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Arbeitsrecht
11.09.2025
Arbeitsrecht
BAG: Kein „Verzicht“ auf den gesetzlichen Mindesturlaub durch Prozessvergleich

BAG, Urteil vom 3.6.2025 – 9 AZR 104/24

ECLI:DE:BAG:2025:030625.U.9AZR104.24.0

Volltext: BB-Online BBL2025-2163-3

Orientierungssätze

1. Nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG darf der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht durch Rechtsgeschäft ausgeschlossen oder beschränkt werden. Dies gilt auch dann, wenn das noch bestehende Arbeitsverhältnis durch gerichtlichen (Abfindungs-)Vergleich vollständig „bereinigt“ werden soll (Rn. 19).

2. Im laufenden Arbeitsverhältnis kann der Arbeitnehmer auch nicht über den erst künftig – mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses – entstehenden Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs disponieren. Dies ist selbst dann ausgeschlossen, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits feststeht und absehbar ist, dass der Arbeitnehmer bis dahin seinen Urlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht wird in Anspruch nehmen können (Rn. 23).

3. Demgegenüber steht § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG Vergleichen über die tatsächlichen Voraussetzungen des Urlaubs(abgeltungs)anspruchs nicht entgegen, weil sich die Parteien darin nicht über den rechtlichen Wegfall einer Forderung, sondern über das Bestehen der anspruchsrelevanten Voraussetzungen verständigen. Ein zulässiger Tatsachenvergleich setzt jedoch voraus, dass die Parteien eine tatsächlich bestehende Unsicherheit durch gegenseitiges Nachgeben ausräumen (Rn. 26).

4. Allein aus einer gegen § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG verstoßenden „Verzichtserklärung“ in einem gerichtlichen Vergleich entsteht noch nicht der für den Einwand widersprüchlichen Verhaltens erforderliche Vertrauenstatbestand, der Arbeitnehmer werde später die Unwirksamkeit seiner Erklärung nicht mehr geltend machen und keine Urlaubsabgeltung verlangen (Rn. 32).

 

▄Leitsatz

Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann ein Arbeitnehmer nicht – auch nicht durch gerichtlichen Vergleich – auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub verzichten. Dies gilt auch dann, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses feststeht und absehbar ist, dass der Arbeitnehmer bis dahin seinen Urlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht wird in Anspruch nehmen können.

Sachverhalt

1            Die Parteien streiten über die Abgeltung gesetzlichen Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023.

2            Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. Januar 2019 bis zum 30. April 2023 als Betriebsleiter zu einem Bruttomonatsgehalt iHv. zuletzt 5.000,00 Euro beschäftigt. Sein arbeitsvertraglicher Anspruch auf Jahresurlaub betrug 30 Tage. Die Parteien verständigten sich in einem gerichtlichen Vergleich vom 31. März 2023 auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. April 2023. Bis zum vereinbarten Beendigungstermin war der Kläger im Kalenderjahr 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.

3            Im Rahmen der dem Vergleichsschluss vorausgehenden Korrespondenz hatte sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 28. März 2023 an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten gerichtet. Darin heißt es ua.:         

„Im Übrigen nehme ich wie folgt Stellung: Insbesondere auf den gesetzlichen Mindesturlaub kann nicht wirksam verzichtet werden. Im Zuge einer Gesamteinigung ist mein Mandant bereit, nur die Abgeltung des Mindesturlaubs 2023 von sieben Tagen zu berücksichtigen. Aus den Vorjahren wären ansonsten noch nicht gewährte Urlaubstage in beträchtlicher Höhe abzugelten.“

4            Hierauf erwiderte dieser mit Schreiben vom selben Tag auszugsweise wie folgt:         

„Den weitergehenden Zahlungsforderungen Ihres Auftraggebers wird unsere Mandantin vor dem Hintergrund des bereits sehr entgegenkommenden Angebots der Abfindungszahlung nicht nachkommen. Wir stellen hiermit klar, dass es über die bereits gemachten Zugeständnisse hinaus kein weiteres Entgegenkommen unserer Mandantin geben wird. Es handelt sich bei dem nachfolgenden Angebot um ein finales Vergleichsangebot. Sollte das nachfolgende Vergleichsangebot nicht angenommen werden, sehen wir die Einigungsversuche als gescheitert an.“

5            Der dem Schreiben beigefügte Vergleichsvorschlag enthielt ua. folgende Regelungen:           

„1.     Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher Kündigung der E GmbH aus betrieblichem Anlass zum 30.04.2023 endet.

…      

4. Herr H ist verpflichtet, etwaiges noch bei ihm befindliches Arbeitsmaterial an die E GmbH unverzüglich, spätestens innerhalb von 7 Werktagen, zurückzugeben; insbesondere Schlüssel, Apple Laptop, alle (auch elektronischen) Firmenunterlagen.

5. Herr H wird unverzüglich alle Firmendaten der E GmbH, insbesondere Daten von Kunden und Vertragspartnern der E GmbH von seinen privaten Endgeräten, E-Mail-Account(s) etc. vollständig löschen.

6. Herr H ist verpflichtet, alle sich noch in den Betriebsräumen befindlichen und ihm gehörenden Gegenstände (zum Beispiel zwei Regale und ein Kühlschrank) unverzüglich, spätestens innerhalb von sieben Werktagen, abzuholen oder abholen zu lassen.

7. Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.

8. Die E GmbH zahlt an Herrn H für den Verlust des Arbeitsplatzes in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG eine Abfindung in Höhe von 2 Bruttomonatsgehältern, also insgesamt 10.000,00 € brutto.

9. Die Parteien sind sich darüber einig, dass über die hier geregelten Ansprüche hinaus weitere Ansprüche aus oder in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis, gleich aus welchem Rechtsgrund, nicht mehr gegeneinander bestehen.“

6            Mit Schreiben vom 29. März 2023 teilte die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, dieser sei mit dem Vergleichsvorschlag einverstanden, wies aber zugleich „an dieser Stelle auf die erheblichen Bedenken meines Mandanten im Hinblick auf den Vergleichsschluss und die diesseitig, zuletzt mit Schreiben vom 28.03.2023, geäußerte Rechtsauffassung hin…“. Nachdem sie den Vergleichstext bei Gericht eingereicht und die Beklagte diesem zugestimmt hatte, stellte das Arbeitsgericht gemäß § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen des Vergleichs mit Beschluss vom 31. März 2023 fest.

7            Mit Schreiben vom 17. Mai 2023 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 31. Mai 2023 erfolglos auf, die noch offenen sieben Tage gesetzlichen Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023 mit einem Betrag iHv. 1.615,11 Euro (7 x 230,73 Euro) abzugelten.

8            Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der in dem gerichtlichen Vergleich geregelte Verzicht auf den unabdingbaren Mindesturlaub sei unwirksam. Deshalb könne er Urlaubsabgeltung beanspruchen. Die Geltendmachung sei ihm nicht unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens verwehrt. Schließlich habe er vor Vergleichsschluss explizit auf die Unabdingbarkeit des gesetzlichen Mindesturlaubs hingewiesen.

9            Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.615,11 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2023 zu zahlen.

10          Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und den Standpunkt eingenommen, mit dem Vergleich vom 31. März 2023 seien gesetzliche und übergesetzliche Urlaubs(abgeltungs)ansprüche erledigt. Mit der Regelung in Ziffer 7 des Vergleichs, ohne die sie auf den Vergleich nicht eingegangen wäre, hätten die Parteien Unklarheiten über die dem Kläger insgesamt zustehenden Urlaubstage ausräumen wollen. Aufgrund der langen Fehlzeiten des Klägers bis ins Jahr 2023 hinein sei sein Urlaubsanspruch nicht eindeutig zu bestimmen gewesen. Ungeachtet dessen sei ein Anspruchsverzicht auch über Urlaubsabgeltungsansprüche zulässig, wenn – wie vorliegend – das Ende des Arbeitsverhältnisses verbindlich feststehe. Sofern der Kläger entgegen der im Vergleich getroffenen Vereinbarung die Abgeltung von Urlaub verlange, sei ihm jedenfalls der Einwand treuwidrigen Verhaltens nach § 242 BGB entgegenzuhalten.

11          Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Aus den Gründen

12        Die Revision ist ganz überwiegend unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Recht zurückgewiesen, soweit das Arbeitsgericht sie verurteilt hat, an den Kläger Urlaubsabgeltung iHv. 1.615,11 Euro brutto zu zahlen. Abweichend vom Berufungsurteil ist die Hauptforderung jedoch nicht bereits ab dem 1. Mai 2023, sondern erst ab dem 1. Juni 2023 zu verzinsen.

 

13        I. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Forderung des Klägers auf Abgeltung seines nicht erfüllten Teilurlaubsanspruchs aus dem Jahr 2023 gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG begründet ist.

 

14        1. Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG ist Urlaub abzugelten, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Darunter ist dessen rechtliche Beendigung zu verstehen (BAG 16. April 2024 – 9 AZR 165/23 – Rn. 9).

 

15        2. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. April 2023 hatte der Kläger gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG Anspruch auf Teilurlaub iHv. sieben Arbeitstagen als gesetzlichen Mindesturlaub für das Jahr 2023 (20 Arbeitstage/Jahr geteilt durch zwölf Monate multipliziert mit vier Kalendermonaten, aufgerundet gemäß § 5 Abs. 2 BUrlG).

 

16        a) Der Entstehung des (Teil-)Urlaubsanspruchs stand die bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durchgehend anhaltende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht entgegen. Arbeitnehmer, die wegen einer Krankschreibung während des Bezugszeitraums der Arbeit ferngeblieben sind, und solche, die während dieses Zeitraums tatsächlich gearbeitet haben, sind hinsichtlich Entstehung und Berechnung des Urlaubsanspruchs gleichgestellt (EuGH 4. Oktober 2018 – C-12/17 – [Dicu] Rn. 29; BAG 5. Dezember 2023 – 9 AZR 364/22 – Rn. 19, BAGE 182, 219). Daran ändert auch die durch Ziffer 4 bis 6 des Vergleichs vom 31. März 2023 begründete Verpflichtung des Klägers nichts, unverzüglich bei ihm befindliches Arbeitsmaterial zurückzugeben, Firmendaten von seinen privaten Endgeräten zu löschen und seine Privatgegenstände aus den Betriebsräumen der Beklagten zu entfernen. Diese Regelungen lassen für sich gesehen keinen Rückschluss darauf zu, dass die Parteien eine von der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers unabhängige, separate Befreiung von der Arbeitspflicht vereinbart werden sollte, die eine Verminderung des Urlaubsanspruchs zur Folge haben könnte (vgl. BAG 30. November 2021 – 9 AZR 225/21 – Rn. 9 ff., BAGE 176, 251). Begleitumstände, die auf einen dahingehenden Parteiwillen schließen lassen, sind weder festgestellt noch dargelegt.

 

17        b) Der Anspruch des Klägers auf den (gesetzlichen) Teilurlaub aus dem Jahr 2023 ist – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat – nicht durch Ziffer 7 des Vergleichs vom 31. März 2023 erloschen. Die darin getroffene Vereinbarung, dass Urlaubsansprüche in natura gewährt seien, regelt einen nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG unzulässigen Ausschluss des gesetzlichen Mindesturlaubs für das Jahr 2023 und ist insoweit gemäß § 134 BGB unwirksam. Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann ein Arbeitnehmer auch durch gerichtlichen Vergleich nicht über seinen gesetzlichen Mindesturlaub verfügen (vgl. dagegen zur grundsätzlich zulässigen rechtsgeschäftlichen Einschränkung des bereits entstandenen Anspruchs auf Urlaubsabgeltung BAG 14. Mai 2013 – 9 AZR 844/11 – Rn. 12 ff., BAGE 145, 107).

 

18        aa) Nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG kann, abgesehen von § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG, von den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Die Vorschrift dient dem Schutz des Arbeitnehmers. Sie stellt sicher, dass der Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub hat. Ferner sichert die Bestimmung den Anspruch des Arbeitnehmers auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs, den der Arbeitgeber wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewähren kann. Der gesetzliche Schutzzweck würde verfehlt, wenn der Anspruch auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung während des Arbeitsverhältnisses durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien ausgeschlossen oder beschränkt werden könnte (BAG 19. Februar 2019 – 9 AZR 278/16 – Rn. 17; 14. Mai 2013 – 9 AZR 844/11 – Rn. 13, BAGE 145, 107).

 

19        bb) Der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub darf auch dann nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden, wenn das noch bestehende Arbeitsverhältnis durch gerichtlichen (Abfindungs-)Vergleich vollständig „bereinigt“ werden soll (vgl. Bayreuther/Kiel/Zimmermann/Bayreuther 3. Aufl. BUrlG § 1 Rn. 16; NK-ArbR/Düwell 2. Aufl. BUrlG § 13 Rn. 6; zu einer Ausgleichsklausel BAG 19. Februar 2019 – 9 AZR 278/16 – Rn. 17; 14. Mai 2013 – 9 AZR 844/11 – Rn. 13, BAGE 145, 107).

 

20        (1) Zu den abweichenden Vereinbarungen der Vertragsparteien iSv. § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG zählen Erlassverträge nach § 397 Abs. 1 BGB und konstitutive negative Schuldanerkenntnisse nach § 397 Abs. 2 BGB, durch die bereits entstandene Ansprüche auf den gesetzlichen Mindesturlaub im bestehenden Arbeitsverhältnis ausgeschlossen oder eingeschränkt werden sollen. Ein Erlassvertrag ist anzunehmen, wenn die Parteien vom Bestehen einer bestimmten Schuld ausgehen, diese aber übereinstimmend nicht mehr erfüllt werden soll. Ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis liegt vor, wenn der Wille der Parteien darauf gerichtet ist, alle oder eine bestimmte Gruppe von bekannten oder unbekannten Ansprüchen zum Erlöschen zu bringen. Demgegenüber ist lediglich ein deklaratorisches negatives Schuldanerkenntnis anzunehmen, wenn die Parteien nur die von ihnen angenommene Rechtslage eindeutig dokumentieren und damit fixieren wollen. Ein solches Anerkenntnis hindert den Gläubiger nicht, Ansprüche gegenüber dem Schuldner geltend zu machen, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass ihm ungeachtet der abgegebenen Erklärung Ansprüche zustehen (st. Rspr., vgl. BAG 31. Januar 2023 – 9 AZR 456/20 – Rn. 53 mwN; BAGE 180, 130).

 

21        (2) Im bestehenden Arbeitsverhältnis können die Parteien über einen Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub nicht wirksam durch Erlassvertrag oder konstitutives negatives Schuldanerkenntnis verfügen. § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG ist nach Maßgabe von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtline; ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9) unionsrechtskonform auszulegen. Nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG darf der bezahlte Mindestjahresurlaub außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden. Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann der Arbeitnehmer somit nicht gegen und erst recht nicht ohne finanziellen Ausgleich auf den gesetzlichen Mindesturlaub „verzichten“ (vgl. EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 33; vgl. ferner EuGH 18. Januar 2024 – C-218/22 – [Comune di Copertino] Rn. 30 mwN).

 

22        (3) Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG – ebenso wie § 7 Abs. 4 BUrlG – auf die rechtliche und nicht lediglich auf die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab. Erst mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfällt das Verbot, den gesetzlichen Mindesturlaub abzugelten (vgl. BAG 22. Januar 2019 – 9 AZR 149/17 – Rn. 37). Mit dem Begriff „Arbeitsverhältnis“ werden zusammenfassend die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezeichnet, die regelmäßig durch einen Arbeitsvertrag begründet werden. Das Arbeitsverhältnis endet iSv. § 7 Abs. 4 BUrlG daher erst mit der Beendigung des Arbeitsvertrags (BAG 16. Oktober 2012 – 9 AZR 234/11 – Rn. 19).

 

23        (4) Im laufenden Arbeitsverhältnis kann der Arbeitnehmer selbst dann nicht über einen erst künftig – mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses – entstehenden Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs disponieren, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits feststeht (vgl. ohne nähere Begründung BAG 19. Februar 2019 – 9 AZR 278/16 – Rn. 17; aA LAG Berlin-Brandenburg 19. Februar 2016 – 8 Sa 1923/15 – zu II 1 der Gründe; LAG Köln 8. November 2012 – 7 Sa 767/12 – zu II 5 b cc der Gründe).

 

24        (a) Ein Verzicht über den (noch nicht entstandenen) Abgeltungsanspruch setzt eine Verständigung der Arbeitsvertragsparteien voraus, dass noch nicht erfüllte Mindesturlaubsansprüche bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in Anspruch genommen werden. Mit diesem Inhalt widerspräche die Abrede dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, der ua. darin besteht, zu gewährleisten, dass der Arbeitnehmer zum wirksamen Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit über eine tatsächliche Ruhezeit verfügt (vgl. EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 42; 6. April 2006 – C-124/05 – [Federatie Nederlandse Vakbeweging] Rn. 32).

 

25        (b) Eine Disposition der Parteien vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlaubt das Gesetz auch nicht ausnahmsweise, wenn sich im Zeitpunkt des Vergleichs konkret abzeichnet oder bereits feststeht, dass der Arbeitnehmer seinen gesetzlichen Mindesturlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht in Anspruch nehmen kann. Im bestehenden Arbeitsverhältnis können Urlaubsansprüche vor Ablauf eines Zeitraums von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres nicht erlöschen, wenn der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert war (vgl. ausf. BAG 20. Dezember 2022 – 9 AZR 401/19 – Rn. 16 ff., BAGE 179, 361). Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie steht einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegen, nach denen dem Arbeitnehmer am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub gezahlt wird, wenn es ihm nicht möglich war, den gesamten bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, der ihm vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses zustand, weil er zB während des gesamten Bezugs- und/oder Übertragungszeitraums oder eines Teils arbeitsunfähig erkrankt war (EuGH 25. Juni 2020 – C-762/18 und C-37/19 – [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 85; 6. November 2018 – C-619/16 – [Kreuziger] Rn. 32 mwN). Damit ist kein Raum für einen Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

 

26        cc) Anders als Erlassverträgen und negativen Schuldanerkenntnissen (§ 397 BGB) steht § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG Vergleichen über die tatsächlichen Voraussetzungen des Urlaubs(abgeltungs)anspruchs nicht entgegen (BAG 20. Januar 1998 – 9 AZR 812/96 – zu II 1 der Gründe). In einem zulässigen Tatsachenvergleich einigen sich die Parteien nicht über den rechtlichen Wegfall einer Forderung, sondern über das Bestehen der anspruchsrelevanten Voraussetzungen, indem sie darüber tatsächlich bestehende Unsicherheit durch gegenseitiges Nachgeben ausräumen (vgl. BAG 8. Dezember 2022 – 6 AZR 459/21 – Rn. 35, BAGE 179, 319; 12. Februar 2014 – 4 AZR 317/12 – Rn. 19, BAGE 147, 199; 9. Dezember 2009 – 10 AZR 850/08 – Rn. 41; 5. November 1997 – 4 AZR 682/95 – zu I 2.2.1 der Gründe mwN). Bestand jedoch zwischen den Arbeitsvertragsparteien bei Vertragsschluss kein Streit im Tatsächlichen über Urlaubsansprüche, die von der Vereinbarung erfasst werden, besteht kein Raum für einen Tatsachenvergleich (vgl. BAG 20. Januar 1998 – 9 AZR 812/96 – aaO).

 

27        dd) Nach diesen Rechtsgrundsätzen hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, dass die Vereinbarung der Parteien unter Ziffer 7 des Vergleichs, Urlaubsansprüche des Klägers seien in natura gewährt worden, gegen § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG verstößt und deshalb gemäß § 134 BGB unwirksam ist. Der Kläger hat durch konstitutives negatives Schuldanerkenntnis iSv. § 397 Abs. 2 BGB im noch laufenden Arbeitsverhältnis auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub verzichtet. Die Regelung enthält keinen Tatsachenvergleich, auf den § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG nicht anzuwenden wäre. Ziffer 7 des Vergleichs zielt darauf ab, sämtliche Urlaubsansprüche zum Erlöschen zu bringen. Davon erfasst ist der streitgegenständliche Anspruch des Klägers auf Teilurlaub aus dem Jahr 2023. Bei den – während der Vergleichsverhandlungen anwaltlich vertretenen – Parteien konnten keine ernsten Zweifel über das Bestehen des Urlaubsanspruchs des Klägers für das Jahr 2023 aufkommen. Der Kläger war zumindest seit Anfang des Jahres durchgehend krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Nach den getroffenen Feststellungen stand fest, dass er den Urlaub im laufenden Arbeitsverhältnis nicht mehr in Anspruch nehmen konnte. Deshalb bestand bei Abschluss des Vergleichs von vornherein kein Raum für eine Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen des streitgegenständlichen Urlaubsanspruchs, der durch einen Tatsachenvergleich hätte ausgeräumt werden können.

 

28        c) Der Anspruch des Klägers auf Teilurlaub aus dem Jahr 2023 ist auch nicht aufgrund der in Ziffer 9 des Vergleichs geregelten Ausgleichsklausel erloschen. Soweit diese die speziell in Ziffer 7 des Vergleichs geregelten Urlaubsansprüche überhaupt erfasst, steht deren Erlöschen aus den vorgenannten Gründen ebenfalls § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG entgegen.

 

29        3. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler erkannt, dass es dem Kläger nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt ist, von der Beklagten unter Hinweis auf Unwirksamkeit des Anspruchsausschlusses die Abgeltung seines Teilurlaubs aus dem Jahr 2023 zu verlangen. Die Beklagte durfte nicht auf den Bestand der – auch für sie – offensichtlich rechtswidrigen Regelung vertrauen.

 

30        a) Aus § 242 BGB folgt ua. der Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“). Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung (BAG 19. März 2019 – 9 AZR 881/16 – Rn. 19). Die Rechtsordnung verbietet allerdings nicht jedes widersprüchliche Verhalten. Widersprüchliches Verhalten ist nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BAG 8. März 2022 – 3 AZR 420/21 – Rn. 46).

 

31        b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es sei nicht treuwidrig, dass sich der Kläger auf die Unwirksamkeit des Anspruchsausschlusses berufe, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat das Vorliegen eines besonderen Vertrauenstatbestands zu Recht verneint.

 

32        aa) Zwar hat sich der Kläger widersprüchlich verhalten, indem er einerseits dem Vergleich einschließlich seiner Ziffer 7 zugestimmt und andererseits die Abgeltung seines Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023 verlangt hat. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch zutreffend erkannt, dass allein aus der gegen § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG verstoßenden „Verzichtserklärung“ für die Beklagte noch kein Vertrauenstatbestand entstehen konnte, der Kläger werde später die Unwirksamkeit seiner Erklärung nicht mehr geltend machen (vgl. BAG 12. Februar 2014 – 4 AZR 317/12 – Rn. 28, BAGE 147, 199).

 

33        bb) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Annahme, es lägen keine weiteren Umstände vor, die geeignet sein könnten, ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten zu begründen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat im Rahmen der Vergleichsverhandlungen in ihrem Schreiben vom 28. März 2023 ausdrücklich und in der Sache zutreffend darauf hingewiesen, dass auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht wirksam verzichtet werden könne, und eine dies berücksichtigende Regelung in ihren Vergleichsvorschlag aufgenommen. Selbst als sie dem später vom Arbeitsgericht nach § 278 Abs. 6 ZPO festgestellten Vergleichstext gegenüber dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit Schreiben vom 29. März 2023 zugestimmt hat, geschah dies ausdrücklich unter Hinweis auf ihre zuvor geäußerte Rechtsauffassung. Vor diesem Hintergrund konnte bei der Beklagten weder besonderes Vertrauen hinsichtlich der Wirksamkeit der Vergleichsregelung in Ziffer 7 noch dahingehend aufkommen, der Kläger werde nicht mehr die Abgeltung seines ihm für das Jahr 2023 zustehenden – erklärtermaßen unabdingbaren – gesetzlichen Mindesturlaubs verlangen.

 

34        II. Das angefochtene Urteil hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand, soweit das Landesarbeitsgericht dem Kläger Zinsen bereits ab dem 1. Mai 2023 zugesprochen hat.

 

35        1. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Abgeltung des nicht erfüllten Urlaubs entsteht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird zu diesem Zeitpunkt fällig. § 7 Abs. 4 BUrlG enthält jedoch keine Bestimmung einer Leistungszeit iSd. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB (BAG 20. August 2024 – 9 AZR 226/23 – Rn. 28 mwN).

 

36        2. Der Kläger kann danach erst ab dem 1. Juni 2023 Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB iVm. § 187 Abs. 1 BGB beanspruchen. Er hat die Beklagte erstmals mit Schreiben vom 17. Mai 2023 unter Fristsetzung bis zum 31. Mai 2023 zur Zahlung der streitgegenständlichen Urlaubsabgeltung aufgefordert. Erst nach Ablauf dieser Frist trat Verzug ein.

 

37        III. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO. Obwohl die Klage hinsichtlich der Verzugszinsen teilweise abgewiesen worden ist, waren der Beklagten gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, da es sich insoweit lediglich um eine verhältnismäßig geringfügige Zuvielforderung handelt.

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