LAG Hessen: Kündigung wegen Missbrauch von Bonuspunkten
LAG Hessen, Urteil vom 4.8.2010 - 2 Sa 422/10
Sachverhalt
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug weiterhin um die Rechtsmäßigkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung sowie um einen Weiterbeschäftigungsanspruch.
Der bei Klageeingang 33 Jahre alte Kläger arbeitete seit Juni 2006 in Frankfurt am Main bei der Beklagten, die im gesamten Bundesgebiet Tankstellen betreibt, regelmäßig in Nachtschicht als Tankstellenmitarbeiter zu einem Bruttomonatsgehalt von ca. € 2.200,00. Im Frühjahr 2009 führte die Beklagte ein EDV-unterstütztes Programm A-Extra-Punkte" ein. Im Zusammenhang mit dieser Einführung, zuvor hatte die Beklagte Klebemärkchen an Kunden ausgegeben, unterwies sie die Mitarbeiter über die Bedienung der hierfür eingeführten Kassensoftware, wobei die näheren Einzelheiten der Unterweisung zwischen den Parteien streitig sind. Bei der Beklagten existiert eine A Extra Partnerinformation (Dealer Manual), wegen deren Inhaltsverzeichnis und auszugsweisen Inhalten auf die Kopie (Bl. 57-60 d. A.) Bezug genommen wird. Während seiner Schicht am 12. Mai 2009 verbuchte der Kläger in zwei Fällen Umsätze von Kunden, die getankt und nicht an dem Programm teilgenommen haben, in Höhe von € 86,17 und € 50,00 auf die A-Extra-Karte seines Kollegen B.
Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhaltes, des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 26. November 2009 gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen (Bl. 107-110 d. A.).
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat durch vorgenanntes Urteil der Klage stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche, noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten aufgelöst worden ist und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt. Es hat angenommen, beide Kündigungen seien unwirksam. Zwar stelle die Verbuchung der zwei Kundenumsätze auf die A-Extra-Karte seines Kollegen B an sich einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB dar, denn dem Kläger habe auch ohne ausdrückliche Belehrung bewusst gewesen sein müssen, dass die Buchung von Kundenumsätzen auf fremde A-Extra-Karten nicht zulässig sei, ohne dass es darauf ankomme, ob der Kunde mit der Verbuchung auf eine fremde Karte einverstanden sei. Die A-Extra-Karten seien Teil eines umfassenden Kundenbindungssystems und die mit diesem System verfolgten Ziele seien offensichtlich und für den Kläger ohne weiteres erkennbar. Gleichwohl wäre es der Beklagten zumutbar gewesen, auf sein Fehlverhalten zunächst mit einer Abmahnung zu reagieren und ihn hierdurch zu einer zukünftig beanstandungsfreien Arbeitsleistung anzuhalten. Es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, aufgrund derer die Beklagte im Falle der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses davon ausgehen konnte, dass der Kläger trotz einer einschlägigen Abmahnung auch weiterhin Arbeitsvertragsverletzungen im Zusammenhang mit der Verbuchung von Umsätzen auf fremde A-Extra-Karten begehen würde. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Behauptung der Beklagten, der Kläger und andere Mitarbeiter der Station seien durch den Stationsmanager C Ende März/Anfang April 2009 über die ausschließliche Zulässigkeit der Verbuchung eigener Umsätze belehrt und einige Wochen später nach einem Missbrauchsfall in Stuttgart auf die Möglichkeit einer fristlosen Kündigung bei Missbrauch der eigenen Punktekarte hingewiesen worden. Der diesbezügliche Vortrag der Beklagten sei unsubstantiiert und daher unbeachtlich. Die Pflichtverletzung des Klägers wiege auch nicht so schwer, dass die Erteilung einer Abmahnung als entbehrlich angesehen werden könne. Mangels Vorliegen einer Abmahnung sei auch die ordentliche Kündigung unwirksam und infolge dessen die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. 111-117 d. A. Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte innerhalb der zur Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 4. August 2010 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt.
Sie verfolgt ihr Begehren auf Klageabweisung teilweise unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Sie vertritt die Ansicht, die Pflichtverletzung des Klägers wiege so schwer, dass das durch den Kläger erschütterte Vertrauen nicht durch eine Abmahnung hätte wiederhergestellt werden können. Es komme auch nicht darauf an, dass ihr durch das Verhalten des Klägers kein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei, da dies nicht sein Verdienst, sondern Folge des internen Kontroll- und Überwachungssystems der A Deutschland GmbH gewesen sei. Dem Kläger sei auch ein dauerhaftes Fehlverhalten zur Last zu legen, da er zusammen mit anderen Mitarbeitern seinem Kollegen B die Punkte habe zuschanzen wollen. Sie vertritt weiterhin die Ansicht, dass die Anforderungen des Arbeitsgerichts zur Darlegung der Belehrungen des Klägers zu den Folgen eines missbräuchlichen Kartennutzungsverhaltens überzogen seien.
Die Beklagte beantragt,
Das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 26. November 2009 - 21 Ca 5136/09 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung ebenfalls unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Er meint, da es sich bei dem A-Extra-Kartensystem um ein kompliziertes System handele, bei welchem der Nutzer z. B. Punkte sammeln und an Freunde oder Angehörige weitergeben könne, bestünden bereits Bedenken, eine Pflichtverletzung durch die Weitergabe der Punkte anzunehmen. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass zu Zeiten des Bonussystems in Gestalt der Klebemarken diese jederzeit an Dritte weitergegeben werden konnten. Für ihn sei nicht erkennbar gewesen, dass sich insoweit irgendetwas geändert habe.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 4. August 2010 (Bl. 165 d. A.) Bezug genommen.
Aus den Gründen
Die Berufung der Beklagten gegen das am 26. November 2009 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main ist zulässig. Das Rechtsmittel ist als in einem Rechtsstreit über die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses eingelegt ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes und im Übrigen nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64 Abs. 2, 8 Abs. 2 ArbGG). Die Beklagte hat es auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 519, 520 ZPO, 66 Abs. 1 ArbGG).
Die Berufung hat jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Mai 2009 beendet worden ist und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt. Das Berufungsgericht kann daher zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verweisen, denen es in vollem Umfang folgt und deshalb auf sie gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug nimmt. Im Hinblick auf die Ausführungen der Beklagten im zweiten Rechtszug ist noch Folgendes auszuführen.
Zwar ist der Beklagten insoweit zu folgen, dass das Verhalten des Klägers, Tankbeträge fremder Kunden auf der A-Extra-Karten seines Kollegen B zu buchen als schwerwiegendes Fehlverhalten einzustufen ist, ohne dass es auf die strafrechtliche Würdigung ankommt. Das Arbeitsgericht hat bereits umfänglich zur Zielsetzung von Kundenbindungssystemen hingewiesen, ohne dass es hierbei auf die nähere Ausgestaltung (Klebemärkchen, elektronische Punktesammlung auf einer Kundenkarte) ankommt. Selbstverständlich will ein Unternehmen, das - wie die Beklagte - Einkäufe bepunktet, die jeweiligen Kunden an das Unternehmen binden. Diese sollen mittels der durch das Bonussystem erreichbaren Vorteile weitere Umsätze im Unternehmen und nicht bei Konkurrenzunternehmen tätigen. Nur hierfür ist der Arbeitgeber bereit, dem Kunden Vorteile zukommen zu lassen, die für ihn mit finanziellen Belastungen einhergehen. Sammeln Mitarbeiter hingegen die von Kunden nicht in Anspruch genommenen Punkte für eigene Zwecke, wird diese Absicht des Arbeitgebers unterlaufen. Dies konnte der Kläger zweifelsfrei erkennen und hätte deshalb die Buchungen auf die A-Extra-Karten seines Kollegen unterlassen müssen.
Allerdings folgt die Berufungskammer der Auffassung des Arbeitsgerichts, dass eine Abmahnung oder ein vorheriger Hinweis auf die Missbrauchsfolgen nicht entbehrlich war. Die Beklagte selbst hat ausgeführt, dass der Stationsmanager die Mitarbeiter auf die Konsequenzen eines missbräuchlichen Verhaltens im Umgang mit der Kundenkarte hingewiesen hat. Allerdings ist die Beklagte nicht in der Lage gewesen, die Umstände, unter denen dieser Hinweis an die Mitarbeiter und damit auch an den Kläger gegeben worden ist, zu konkretisieren. Der Kläger hat bestritten, einen solchen Hinweis von dem Stationsmanager erhalten zu haben. Er hat ausgeführt, in Nachtschicht zu arbeiten und daher den Stationsmanager häufig nicht zu sehen. Vor diesem Hintergrund wäre es eben doch erforderlich gewesen, dass die Beklagte die näheren zeitlichen Umstände dargelegt hätte, aus denen sich ergibt, wann die Belehrung über die Folgen eines missbräuchlichen Verhaltens durch den Stationsmanager erfolgt ist. Nur dann wäre es dem Kläger möglich gewesen, substantiiert zu der Behauptung der Beklagten Stellung zu nehmen. Ansonsten würde es sich bei der Vernehmung des Zeugen C um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis handeln.
Gemäß § 373 ZPO muss die beweispflichtige Partei diejenigen Tatsachen bezeichnen, zu denen der Zeuge vernommen werden soll. Als Tatsachen sind konkrete, nach Zeit und Raum bestimmte, der Vergangenheit oder der Gegenwart angehörige Geschehnisse oder Zustände anzusehen (vgl. BAG Urteil vom 25. August 1982 - 4 AZR 878/79, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifliche Übung; BAG vom 24. Januar 1990 - 4 AZR 493/89, AP Nr. 125 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).
Diesen Anforderungen genügt der Sachvortrag der Beklagten nicht, es fehlt an der Bestimmtheit der zu beweisenden Tatsachen. Erst durch die beabsichtigte Beweiserhebung sollen die Grundlagen für substantiierte Tatsachenbehauptungen gewonnen werden. Gerade vor dem Hintergrund eines rollierenden Mitarbeitereinsatzes gehört es zum Beweisvortrag, Tatsachen vorzubringen, aus denen sich ergibt, dass der Kläger zum Zeitpunkt der behaupteten Hinweise des Stationsleiters überhaupt im Betrieb gewesen ist und Gelegenheit hatte, dem Gespräch beizuwohnen.
Im Hinblick auf das vom Kläger gezeigte Fehlverhalten kann auch nicht auf eine Abmahnung verzichtet werden. Die von der Beklagten unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 2. Mai 2008 (AZ 22 Ca 2654/07, Berufungsentscheidung Hess. LAG vom 11. Dezember 2008 - 9 Sa 1075/08) gestützte gegenteilige Auffassung übersieht, dass in dem dort zugrunde liegenden Sachverhalt eine Mitarbeiterin unberechtigt Kundeneinkäufe im Warenwert von mehr als € 30.000,00, der Klägers hingegen lediglich ein Wareneinsatz von ca. € 130,00 gutgeschrieben hat.
Dass eine solche Abmahnung nicht erfolgversprechend und deshalb entbehrlich sein würde, kann - entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung - nicht angenommen werden.
Grundsätzlich ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Abmahnung erforderlich, wenn wegen eines nicht vertragsgerechten Verhaltens gekündigt werden soll und die Störungen im Leistungsbereich liegen, wobei dies für jede Kündigung gilt, die wegen eines Verhaltens des Arbeitnehmers oder aus einem Grund in seiner Person ausgesprochen werden soll, den er durch sein steuerbares Verhalten beseitigen kann, wenn also eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann (vgl. BAG vom 11. März 1999 - 2 AZR 507/98, AP Nr. 149 zu § 626 BGB und vom 17. Februar 1994 - 2 AZR 616/93, AP Nr. 116 zu § 626 BGB). Denn nur nach einer vergeblichen vorherigen Abmahnung ist die notwendige negative Zukunftsprognose zu bejahen, dass auch zukünftig weitere Vertragsverletzungen zu befürchten sind. Diese Prognose ist auch erforderlich, da der Kündigungszweck zukunftsbezogen ausgerichtet ist. Entscheidend ist, ob eine Wiederholungsgefahr besteht und ob sich das vergangene Ereignis auch zukünftig belastend auswirkt. Deshalb wird erst nach einer Abmahnung die erforderliche Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass sich der Arbeitnehmer auch in Zukunft nicht vertragsgetreu verhalten werde (vgl. BAG vom 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96, AP Nr. 137 zu § 626 BGB und vom 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/94, AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung).
Von diesem Grundsatz gelten Ausnahmen nur, wenn durch das zukünftige Verhalten des Arbeitnehmers die Störung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr behoben werden kann. Eine Abmahnung ist deshalb dann entbehrlich, wenn es um schwere Pflichtverletzungen geht, deren Rechtswidrigkeit für den Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei denen eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. BAG Urteil vom 10. Februar 1999 - 2 ABR 31/98, AP Nr. 42 zu § 15 KSchG und vom 1. Juli 1999 - 2 AZR 676/98, AP Nr. 11 zu § 15 BBiG). Gleiches gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht erfolgversprechend angesehen werden kann. Eine solche Situation ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer eindeutig nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten, was wiederum der Fall ist, wenn er seine Vertragsverletzungen hartnäckig und uneinsichtig fortsetzt, obwohl er die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens kennt (vgl. BAG vom 4. Juni 1997 a. a. O.). Selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Eigentums- und Vermögensdelikte kann es danach Fälle geben, in denen eine Abmahnung nicht ohne Weiteres entbehrlich erscheint (vgl. BAG vom 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08, AP Nr. 59 zu § 1 KSchG verhaltensbedingte Kündigung, KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264 m. w. N.). Dies gilt etwa, wenn dem Arbeitnehmer zwar die Verbotswidrigkeit seines Verhaltens hinreichend klar ist, er aber Grund zu der Annahme haben durfte, der Arbeitgeber würde dieses nicht als ein so erhebliches Fehlverhalten werten, dass dadurch der Bestand des Arbeitsverhältnisses auf dem Spiel stünde (BAG vom 23. Juni 2009 a. a. O.).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist eine Abmahnung im zu entscheidenden Fall nicht entbehrlich.
Auch wenn die Zweckrichtung des Bonussystems es selbstverständlich macht, dass keine fremden Kundenumsätze auf eigene Karten bzw. Karten von Arbeitskollegen gutgeschrieben werden dürfen, wäre im Hinblick auf die nach dem System teilweise zulässigen Umbuchungen eine Abmahnung notwendig, um dem Kläger die Gelegenheit zu geben, sein Verhalten entsprechend auszurichten. Eine uneinsichtige Fortsetzung des Fehlverhaltens durch den Kläger kann nicht angenommen werden. Mangels substantiierter Darlegung, dass er den Hinweis auf die arbeitsrechtlichen Konsequenzen eines missbräuchlichen Verhaltens erhalten hat, liegt keine uneinsichtige Fortsetzung seines Fehlverhaltens vor. Soweit die Beklagte einen unabänderbaren Vertrauensverlust in die Redlichkeit des Klägers behauptet, führt dieser aufgrund der vom Kläger gezeigten Verhaltensweise jedenfalls nicht zur Entbehrlichkeit einer Abmahnung. Zwar darf die Beklagte auf die Vertragstreue ihrer Beschäftigten vertrauen und ist deshalb nicht verpflichtet, alle denkbaren Umgehungen eines Verbotes zu umschreiben. Allerdings muss dieses Verbot und die sich bei Verletzung ergebenden Konsequenzen dem Arbeitnehmer eindeutig und unmissverständlich vor Augen geführt werden. Es ist nach dem Vorbringen der Beklagten nicht zu erkennen, dass dies geschehen ist. Der Hinweis auf Seite 18 in dem mehr als 30-seitigen Bedienerhandbuch genügt diesen Anforderungen nicht. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Mitarbeiter, die persönlich auf ein neues Softwaresystem geschult werden, ein Bedienerhandbuch komplett durchlesen. Es wäre der Beklagten ein leichtes gewesen, jedem Mitarbeiter auf einem Merkblatt, dessen Empfang gegengezeichnet wird, eindeutig auf die Unzulässigkeit der Buchung fremder Kundengeschäfte hinzuweisen. Aufgrund der unstreitig nach den Kartenbedingungen möglichen Übertragung von Punkten auf andere Personen konnte bei dem Kläger ohne eine solche Verdeutlichung der Eindruck entstehen, in geringem Umfang Kundenpunkte einem Kollegen gutschreiben zu können, ohne dass dies zum Verlust seines Arbeitsverhältnisses führen würde.
Unwirksam ist auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2009. Es gelten insoweit die oben dargestellten Erwägungen zum Erfordernis der Abmahnung, auch wenn nicht verkannt wird, dass die Anforderungen an eine ordentliche Kündigung selbstredend geringer sind als an eine außerordentliche Kündigung.
Nachdem die Berufung in Bezug auf die Kündigungen unbegründet ist, ist die Beklagte folglich auch zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens verpflichtet (vgl. BAG GS vom 27. Februar 1985- GS 1/94, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Näherer und ausdrücklich auf den Weiterbeschäftigungsanspruch bezogener substantiierter Vortrag der Beklagten zu etwa überwiegenden entgegenstehenden Arbeitgeberinteressen liegt nicht vor. Es ist hier wie beim Vortrag zu Auflösungsanträgen (vgl. dazu KR-Spilger, 9. Aufl., § 9 KSchG Rn 58) nicht Sache des Gerichts, aus dem Vortrag zu den Kündigungsgründen gegebenenfalls von sich aus überwiegende Arbeitgeberinteressen abzuleiten (vgl. Hess. LAG vom 8. August 2006 - 15 Sa 1413/05, n. v.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen, weil ihr Rechtsmittel keinen Erfolg gehabt hat.
Für die Zulassung der Revision besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung (§ 72 Abs. 2 ArbGG).