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Arbeitsrecht
27.05.2010
Arbeitsrecht
LAG Nürnberg: Konkludente Vertragsänderung

LAG Nürnberg , Urteil  vom 15.12.2009 - Aktenzeichen 7 Sa 204/09 (Vorinstanz: ArbG Nürnberg vom 23.02.2009 - Aktenzeichen 2 Ca 5446/08; )
Amtliche Leitsätze: Eine vom Arbeitgeber veranlasste Änderung der vertraglichen Bedingungen ist nur dann als konkludente Vertragsänderung anzusehen, wenn über das Schweigen des Arbeitnehmers hinaus weitere Umstände vorliegen, die den Schluss zulassen, der Arbeitnehmer sei mit der Änderung einverstanden. Die widerspruchslose Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses kann ein solcher Umstand sein.
  Amtliche Normenkette: BGB § 130; BGB § 145; BGB § 147; BGB § 151; Redaktionelle Normenkette: BGB § 130; BGB § 145; BGB § 147; BGB § 148; BGB § 151; BGB § 311 Abs. 1; BGB § 611 Abs. 1; BGB § 613a Abs. 1 S. 1; TVG § 4 Abs. 3; MTV (bayerischen Metall- und Elektroindustrie) § 14 Abschnitt C;
Tatbestand: 
Die Parteien streiten um Urlaubsgeld für das Jahr 2008. 
Die Klägerin wurde zum 01.01.1986 von der Firma A... AG als gewerbliche Arbeitnehmerin eingestellt und war später (in den 90iger Jahren) infolge eines Betriebsüberganges bei der A... Hausgeräte GmbH beschäftigt. Zum 01.01.2001 wurde sie ins Angestelltenverhältnis übernommen. In dem entsprechenden Vertrag vom 18.12.2000 heißt es: 
"Bestandteil Ihres Arbeitsvertrages sind in ihrer jeweils gültigen Fassung: 
a) die tarifvertraglichen Regelungen für Angestellte in der Bayerischen Metallindustrie 
b) ..." 
Mit einem Schreiben der A... Hausgeräte GmbH und der Beklagten vom 22.07.2005 teilten diese der Klägerin u.a. mit, es finde zum 01.09.2005 ein Betriebsübergang auf die Beklagte statt. Das Schreiben lautet auszugsweise: 
"Die E... Hausgeräte Vertriebs GmbH wird Mitglied des Landesverbandes Groß- und Außenhandel, Vertrieb- und Dienstleistungen Bayern, Unternehmer- und Arbeitgeberverband der intermediären Wirtschaft e.V - ggf. in dem jeweils regional tätigen Landesverband - und beabsichtigt, mit allen Arbeitnehmern die Anwendung des Bayerischen Tarifvertrags zu vereinbaren. 
Da der Bayerische Manteltarifvertrag des Groß- und Außenhandels allgemeinverbindlich ist, könnte dieser ab 01.09.2005 in vollem Umfang angewendet werden. E... Hausgeräte Vertriebs GmbH beschränkt sich jedoch darauf, dass für Vollzeitbeschäftigte aus dem Regelwerk dieses Manteltarifvertrages im ersten Jahr nach Betriebsübergang ausschließlich die regelmäßige Arbeitszeit von wöchentlich 38,5 Stunden gilt, es sei denn, es besteht bereits eine darüber hinaus gehende Arbeitszeit. 
... 
Rechtzeitig vor Ablauf des 31.08.2006 wird unter Berücksichtigung der zu diesem Zeitpunkt gegebenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der E... Hausgeräte Vertriebs GmbH geprüft, in welchem Umfang und ab welchem Zeitpunkt die sonstigen Regelungen des Bayerischen Manteltarifvertrages des Groß- und Außenhandels angewendet werden sollen." 
Die Beklagte zahlte der Klägerin im Juni 2006 ein Urlaubsgeld in Höhe von 2.071,05 € brutto. Dies entsprach dem Urlaubsgeld des Manteltarifvertrags für die Angestellten der Bayerischen Metallindustrie. 
Mit Schreiben vom 08.08.2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, ab 01.09.2006 würden alle Regelungen des Bayerischen Manteltarifvertrages des Groß- und Außenhandels zur Anwendung kommen. 
Unter dem 20.12.2006 sandte die Beklagte der Klägerin den Entwurf eines neuen Arbeitsvertrags mit der Bitte um Unterschrift zu. Die Klägerin schickte den Entwurf, ohne ihn zu unterschreiben, an die Beklagte zurück. 
Im Juni 2007 zahlte die Beklagte an die Klägerin ein Urlaubsgeld nach dem Manteltarifvertrag des Groß- und Außenhandels, allerdings in doppelter Höhe. 
Die Beklagte zahlte an die Klägerin im Juni 2008 entsprechend den tariflichen Bestimmungen für den Groß- und Außenhandel Urlaubsgeld in Höhe von 521,40 € brutto. 
Mit der Klage vom 22.08.2008 macht die Klägerin den Differenzbetrag zum Urlaubsgeld geltend, wie es sich aus dem Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Bayerischen Metallindustrie ergibt. 
Das Arbeitsgericht Nürnberg gab der Klage mit Urteil vom 23.02.2009 statt. 
Das Urteil wurde der Beklagten am 20.03.2009 zugestellt. 
Die Beklagte legte gegen das Urteil am 08.04.2009 Berufung ein und begründete sie gleichzeitig. 
Die Beklagte führt aus, (auch) hinsichtlich des Urlaubsgeldes sei die neue tarifvertragliche Regelung Vertragsinhalt geworden. Der Hinweis in den beiden Schreiben vom 22.07.2005 und 08.08.2006 habe auch das Urlaubsgeld umfasst. Der Klägerin sei daher die neue Rechtsgrundlage erkennbar gewesen und trotzdem sei das Arbeitsverhältnis widerspruchslos fortgesetzt worden. Auch die Zahlung des Weihnachtsgeldes 2007 nach dem Manteltarifvertrag für den Groß- und Außenhandel habe die Klägerin akzeptiert. Die Vertragsbedingungen seien dadurch, dass die Klägerin die Tätigkeit auf der Basis der Tarifverträge des Groß- und Außenhandels fortgesetzt habe, abgeändert worden. Dies gelte auch für das Urlaubsgeld. Insbesondere habe die Klägerin zu den Arbeitszeiten des Groß- und Außenhandels gearbeitet. 
Die Beklagte beantragt: 
1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 23.02.2009, Az.: 2 Ca 5446/08 wird aufgehoben. 
2. Die Klage wird abgewiesen. 
3. Die Klägerin und Berufungsbeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. 
Die Klägerin beantragt: 
I. Die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin wird zurückgewiesen. 
II. Die Beklagte und Berufungsklägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. 
Die Klägerin macht geltend, eine Änderung des Arbeitsvertrags sei nicht erfolgt. Daher habe sie Anspruch auf Urlaubsgeld nach den Bestimmungen des Manteltarifvertrags für die Bayerische Metallindustrie. 
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden. 
Entscheidungsgründe: 
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Absatz 1 ArbGG. Insbesondere liegt die Beschwer über 600,00 €, § 64 Absatz 2 b ArbGG. 
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Absatz 1 Satz 1 und 2, 64 Absatz 6 Satz 1 ArbGG iVm den §§ 519, 520 ZPO. 
Die Berufung ist unbegründet. 
Die Klägerin hat für das Jahr 2008 Anspruch auf Urlaubsgeld in Höhe von 50 % des Bruttomonatsentgelts, § 613a Absatz 1 Satz 1 BGB iVm dem Arbeitsvertrag vom 18.12.2000 und § 14 Abschnitt C des Manteltarifvertrags für die Angestellten des bayerischen Metall- und Elektroindustrie vom 31.10./02.11.1970 in der Fassung vom 24.05.2002 (TR 5/10 - 300 b 122; im Folgenden MTV). 
Auf das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Firma A... Hausgeräte GmbH fanden die Bestimmungen des zitierten Manteltarifvertrags kraft einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung. In diese Rechtsposition ist die Beklagte infolge des Betriebsüberganges eingerückt. 
Dem steht nicht entgegen, dass der Betrieb der Beklagten dem fachlichen Anwendungsbereich des allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrags für den Groß- und Außenhandel zuzuordnen ist. 
§ 14 Abschnitt C des MTV zum Urlaubsgeld stellt im Vergleich zum Manteltarifvertrag für den Groß- und Außenhandel eine im Sinne des § 4 Absatz 3 TVG günstigere einzelvertragliche Regelung dar und geht somit dem an sich einschlägigen Tarifvertrag vor. 
Die Parteien haben keine Vertragsänderung, insbesondere nicht die Geltung des Manteltarifvertrags für den Groß- und Außenhandel vereinbart, § 311 Absatz 1 BGB. 
Die Änderung eines Vertrags setzt voraus, dass die Parteien entsprechende übereinstimmende Willenserklärungen abgeben, d.h., es muss ein Angebot der einen Vertragspartei vorliegen, das vom anderen Vertragsteil in aller Regel angenommen werden muss. Die Annahme des Vertragsangebotes kann stillschweigend erfolgen. Einer Annahme des Vertragsangebotes bedarf es nur unter den Voraussetzungen des § 151 BGB nicht. 
Die Beklagte hat der Klägerin unter dem 20.12.2006 ein Änderungsangebot gemacht, §§ 145, 147, 148 BGB. Sie hat, was unstreitig ist, der Klägerin den Entwurf eines neuen Arbeitsvertrags mit der Bitte zugesandt, diesen bis 18. Januar 2007 unterzeichnet zurückzusenden. Dieses Angebot hat die Klägerin abgelehnt. Sie hat den Vertragsentwurf nicht unterzeichnet, sondern ihn nicht unterschrieben zurückgeschickt. Darin liegt eine eindeutige Ablehnung des Angebots. 
Der Arbeitsvertrag ist nicht bereits vorher abgeändert gewesen. Dies ist insbesondere nicht dadurch erfolgt, dass die Klägerin trotz der Schreiben der Beklagten vom 22.07.2005, 08.08.2006 und 16.07.2007 das Arbeitsverhältnis widerspruchslos fortgesetzt hat. 
In den zitierten Schreiben kann bereits kein Angebot zur Änderung des Arbeitsvertrags gesehen werden. 
Das Schreiben vom 22.07.2005 kündigt lediglich eine Änderung der Arbeitszeit an. Hinsichtlich aller übrigen Arbeitsbedingungen wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass noch geprüft werde, wann und in welchem Umfang die sonstigen Regelungen des Manteltarifvertrags für den Groß- und Außenhandel angewendet werden sollten. Dazu kommt, dass im selben Schreiben die Absicht der Beklagten angekündigt wird, mit allen Arbeitnehmern die Anwendung des Tarifvertrags für den Groß- und Außenhandel vereinbaren zu wollen. Hieraus ist zu folgern, dass gerade kein Angebot mit dem Inhalt, den gesamten Arbeitsvertrag auf die Grundlage des Manteltarifvertrags für den Groß- und Außenhandel zu stellen, vorliegt. 
Auch das Schreiben vom 08.08.2006 enthält kein Vertragsangebot. Ein solches Angebot würde eine Willenserklärung voraussetzen, die auf eine (einvernehmliche) Abänderung des bestehenden Arbeitsvertrags abzielt. Dies kann dem Schreiben vom 08.08.2006 nicht entnommen werden. Hierin kündigte die Beklagte vielmehr an, es würden ab 01. September 2006 alle Regelungen des Bayerischen Manteltarifvertrags für den Groß- und Außenhandel zur Anwendung kommen. Dies stellt eine einseitige Diktion dar. Es ist dieser Erklärung nicht zu entnehmen, dass die Beklagte eine Änderung der Vertragsbedingungen von der Zustimmung der Klägerin abhängig machen wollte. 
Selbst wenn im Schreiben vom 08.08.2006 ein Angebot zur Vertragsänderung zu sehen wäre, hat die Klägerin dieses Angebot nicht angenommen. 
Eine ausdrückliche Annahme liegt unstreitig nicht vor. 
Die Klägerin hat das Angebot auch nicht konkludent angenommen. 
Das Schweigen gegenüber einer Änderung des Arbeitsvertrags ist, zumal wenn es um die Verschlechterung der Vertragsbedingungen geht, grundsätzlich keine Annahme eines solchen Angebots. Dies stellt ein tragendes Prinzip des Zivilrechts dar. Dadurch ist zwar die Möglichkeit, ein Angebot konkludent anzunehmen, nicht von vornherein ausgeschlossen. Die konkludente Annahme eines Vertragsangebotes setzt indes voraus, dass über das bloße Schweigen hinaus Umstände vorliegen, die den Schluss zulassen, der Adressat des Angebots sei hiermit einverstanden. Dies gilt namentlich in einem Arbeitsverhältnis, in dem der Arbeitnehmer - ob begründet oder unbegründet - aus Sorge um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses oftmals davon Abstand nimmt, einseitigen Maßnahmen des Arbeitgebers zu widersprechen. 
Eine konkludente Angebotsannahme kann bei einer widerspruchslosen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer dann gelten, wenn sich die angetragene Änderung unmittelbar im Arbeitsverhältnis auswirkt, nicht aber, solange deren Folgen nicht hervortreten. Nur die tatsächliche Praktizierung geänderter Vertragsbedingungen kann eine konkludente Erklärung sein, die einer Annahme innerhalb der Frist des § 147 BGB gleichkommt (vgl. Bundesarbeitsgericht - Urteil vom 25.11.2009 - 10 AZR 779/08 = EzA-SD 2010, Nr. 2, 11 mwN). Dies setzt voraus, dass sich das Änderungsangebot unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis auswirkt. 
Enthält das Angebot ein ganzes Bündel an Vertragsänderungen, kann, wenn sich ein Änderungsangebot des Arbeitgebers nicht in allen Punkten unmittelbar im Arbeitsverhältnis auswirkt, die widerspruchslose Fortsetzung der Tätigkeit durch den Arbeitnehmer dessen konkludente Annahme des Änderungsangebots insgesamt sein (vgl. Bundesarbeitsgericht - Urteil vom 01.08.2001 - 4 AZR 129/00 = BAGE 98/293 und NZA 2003/924). 
Gemessen an diesen Kriterien stellt, unterstellt, das Schreiben der Beklagten enthielte das Angebot, das Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen des Manteltarifvertrags für den Groß- und Außenhandel fortzusetzen, die widerspruchslose Fortführung des Arbeitsverhältnisses über den 08.08.2006 hinaus keine Annahme dieses Angebots durch die Klägerin dar. Die beabsichtigten Änderungen hätten sich insbesondere im Hinblick auf die Sonderzahlungen nicht unmittelbar, sondern nur langfristig auf das Arbeitsverhältnis ausgewirkt. 
Soweit die Beklagte geltend macht, die Klägerin habe seit dem 01.09.2005 zu den Arbeitszeiten des Groß- und Außenhandels gearbeitet, ergibt sich daraus nichts anderes. 
Hinsichtlich der Arbeitszeit hat die Beklagte bereits ab 01.09.2005 eine Änderung angestrebt. Das Schreiben vom 22.07.2005 enthält eine singuläre Bestimmung, mit der die Beklagte die Arbeitszeit unabhängig von der Anwendung der übrigen tariflichen Bestimmungen des Manteltarifvertrags für den Groß- und Außenhandel sofort dem einschlägigen Tarifvertrag anpassen wollte. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut des zitierten Schreibens. 
Infolge der widerspruchslosen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wäre damit, wird das Schreiben vom 22.07.2005 überhaupt als Angebot qualifiziert, allenfalls eine einvernehmliche Änderung bezüglich der längeren Arbeitszeit erzielt worden. Dies hätte seine Grundlage indes nicht im Schreiben vom 08.08.2006. 
Schließlich war die Annahme eines etwaigen Angebots auch nicht entbehrlich, § 151 BGB. Insbesondere liegt kein Fall vor, dass nach der Verkehrssitte eine Annahme nicht zu erwarten ist. 
Verkehrssitte ist die im Verkehr der beteiligten Kreise herrschende tatsächliche Übung, die eine gewisse Festigkeit erlangt haben muss (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Auflage, RdNr. 21 zu § 133). Hierfür fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Insbesondere hat die Beklagte hierzu nichts vorgetragen. 
Auch der Umstand, dass die Beklagte 2007 ein geringeres Urlaubsgeld und ein Weihnachtsgeld nach dem Manteltarifvertrag Groß- und Außenhandel zahlte, hat nicht zu einer Vertragsänderung geführt. Darin liegt kein Vertragsangebot, sondern lediglich eine einseitige Kürzung der der Klägerin vertraglich zustehenden Leistungen. 
Das Schreiben vom 16.07.2007 schließlich befasst sich inhaltlich lediglich mit der Aufstockung des Urlaubsgelds für 2007. Eine auf die Änderung gerichtete Willenserklärung lässt sich dem Schreiben nicht entnehmen. 
Da somit eine Vertragsänderung nicht erfolgt ist, hat die Klägerin Anspruch auf das volle Urlaubsgeld für das Jahr 2008. Die Beklagte ist daher, wie vom Erstgericht entschieden, verpflichtet, die Differenz an die Klägerin zu zahlen. 
Die Berufung der Beklagten musste deshalb erfolglos bleiben. 
Für eine Zulassung der Revision bestand kein gesetzlich begründeter Anlass. 
 

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