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Arbeitsrecht
01.07.2010
Arbeitsrecht
LAG Berlin-Brandenburg: Kein Windhundprinzip bei Einigungsstelle

LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4.6.2010 - 6 TaBV 901/10

Leitsatz

Für die Bestellung des Vorsitzenden einer Einigungsstelle kommt es nicht darauf an, welcher Beteiligte seinen Vorschlag zuerst gemacht oder bei Gericht angebracht hat. Vielmehr ist auch dann, wenn keine konkreten Einwendungen gegen den Kandidaten der jeweiligen Gegenseite vorgebracht werden, regelmäßig ein Dritter zu bestellen (gegen LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.01.2010 - 10 TaBV 2829/09)

Sachverhalt

1. Das Arbeitsgericht Berlin hat auf den Widerantrag des Betriebsrats den Richter am Arbeitsgericht a. D. V. R. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Fälligkeit der Vergütung" im gemeinsamen Betrieb der Arbeitgeberinnen eingesetzt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zwar erfülle auch die von den Arbeitgeberinnen in ihrem Antrag vorgeschlagene Professorin Dr. Ch. B. die Voraussetzungen für eine Bestellung zur Einigungsstellenvorsitzenden. Ihren Wunsch, keinen aktiv oder früher in der Berliner Arbeitsgerichtsbarkeit tätig gewesenen Richter einzusetzen, hätten die Arbeitgeberinnen jedoch nicht näher begründet. Da sonach gegen keinen der beiden Vorgeschlagenen sachliche Argumente vorgebracht worden seien, sei die zuerst benannte Person zu bestimmen gewesen. Dafür könne es nicht darauf ankommen, dass die Arbeitgeberinnen den Betriebsrat „überholt" hätten, indem sie am letzten Tag der ihnen vom Betriebsrat gesetzten Frist einen entsprechenden Antrag bei Gericht angebracht hätten. Vielmehr sei entscheidend, dass der Betriebsrat seinen Vorschlag bereits zuvor unterbreitet gehabt habe.

Gegen diesen ihnen am 21. April 2010 zugestellten Beschluss richtet sich die bereits am 19. April 2010 eingelegte und am 29. April 2010 weiter begründete Beschwerde der Arbeitgeberinnen. Sie betonen, dass ihnen allgemein an einem Einigungsstellenvorsitzenden mit örtlicher Distanz zu den konkreten Betriebsparteien gelegen sei, und meinen unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg, dass grundsätzlich die im Einsetzungsantrag genannte Person zu bestimmen sei, sofern nicht Tatsachen gegen deren Eignung vorgebracht würden.

Die Arbeitgeberinnen beantragen,

unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Frau Prof. Dr. Ch. B. zur Vorsitzenden der Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand Entscheidung über die Regelungs- und Rechtsstreitigkeiten betreffend eine Betriebsvereinbarung zur Fälligkeit der Vergütung nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG bei ihnen zu bestellen.

Der Betriebsrat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er verweist darauf, dass auch in dem durch die herangezogene Entscheidung beendeten Verfahren vor dem LAG Berlin-Brandenburg der Betriebsrat zuerst eine Person für den Vorsitz der Einigungsstelle benannt habe. Da es der Arbeitgeber im Hinblick auf seine Kostentragungspflicht immer in der Hand habe, die Position des Antragstellers im Beschlussverfahren zu besetzen, stelle sich das sog. Windhundprinzip tatsächlich als Arbeitgeberprinzip dar. Daher sei richtigerweise darauf abzustellen, welche Betriebspartei der anderen zuerst einen Vorsitzenden vorgeschlagen habe, sofern gegen diesen keine rechtlichen Bedenken bestünden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten, wird auf den Tatbestand des angefochtenen Beschlusses und die in der Beschwerdeinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Aus den Gründen

2. Die gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 ArbGG fristgemäß und formgerecht eingelegte und begründete Beschwerde der Arbeitgeberinnen ist nur teilweise sachlich begründet.

Die Zuständigkeit der zu bildenden Einigungsstelle stand außer Streit ( § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ). Zu den bereits im erstinstanzlichen Antrag der Arbeitgeberinnen erwähnten „Rechtsstreitigkeiten" als Gegenstand einer Betriebsvereinbarung haben diese auch mit der Beschwerde nichts vorgebracht.

2.1 Da sich die Beteiligten nicht auf die Person des Vorsitzenden haben einigen können, war dieser gerichtlich zu bestellen ( § 76 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ).

2.1.1 Eine Bindung an den Vorschlag eines der Beteiligten entsprechend § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ( zu dessen Geltung im Beschlussverfahren BAG, Beschluss vom 13.06.1989 - 1 ABR 4/88 - BAGE 62, 100 = AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 36 zu B I 1 der Gründe ) besteht im Bestellungsverfahren nicht. Dem stehen der Wortlaut des § 76 Abs. 2 Satz 2 BetrVG und der Zweck der Regelung entgegen, die fehlende Einigung der Betriebsparteien auf eine der wechselseitig vorgeschlagenen Personen durch autoritativen Spruch des Gerichts zu ersetzen. Damit wird dem jeweiligen Antragsteller nichts zugesprochen, was dieser nicht beantragt hat, sondern kraft gesetzlicher Ermächtigung gestaltend in die Rechtsbeziehung der Beteiligten eingegriffen ( vgl. Tschöpe NZA 2004, 945, 946 ).

Deshalb kann es auch nicht darauf ankommen, welche Seite nach dem sog. Windhundprinzip zuerst einen Einsetzungsantrag bei Gericht angebracht oder etwa schon bei den vorangegangenen Verhandlungen einen personellen Vorschlag unterbreitet hat. Dies muss selbst dann gelten, wenn die Gegenseite keine konkreten Bedenken gegen die vorgeschlagene Person geltend gemacht hat ( LAG Berlin, Beschluss vom 22.10.2004 - 6 TaBV 1824/04 und 1951/04 - zu 2.1.2.1 der Gründe; a. A. LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.01.2010 - 10 TaBV 2829/09 - zu II 4 der Gründe ). Denn die Vorschläge beider Seiten sind Ausdruck besonderen Vertrauens, das zugleich für die jeweils andere Seite einen entsprechenden Vorbehalt gegen die vorgeschlagene Person zu begründen pflegt, den es zu respektieren gilt. Nur so lässt sich die erforderliche Akzeptanz eines notfalls stimmberechtigten Verhandlungsführers erreichen, dessen vornehmliche Aufgabe darin besteht, eine Einigung herbeizuführen ( LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 04.09.2002 - 4 TaBV 8/02 - AP ArbGG 1979 § 98 Nr. 13 zu II.2.2.2. der Gründe ), und eine unnötige Belastung des nachfolgenden Verfahrens vor der Einigungsstelle vermeiden ( LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15.05.2009 - 9 TaBV 10/09 - juris zu II der Gründe ). Damit wird zugleich einer sonst zu befürchtenden Diskreditierung der Kandidaten beider Seiten vorgebeugt ( Tschöpe NZA 2004, 945, 947 ). Diesen Aspekten Rechnung zu tragen, erscheint vordringlicher, als einem latenten Vorwurf der Pfründenwirtschaft innerhalb der Richterschaft im Wege wechselseitiger Einsetzungen ( so Bauer NZA 1992, 433 f. ) Rechnung tragen zu wollen.

2.1.2 Aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation und ihrer Erfahrung als Vorsitzende zahlreicher Einigungsstellen erschien die Ernennung der früheren Richterin am Arbeitsgericht S. B., die während ihrer richterlichen Tätigkeit nie mit Verfahren der beiden Arbeitgeberinnen befasst gewesen war, sachgerecht. Konkrete Einwendungen gegen ihre Person sind im Anhörungstermin von keiner Seite vorgebracht worden. Dem Wunsch der Arbeitgeberinnen, keinem derzeitigen oder früheren Richter aus der Berliner Arbeitsgerichtsbarkeit den Vorsitz zu übertragen, kam in dieser Allgemeinheit keine rechtliche Bedeutung zu.

2.2 Einer Kostenentscheidung bedurfte es nicht, weil im Beschlussverfahren gemäß §§ 2 Abs. 2 GKG, § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG Kosten nicht erhoben werden ( vgl. BAG, Beschluss vom 30.10.1972 - 1 ABR 7/71 - BAGE 24,459 = AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 7 zu C der Gründe ).

3. Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben ( § 98 Abs. 2 Satz 4 ArbGG ).

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