BAG: Keine Diskriminierung bei Hemmung der Stufenlaufzeit durch Elternzeit
BAG , Urteil vom 27.01.2011 - Aktenzeichen 6 AZR 526/09 (Vorinstanz: LAG Baden-Württemberg vom 17.06.2009 - Aktenzeichen 12 Sa 8/09; ) (Vorinstanz: ArbG Mannheim vom 24.09.2008 - Aktenzeichen 10 Ca 189/08; ) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Amtliche Leitsätze: Die Hemmung der Stufenlaufzeit bei Inanspruchnahme von Elternzeit durch § 17 Abs. 3 Satz 2 TVöD-AT entfaltet weder unmittelbar noch mittelbar geschlechtsdiskriminierende Wirkung. Sie ist auch im Übrigen mit höherrangigem Recht vereinbar. Orientierungssätze: 1. § 17 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 TVöD-AT, durch den der Stufenaufstieg im Entgeltsystem des TVöD für die Dauer der Elternzeit gehemmt wird, diskriminiert weibliche Beschäftigte weder unmittelbar noch mittelbar wegen ihres Geschlechts. 2. Für die Darlegung einer mittelbaren Diskriminierung ist nicht zwingend ein statistischer Nachweis erforderlich. Eine besondere Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 2 AGG kann auch dann vorliegen, wenn Vorschriften im Wesentlichen oder ganz überwiegend Personen, die eines der verpönten Merkmale erfüllen, betreffen, wenn sie an Voraussetzungen knüpfen, die von Personen, die von § 1 AGG nicht erfasst sind, leichter erfüllt werden oder wenn sich die Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm besonders zum Nachteil von Personen, für die ein Merkmal des § 1 AGG gilt, auswirken. Maßgeblich, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist bei Tarifverträgen der Kreis der von der fraglichen Bestimmung erfassten Beschäftigten. 3. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis während der Elternzeit unter Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten ruht, und die aktiven Beschäftigten sind grundsätzlich nicht vergleichbar. Die Elternzeit darf darum bei Entgeltbestandteilen, die auf das aktive Arbeitsverhältnis abstellen, anspruchsmindernd berücksichtigt werden. Da der Stufenaufstieg im TVöD in rechtlich zulässiger Weise an den Erfahrungsgewinn im aktiven Arbeitsverhältnis anknüpft, führt die Hemmung der Stufenlaufzeit für die Dauer der Elternzeit nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung. 4. Allerdings wäre die Gleichstellung der Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis wegen der Inanspruchnahme von Elternzeit ruht, und der aktiven Beschäftigten anzunehmen, wenn es Vorschriften gäbe, die bei einer Fortsetzung der Berufstätigkeit nach Beendigung der Elternzeit ungeachtet des grundsätzlichen Unterschiedes zwischen ruhendem und aktivem Arbeitsverhältnis die Fiktion des Erwerbs von Berufserfahrung während der Elternzeit geböten. Derartige Bestimmungen finden sich jedoch weder im Unions- noch im nationalen Recht. 5. § 17 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 TVöD-AT genügt den Anforderungen des Paragraphen 2 Nr. 6 der Rahmenvereinbarung über Elternurlaub im Anhang zur RL 96/34/EG, weil die vor Beginn der Elternzeit zurückgelegte Stufenlaufzeit erhalten bleibt. 6. Aus Art. 2 Abs. 7 Unterabs. 4 Satz 2 und 3 RL 76/207/EWG idF der RL 2002/73/EG und Art. 16 der diese Richtlinie mit Wirkung zum 15. August 2009 ersetzenden RL 2006/54/EG lässt sich kein Anspruch auf eine Fiktion der Berufserfahrung während der Dauer der Elternzeit entnehmen. Diese Bestimmungen erfassen ausschließlich Arbeitnehmer, die aus dem Vaterschafts- bzw. Adoptionsurlaub zurückkehren. Diese Institute kennt das deutsche Recht nicht. 7. Die Unterscheidung zwischen Mutterschafts-, Vaterschafts-, Adoptions- und Elternurlaub im Unionsrecht ist so eindeutig, dass sowohl für den EuGH als auch für die Gerichte der Mitgliedstaaten der Europäischen Union Gewissheit bestünde, dass Art. 2 Abs. 7 Unterabs. 4 Satz 3 RL 76/207/EWG und Art. 16 RL 2006/54/EG auf die unionsrechtlichen Bestimmungen über den Elternurlaub und die diese in das nationale Recht umsetzenden Regelungen keine Anwendung finden. Damit liegen die Voraussetzungen des "acte clair"-Grundsatzes vor. 8. § 17 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 TVöD-AT führt nicht zu einer gleichheitswidrigen Begünstigung von arbeitsunfähig erkrankten Beschäftigten, bei denen gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Buchst. b TVöD-AT bis zu 39 Wochen der Arbeitsunfähigkeit auf die Stufenlaufzeit angerechnet werden. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Amtliche Normenkette: GG Art. 3; GG Art. 6; RL 76/207/EWG des Rates (vom 9. Februar 1976) zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (i.d.F. der RL 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der RL 76/207/EWG) Art. 2 Abs. 7 Unterabs. 3, 4; RL 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (vom 5. Juli 2006) zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen Art. 2 Abs. 2 Buchst. c; RL 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (vom 5. Juli 2006) zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen Art. 15; RL 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (vom 5. Juli 2006) zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen Art. 16; Rahmenvereinbarung über Elternurlaub im Anhang der RL 96/34/EG des Rates (vom 3. Juni 1996) zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub Paragraph 2 Nr. 6, 7; RL 92/85/EWG des Rates (vom 19. Oktober 1992) über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeiternehmerinnen am Arbeitsplatz Art. 8; AGG § 1; AGG § 3 Abs. 1 S. 2; AGG § 3 Abs. 2; AGG § 7 Abs. 1; AGG § 7 Abs. 2; Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD vom 13. September 2005) § 17 Abs. 3 S. 2; DB 2011, 825
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