LAG Berlin-Brandenburg: Hilfsantrag auf vorläufige Beschäftigung
LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.8.2015 – 17 Ta 6045/15
Volltext: BB-Online BBL2015-2291-2
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Amtlicher Leitsatz
Einigen sich die Parteien in einem Kündigungsrechtsstreit auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, ist der ebenfalls rechtshängige Hilfsantrag auf vorläufigeBeschäftigung nicht zu bewerten.
Aus den Gründen
Die Beschwerde ist nur zum Teil begründet.
1. Das Arbeitsgericht hat die im Wege des unechten Hilfsantrags verfolgte Klage auf vorläufige Beschäftigung zu Recht nicht bewertet; der Streitwert beträgt daher – wie vom Arbeitsgericht festgesetzt – 11.400,00 EUR.
a) Wird der Rechtsanwalt in einem gerichtlichen Verfahren tätig, in dem sich die Gerichtsgebühren nach dem Wert der Angelegenheit richten, bestimmt sich der Gegenstandswert zum Zwecke der anwaltlichen Gebührenberechnung nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften (§ 23 Abs. 1 RVG). Für Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen gelten die Bestimmungen des Gerichtskostengesetzes (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 GKG). Ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch, der nicht den gleichen Gegenstand wie der Hauptantrag betrifft, wird daher bei der Wertberechnung mit dem Hauptantrag zusammengerechnet, wenn über ihn eine gerichtliche Entscheidung ergeht oder die Parteien ihn in einem gerichtlichen Vergleich erledigen (§ 45 Abs. 1 Satz 2, 3, Abs. 4 GKG). Fehlt eine derartige Entscheidung bzw. vergleichsweise Regelung, bleibt der Hilfsantrag für die Berechnung der Gerichtsgebühren außer Betracht.
b) Es ist in der Rechtsprechung und Literatur allerdings umstritten, ob ein Hilfsantrag gleichwohl zur Berechnung der anwaltlichen Vergütung berücksichtigt werden kann, wenn über ihn - z.B. infolge einer Klagerücknahme - keine gerichtliche Entscheidung ergangen ist bzw. er keine vergleichsweise Regelung erfahren hat. Nach einer Auffassung stimmen in einem derartigen Fall gerichtliche und anwaltliche Tätigkeit nicht überein; die Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren sei daher insoweit ohne Belang (LAG Nürnberg, MDR 2005, 120; LAG Köln, NZ- RR 2002, 437 f., GK-Wenzel, § 12, Rn. 88 m.w.N.). Die gegenteilige Auffassung lehnt demgegenüber eine Bewertung des Hilfsantrages nach §§ 23 Abs. 1 RVG, 45 Abs. 1, 4 GKG ab (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.03.2011 – 17 Ta (Kost) 6029/11; Beschluss vom 08.11.2007 – 17 Ta (Kost) 6198/07; OLG Karlsruhe, AGS 2007, 470 m.w.N.; LAG Berlin, NZA-RR 2004, 374; LAG Bremen, LAGE Nr. 18 zu § 19 GKG; Hessisches LAG, NZA 1999, 434 f.; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 21. Aufl. 2013, § 23, Rn. 14, 15; Anhang VI Rn. 268).
c) Die Beschwerdekammer folgt weiterhin der zuletzt genannten Auffassung. Die Verweisung des § 23 Abs. 1 RVG auf die Vorschriften des Gerichtskostengesetzes führt dazu, dass Hilfsanträge für die Vergütung des Anwalts erst dann von Bedeutung sind, wenn über sie entschieden worden ist oder sie durch Vergleich erledigt wurden. Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, die Tätigkeit des Anwalts und des Gerichts bezögen sich nicht auf den gleichen Gegenstand. Vielmehr muss sich das Gericht (und die beklagte Partei) mit hilfsweise gestellten Ansprüchen durchaus auseinandersetzen, auch wenn insoweit letztlich keine Entscheidung ergeht. Die gegenteilige Auffassung berücksichtigt auch nicht hinreichend, dass nicht jeder anwaltliche Arbeitsaufwand ohne weiteres zu vergüten ist. Es besteht bei der Anwendung des § 45 GKG auch kein Unterschied zwischen so genannten „echten“ und „unechten“ Hilfsanträgen. Zwar wird ein unechter Hilfsantrag nicht alternativ, sondern kumulativ zum Hauptantrag verfolgt. Dies ändert jedoch nichts daran, dass er in ein Hilfsverhältnis zum Hauptantrag gestellt worden ist; eine objektive Klagehäufung, die eine Addition der Werte beider Anträge rechtfertigen würde, liegt daher erst bei einem Obsiegen mit dem Hauptantrag vor. Es ist auch nicht erkennbar, welchen Sinn ein unechter Hilfsantrag haben soll, wenn er bei einem Unterliegen mit dem Hauptantrag nicht zu der Kosten-privilegierung des § 45 Abs. 1, 4 GKG führen würde. Bei dieser Sachlage ist es nicht gerechtfertigt, entgegen dem klaren Wortlaut der §§ 23 RVG, 45 GKG eine Bewertung des Hilfsantrags auch ohne gerichtliche Entscheidung bzw. vergleichsweise Erledigung vorzunehmen.
d) Im vorliegenden Fall ist eine Erledigung des unechten Hilfsantrags auf vorläufige Beschäftigung durch gerichtliche Entscheidung oder durch eine vergleichsweise Regelung nicht erfolgt.
aa) Die Beschwerdekammer hat allerdings bislang angenommen, bei einer vergleichsweisen Erledigung einer Kündigungsschutzklage würde auch die im Wege des unechten Hilfsantrags verfolgte Beschäftigungsklage durch Vergleich erledigt, was zur Festsetzung eines dies-bezüglichen Vergleichsmehrwerts führte (vgl. zuletzt LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.11.2014 – 17 Ta (Kost) 6115/14). Der Beschäftigungsanspruch könne nach Abschluss des Vergleichs nicht mehr geltend gemacht werden, während er zuvor – je nach Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens – ggf. hätte durchgesetzt werden können.
bb) Nach einer erneuten Überprüfung der Rechtslage hält die Beschwerdekammer unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.08.2014 – 2 AZR 871/12 (NZA 2014, 1359 f.) an dieser Rechtsauffassung nicht fest (so bereits LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.01.2015 – 17 Ta (Kost) 6137/14). Durch den Vergleich vom 27.02.2015 haben die Parteien lediglich über die Bestandsstreitigkeit in der Weise „entschieden“, dass das Arbeitsverhältnis durch die streitbefangene Kündigung enden wird. Bei einer derartigen gerichtlichen Entscheidung wäre eine Bewertung des Hilfsantrags – wie ausgeführt – nicht in Betracht gekommen; nichts anderes gilt bei einer vergleichsweisen Beendigung der Bestands-streitigkeit. Dass der Kläger eine tatsächliche Beschäftigung nicht mehr fordern kann, ist mit anderen Worten Folge des abgeschlossenen Vergleichs, weil für eine Beschäftigung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die rechtliche Grundlage fehlt; eine eigenständig zu bewertende Regelung des Beschäftigungsanspruchs liegt hingegen nicht vor.
2. Der Vergleichswert übersteigt den Streitwert um insgesamt 8.710,92 EUR.
a) Das Arbeitsgericht hat es zu Recht abgelehnt, für die in Nr. 2 des Vergleichs getroffene Freistellungsvereinbarung einen Vergleichs-mehrwert festzusetzen.
aa) Die anwaltliche Einigungsgebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 der Anlage 1 zum RVG). In den Wert eines Vergleichs sind daher die Werte aller rechtshängigen oder nichtrechtshängigen Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die mit dem Vergleich geregelt wurden. Die in einem Vergleich festgelegten Leistungspflichten rechtfertigen es hingegen für sich genommen nicht, einen Vergleichsmehrwert festzusetzen. Auch führen Forderungen, die eine Partei im Rahmen von Vergleichsverhandlungen erhebt, nur dann zu einem Vergleichsmehrwert, wenn sie sich auf ein zuvor streitiges oder ungewisses Rechtsverhältnis bezieht; es genügt mit anderen Worten nicht, dass durch die Vergleichsverhandlungen ein Rechtsverhältnis erst begründet wird bzw. begründet werden soll.
bb) Im vorliegenden Fall haben die Parteien vor Abschluss der Freistellungsvereinbarung nicht über einen Anspruch auf bzw. über ein Recht zur Freistellung gestritten. Dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers beauftragt war, Verhandlungen über eine Freistellung unter Fortzahlung der Bezüge ohne Anrechnung von Zwischenverdienst zu führen, zeigt lediglich, dass es dem Kläger im Zusammenhang mit der geführten Auseinandersetzung darum ging, ein Rechtsverhältnis zu begründen; dies genügt für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht. Die Beschwerdeführer können hiergegen nicht mit Erfolg geltend machen, ohne den begehrten Vergleichsmehrwert entginge ihnen eine Vergütung für die auftragsgemäß durchgeführten Vergleichs-verhandlungen. Denn diese Tätigkeit ist mit der Einigungsgebühr (Nr. 1000, 1003 RVG-VV) abgegolten; für einen Vergleichsmehrwert fehlt es hingegen an einer Grundlage.
b) Die Parteien haben durch die in Nr. 2 des Vergleichs getroffene Regelung einen zuvor bestehenden Streit über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger für das Jahr 2015 einen Erholungsurlaub von 28 Tagen zu gewähren, beigelegt, was unter Änderung des angefochtenen Beschlusses zur Festsetzung eines (weiteren) Vergleichsmehrwerts führt. Die Beschwerdeführer haben in der Beschwerdeinstanz vorgebracht, sie hätten vor Abschluss des Vergleichs im Auftrag des Klägers einen Urlaub von 12 Tagen für das Jahr 2014 und von 28 Tagen für das Jahr 2015 geltend gemacht; die Beklagte habe lediglich den Urlaubsanspruch für das Jahr 2014 anerkannt. Der Kläger ist diesem – nach § 572 Abs. 2 ZPO zulässigen – neuen Vorbringen nicht entgegengetreten. Danach bestand hinsichtlich des Urlaubsanspruchs 2015 ein Streit zwischen den Parteien, der durch die genannte Vergleichsregelung erledigt wurde und der mit 4.910,92 EUR (28 Tage zu je 175,39 EUR, errechnet auf der Grundlage eines Monatsbrutto-entgelts von 3.800,00 EUR x drei Monate : 65 Tage) zu bewerten ist. Hinsichtlich des Urlaubs 2014 bestand hingegen zwischen den Parteien vor Abschluss des Vergleichs weder ein Streit noch eine Ungewissheit, so dass insoweit die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts nicht in Betracht kommt.
c) Das Arbeitsgericht hat schließlich die in Nr. 4 Satz 3 des Vergleichs getroffene Zeugnisregelung zu Recht mit insgesamt 3.800,00 EUR bewertet. Nach den Empfehlungen der Streitwertkommission für die Arbeitsgerichtsbarkeit vom 09.07.2014 (NZA 2014, 745), an denen sich die Beschwerdekammer im Interesse einer einheitlichen Wertfestsetzung orientiert, ist ein in einem Rechtsstreit verfolgter Anspruch auf Erteilung eines Zwischen- und eines Endzeugnisses einheitlich mit einer Monatsvergütung zu bewerten. Dies ist insbesondere dann sachgerecht, wenn der Streit anlässlich einer Auseinandersetzung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt wird und die Zeugnisse die gleiche Leistungs- und Führungsbeurteilung enthalten sollen. Dem wird die Wertfestsetzung des Arbeitsgerichts gerecht.
d) Die für die Urlaubs- und Zeugnisregelungen festzusetzenden Vergleichsmehrwerte ergeben den sich aus dem Tenor ersichtlichen Vergleichsmehrwert, während sich der weitergehend mit der Beschwerde verfolgte Wertansatz als unberechtigt erweist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Gebühr Nr. 8614 der Anlage 1 zum GKG wurde auf die Hälfte ermäßigt, weil die Beschwerde teilweise erfolgreich war.
4. Die Entscheidung ist unanfechtbar.