LAG Nürnberg: Karrenzentschädigung als Masseforderung
LAG Nürnberg, Urteil vom 1.10.2014 – 4 Sa 273/14
Amtlicher Leitsatz
Bei dem Anspruch auf Karenzentschädigung handelt es sich jedenfalls dann um keine Masseforderung gem. § 55 InsO , wenn der Insolvenzverwalter nicht auf der Einhaltung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes besteht sondern mit der vorzeitigen Freistellung des Arbeitnehmers zum Ausdruck bringt, dass dieser über seine Arbeitskraft frei verfügen kann.
Sachverhalt
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Zahlung einer Karenzentschädigung.
Der am 09.03.1968 geborene Kläger war ab dem 01.12.1995 bei dem Besucherring Dr. O... als Geschäftsstellenleiter beschäftigt und bezog zuletzt ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von EUR 3.399,73.
Über das Vermögen der Arbeitgeberin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Wiesbaden vom 30.06.2012 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.
Dieser kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31.10.2012.
Der Kläger begehrt mit seiner am 05.10.2012 beim Arbeitsgericht Nürnberg eingereichten Klage vom 02.10.2012 die Abrechnung und Zahlung der Gewinnbeteiligung für die Jahre 2011 und 2012. Im Wege der Klageerweiterung beantragt der Kläger die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung und die Zahlung einer Karenzentschädigung in Höhe von EUR 13.598,88 brutto zuzüglich von Zinsen.
Aufgrund der Säumnis des Beklagten im Verhandlungstermin vom 09.10.2013 erwirkte der Kläger gegen den Beklagten folgendes Versäumnisurteil:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an Eides Statt zu versichern, dass er im Rahmen der Abrechnung über die Gewinnbeteiligung 2011 die Einnahmen nach bestem Wissen so vollständig angegeben hat, als er dazu im Stande ist.
2. Der Beklagte wird verurteilt, die sich aus den Abrechnungen auf Basis von mindestens 30.000,-- € brutto ergebenden Nettobeträge an den Kläger auszubezahlen.
3. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 13.598,88 brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 2.266,48 € brutto seit 03.12.2012, 02.01.2013, 01.02.2013, 01.03.2013, 01.04.2013 und 02.05.2013 zu bezahlen.
4. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 44.598,88 € festgesetzt.
Die Prozessbevollmächtigten des Beklagten haben gegen das ihnen am 11.10.2013 zugestellte Versäumnisurteil mit Telefax vom selben Tag Einspruch eingelegt.
Wegen der Anträge der Parteien und ihres näheren Vorbringens im erstinstanzlichen Verfahren wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit Endurteil vom 19.02.2014 das Versäumnisurteil in Ziffer 1 aufrechterhalten und im Übrigen das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 17.03.2014 zugestellte Urteil hat dieser mit dem am 14.04.2014 beim Landesarbeitsgericht Nürnberg eingegangenen Schriftsatz vom 11.04.2014 Berufung eingelegt und sie mit Schriftsatz vom 08.05.2014, beim Landesarbeitsgericht Nürnberg eingegangen am 12.05.2014, begründet.
Der Kläger meint, das Erstgericht habe dem geltend gemachten Anspruch auf die Karenzentschädigung zu Unrecht nicht die Eigenschaft einer Masseverbindlichkeit zugesprochen.
Er sei nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 30.06.2012 noch bis zu seiner Freistellung mit Schreiben vom 04.09.2012 (Kopie Bl. 73 d.A.) tatsächlich weiterbeschäftigt worden. Letztendlich sei der geltend gemachte Entschädigungsanspruch aus der Weiterbeschäftigung nach der Insolvenzeröffnung erwachsen. Die Karenzentschädigung werde für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.10.2012 geschuldet. Somit liege ein Anspruch vor, dessen Erfüllung für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen müsse.
Aufgrund einer entsprechenden Regelung in Ziffer 5 des Arbeitsvertrages vom 06.01.2012 sei wegen des vereinbarten vertraglichen Wettbewerbsverbotes eine Karenzentschädigung in Höhe von 2/3 der Monatsvergütung geschuldet. Für die Zeit von November 2012 bis April 2013 ergebe dies den geltend gemachten Gesamtbetrag von EUR 13.598,88 brutto. Eine Entlassung aus dem vertraglich vereinbarten Wettbewerbsverbots sei nicht erfolgt und ein etwaiger konkludenter Verzicht durch die Freistellung nicht möglich. Zudem sei der gesamte Freistellungszeitraum durch nicht verbrauchte Urlaubstage und ein vorhandenes Gutstundenkonto abgedeckt gewesen. Ab seiner Fälligkeit sei der Hauptsachebetrag zu verzinsen.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt:
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 19.02.2014, Az.: 2 Ca 5760/12, wird abgeändert und der Beklagte über das hinsichtlich der Ziffer 1 aufrechterhaltene Versäumnisurteil vom 09.10.2013 hinaus verurteilt, an den Kläger € 13.598,88 brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils € 2.266,48 seit 03.12.2012, 02.01.2013, 01.02.2013, 01.03.2013, 01.04.2013 und 02.05.2013 zu bezahlen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom19.02.2014, Az. 2 Ca 5760/12, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger und Berufungskläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Zur Begründung trägt er vor, das Arbeitsgericht habe zu Recht erkannt, dass die vom Kläger verfolgten Ansprüche keine Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 55 InsO darstellen. Hierbei sei auf den Zeitpunkt der Entstehung der Forderung abzustellen und nicht danach, wann die Verbindlichkeit zeitlich erfüllt werden müsse. Ferner habe der Kläger den Anspruch bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrages vom 06.01.2002 erworben. Dies habe auch der Bundesgerichtshof bereits so entschieden.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.
Aus den Gründen
I. Die Berufung ist zulässig.
Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1 , Abs. 2 b ArbGG , und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 , 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG , 519 , 520 ZPO .
II. Die Berufung ist sachlich nicht begründet.
Das Erstgericht hat die Zahlungsklage zu Recht abgewiesen, da es sich bei dem Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Karenzentschädigung für ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nicht um eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO handelt, sondern um eine bloße Insolvenzforderung.
Es kann insoweit vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen im Ersturteil verwiesen und von einer rein wiederholenden Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.
Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen sind nur noch folgende ergänzende Ausführungen veranlasst:
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss.
Die Regelung stellt sicher, dass der Gläubiger, der noch voll zur Masse leisten muss, auch die volle Gegenleistung erhält und die Masse nicht auf seine Kosten bereichert wird. Soweit Arbeitsverhältnisse betroffen sind, beruht die Vorschrift auf dem Grundgedanken, dass der Arbeitnehmer, der trotz Insolvenz seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringen muss, im Gegenzug auch seine vertraglich vereinbarten Ansprüche behalten soll. Unter § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO fallen daher alle Lohn- und Gehaltsansprüche, die aus der Beschäftigung von Arbeitnehmern nach der Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter erwachsen, sowie alle sonstigen Ansprüche, die sich aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ergeben. Maßgeblich ist, ob die geltend gemachten Ansprüche vor oder nach der Verfahrenseröffnung entstanden sind, wobei nicht auf die Fälligkeit, sondern auf den Zeitpunkt des Entstehens der Forderung abzustellen ist (so BAG vom 14.11.2012 - 10 AZR 793/11 - NZA 2013, 273 , 274; vom 21.02.2013 - 6 AZR 406/11 - NZA 2013, 743, 745 f.).
2. Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch um keine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO .
Die Karenzentschädigung für die Zeit nach dem 31.10.2012 stellt keine Forderung dar, die in einem synallagmatischen Zusammenhang mit der Arbeitsleistung des Klägers nach der Insolvenzeröffnung am 30.06.2012 steht.
Es handelt sich auch um keinen sonstigen Anspruch, der sich aus dem bloßen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ergibt, denn hierunter fallen solche Leistungsansprüche mit Entgeltcharakter, die in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zu der zugunsten der Masse erbrachten Leistung des Gläubigers stehen.
Kommt dagegen der Masse die Leistung eines Gläubigers nicht zugute, handelt es sich um eine bloße Insolvenzforderung.
Danach würde es sich bei einer Karenzentschädigung nur dann um eine Masseverbindlichkeit handeln, wenn der Insolvenzverwalter zugunsten der Masse sein Wahlrecht gemäß § 103 Abs. 2 InsO ausgeübt und dem Kläger gegenüber auf die Einhaltung des Wettbewerbsverbots ausdrücklich bestanden hätte (vgl. hierzu FK- InsO , 6. Aufl., § 113 Rz. 107 ff.; BGH vom 08.10.2009 - IX ZR 61/06 - mit Anmerkung Cranshaw).
Dass der Beklagte von dem Kläger die Einhaltung des im Arbeitsvertrag vereinbarten Wettbewerbsverbotes nach Insolvenzeröffnung gefordert und insoweit von seinem Wahlrecht gemäß § 103 Abs. 2 InsO Gebrauch gemacht hätte, wird von dem Kläger nicht behauptet.
Vielmehr spricht der Umstand der vorzeitigen Freistellung von der Arbeitsverpflichtung mit Schreiben vom 04.09.2012 (Kopie Bl. 73 d.A.) dafür, der Kläger werde vorzeitig von jedweder Leistungserbringung befreit und könne über seine Arbeitskraft anderweitig verfügen. Dies wird im letzten Absatz des Schreibens vom 04.09.2012 ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, wenn der Kläger dort aufgefordert wird, bei einer anderweitigen Beschäftigung während der Freistellung und vor Ablauf der Kündigungsfrist Mitteilung zu machen, und er darauf hingewiesen wird, dass eine Anrechnung anderweitigen Verdienstes stattfindet.
Hierin ist ein Verzicht auf die Einhaltung des Wettbewerbsverbots nach Ablauf der Kündigungsfrist zu sehen, denn der Kläger konnte davon ausgehen, ab dem Zeitpunkt seiner Freistellung in der Verwertung seiner Arbeitsleistung wieder gänzlich frei zu sein.
Wenn hierdurch auf ein vertragliches Wettbewerbsverbot gem. § 60 HGB verzichtet wird (vgl. BAG vom 06.09.2006 - 5 AZR 703/05 - NZA 2007, 36 , 38), gilt dies aus der Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers, § 133 BGB , erst recht für ein vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot i.R.d. § 74 HGB .
III. 1. Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO .
2. Dem Rechtsstreit wird im Hinblick auf die Voraussetzungen für eine Einordnung der Karenzentschädigung als Masseforderung grundsätzliche Bedeutung beigemessen, § 72 Abs. 2 , Satz 1 ArbGG .