BAG: Jahresprämie – Regelungskompetenz des Betriebsrats
BAG, Urteil vom 9.11.2021 – 1 AZR 206/20
ECLI:DE:BAG:2021:091121.U.1AZR206.20.0
Volltext: BB-Online BBL2022-307-1
Orientierungssätze
1. Eine Stufenklage iSv. § 254 ZPO ist unzulässig, wenn die Auskunft nicht dem Zweck einer Bestimmbarkeit des Leistungsanspruchs dient, sondern dem Kläger sonstige, hier mit nicht in Zusammenhang stehende Informationen über seine Rechtsverfolgung verschaffen soll (Rn. 13).
2. Eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, die für die Gewährung einer Jahresprämie lediglich Vorgaben für die Ermittlung eines unternehmensweiten Gesamtbudgets vorsieht, welches vom Arbeitgeber an allein den (beiden) Betrieben des Unternehmens beschäftigten anspruchsberechtigten Arbeitnehmer – unter Berücksichtigung deren jeweiliger Bewertung – zu verteilen ist, ist mangels Regelungskompetenz der örtlichen Betriebsräte unwirksam (Rn. 18 ff.).
3. Ein für die Umdeutung einer unwirksamen Betriebsvereinbarung entsprechend § 140 BGB in eine Gesamtzusage erforderlicher hypothetischer Wille des Arbeitgebers, sich unabhängig von der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung auf Dauer einzelvertraglich zu binden, kann nur in Ausnahmefällen angenommen werden. Ein solcher Rechtsbindungswille muss sich aus außerhalb der Betriebsvereinbarung liegenden Umständen ergeben (Rn. 26)
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Jahresprämie für das Jahr 2018.
Der Kläger war vom 1. Februar 2012 bis zum 30. November 2018 bei der Beklagten beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lag zuletzt ein Arbeitsvertrag vom 24. Januar 2012 zugrunde, der in § 3 („Bezüge“) ua. vorsieht:
„Variable Vergütungsbestandteile werden in einer Zusatzvereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien geregelt. Jegliche Vereinbarung bedarf der Schriftform.
…
Weiteres ist in den jeweils gültigen Betriebsvereinbarungen geregelt.“
Die Beklagte unterhält neben ihrem Betrieb in B, in dem der Kläger tätig war, einen weiteren Betrieb in D. In beiden sind Betriebsräte gewählt. Zudem ist ein Gesamtbetriebsrat errichtet.
Am 2. Februar 2007 schloss die – damals noch anders firmierende – Beklagte mit beiden Betriebsräten die Betriebsvereinbarung „Einkommen“ (BV Einkommen). Diese lautet auszugsweise:
„§ 1 Zweck der Vereinbarung
Diese Betriebsvereinbarung regelt die Bewertung und die Entlohnung der Mitarbeiter. …
§ 2 Geltungsbereich
Diese Vereinbarung gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der P im Sinne des BetrVG, wie sie in der Rahmenbetriebsvereinbarung für das neue Regelwerk der P benannt sind.
…
§ 5 Jahresprämie
Die Jahresprämie dient dazu, den flexiblen Anteil des Einkommens zu erhöhen und die Mitarbeiter am Erfolg des Unternehmens zu beteiligen.
Mit dem Plan definiert das Management folgende Eckzahlen für die Jahresprämie des nächsten Geschäftsjahres:
a) geplantes operatives Ergebnis
b) die geplante Jahresprämie, die mindestens 10 % des geplanten operativen Ergebnisses beträgt
Diese Kennzahlen werden den Mitarbeitern nach Freigabe des Plans mitgeteilt.
Die auszuzahlende Jahresprämie wird wie folgt ermittelt:
Das operative Ist-Ergebnis des Geschäftsjahres wird durch das geplante operative Ergebnis geteilt. Dieser Faktor wird mit der geplanten Jahresprämie multipliziert. Eine Ausschüttung wird nur dann vorgenommen, wenn ein Betrag in Höhe von 500 € für jeden anspruchsberechtigten vollzeitbeschäftigten Mitarbeiter (bei Teilzeit entsprechend anteilig) zur Verfügung steht.
Es wird maximal die 2fache geplante Jahresprämie ‚b)‘ und es werden höchstens in Summe 3 Monatsgrundgehälter aller Mitarbeiter ausgezahlt.
Die Mitarbeiter erhalten bei einer Ausschüttung einen Mindestbetrag in Höhe von 500 € brutto pro Vollzeitbeschäftigten. Die Verteilung erfolgt proportional zu der im Bewertungszeitraum erbrachten Arbeitszeit (Teilzeit, Erziehungsurlaub). In begründeten Ausnahmefällen können einzelne Mitarbeiter davon ausgenommen werden.
Beträge, die über 500 € hinausgehen, werden vom Management vergeben und orientieren sich an der Bewertung der Mitarbeiter gemäß § 5.
Mitarbeiter, die eine Zielvereinbarung abgeschlossen haben, die auch für den Unternehmenserfolg der P eine Zahlung vorsieht, sowie Vertriebsmitarbeiter mit einer Provisionsvereinbarung erhalten keine Jahresprämie.
Die Auszahlung der Prämie erfolgt spätestens im Juli des Folgejahres. Mitarbeiter, die bis einschließlich zum 01.01. des folgenden Geschäftsjahres aus dem Unternehmen ausscheiden, erhalten keine Prämie.“
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BV Einkommen hat jeder Mitarbeiter jährlich Anspruch auf mindestens ein Bewertungsgespräch; dessen Ergebnis dient als „Orientierung für … [die] Jahresprämie“ (§ 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 4 BV Einkommen). § 7 BV Einkommen regelt ein „Verfahren zur … Vergabe der Jahresprämie“.
Nachdem das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten aufgrund einer Eigenkündigung zum 30. November 2018 endete, gewährte diese ihm für das Geschäftsjahr 2018 keine Jahresprämie.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe auch für dieses Geschäftsjahr eine anteilige Jahresprämie auf Grundlage der BV Einkommen zu. Diese sei wirksam; lediglich die in ihrem § 5 Abs. 2 Unterabs. 7 Satz 2 vorgesehene Stichtagsregelung sei wegen einer über das Geschäftsjahr hinausgehenden Bindungswirkung nichtig. Jedenfalls folge ein entsprechender Anspruch aus § 3 seines Arbeitsvertrags, zumindest aber aus einer Gesamtzusage, in die die BV Einkommen im Fall ihrer Unwirksamkeit umzudeuten sei, bzw. aus einer – durch die jahrelange Zahlung einer Jahresprämie – bei der Beklagten begründeten betrieblichen Übung.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, ihm über das von ihr für das Geschäftsjahr 2018 geplante operative Ergebnis, das von ihr im Geschäftsjahr 2018 erzielte operative Ist-Ergebnis, über die von ihr für das Geschäftsjahr 2018 geplante Jahresprämie und über seine persönliche Leistungsbewertung für das Geschäftsjahr 2018 Auskunft zu erteilen;
2. die Beklagte nach Erteilung der unter Nr. 1 begehrten Auskunft zu verurteilen, an ihn die sich für den Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis einschließlich 30. November 2018 ergebende Jahresprämie nach § 5 der Betriebsvereinbarung „Einkommen“ der P GmbH vom 2. Februar 2007 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
hilfsweise für den Fall, dass der Auskunftsanspruch bereits erfüllt wurde,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis einschließlich 30. November 2018 eine anteilige Jahresprämie nach § 5 der Betriebsvereinbarung „Einkommen“ der P GmbH vom 2. Februar 2007 iHv. 14.224,21 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. April 2019 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Aus den Gründen
11 Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass seine Berufung gegen die klageabweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts zurückzuweisen ist. Die zulässigen Klageanträge zu 1. und 2. sind unbegründet. Da dem Kläger kein Anspruch auf Zahlung einer anteiligen Jahresprämie für das Geschäftsjahr 2018 gegen die Beklagte zusteht, konnte der Senat über beide Anträge einheitlich entscheiden. Über den Hilfsantrag war mangels Bedingungseintritts nicht zu befinden.
12 I. Die mit den Klageanträgen zu 1. und 2. angebrachte Stufenklage ist zulässig.
13 1. Nach § 254 ZPO kann mit der Klage auf Rechnungslegung, auf Vorlegung eines Vermögensverzeichnisses oder auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung eine Klage auf Herausgabe desjenigen verbunden werden, was der Beklagte aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis schuldet. Bei der Stufenklage wird ein der Höhe oder dem Gegenstand nach noch unbekannter und daher entgegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO noch nicht zu beziffernder Leistungsanspruch zugleich mit den zu seiner Konkretisierung erforderlichen Hilfsansprüchen auf Auskunft und ggf. Richtigkeitsversicherung erhoben. Dabei muss die in der ersten Stufe verlangte Auskunft dem Zweck dienen, einen bestimmten Leistungsantrag im Klageweg verfolgen zu können; unzulässig ist eine Stufenklage, wenn die Auskunft überhaupt nicht dem Zweck einer Bestimmbarkeit des Leistungsanspruchs dient, sondern dem Kläger sonstige, hiermit nicht in Zusammenhang stehende Informationen über seine Rechtsverfolgung verschaffen soll. Dient die Auskunft hingegen dazu, den Leistungsantrag nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmen zu können, kann sie – über den Gesetzeswortlaut von § 254 ZPO hinaus – Informationsansprüche jeglicher Art erfassen. Der Begriff der Rechnungslegung iSd. § 254 ZPO erfasst alle Auskünfte, die zur Anbringung eines bezifferten Zahlungsantrags erforderlich sind (vgl. ausf. BAG 28. August 2019 – 5 AZR 425/18 – Rn. 17 – 20 mwN, BAGE 167, 349). Hierbei genügt es, dass lediglich ein Teil der benötigten Informationen im Wege der Auskunftsklage zu erlangen ist. In der ersten Stufe müssen daher nicht zwingend sämtliche Informationen zu erlangen sein, die für die Bezifferung des in einer weiteren Stufe verfolgten Leistungsbegehrens notwendig sind (vgl. BAG 28. August 2019 – 5 AZR 425/18 – Rn. 29, aaO; BGH 6. April 2016 – VIII ZR 143/15 – Rn. 14, BGHZ 209, 358).
14 2. Gemessen hieran ist die vorliegende Stufenklage zulässig. Die vom Kläger begehrten Auskünfte beziehen sich – soweit sie unternehmensbezogen sind – auf Faktoren, die nach der BV Einkommen entscheidend dafür sind, ob den anspruchsberechtigten Mitarbeitern überhaupt eine Jahresprämie für das Geschäftsjahr zu zahlen ist. Zudem beeinflussen alle verlangten Daten zumindest mittelbar auch die Höhe einer dem einzelnen Arbeitnehmer zu gewährenden Jahresprämie. Nach § 5 Abs. 2 Unterabs. 1 und Unterabs. 2 Satz 1 und 2 BV Einkommen ist die auszuzahlende Jahresprämie zu ermitteln, indem das operative Ist-Ergebnis des Geschäftsjahres durch das geplante operative Ergebnis geteilt und der sich hieraus ergebende Faktor mit der geplanten Jahresprämie multipliziert wird. Der sich danach ergebende Betrag darf nach § 5 Abs. 2 Unterabs. 3 BV Einkommen höchstens die zweifache geplante Jahresprämie und in Summe drei Monatsgrundgehälter aller Mitarbeiter im Unternehmen nicht überschreiten. Die Bemessungsfaktoren, deren Mitteilung der Kläger erstrebt, sind damit nicht nur bedeutsam für die Frage, ob der für eine Auszahlung erforderliche Mindestbetrag iHv. 500,00 Euro (bei Vollzeitbeschäftigung) für jeden anspruchsberechtigten Mitarbeiter zur Verfügung steht (vgl. § 5 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 3 BV Einkommen). Vielmehr ist, wie die Formulierungen in § 5 Abs. 2 Unterabs. 1 („auszuzahlende“), Unterabs. 2 Satz 3 („Ausschüttung wird nur dann vorgenommen“) und Unterabs. 3 BV Einkommen („Es wird … ausgezahlt“) zeigen, mit ihrer Hilfe auch festgelegt, welche Summe die Beklagte insgesamt für das jeweilige Geschäftsjahr an alle jahresprämienberechtigten Mitarbeiter im Unternehmen (vgl. § 5 Abs. 2 Unterabs. 6 BV Einkommen) auszuschütten hat. Deren Höhe beeinflusst wiederum mittelbar die Beträge, die – über den in § 5 Abs. 2 Unterabs. 4 Satz 1 BV Einkommen vorgesehenen Mindestbetrag von 500,00 Euro hinaus – vom Management nach § 5 Abs. 2 Unterabs. 5 BV Einkommen an die einzelnen Arbeitnehmer vergeben werden können. Da sich die Festsetzung des jeweiligen Betrags an der nach § 7 Abs. 2 Buchst. a BV Einkommen vom Personalverantwortlichen vorzunehmenden Bewertung der Mitarbeiter zu „orientieren“ hat (vgl. § 5 Abs. 2 Unterabs. 5 iVm. § 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 4 BV Einkommen), bildet auch das Ergebnis einer solchen Leistungsbewertung einen für die Höhe der individuellen Jahresprämie wesentlichen Umstand.
15 II. Die Stufenklage ist insgesamt unbegründet.
16 1. Zwar darf das Gericht im Fall einer Stufenklage grundsätzlich zunächst nur über den Auskunftsanspruch verhandeln und durch Teilurteil hierüber entscheiden; erst nach dessen Rechtskraft ist eine Verhandlung und Entscheidung über den in der nächsten Stufe verfolgten Anspruch zulässig. Ausnahmsweise kommt aber eine einheitliche Entscheidung über die mehreren in einer Stufenklage verbundenen Klageanträge in Betracht, wenn schon die Prüfung des Auskunftsanspruchs ergibt, dass dem Hauptanspruch die materiell-rechtliche Grundlage fehlt (vgl. BGH 16. Juni 2010 – VIII ZR 62/09 – Rn. 24; 28. November 2001 – VIII ZR 37/01 – zu II 4 der Gründe).
17 2. Danach war der Senat berechtigt, nicht nur über den mit dem Klageantrag zu 1. verfolgten Auskunftsanspruch, sondern auch über das mit dem Klageantrag zu 2. angebrachte Leistungsbegehren zu entscheiden. Denn die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger eine (anteilige) Jahresprämie für das Geschäftsjahr 2018 zu zahlen.
18 a) Ein hierauf gerichteter Anspruch des Klägers ergibt sich nicht aus § 5 BV Einkommen. Die Norm ist unwirksam. Den örtlichen Betriebsräten – die die BV Einkommen mit der Beklagten geschlossen haben – fehlte es an der hierfür erforderlichen Regelungskompetenz.
19 aa) Zwar verfügt der Betriebsrat innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Grenzen (§ 77 Abs. 3, § 75 BetrVG) grundsätzlich über eine umfassende Regelungskompetenz hinsichtlich aller betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen sowie des Inhalts, des Abschlusses und der Beendigung von Arbeitsverhältnissen (vgl. etwa BAG 28. Juli 2020 – 1 ABR 41/18 – Rn. 15, BAGE 171, 340). Allerdings muss der jeweilige Regelungsgegenstand seiner sachlich-funktionellen Zuständigkeit unterliegen. Dies setzt voraus, dass er sich auf den Betrieb und auf die Interessen der vom Betriebsrat repräsentierten Arbeitnehmer bezieht (vgl. BAG 14. März 2012 – 7 AZR 147/11 – Rn. 40). Für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können, ist hingegen nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG der Gesamtbetriebsrat zuständig.
20 bb) Diese Grenze wird bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Jahresprämie in § 5 BV Einkommen nicht gewahrt. Die Betriebsparteien haben nicht festgelegt, wie sich die Höhe einer an die einzelnen Arbeitnehmer des jeweiligen Betriebs für das Geschäftsjahr zu zahlenden Jahresprämie errechnet, sondern in § 5 Abs. 2 BV Einkommen lediglich Vorgaben für die Ermittlung eines unternehmensweiten Gesamtbudgets vereinbart, welches von der Beklagten an alle im Unternehmen beschäftigten anspruchsberechtigten Arbeitnehmer – unter Berücksichtigung deren jeweiliger Bewertung – auszuschütten ist. Auch die Maßgaben für die erforderliche Mindestdotierung dieses Budgets (vgl. § 5 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 3 BV Einkommen) und die Festlegungen zu seiner Begrenzung (vgl. § 5 Abs. 2 Unterabs. 3 BV Einkommen) knüpfen an die im gesamten Unternehmen – und nicht an die in den einzelnen Betrieben – beschäftigten Arbeitnehmer an. Eine – wie auch immer geartete – betriebsbezogene Aufteilung des danach insgesamt für das Geschäftsjahr zur Auszahlung anstehenden Betrags, der nach § 5 Abs. 2 Unterabs. 5 BV Einkommen vom Management anhand von Leistungsgesichtspunkten an die einzelnen Arbeitnehmer zu verteilen ist, sofern diese jeweils mehr als 500,00 Euro erhalten sollen, sieht § 5 BV Einkommen nicht vor. Für eine solche ausschließlich unternehmensbezogene Ausgestaltung der von der Beklagten an ihre Arbeitnehmer auszukehrenden Jahresprämie besitzen die örtlichen Betriebsräte keine Regelungskompetenz.
21 cc) Eine mitbestimmungsrechtliche Schutzlücke entsteht hierdurch nicht. Nach § 50 Abs. 1 BetrVG ist die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats gegeben, wenn für die zu regelnden Angelegenheiten ein zwingendes Erfordernis für eine betriebsübergreifende Regelung besteht. Entgegen der Annahme des Klägers kann ein solches Erfordernis dabei auch auf der „subjektiven Unmöglichkeit“ einer betrieblichen Regelung beruhen. Eine solche wird angenommen, wenn eine auf die einzelnen Betriebe beschränkte Regelung deshalb nicht möglich ist, weil der Arbeitgeber den der Mitbestimmung unterfallenden Regelungsgegenstand mitbestimmungsfrei so vorgegeben hat, dass eine Regelung nur betriebsübergreifend erfolgen kann (vgl. BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 454/06 – Rn. 23, BAGE 123, 152; 10. Oktober 2006 – 1 ABR 59/05 – Rn. 18). Da es sich bei der Jahresprämie um eine freiwillige Leistung der Beklagten handelt, kann sie – ohne Zustimmung des Betriebsrats – frei darüber befinden, ob überhaupt, in welcher Höhe und an welchen Empfängerkreis sie diese Leistung zu erbringen bereit ist. Damit steht es zugleich in ihrer Macht, die Ebene vorzugeben, auf der die Mitbestimmung bei der Verteilung der Leistung zu erfolgen hat (vgl. BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 454/06 – aaO). Sollte die Beklagte – wofür sowohl §§ 1, 2 BV Einkommen als auch der Inhalt von § 5 BV Einkommen sprechen – die Jahresprämie grundsätzlich nur einheitlich allen Arbeitnehmern im Unternehmen (mit Ausnahme der in § 5 Abs. 2 Unterabs. 6 BV Einkommen genannten) gewähren wollen, wäre für den Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung daher der Gesamtbetriebsrat zuständig.
22 dd) Der Einwand des Klägers, die BV Einkommen sei von Vertretern genau derjenigen Gremien geschlossen worden, deren Mitglieder auch dem Gesamtbetriebsrat angehören, verfängt nicht. Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat sind verschiedene Gremien, deren Errichtung und Zusammensetzung sich unterscheiden. Daher spielt es keine Rolle, ob – wie vom Kläger vorgebracht – der Gesamtbetriebsrat die BV Einkommen inhaltsidentisch abgeschlossen hätte.
23 ee) Der Beklagten ist es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“) nicht verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit von § 5 BV Einkommen zu berufen. Ein widersprüchliches Verhalten der Beklagten liegt bereits deshalb nicht vor, weil ihr – wie der Kläger selbst vorgebracht hat – die Unwirksamkeit der Norm bei ihrem Vollzug nicht bekannt war. Der bloße Umstand, dass der Kläger ebenfalls keine Zweifel an deren Wirksamkeit hatte, hat nicht zur Folge, dass dieser aus Gründen des Vertrauensschutzes normative Rechtswirkung zukommen könnte.
24 b) Der Kläger hat auch keinen vertraglichen Anspruch auf Zahlung der Jahresprämie.
25 aa) Ein solcher folgt entgegen der Ansicht der Revision nicht aus einer im Zusammenhang mit einer Umdeutung der BV Einkommen anzunehmenden Gesamtzusage.
26 (1) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es nicht ausgeschlossen, eine unwirksame Betriebsvereinbarung entsprechend § 140 BGB in eine Gesamtzusage umzudeuten. Bezugsobjekt einer solchen Umdeutung bildet dabei nicht die Betriebsvereinbarung selbst; denn bei dieser handelt es sich um einen auf die Setzung objektiven Rechts abzielenden Normenvertrag der Betriebsparteien (vgl. BAG 28. Juli 2020 – 1 ABR 4/19 – Rn. 14, BAGE 171, 347) und damit um ein kollektivrechtliches Gestaltungsmittel. Anknüpfungspunkt kann vielmehr nur die auf ihren Abschluss gerichtete Erklärung des Arbeitgebers sein (vgl. BAG 24. Januar 1996 – 1 AZR 597/95 – zu II 2 der Gründe, BAGE 82, 89). Die Umdeutung einer solchen Erklärung in eine vertragliche Zusage erfordert allerdings besondere Umstände, die die Annahme rechtfertigen, der Arbeitgeber habe sich unabhängig von der Betriebsvereinbarung auf jeden Fall verpflichten wollen, seinen Arbeitnehmern die in dieser vorgesehenen Leistungen zu gewähren. Hierbei ist vor allem zu berücksichtigen, dass sich der Arbeitgeber von einer Betriebsvereinbarung durch Kündigung nach § 77 Abs. 5 BetrVG ohne Grund jederzeit lösen kann. Eine Änderung der Arbeitsverträge – zu deren Inhalt eine Gesamtzusage wird – kann hingegen nur im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer oder durch – gerichtlich überprüfbare – Änderungskündigung erfolgen. Auch die typischerweise vorliegende Betriebsvereinbarungsoffenheit einer Gesamtzusage (vgl. BAG 30. Januar 2019 – 5 AZR 450/17 – Rn. 60, BAGE 165, 168) ermöglicht es dem Arbeitgeber nicht, sich von dieser einseitig zu lösen. Ein hypothetischer Wille des Arbeitgebers, sich unabhängig von der Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung auf Dauer einzelvertraglich zu binden, kann daher nur in Ausnahmefällen angenommen werden. Ein solcher Rechtsbindungswille kann vor allem nicht aus den in der Betriebsvereinbarung selbst getroffenen Regelungen abgeleitet werden. Er muss sich aus außerhalb der Betriebsvereinbarung liegenden Umständen ergeben und auf einen von der Betriebsvereinbarung losgelösten Verpflichtungswillen des Arbeitgebers gegenüber allen oder einer Gruppe von Arbeitnehmern gerichtet sein (vgl. BAG 23. Januar 2018 – 1 AZR 65/17 – Rn. 27, BAGE 161, 305).
27 (2) Danach scheidet vorliegend eine vertragliche Geltung der in § 5 BV Einkommen geregelten Jahresprämie aufgrund einer entsprechenden Umdeutung aus. Der Umstand, dass die Beklagte in der Vergangenheit Jahresprämien gewährt hat, lässt nicht den Schluss darauf zu, dass sie sich – unabhängig von der Wirksamkeit des § 5 BV Einkommen – zu deren Zahlung verpflichten wollte. Ebenso wenig vermögen die vom Kläger herangezogene Präambel der BV Einkommen sowie die Regelung in § 5 Abs. 1 Unterabs. 1 einen auf die Beklagte bezogenen Rechtsbindungswillen zu belegen, der Belegschaft gegenüber entsprechende Leistungen selbst für den Fall zu versprechen, dass diese nicht (wirksam) mit den Betriebsräten ausgestaltet sind. Die Präambel lässt, wie die gesamte BV Einkommen, allenfalls Rückschlüsse auf einen gemeinsamen Erklärungs- oder Regelungswillen der (drei) Betriebsparteien zu. Auch der bloße Umstand, dass die Beklagte ihr „Bonusprogramm“ intern „beworben“ hat, deutet nicht auf einen von der Geltung des § 5 BV Einkommen losgelösten Rechtsbindungswillen hin. Vielmehr lassen die von der Beklagten geschlossenen Arbeitsverträge, die – nach dem Vorbringen des Klägers – Regelungen enthalten, die § 3 seines Vertrags entsprechen, erkennen, dass sie gerade nicht willens war, sich – ungeachtet einer normativen Regelung – vertraglich zur Zahlung einer Jahresprämie zu verpflichten. Denn die vertragliche Klausel bezieht sich für weitere Einzelheiten ausdrücklich auf die „jeweils gültigen Betriebsvereinbarungen“.
28 bb) Der Kläger kann einen Anspruch auf Zahlung einer Jahresprämie auch nicht auf § 3 seines Arbeitsvertrags stützen. Dieser enthält keine abschließenden Vorgaben für deren Zahlung. Die Gewährung variabler Vergütungsbestandteile erfordert danach eine – von den Parteien nicht geschlossene – Zusatzvereinbarung der Arbeitsvertragsparteien. Soweit § 3 des Arbeitsvertrags auf die „jeweils gültigen Betriebsvereinbarungen“ hinweist, handelt es sich – wie typischerweise – lediglich um eine deklaratorische Bestimmung (vgl. BAG 13. März 2012 – 1 AZR 659/10 – Rn. 15), mit der klargestellt wird, dass die nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend geltenden Betriebsvereinbarungen auch für das Arbeitsverhältnis des Klägers gelten. Selbst wenn dieser Klausel eine weitergehende Bedeutung zukäme, ergäbe sich nichts anderes. Die vertragliche Regelung verweist lediglich auf die „jeweils gültigen“ Betriebsvereinbarungen. Hierin liegt keine Inbezugnahme des mangels Regelungskompetenz der örtlichen Betriebsräte unwirksamen § 5 BV Einkommen.
29 cc) Ein Anspruch aus betrieblicher Übung besteht ebenfalls nicht.
30 (1) Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Ein Anspruch aus betrieblicher Übung entsteht nicht, wenn eine andere kollektiv- oder individualrechtliche Anspruchsgrundlage für die Gewährung der Vergünstigung besteht oder sich der Arbeitgeber irrtümlich zur Leistungserbringung verpflichtet glaubte. Hat der Arbeitgeber die Leistungen für den Arbeitnehmer erkennbar aufgrund einer anderen und sei es auch tatsächlich nicht bestehenden Rechtspflicht erbringen wollen, kann der Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, ihm solle eine Leistung auf Dauer unabhängig von dieser Rechtspflicht gewährt werden (vgl. BAG 18. März 2020 – 5 AZR 36/19 – Rn. 52 mwN, BAGE 170, 172).
31 (2) Danach scheidet eine betriebliche Übung aus. Die Beklagte hat die Jahresprämien – für den Kläger erkennbar – in der Vergangenheit aufgrund von § 5 BV Einkommen gewährt. Der Kläger macht insoweit selbst geltend, die Beklagte sei von dessen Wirksamkeit ausgegangen.
32 III. Über den Hilfsantrag hatte der Senat nicht zu befinden, da dieser nur dann zur Entscheidung anfallen sollte, wenn der Auskunftsanspruch als erfüllt angesehen wird. Diese Bedingung ist nicht eingetreten.
33 IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.