LAG Nürnberg: Fortbildungsvertrag – Erstattungspflicht – Auslegung – Vertretenmüssen – Eigenkündigung
LAG Nürnberg, Urteil vom 14.8.2024 – 2 SLa 101/24
Volltext: BB-Online BBL2025-435-3
Leitsatz
Eine Klausel, wonach Fortbildungskosten bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus vom Arbeitnehmer zu vertretenden Gründen (anteilig) zu erstatten sind, kann mit Blick auf die Entscheidung des BAG vom 20.06.2023 - 1 AZR 265/22 dahin auszulegen sein, dass alle Gründe aus der Sphäre des Arbeitsnehmers die Erstattungspflicht auslösen, also auch die Eigenkündigung wegen unverschuldeter Leistungsunfähigkeit. In dieser Auslegung ist die Klausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1 iVm § 305 c Abs. 2 BGB unwirksam.
Revision wurde beim BAG am 02.10.2024 eingelegt - 9 AZR 266/24.
BGB § 305, § 305c, § 307, § 310
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Rückzahlung von Fortbildungskosten.
Die Beklagte war bei der Klägerin, die eine Pflegeeinrichtung betreibt, vom 15.10.2020 bis zum 15.09.2023 als Altenpflegerin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch eine Kündigung der Beklagten.
Unter dem 15.10.2021 schlossen die Parteien einen von der Klägerin vorformulierten Fortbildungsvertrag, der auch die Rückzahlung der Fortbildungskosten regelt (Bl.16 ff. d. A.).
Die entsprechende Bestimmung lautet (Auszug):
§ 4 Rückzahlungspflicht
(1) Die Arbeitnehmerin verpflichtet sich,
- die Brutto-Bezüge, die die Arbeitnehmerin nach § 2 während der Freistellung erhält mit Ausnahme der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung in Höhe von (81 Tagen 17,60 € 8 =) 11.981,52 EUR und
- die nach § 3 von der Arbeitgeberin übernommenen Kosten i.H.v. 3.550,40 EUR
insgesamt also 11.404,80 + 3.550,40 EUR = 14.955,20 EUR
an die Arbeitgeberin zurückzuzahlen, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb von 24 Monaten nach Beendigung der Fortbildung mit Ablegung der Abschlussprüfung (die aktuell für den 13. und 14.12.2022 vorgesehen ist) aus von der Arbeitnehmerin zu vertretenden Gründen von der Arbeitnehmerin oder der Arbeitgeberin beendet wird oder ein Aufhebungsvertrag infolge von verhaltensbedingten Pflichtverletzungen der Arbeitnehmerin geschlossen wird.
(2) Für jeden vollen Monat nach Beendigung der Fortbildung vermindert sich der Rückzahlungsbetrag um 1/24.
…
Nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte forderte die Klägerin die Beklagte zur Rückzahlung des zum Ablauf des Monats September 2023 noch offenen Restbetrags in Höhe von 9.347,- € auf. Die Beklagte leistete keine Zahlung.
Mit Klage vom 08.11.2023 hat die Klägerin daher den genannten Betrag nebst Zinsen geltend gemacht. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vortrags sowie der genauen Antragsstellung der Parteien wird auf den Tatbestand im Urteil des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Endurteil vom 11.04.2024 abgewiesen. Es hat die Ansicht vertreten, dass die Rückzahlungsklausel die Beklagte unangemessen benachteilige und daher unwirksam sei. Die Klausel knüpfe die Erstattungspflicht auch an den Ausspruch einer Eigenkündigung aus von der Beklagten zu vertretenden Gründen. Ein zu vertretender Grund im Sinne der Klausel sei gegeben, wenn der Auslöser, Anlass oder die Ursache für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich aus der Sphäre der Beklagten stamme. Damit begründe sie auch dann eine Rückzahlungspflicht der Beklagten, wenn ein Verhaltensvorwurf nicht bestehe.
Das Urteil des Arbeitsgericht ist der Klägerin am 16.04.2024 zugestellt worden. Sie legte hiergegen mit Schriftsatz vom 13.05.2024, eingegangen beim Landesarbeitsgericht am selben Tag, Berufung ein und begründete sie mit Schriftsatz vom 14.06.2024, eingegangen beim Landesarbeitsgericht am selben Tag.
Die Klägerin hält im Berufungsverfahren an ihrer Ansicht fest, sie könne von der Beklagten die (teilweise) Rückzahlung der Fortbildungskosten verlangen. Ihr Anspruch ergebe sich aus § 4 des Fortbildungsvertrags. Die Rückzahlungsklausel sei wirksam und halte insbesondere auch einer AGB-Kontrolle stand. Die Klausel umfasse nicht die Leistungsunfähigkeit der Beklagten. Mit dem Terminus „aus von der Arbeitnehmerin zu vertretenden Gründen“ seien nur solche Eigenkündigungen, die von der Arbeitnehmerin aufgrund einer eigenverantwortlichen und damit in diesem Sinne zu vertretenden Entscheidung ausgesprochen werden, erfasst. Es sei lebensfremd, anzunehmen, eine aus unverschuldeter Krankheit motivierte Eigenkündigung im Sinne eines Vertretenmüssens einem Arbeitnehmer/einer Arbeitnehmerin zuzurechnen. Die Formulierung „nicht zu vertreten“ meine damit im konkreten Einzelfall (aber wohl auch nach allgemeinem Verständnis) nicht den Fall, dass die Kündigung „aus der Sphäre“ der Arbeitnehmerin motiviert sei. Denn das sei bei einer Eigenkündigung immer der Fall. Im Übrigen sei es unzumutbar, dem Arbeitgeber ein aus der Sphäre der Arbeitnehmerin stammendes Risiko, beispielsweise die personenbedingte Eigenkündigung, zuzurechnen. Eine Fortbildung erfolge auch immer nicht nur im Unternehmensinteresse, sondern auch im Interesse der Arbeitnehmerin, dass sie auch so ihre Qualifikationen erhöhe und damit auf dem Arbeitsmarkt attraktiver werde bzw. eine höhere Vergütung anstreben könne.
Die Beklagte habe bei Abschluss des Arbeitsvertrags die Teilnahme an der Fortbildung zur Bedingung gemacht. Zudem habe sie – die Klägerin – zu jeder Zeit die Fachkraftquote und die vereinbarten Quoten für gerontopsychiatrische Fachkräfte erfüllt. Eine Fördermöglichkeit über die Agentur für Arbeit habe nicht bestanden. Die Übernahme von Fahrtkosten sei nie zugesagt geworden. Im Übrigen werde deren Höhe bestritten, weil die Beklagte mit einer Kollegin Fahrgemeinschaften gebildet habe.
Die Klägerin hat im Berufungsverfahren folgende Anträge gestellt:
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Weiden vom 11.04.24 abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.347,00 Euro nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem ewigen Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Weiden vom 11.04.2024 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Die Rückzahlungsklausel benachteilige sie als Allgemeine Geschäftsbedingung iSd. § 305 Abs. 1 BGB unangemessen. Es sei nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das Ausscheiden aufgrund einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers innerhalb der vereinbarten Bindungsfrist zu knüpfen. Die vorliegende Klausel erstrecke sich auf eine Kündigung, die ein Arbeitnehmer ausspreche, weil er unverschuldet und ohne Verursachungsbeitrag des Arbeitgebers aus Gründen in seiner Person dauerhaft nicht mehr in der Lage sei, die Qualifikation, die er mit der vom Arbeitgeber finanzierten Weiterbildung erworben habe, im Rahmen der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung zu nutzen. Mit diesem Inhalt sei die Klausel unwirksam. Der Terminus „aus von der Arbeitnehmerin zu vertretenden Gründen“ erfasse eben auch die krankheitsbedingte/personenbedingte Eigenkündigung. Die Fortbildung sei ausschließlich im Interesse der Klägerin erfolgt, um die Fachkraftquote im Betrieb erreichen zu können. Die Bindungsfrist von 24 Monaten sei unangemessen lang. Zudem habe sie – die Beklagte – nach Abschluss der Fortbildung keine Gehaltserhöhung erhalten. Schon aus Gründen der Fürsorgepflicht hätte die Klägerin mittels Förderanträgen bei der Agentur für Arbeit Kosten vermeiden oder minimieren müssen.
Hilfsweise hat die Beklagte die Aufrechnung erklärt mit Ansprüchen auf Ersatz von Fahrtkosten in Höhe von 4.617,- €, die durch die Teilnahme an der Fortbildung entstanden seien.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründung vom 14.06.2024 (Bl. 18 ff. der Berufungsakte) und auf die Berufungserwiderung vom 11.07.2024 (Bl. 26 ff. der Berufungsakte) Bezug genommen. Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
Aus den Gründen
A. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, 2 b ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.
B. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht eine Anspruchsgrundlage für die verlangte Rückzahlung der Fortbildungskosten nicht zur Verfügung. Die entsprechende vertragliche Klausel benachteiligt die Beklagte unangemessen und ist daher unwirksam. Das Landesarbeitsgericht nimmt Bezug auf die ausführliche Begründung im Urteil des Arbeitsgerichts und macht sie sich zu eigen (§ 67 Abs. 2 ArbGG). Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen sind lediglich noch folgende Ausführungen veranlasst:
I. Die im Fortbildungsvertrag enthaltenen streitgegenständlichen Klauseln unterliegen der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff BGB. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend unter Hinweis auf § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB, wonach bereits die Bestimmung zur einmaligen Verwendung der Klauseln genügen kann, begründet. Dies ist zwischen den Parteien auch nicht im Streit.
II. § 4 Abs. 1 des Fortbildungsvertrags benachteiligt die Beklagte zumindest insoweit iSd. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen, als die Klausel ihre Erstattungspflicht an den Ausspruch einer Eigenkündigung aus „von ihr zu vertretenden Gründen“ knüpft. Denn dieser Begriff kann auch so verstanden werden, dass eine Rückzahlungspflicht entstehen soll, wenn der Kündigungsgrund zwar nicht verschuldet ist, aber aus der Sphäre des Arbeitnehmers herrührt.
1. Unangemessen ist jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird. Die Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung setzt eine wechselseitige Berücksichtigung und Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen der Vertragspartner voraus. Dabei bedarf es einer umfassenden Würdigung der beiderseitigen Positionen unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Bei der Beurteilung der Unangemessenheit ist ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen. Abzuwägen sind die Interessen des Verwenders gegenüber den Interessen der typischerweise beteiligten Vertragspartner. Im Rahmen der Inhaltskontrolle sind Art und Gegenstand, Zweck und besondere Eigenart des jeweiligen Geschäfts zu berücksichtigen (BAG 23.01.2024 – 9 AZR 115/23 Rn 37).
Einzelvertragliche Vereinbarungen, nach denen sich ein Arbeitnehmer an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung zu beteiligen hat, soweit er vor Ablauf bestimmter Fristen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, sind grundsätzlich zulässig. Sie benachteiligen den Arbeitnehmer nicht generell unangemessen. Es ist jedoch nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das Ausscheiden aufgrund einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers innerhalb der vereinbarten Bindungsfrist zu knüpfen. Vielmehr muss nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens differenziert werden. Zahlungsverpflichtungen des Arbeitnehmers, die an eine von diesem ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfen, können im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstoßen. Da sie geeignet sind, das Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG einzuschränken, muss einerseits die Rückzahlungspflicht einem begründeten und billigenswerten Interesse des Arbeitgebers entsprechen und andererseits den möglichen Nachteilen für den Arbeitnehmer ein angemessener Ausgleich gegenüberstehen. Letzteres ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer mit der Ausbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung für die Rückzahlungsverpflichtung erhält. Insgesamt muss die Erstattungspflicht – auch dem Umfang nach – dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben zumutbar sein. Ist dies nicht der Fall, verbleibt es dabei, dass Verluste, die eintreten, weil Investitionen in die Aus- und Weiterbildung des Arbeitnehmers nachträglich wertlos werden, grundsätzlich der Arbeitgeber als Betriebsausgaben zu tragen hat (BAG v. 01.03.2022, 9 AZR 260/21).
2. Für die Auslegung des Fortbildungsvertrags kommt es darauf an, wie die Klauseln – ausgehend vom Vertragswortlaut – nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Die einzelne Klausel ist dabei im Kontext des Formularvertrags zu interpretieren und darf nicht aus einem ihre Beurteilung mit beeinflussenden Zusammenhang gerissen werden. Zu berücksichtigen sind dabei Regelungen, die mit der maßgeblichen Klausel in einem dem typischen und durchschnittlich aufmerksamen Vertragspartner erkennbaren Regelungszusammenhang stehen. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis können ferner der von den Parteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten sein (st. Rspr. z.B. BAG 28.06.2023 – 5 AZR 9/23 Rn 20 mwN). Bleibt nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel, geht dies gemäß § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders. Die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB setzt allerdings voraus, dass die Auslegung einer einzelnen AGB-Bestimmung mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und von diesen keines den klaren Vorzug verdient. Es müssen „erhebliche Zweifel“ an der richtigen Auslegung bestehen. Die entfernte Möglichkeit, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, genügt für die Anwendung der Bestimmung nicht (BAG a.a.O. Rn 21 mwN).
3. Danach kommen für den in § 4 des Fortbildungsvertrags verwendeten Begriff des Vertretenmüssens zwei vertretbare Auslegungsmöglichkeiten in Betracht, von denen keine den klaren Vorzug verdient.
a. Zum einen kommt eine Auslegung in Frage, die vom Begriff des Vertretenmüssens im Sinne von § 276 BGB ausgeht. Danach hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses zu entnehmen ist. Vertretenmüssen im Sinne des Fortbildungsvertrags könnte dann als Verschulden im Sinne vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens interpretiert werden. Nach dieser Auslegung wäre der Fall der unverschuldeten Eigenkündigung (etwa wegen dauerhafter Leistungsunfähigkeit) von der Klausel nicht erfasst und würde keine Rückzahlungspflicht auslösen (so wohl LAG Thüringen 28.06.2023 – 1 Sa 163/22 Rn 78).
b. Zum anderen kommt auch eine Auslegung in Frage, wonach der Begriff des Vertretenmüssens alle Gründe umfasst, die aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammen. Nach der ersten Alternative der vertraglichen Klausel soll die Beklagte zur Rückzahlung der Fortbildungskosten verpflichtet sein, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb von 24 Monaten nach Beendigung der Fortbildung von der Klägerin selbst oder der Beklagten „aus von der Arbeitnehmerin zu vertretenden Gründen“ gekündigt wird. Da sich diese Formulierung nicht nur auf eine Kündigung der Klägerin, sondern auch auf eine Eigenkündigung bezieht, könnte sie auch ein schuldhaftes und daher notwendigerweise an eine Pflichtverletzung der Beklagten anknüpfendes Verhalten iSd. § 276 BGB beschreiben (siehe oben unter a.). Nach Auffassung des BAG (Urteil vom 20.06.2023, 1 AZR 265/22 Rn 26 in einem Fall, in dem es um die Pflicht zur Rückerstattung einer Vermittlungsprovision ging) ist ein „Vertretenmüssen“ aber kein im Zusammenhang mit einer Eigenkündigung stehender Prüfungsmaßstab. Daher verlange die Formulierung „zu vertretende Gründe“ ein anderes Verständnis als das Verschulden des § 276 BGB, der vorsätzliches und fahrlässiges Verhalten meine. Ein „zu vertretender Grund“ sei vielmehr schon dann gegeben, wenn der Auslöser, Anlass oder die Ursache für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus dem alleinigen Verantwortungs- und Risikobereich der Beklagten und damit ausschließlich aus ihrer Sphäre stamme. Nach dieser Auslegung wäre der Arbeitnehmer auch bei einer unverschuldeten Eigenkündigung (etwa wegen Leistungsunfähigkeit) zur Rückzahlung verpflichtet.
c. Da keine der beiden Auslegungsmöglichkeiten aus Sicht des erkennenden Gerichts den klaren Vorzug verdient, geht dies nach § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten der Klägerin. Es ist die Auslegung zu wählen, die dem Vertragspartners des Verwenders, also der Beklagten, zum Erfolg verhilft. Dies ist die zweitgenannte Auslegungsmöglichkeit unter b. Denn mit diesem Verständnis (Sphäre des Arbeitnehmers) des „Vertretenmüssens“ erweist sich die Rückzahlungsklausell als unangemessen benachteiligend iSd. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Sie ist zu weit gefasst. Sie begründet nämlich auch dann eine Rückzahlungspflicht, wenn zwar die Ursache der Kündigung aus der Sphäre der Beklagten herrührt, ein Verhaltensvorwurf aber gerade nicht besteht. Das Bundesarbeitsgericht hat im Urteil vom 01.03.2022 (9 AZR 260/21) entschieden, dass eine unangemessene Benachteiligung vorliegt, wenn ein Arbeitnehmer, der das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Bindungsdauer kündigt, weil es ihm unverschuldet dauerhaft nicht möglich ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, zur Erstattung der Fortbildungskosten verpflichtet sein soll. Auch die hier im Streit stehende Klausel löst in der zu Lasten der Klägerin heranzuziehenden Auslegung bei Leistungsunfähigkeit der Beklagten eine Rückzahlungsverpflichtung aus, weil die Leistungsunfähigkeit ausschließlich ihrem Verantwortungsbereich bzw. ihrer Sphäre zuzurechnen ist. Die Beklagte hat damit die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Sinne der Rückzahlungsklausel „zu vertreten“. Nachdem die Klausel eine Rückzahlungsverpflichtung auch in dieser Konstellation begründet, erweist sie sich als unangemessen benachteiligend.
d. Für die Beurteilung der Wirksamkeit der Rückzahlungsklausel ist es unerheblich, ob und gegebenenfalls aufgrund welcher Umstände der Arbeitnehmer tatsächlich zur Eigenkündigung veranlasst wurde. Die gesetzlichen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB missbilligen bereits das Stellen inhaltlich unangemessener Formularklauseln (§ 305 Abs. 1 Satz 1, § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB), nicht erst deren unangemessenen Gebrauch im konkreten Einzelfall. Der Rechtsfolge der Unwirksamkeit sind auch solche Klauseln unterworfen, die in ihrem Übermaßteil in zu beanstandender Weise ein Risiko regeln, das sich im Entscheidungsfall nicht realisiert hat (BAG 23.01.2024 – 9 AZR 115/23 Rn 41). Der Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB hat die Gesamtunwirksamkeit der Regelung zur Folge und führt zum ersatzlosen Wegfall der Erstattungsklausel unter Aufrechterhaltung des Fortbildungsvertrags im Übrigen (§ 306 Abs. 1 und Abs. 2 BGB).
III. Nach alledem hat das Arbeitsgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Die Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen. Die für den Fall der (teilweisen) Stattgabe der Klage zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung der Beklagten fiel nicht zur Entscheidung an.
C. I. Die unterlegene Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, § 97 ZPO.
II. Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Auslegung des Begriffs des Vertretenmüssens in § 4 des Fortbildungsvertrages zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).