dieser Betriebsvereinbarung tritt die Betriebsvereinbarung über die Durchführung von Torkontrollen vom 30.06.2006 außer Kraft."


Bei den Arbeitgeberinnen wurden in der Zeit vom Oktober 2009 bis September 2010 im DC W Parfum- und Kosmetikwaren im Wert von etwa 250.000,00 Euro entwendet. Auf der Grundlage der BV-Torkontrolle führen sie nunmehr jährlich an 30 Tagen Torkontrollen durch, bei denen 86 Personen kontrolliert werden. In mehreren Fällen wurden bei den kontrollierten Personen gestohlene Waren der Arbeitgeberinnen gefunden und Strafanzeigen erstattet.


Der Betriebsrat We beschloss auf einer Klausurtagung in N vom 14. bis 16. Dezember 2009, der BV-Torkontrolle zuzustimmen. An der Tagung und Abstimmung nahmen 16 der 19 Mitglieder des Betriebsrats teil. Zu der Klausurtagung hatte der Betriebsrat We mit E-Mail vom 12. November 2009 ohne Beifügung einer Tagesordnung geladen.


Mit Schreiben vom 13. August 2010 kündigte der Betriebsrat W als Funktionsnachfolger des Betriebsrats We die BV-Torkontrolle außerordentlich, hilfsweise mit gesetzlicher Frist, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin.


Die Arbeitgeberinnen haben geltend gemacht, ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung liege nicht vor. Nach dem Wirksamwerden der ordentlichen Kündigung zum 31. Juli 2012 entfalte die BV-Torkontrolle Nachwirkung.


Die Arbeitgeberinnen haben beantragt


festzustellen, dass die Betriebsvereinbarung über die Durchführung von Torkontrollen im Distribution Center der We GmbH, Standort W, zwischen der We GmbH und dem Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebes We D/W vom 8. Dezember 2009 durch die Kündigung des Betriebsrats vom 13. August 2010 nicht vor dem 1. August 2012 enden wird.


Der Betriebsrat hat Antragsabweisung sowie im Wege des Wideran-trags beantragt


festzustellen, dass die Betriebsvereinbarung über die Durchführung von Torkontrollen im Distribution Center der We GmbH, Standort W, zwischen der We GmbH und dem Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebes We D/W vom 8. Dezember 2009 keine Rechtswirkung entfaltet,


hilfsweise,


keine Rechtswirkung entfaltet, soweit ohne konkreten Tatverdacht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Kon-trollmaßnahmen wie die Durchsicht mitgeführter Behält-nisse, Jacken- und Manteltaschen zu dulden haben,


weiter hilfsweise


festzustellen, dass diese Betriebsvereinbarung nur noch im Wege der Nachwirkung Rechtswirkung entfaltet.


Der Betriebsrat hat zur Begründung ausgeführt, die BV-Torkontrolle sei bereits mangels ordnungsgemäßer Beschlussfassung des Betriebsrats We nicht wirksam zustande gekommen. Darüber hinaus greife die Betriebsverein-barung in unverhältnismäßiger Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer ein.


Das Arbeitsgericht hat dem Antrag der Arbeitgeberinnen entsprochen und die Anträge des Betriebsrats abgewiesen. Auf die Beschwerde des Be-triebsrats hat das Landesarbeitsgericht den Antrag der Arbeitgeberinnen als unzulässig abgewiesen und dem Hauptantrag des Betriebsrats entsprochen. Mit der vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerde begehren die Arbeitgebe-rinnen die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.


Aus den Gründen


12           B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen ist teilweise unzulässig. Soweit sie zulässig ist, ist der Senat derzeit an einer abschließenden Entschei-dung gehindert, weil er in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der Rechtsauffassung des Siebten Senats des Bundesarbeitsgerichts abweicht. Daher bedarf es nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG einer Anfrage bei diesem Senat, ob er an seiner bisherigen Rechtsauffassung festhält. Bis zu dessen Entscheidung ist deshalb das Verfahren nach § 148 ZPO ausgesetzt.


13           I. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen ist unzulässig, soweit sich diese gegen die Abweisung ihres Sachantrags durch das Landesarbeitsgericht wenden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde genügt nicht den Anforderun-gen des § 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitgeberinnen mit der Begründung abgewiesen, zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts, dem 17. September 2012, habe für den Feststellungsantrag das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinte-resse gefehlt, weil Gegenstand des Antrags der Bestand der BV-Torkontrolle bis zum 31. Juli 2012 gewesen sei. Mit dieser Begründung setzt sich die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen nicht auseinander.


14           II. Ob die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen im Übrigen begründet ist und die Wideranträge des Betriebsrats abzuweisen sind, kann derzeit noch nicht abschließend entschieden werden. Die BV-Torkontrolle ist zwar materiell-rechtlich wirksam. Der Beschluss des Betriebsrats über die Zustimmung zur BV-Torkontrolle ist jedoch formell fehlerhaft zustande gekommen, da die La-dung aller Betriebsratsmitglieder zu der Betriebsratssitzung ohne Mitteilung einer Tagesordnung erfolgte. Nach Auffassung des Senats führt dies allerdings nicht zur Unwirksamkeit der Beschlussfassung. Die bei der Sitzung des Be-triebsrats We im Übrigen ordnungsgemäß geladenen anwesenden 16 Mitglieder des 19-köpfigen Betriebsrats konnten einstimmig beschließen, in dieser Sitzung über die BV-Torkontrolle zu beraten und abzustimmen. Hier-durch wurde die Fortwirkung des Ladungsfehlers auf die Beschlussfassung des Betriebsrats beseitigt. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung hätte die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen insoweit Erfolg, da die Anträge des Betriebsrats abzuweisen wären. Der erkennende Senat weicht - unter Aufgabe seiner Rechtsprechung - hiermit allerdings von der Rechtsauffassung des Siebten Senats ab. Danach ist die Heilung einer Ladung zu einer Betriebsrats-sitzung ohne Mitteilung der Tagesordnung nur möglich, wenn der Betriebsrat vollständig versammelt ist und einstimmig sein Einverständnis erklärt, einen neuen Beratungspunkt auf die Tagesordnung aufzunehmen und darüber zu beschließen. Hiernach hätte die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen keinen Erfolg und wäre zurückzuweisen. Nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG bedarf es deshalb einer Anfrage beim Siebten Senat, ob er an seiner bisherigen Rechtsauffassung festhält.


15           1. Der Hauptwiderantrag sowie der erste Hilfsantrag des Betriebsrats sind in der gebotenen Auslegung zulässig. Der zweite Hilfsantrag ist wegen fehlen-dem Rechtsschutzinteresse unzulässig.


16           a) Mit dem Hauptantrag begehrt der Betriebsrat die Feststellung der Unwirksamkeit der BV-Torkontrolle im Ganzen, mit dem ersten Hilfsantrag die Feststellung der Unwirksamkeit von Nr. 4 dieser Betriebsvereinbarung. Darin ist die anlasslose Taschenkontrolle der Betriebsangehörigen geregelt, deren Auswahl über einen Zufallsgenerator erfolgt. Der zweite Hilfsantrag ist für den Fall gestellt, dass die BV-Torkontrolle wirksam ist. Insoweit geht der Betriebsrat davon aus, dass die Betriebsvereinbarung durch seine Kündigung vom 13. August 2010 jedenfalls zum 31. Juli 2012 geendet hat und für die Zeit danach gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG lediglich nachwirkt.


17           b) Mit diesem Antragsverständnis sind der Hauptantrag und der erste Hilfsantrag zulässig. Die Geltung einer Betriebsvereinbarung kann nach § 256 Abs. 1 ZPO zum Gegenstand eines Feststellungsantrags in einem arbeitsge-richtlichen Beschlussverfahren erhoben werden (vgl. BAG 23. Januar 2008 - 1 ABR 82/06 - Rn. 12). Der Antrag muss sich nicht notwendig auf das Rechtsverhältnis als Ganzes erstrecken. Er kann sich auch auf Teilrechtsver-hältnisse, dh. aus einem Rechtsverhältnis folgende einzelne Beziehungen beschränken (vgl. BAG 20. Mai 2008 - 1 ABR 19/07 - Rn. 19). Diesen Anforde-rungen werden der Hauptantrag und der erste Hilfsantrag gerecht. Deren Gegenstände sind die Wirksamkeit der BV-Torkontrolle im Ganzen und die einzelnen Vorschriften dieser Betriebsvereinbarung.


18           c) Der Betriebsrat hat nur an den mit dem Hauptantrag und dem ersten Hilfsantrag begehrten Feststellungen das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob und mit welchem Inhalt die BV-Torkontrolle im Gemeinschaftsbetrieb W gilt. Einem rechtlich geschützten Interesse an der begehrten Feststellung steht die zum 31. Juli 2012 erfolgte Kündigung der Betriebsvereinbarung nicht entgegen. Für die Zeit danach würde sie - ihre Wirksamkeit unterstellt - nach § 77 Abs. 6 BetrVG Nachwirkung entfalten, da sie Regelungen in Angelegenheiten enthält, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebs-rat ersetzen kann. Die in der BV-Torkontrolle geregelten Taschenkontrollen sind nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig (vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 21; 26. Mai 1988 - 1 ABR 9/87 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 58, 297). Eine die BV-Torkontrolle ersetzen-de andere Abmachung, die die Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG been-den würde, ist bislang nicht getroffen worden.


19           d) Für den zweiten Hilfsantrag fehlt hingegen das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Die Arbeitgeberinnen stellen in der Rechtsbeschwerde nicht in Abrede, dass die BV-Torkontrolle seit dem 1. August 2012 nach § 77 Abs. 6 BetrVG nachwirkt.


20           2. Die in Nr. 4 BV-Torkontrolle vereinbarten Taschenkontrollen sind materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dienen dem repressiven wie dem präventiven Schutz der Arbeitgeberinnen vor Diebstählen. Die mit den Kontrol-len einhergehenden Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts der Arbeit-nehmer erfolgen unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.


21           a) Die Betriebsparteien haben mit den in dieser Betriebsvereinbarung geregelten Kontrollen nicht die ihnen nach § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG obliegen-de Pflicht verletzt, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäf-tigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.


22           aa) Nach dieser Bestimmung haben die Betriebsparteien beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen das aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG abge-leitete allgemeine Persönlichkeitsrecht zu beachten (BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 14, BAGE 127, 276). Dieses gewährleistet Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen. Die Zuordnung eines konkreten Rechtsschutz-begehrens zu den verschiedenen Aspekten des Persönlichkeitsrechts richtet sich vor allem nach der Art der Persönlichkeitsgefährdung (BVerfG 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07 - Rn. 151, BVerfGE 120, 274). Außerhalb des absoluten Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung garantiert. Es kann deshalb durch verfassungsgemäße Gesetze eingeschränkt werden. Derartige Regelungen können auch die von den Betriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz geschlossenen Betriebsvereinbarungen enthalten. Der Gesetzgeber genügt insoweit seiner Pflicht, die Arbeitnehmer als Grundrechtsträger vor einer unverhältnismäßigen Beschränkung ihrer Grund-rechte durch privatautonome Regelungen zu bewahren, indem er die Betriebs-parteien in § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verpflichtet, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen (BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 16 f., aaO).


23           bb) Das zulässige Maß einer Beschränkung des allgemeinen Persönlich-keitsrechts zugunsten schützenswerter Belange eines anderen Grundrechtsträ-gers richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 17, BAGE 127, 276). Dieser verlangt eine Regelung, die geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen (BAG 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - zu B I 2 d der Gründe, BAGE 111, 173). Den Betriebsparteien dürfen zur Zielerreichung keine anderen, gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkende Mittel zur Verfügung stehen. Eine Regelung ist verhältnismäßig im engeren Sinn, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Ver-hältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht (BVerfG 4. April 2006 - 1 BvR 518/02 - zu B I 2 b dd der Gründe, BVerfGE 115, 320).


24           cc) Nach diesen Grundsätzen beeinträchtigen die in der BV-Torkontrolle geregelten Kontrollen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer nicht in unverhältnismäßiger Weise.


25           (1) Die Taschenkontrollen greifen allerdings in die Privatsphäre der be-troffenen Arbeitnehmer ein. Diese umfasst Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als „privat" eingestuft werden, weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekannt-werden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst (BVerfG 15. Dezember 1999 - 1 BvR 653/96 - zu B I 1 b cc der Gründe, BVerfGE 101, 361). Der Inhalt mitgeführter Taschen oder auch von Mantel- und Jackentaschen ist in diesem Sinne privat. Ihr Inhaber möchte die darin mitge-führten Gegenstände typischerweise nicht ohne seine Einwilligung Dritten gegenüber zeigen. Darüber hinaus wird durch Taschenkontrollen auch das Ehrgefühl von Arbeitnehmern beeinträchtigt, denn hiermit bringt der Arbeitgeber zum Ausdruck, dass er ihnen nicht uneingeschränkt vertraut.


26           (2) Die Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts durch die in der BV-Torkontrolle vorgesehenen Taschenkontrollen genügen jedoch den Anforde-rungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.


27           (a) Die in der BV-Torkontrolle vereinbarten Taschenkontrollen sind geeig-net, das Eigentum der Arbeitgeberinnen zu schützen. Da hierdurch Diebstähle aufgedeckt werden können und durch die Auswahl der zu kontrollierenden Arbeitnehmer über einen Zufallsgenerator die Beschäftigten jederzeit damit rechnen müssen, kontrolliert zu werden, entfaltet dieses Überwachungssystem repressive wie präventive Wirkung. Dieser Annahme steht nicht entgegen, dass die Anzahl der bislang aufgedeckten Diebstähle gering ist. Dies kann ohne Weiteres auch auf der abschreckenden Wirkung der Kontrollen beruhen.


28           (b) Die Taschenkontrollen sind erforderlich. Andere, gleich wirksame und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkende Mittel stehen den Betriebsparteien zum Schutz des Eigentums der Arbeitgeberinnen vor Diebstählen nicht zur Verfügung. Eine Kameraüberwachung bei Verlassen des Betriebsgeländes wäre nicht gleich wirksam, da mitgeführte Gegenstände in Taschen oder Behältnissen nicht erkannt werden könnten. Eine Videoüber-wachung in den Arbeitsbereichen würde das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer stärker beeinträchtigen, da diese einer dauerhaften Beobach-tung ausgesetzt wären. Ein Verbot des Mitführens von Taschen auf das Be-triebsgelände wäre nicht in gleicher Weise geeignet, Diebstähle zu verhindern, weil hierdurch die Mitnahme der eher kleinräumigen Parfum- und Kosmetikpro-dukte in Bekleidungstaschen nicht verhindert werden kann.


29           (c) Die in Nr. 4 der BV-Torkontrolle vorgesehenen Kontrollmaßnahmen tragen dem Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn Rechnung. Die Arbeitgeberinnen haben unbestritten vorgetragen, im Rahmen von Inventuren sei festgestellt worden, dass von Oktober 2009 bis September 2010 insgesamt 1890 „Stück Parfüm" zu einem Wert zwischen 20,00 Euro und 250,00 Euro entwendet worden seien. Bei einem gemittelten Wert von 135,00 Euro ergibt sich hieraus ein Schaden in einer Größenordnung von ca. 250.000,00 Euro. Im Hinblick darauf haben die Betriebsparteien in der BV-Torkontrolle zum Schutz des Eigentumsrechts der Arbeitgeberinnen aus Art. 14 Abs. 1 GG Regelungen getroffen, die nur geringfügige Beeinträchtigungen des durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts bewirken. Die Auswahl der zu kontrollierenden Person erfolgt nach Nr. 4.2 BV-Torkontrolle durch einen Zufallsgenerator. Dies vermeidet eine Stigmatisierung, da hierdurch für alle Arbeitnehmer klargestellt ist, dass die Kontrolle nicht durch ein Verhal-ten der jeweils kontrollierten Person veranlasst ist. Die Durchführung der Kon-trollmaßnahmen in dem von außen nicht einsehbaren Pförtnerraum gewährleis-tet, dass andere Arbeitnehmer die Kontrolle nicht beobachten können. Des Weiteren ist die Kontrollintensität in Nr. 4.3 BV-Torkontrolle gestaffelt und abhängig von konkreten Verdachtsumständen. Zunächst wird eine Sichtkontrol-le der mitgeführten Behältnisse vorgenommen. Nur in begründeten Verdachts-fällen ist die Leerung sämtlicher Kleidertaschen vorgesehen, im Falle der Weigerung, die Durchführung dieser Kontrollmaßnahme durch die Polizei. Der Kontrollzyklus ist angemessen. Pro Jahr werden an 30 Tagen insgesamt 86 Arbeitnehmer kontrolliert. Dass die Kontrolle „durch dazu bestimmte Perso-nen" - ggf. also auch externe Sicherheitsmitarbeiter - und ohne Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds durchgeführt wird, ist nicht zu beanstanden. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Kontrolle durch eigene Mitarbeiter und in Anwesen-heit eines Betriebsratsmitglieds das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger beeinträchtigen würde.


30           b) Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu AGB-Klauseln im Einzelhandel, nach denen eine nicht anlassbezogene Sichtkontrolle mitgeführ-ter Taschen der Kunden unzulässig ist, lässt sich entgegen der Auffassung des Betriebsrats nicht die Unwirksamkeit der in der BV-Torkontrolle vorgesehenen Taschenkontrollen herleiten (dazu BGH 3. Juli 1996 - VIII ZR 221/95 - BGHZ 133, 184). Dem steht schon entgegen, dass die Arbeitgeberinnen nicht einseitig die Taschenkontrollen angeordnet haben, sondern im Zusammenwirken mit dem Betriebsrat einen rechtlichen Rahmen geschaffen haben, der die Voraus-setzungen und die Durchführung der Taschenkontrollen regelt. Diese Regelung ist keine Allgemeine Geschäftsbedingung iSd. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB und unterliegt auch nicht den Grundsätzen einer darauf bezogenen Inhaltskontrolle.


Vielmehr ist eine Betriebsvereinbarung am Maßstab des § 75 BetrVG zu über-prüfen.


31           c) Entgegen der Ansicht des Betriebsrats steht die Protokollierungsrege-lung in Nr. 4.3 BV-Torkontrolle in Einklang mit dem Bundesdatenschutzgesetz. Die mit der Protokollierung einer durchgeführten Taschenkontrolle verbundene nicht automatisierte Erhebung, Nutzung und ggf. auch Verarbeitung personen-bezogener Daten von Beschäftigten der Arbeitgeberinnen sowie der bei ihnen eingesetzten Leiharbeitnehmer ist mit dem Bundesdatenschutzgesetz verein-bar. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob eine solche Protokollierung über die Verweisung in § 32 Abs. 2 BDSG überhaupt dem Anwendungsbereich des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG unterfällt (ablehnend Joussen NZA 2011 Beil. 1 S. 35, 40 f.) oder unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG als repressive sowie unter Beachtung von § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG als präventive Maßnahme erlaubt ist (so ErfK/Franzen 13. Aufl. § 32 BDSG Rn. 30; Tae-ger/Gabel-Zöll § 32 BDSG Rn. 23 f.; Wedde in Däubler/Klebe/Wedde/Weichert BDSG 3. Aufl. § 32 Rn. 130; Thüsing NZA 2009, 865, 868; Wybitul BB 2010, 1085). Ebenso wenig ist zu entscheiden, ob Leiharbeitnehmer im Entleiherbe-trieb dem Anwendungsbereich des § 32 BDSG unterliegen oder für sie mangels eines Beschäftigtenverhältnisses zum Entleiher die Vorschriften des Bundesda-tenschutzgesetzes nur bei einer automatisierten Erhebung, Nutzung oder Verarbeitungen ihrer personenbezogenen Daten gemäß § 28 BDSG greifen (vgl. ErfK/Franzen § 32 BDSG Rn. 5). Denn in allen Fällen ist die BV-Torkontrolle eine Rechtsvorschrift iSd. § 4 Abs. 1 BDSG, die sowohl die auto-matisierte als auch die nicht automatisierte Erhebung, Nutzung oder Verarbei-tung personenbezogener Daten von Arbeitnehmern der Arbeitgeberinnen sowie der in ihrem Gemeinschaftsbetrieb eingesetzten Leiharbeitnehmer erlaubt (vgl. BAG 20. Dezember 1995 - 7 ABR 8/95 - zu B III 2 der Gründe, BAGE 82, 36; 30. August 1995 - 1 ABR 4/95 - zu B II 3 der Gründe, BAGE 80, 366; Go-la/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 4 Rn. 7; ErfK/Franzen § 4 BDSG Rn. 3). Da die in der BV-Torkontrolle geregelten Kontrollmaßnahmen einer Rechtskontrolle am Maßstab des § 75 Abs. 2 BetrVG standhalten, werden hierdurch datenschutz-rechtliche Belange der betroffenen Arbeitnehmer nicht beeinträchtigt.


32           d) Die in Nr. 6 vereinbarte erstmalige Kündbarkeit der BV-Torkontrolle zum 31. Juli 2012 verstößt nicht gegen höherrangiges Recht (§ 75 Abs. 1 BetrVG). Es steht den Betriebsparteien frei, kürzere oder längere Kündigungs-fristen als in § 77 Abs. 5 BetrVG vorgesehen zu vereinbaren (Fitting BetrVG 26. Aufl. § 77 Rn. 145; Kreutz GK-BetrVG 9. Aufl. § 77 Rn. 363; Löwisch/Kaiser BetrVG 6. Aufl. § 77 Rn. 95; HSWGNR/Worzalla BetrVG 8. Aufl. § 77 Rn. 221). Der Wirksamkeit der Kündigungsregelung steht auch nicht entgegen, dass die Kündigung erst nach Beginn der Amtszeit eines neu gewählten Betriebsrats wirksam wird. Endet aufgrund einer Neuwahl das Amt eines Betriebsrats, wird nach dem Prinzip der Funktionsnachfolge und dem Grundgedanken der Konti-nuität betriebsverfassungsrechtlicher Interessenvertretungen der neu gewählte Betriebsrat Funktionsnachfolger seines Vorgängers. Die geschlossenen Be-triebsvereinbarungen gelten daher grundsätzlich fort und binden das personell neu zusammengesetzte Betriebsratsgremium (BAG 24. August 2011 - 7 ABR 8/10 - Rn. 15, BAGE 139, 127).


33           3. Der Betriebsrat We war während seines Übergangsmandats nach § 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG zum Abschluss der BV-Torkontrolle berechtigt. Das Übergangsmandat ist ein zeitlich begrenztes Vollmandat. Die sich hieraus ergebenden Rechte und Befugnisse sind inhaltlich nicht eingeschränkt (Fitting § 21a Rn. 20; Kreutz GK-BetrVG § 21a Rn. 77).


34           4. Die Ladung zu der Klausurtagung vom 14. bis zum 16. Dezember 2009 in N, bei der ausweislich der Sitzungsniederschrift am Dienstag, dem 15. Dezember 2009, über die Betriebsvereinbarung zur Durchführung von Torkontrollen abgestimmt wurde, genügt allerdings nicht den gesetzlichen Anforderungen. Dies führt nach Auffassung des Senats indes nicht zur Unwirk-samkeit des dort gefassten Zustimmungsbeschlusses zur BV-Torkontrolle.


35           a) Nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes handelt der Betriebsrat als Kollegialorgan. Er bildet seinen gemeinsamen Willen durch Beschluss (§ 33 Abs. 1 BetrVG). Dieser ist beachtlich, wenn er ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Dazu muss der Betriebsrat beschlussfähig iSd. § 33 BetrVG sein und sich auf einer Betriebsratssitzung aufgrund einer mit den Vorschriften des BetrVG in Einklang stehenden Ladung mit dem jeweiligen Sachverhalt befasst und durch Abstimmung eine einheitliche Willensbildung herbeigeführt haben (BAG 29. April 2004 - 1 ABR 30/02 - zu B II 1 a aa der Gründe, BAGE 110, 252). Eine ordnungsgemäße Sitzung setzt voraus, dass die Betriebsratsmitglieder vom Vorsitzenden rechtzeitig unter Mitteilung einer Tagesordnung zur Betriebsratssitzung geladen worden sind (§ 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG).


36           b) Nach den gemäß § 559 Abs. 1 ZPO bindenden und von den Arbeitge-berinnen nicht mit Verfahrensrügen angegriffen Feststellungen des Landesar-beitsgerichts erfolgte die Ladung zu der Klausurtagung vom 14. bis zum 16. Dezember 2009 ohne Mitteilung einer Tagesordnung. Danach hat der Vorsitzende des Betriebsrats We mit seiner Einladung zur Betriebsratssitzung, bei der die Zustimmung zum Abschluss der BV-Torkontrolle einstimmig von allen 16 anwesenden Mitgliedern des 19-köpfigen Betriebsrats beschlossen worden war, die Verfahrensvorschrift des § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG verletzt.


37           c) Ob sich dieser Ladungsmangel auf die in der Betriebsratssitzung gefassten Beschlüsse auswirkt, hängt von der Bedeutung dieser formellen Anforderung an eine ordnungsgemäße Beschlussfassung ab.


38           aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts führen nur Ver-stöße gegen Verfahrensvorschriften, die für das ordnungsgemäße Zustande-kommen eines Betriebsratsbeschlusses als wesentlich anzusehen sind, zur Unwirksamkeit des Beschlusses (BAG 8. Februar 1977 - 1 ABR 82/74 - zu III 1 der Gründe; 10. Oktober 2007 - 7 ABR 51/06 - Rn. 12 mwN, BAGE 124, 188; 24. Mai 2006 - 7 AZR 201/05 - Rn. 17; 28. April 1988 - 6 AZR 405/86 - zu II 3 c der Gründe, BAGE 58, 221; ebenso bereits RG 23. Oktober 1925 - III 537/24 - RGZ 111, 412, 415 zu dem ähnlich lautenden § 32 Betriebsrätege-setz). Danach bewirkt nicht jeder Verstoß gegen die formellen Anforderungen einer ordnungsgemäßen Betriebsratssitzung die Unwirksamkeit eines darin gefassten Beschlusses, sondern nur ein solcher, der so schwerwiegend ist, dass der Fortbestand des Beschlusses von der Rechtsordnung nicht hinge-nommen werden kann. Denn nur in einem solchen Fall kann die Beachtung von Verfahrensvorschriften Vorrang vor dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit beanspruchen (vgl. zu den Rechtsfolgen bei Verstößen gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG BVerfG 11. Oktober 1994 - 1 BvR 337/92 - zu B II 2 c der Gründe, BVerfGE 91, 148).


39           bb) Ein solcher Verstoß bestimmt sich nach dem Regelungszweck der verletzten Verfahrensvorschrift. Anhand dessen ist zu prüfen, ob die Verletzung der geschützten Interessen stärker zu gewichten ist, als das Interesse an der Aufrechterhaltung des Beschlusses (Raab GK-BetrVG § 33 Rn. 52; im Ergebnis ebenso Oetker BlStSozArbR 1984, 129, 130). Eine solche Gewichtung kommt typischerweise bei groben Verstößen gegen wesentliche Verfahrensvorschriften in Betracht. In anderen Fällen überwiegen die durch die Verfahrensregelung geschützten Interessen nicht zwingend das Interesse an der Aufrechterhaltung des Beschlusses.


40           d) Nach diesen Grundsätzen ist die Beachtung des § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG und die dort ausdrücklich angeordnete Ladung der Betriebsratsmitglie-der einschließlich etwaiger Ersatzmitglieder unter Mitteilung der Tagesordnung als wesentlich für die Wirksamkeit eines in der Sitzung gefassten Betriebsrats-beschlusses anzusehen (BAG 10. Oktober 2007 - 7 ABR 51/06 - Rn. 12, BAGE 124, 188; 24. Mai 2006 - 7 AZR 201/05 - Rn. 17; 28. Oktober 1992 - 7 ABR 14/92 - zu B II 2 a der Gründe). Das gibt der Zweck dieser Rege-lung vor.


41           aa) Die Vorschrift des § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG dient mittelbar der Wil-lensbildung des Betriebsrats, indem sie dem einzelnen Betriebsratsmitglied eine sachgerechte Sitzungsvorbereitung ermöglichen und ihn vor unbedachten und unvorbereiteten Entscheidungen schützen soll. Die rechtzeitige Ladung unter Übermittlung der Tagesordnung soll ihm Gelegenheit geben, sich ein Bild über die zu treffenden Entscheidungen zu machen und ihm die Möglichkeit eröffnen, sich sachgerecht und ordnungsgemäß auf die Betriebsratssitzung vorbereiten zu können (BAG 24. Mai 2006 - 7 AZR 201/05 - Rn. 20; 28. April 1988 - 6 AZR 405/86 - zu II 3 c aa der Gründe, BAGE 58, 221). Damit wird eine demokrati-schen Grundprinzipien gerecht werdende Willensbildung des Betriebsrats gewährleistet und der Gefahr einer Überrumpelung einzelner Betriebsratsmit-glieder bei der Beratung und anschließenden Abstimmung entgegengewirkt.


42           bb) Erfolgt die Ladung zu einer Betriebsratssitzung ohne Übermittlung der Tagesordnung, ist der Gesetzesverstoß auch evident. Die ausdrückliche An-ordnung des § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG belässt dem Betriebsratsvorsitzenden keinen Handlungsspielraum.


43           e) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Siebten und des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts soll allerdings die fehlende Aufnahme eines Tagesordnungspunkts oder das Fehlen einer Tagesordnung in der Ladung zu einer Betriebsratssitzung geheilt werden können. Die dem Betriebsrat grund-sätzlich mögliche Aufstellung, Änderung oder Ergänzung einer Tagesordnung und Heilung eines entsprechenden Ladungsmangels setze jedoch voraus, dass der vollständig versammelte Betriebsrat einstimmig sein Einverständnis hierzu erkläre und die neue Tagesordnung beschließe. Andernfalls könne ein Be-schluss des Betriebsrats zu einem nicht in der Tagesordnung aufgeführten Punkt nicht wirksam gefasst werden (BAG 24. Mai 2006 - 7 AZR 201/05 - Rn. 19; 28. Oktober 1992 - 7 ABR 14/92 - zu B II 2 d der Gründe; 28. April 1988 - 6 AZR 405/86 - zu II 3 c der Gründe, BAGE 58, 221; 18. Februar 2003 - 1 ABR 17/02 - zu B I 2 a der Gründe, BAGE 105, 19). Das folge aus den weiteren Zwecken des § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG. Die vorherige Mitteilung der Tagesordnung diene nicht nur der ordnungsgemäßen Vorberei-tung der an der Sitzung teilnehmenden Mitglieder des Betriebsrats, sondern auch dazu, es einem verhinderten Betriebsratsmitglied zu ermöglichen, seine Betriebsratskollegen schon vor der Sitzung über seine Auffassung in einer bestimmten Angelegenheit zu unterrichten und sie zu überzeugen oder ggf. zu bitten, seine Argumente in der Betriebsratssitzung zumindest vorzutragen. Diese Chance, auf die Meinungsbildung des Betriebsrats Einfluss zu nehmen, werde einem verhinderten Betriebsratsmitglied genommen, wenn die Tages-ordnung durch einen Mehrheitsbeschluss der anwesenden Betriebsratsmitglie-der ergänzt oder gar erst erstellt würde. Darüber hinaus eröffne die vorherige Bekanntmachung der Tagesordnung einem Betriebsratsmitglied die Möglichkeit, das Vorliegen eines Verhinderungsfalles zu prüfen und darüber zu befin-den, ob eine bestehende Terminkollision zugunsten der Betriebsratssitzung oder zugunsten des anderen Termins zu lösen sei.


44           f) Dieser Rechtsprechung hat sich das Schrifttum überwiegend ange-schlossen (vgl. HSWGNR/Glock § 29 Rn. 41; MüArbR/Joost 3. Aufl. Bd. 2 § 219 Rn. 14; WPK/Kreft BetrVG 4. Aufl. § 29 Rn. 13; Löwisch/Kaiser § 29 Rn. 17; HWK/Reichold 5. Aufl. § 29 BetrVG Rn. 5; Richardi/Thüsing BetrVG 13. Aufl. § 29 Rn. 39). Ein anderer Teil des Schrifttums meint demgegenüber, diese Auffassung stehe nicht in Einklang mit allgemeinen Geschäftsordnungsgrund-sätzen und widerspreche der betrieblichen Wirklichkeit und praktischen Bedürf-nissen der Betriebsratsarbeit. Es sei daher ausreichend, wenn Ergänzungen oder Änderungen der Tagesordnung mit absoluter Mehrheit der Betriebsrats-mitglieder (so DKKW/Wedde BetrVG 13. Aufl. § 29 Rn. 21; Fitting § 29 Rn. 48 f.; Raab GK-BetrVG § 29 Rn. 55) oder mit der bloßen Mehrheit der Betriebsratsmitglieder beschlossen werde (so HaKo-BetrVG/Blanke 3. Aufl. § 29 Rn. 11).


45           g) Der Senat beabsichtigt seine bisherige Rechtsprechung aufzugeben, wonach ein zur Unwirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses führender La-dungsmangel iSd. § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nur geheilt werden kann, wenn ein vollständig versammelter Betriebsrat in der Betriebsratssitzung die Aufstel-lung oder Ergänzung der Tagesordnung einstimmig beschließt. Dem Schutz der Willensbildung des Betriebsrats wird bereits durch das Erfordernis der Einstim-migkeit für die Ergänzung oder Aufstellung einer Tagesordnung angemessen und hinreichend Rechnung getragen. Die Anwesenheit aller Mitglieder des Betriebsrats als Voraussetzung der Heilung eines wegen Nichtbeachtung von § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG verfahrensfehlerhaften Betriebsratsbeschlusses wird vom Zweck dieser Verfahrensvorschrift nicht gefordert; mit der Konzeption der Vertretungsregelung des § 25 BetrVG ist sie nicht vereinbar.


46           aa) Die Mitteilung der Tagesordnung bezweckt nicht, einem verhinderten (originären) Betriebsratsmitglied Gelegenheit zu geben, seine Betriebsratskolle-gen außerhalb der Sitzung über seine Auffassung zu unterrichten und sie hiervon zu überzeugen (so aber BAG 24. Mai 2006 - 7 AZR 201/05 - Rn. 20). Das folgt aus § 25 BetrVG. Nach dieser Vorschrift hat im Verhinderungsfall ein Ersatzmitglied an den Beratungen und Abstimmungen teilzunehmen. Dieses ist bei einer zeitweiligen Verhinderung des ordentlichen Mitglieds für deren Dauer vollwertiges Mitglied des Betriebsrats mit allen sich aus dieser Stellung erge-benden Rechten und Pflichten (vgl. BAG 5. September 1986 - 7 AZR 175/85 - zu I der Gründe, BAGE 53, 23; Fitting § 25 Rn. 15; Oetker GK-BetrVG § 25 Rn. 54). An Weisungen des originären Betriebsratsmitglieds ist es ebenso wenig wie die übrigen Mitglieder des Betriebsrats gebunden. Schützenswerte Einflussmöglichkeiten auf die Willensbildung des Betriebsrats stehen einem zeitweilig verhinderten Betriebsratsmitglied gerade nicht zu.


47           bb) Die Mitteilung der Tagesordnung dient auch nicht dazu, dem einzelnen Betriebsratsmitglied die sachgerechte Auflösung einer etwaigen Terminkollision zu ermöglichen. Einer solchen Zweckbestimmung steht entgegen, dass im Betriebsverfassungsgesetz eine Differenzierung zwischen wichtigen und un-wichtigen Betriebsratssitzungen bei der Prüfung einer Verhinderung durch das einzelne Betriebsratsmitglied nicht vorgesehen ist, da es auch keine wesentli-chen oder unwesentlichen Beschlüsse des Betriebsrats gibt (BAG 28. Oktober 1992 - 7 ABR 14/92 - zu B II 2 c der Gründe). Das Betriebsverfassungsgesetz geht vielmehr davon aus, dass ein Betriebsratsmitglied ungeachtet der Themen einer Betriebsratssitzung für sich entscheiden soll, ob es wegen anderweitiger Pflichten an der Teilnahme an einer Sitzung des Betriebsrats gehindert ist. Diese Entscheidung über eine rein zeitliche Pflichtenkollision hat es eigenver-antwortlich zu treffen und darüber zu befinden, welche Pflicht für ihn vorrangig wahrzunehmen ist. Das tatsächliche Vorliegen eines Verhinderungsgrundes aufgrund einer Pflichtenkollision hat der Vorsitzende grundsätzlich nicht nach-zuprüfen. Allerdings ist es Aufgabe des Betriebsratsmitglieds, dem Betriebs-ratsvorsitzenden rechtzeitig das Vorliegen eines Verhinderungsfalles anzuzei-gen. Die Erfüllung dieser Pflicht wird dem Betriebsratsmitglied bereits durch die Angabe der zeitlichen und örtlichen Lage der Betriebsratssitzung ermöglicht. Diese Angaben sind der Ladung zu entnehmen; der Tagesordnung bedarf es dazu nicht. Fehlt es bei der Betriebsratssitzung ohne vorherige Mitteilung seiner Verhinderung, besteht der Zweck einer Tagesordnung nicht darin, die Willens-bildung eines pflichtwidrig abwesenden Betriebsratsmitglieds zu schützen.


48           cc) Es kann dahinstehen, ob die nach § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG vorge-schriebene Mitteilung der Tagesordnung auch dem Zweck dient, einem Be-triebsratsmitglied die Prüfung zu ermöglichen, ob er bei einem bestimmten Tagesordnungspunkt möglicherweise wegen Selbstbetroffenheit verhindert ist (vgl. dazu zuletzt BAG 24. April 2013 - 7 ABR 82/11 - Rn. 15 mwN) und dies dem Betriebsratsvorsitzenden rechtzeitig mitzuteilen. Selbst wenn hiervon ausgegangen würde, bedeutet dies nicht, dass ein Mangel der Tagesordnung nur bei einem vollständigen Erscheinen aller heranzuziehenden Mitglieder des Betriebsrats geheilt werden könnte.


49           dd) Für die Heilung eines Verfahrensmangels iSd. § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG reicht es nach dem Zweck dieser Ladungsvorschrift aus, dass alle Betriebsratsmitglieder einschließlich erforderlicher Ersatzmitglieder rechtzeitig zur Sitzung geladen worden sind und die beschlussfähig (§ 33 Abs. 2 BetrVG) Erschienenen auf dieser Sitzung eine Ergänzung oder Erstellung der Tages-ordnung einstimmig beschließen.


50           Das Erfordernis der Einstimmigkeit schützt das einzelne Betriebsrats-mitglied davor, über betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten befinden zu müssen, mit denen es sich aus seiner Sicht noch nicht angemessen befasst und noch keine abschließende Meinung gebildet hat. Um diesen Schutz zu erreichen, wird von ihm lediglich verlangt, der Ergänzung oder der Erstellung einer bisher nicht vorhandenen Tagesordnung ohne Begründung die Zustim-mung zu verweigern. Bereits dadurch wird der Betriebsrat an einer abschlie-ßenden Willensbildung in der betreffenden Angelegenheit gehindert. Dagegen genügt es nicht, wenn die anwesenden Betriebsratsmitglieder mit einfacher oder qualifizierter Mehrheit für die Ergänzung oder Aufstellung einer Tagesord-nung stimmen (vgl. dazu DKKW/Wedde § 29 Rn. 21; HaKo-BetrVG/Blanke § 29 Rn. 11; Raab GK-BetrVG § 29 Rn. 55). Dadurch wird die eigenständige Wil-lensbildung des einzelnen Betriebsratsmitglieds nicht hinreichend geschützt. Vielmehr wäre es auf die Unterstützung anderer Mitglieder des Betriebsrats angewiesen. Dem soll die Verfahrensvorschrift des § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG aber gerade entgegenwirken. Der einstimmige Beschluss kann von dem nach Maßgabe von § 33 Abs. 2 BetrVG beschlussfähigen Betriebsrat gefasst wer-den. Das vollständige Erscheinen aller Mitglieder des Betriebsrats ist nicht erforderlich. Der Normzweck des § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG verlangt keine Einschränkung der allgemeinen Regelung über die Beschlussfähigkeit des Betriebsrats, wenn dieser über die Ergänzung oder Aufstellung einer Tagesord-nung in der laufenden Betriebsratssitzung zu entscheiden hat. Diesem wird vielmehr durch das Einstimmigkeitserfordernis hinreichend Rechnung getragen.


51           5. Der Senat ist an einer abschließenden Entscheidung gehindert, weil er in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der Rechtsauffassung des Siebten Senats des Bundesarbeitsgerichts abweicht.


52           Unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats wäre die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen teilweise erfolgreich, da die Anträge des Betriebsrats abzuweisen wären. Zu der Betriebsratssitzung vom 14. bis zum 16. Dezember 2009 ist zwar formell fehlerhaft ohne Beifügung einer Tagesordnung geladen worden. Die dort gefasste Zustimmung zur BV-Torkontrolle wurde jedoch von den im Übrigen ordnungsgemäß geladenen 16 anwesenden der insgesamt 19 Betriebsratsmitglieder einstimmig beschlossen. Dem Protokoll der Betriebsratssitzung ist nicht zu entnehmen, dass eines der anwesenden Betriebsratsmitglieder der Aufnahme dieser Angelegenheit auf die Tagesordnung widersprochen hat. Damit wurde der formelle Ladungsfehler geheilt. Bei Anwendung der vom Siebten Senat bislang vertretenen Rechtsauf-fassung wäre der Hauptantrag des Betriebsrats dagegen begründet und die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen deshalb insgesamt zurückzuweisen. Der formelle Ladungsfehler wäre in der Betriebsratssitzung vom 14. bis zum 16. Dezember 2009 nicht geheilt worden, weil bei dieser Sitzung nicht sämtliche Betriebsratsmitglieder anwesend waren. Gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG fragt deshalb der Erste Senat beim Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts an, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält.

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