LAG Berlin-Brandenburg: Einfache Differenzierungsklausel für Gewerkschaftsmitglieder
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2.4.2014 – 15 Sa 1992/13
Amtliche Leitsätze
1. Arbeitnehmer, der nicht Gewerkschaftsmitglied ist, kann aus einer einfachen Differenzierungsklausel regelmäßig keine Ansprüche herleiten.
2. Ist die Klausel - unterstellt - wirksam, erfüllt er die entsprechenden Voraussetzungen nicht
3. Ist sie - unterstellt - unwirksam - ist allein aus der Befolgung eines unwirksamen Normbefehls durch den Arbeitgeber eine Pflicht zur Gleichbehandlung nicht zu entnehmen.
4. Vorliegend kann auch nicht festgestellt werden, dass die Arbeitgeberin in Kenntnis einer vermeintlichen Unwirksamkeit der Klausel weiterhin Leistungen an Gewerkschaftsmitglieder erbracht hat.
Art 9 GG
Sachverhalt
Der Kläger, der nicht Gewerkschaftsmitglied ist, ist bei der Beklagten aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 26. November 2008 als Concierge beschäftigt. Dort ist geregelt:
„Der Haustarif der Firma sowie sonstige Betriebsvereinbarungen und betriebliche Richtlinien sind in ihrer jeweils gültigen Fassung wesentlicher Bestandteil dieses Arbeitsvertrages.“
Mit Änderungsvertrag vom 1. Februar 2011 wurde geregelt, dass der Kläger als „Concierge mit umlagefähigen Hausbetreuungsleistungen“ beschäftigt wird. Die Vergütung richte sich nach der Lohngruppe HE 2a. Weiterhin heißt es dort:
„4. Alle anderen Vereinbarungen aus dem Arbeitsvertrag vom 26.11.2001 bleiben unverändert.“
Unter dem 18. September 2012 schloss die Beklagte mit der Gewerkschaft ver.di einen neuen Manteltarifvertrag (Kopie Bl. 110 ff. d. A.). Dort werden die Zuschläge für Arbeitnehmer im regelmäßigen Schichtdienst abgesenkt. Im Übrigen ist in § 5 Abs. 2 3. Unterabs. geregelt:
„Für die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens diese Regelung tarifgebundenen Mitarbeiter/innen im Sinne des § 3 Tarifvertragsgesetz, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden, das vor dem Inkrafttreten dieses Manteltarifvertrages (01.07.2012) begründet wurde, die ihre Arbeitszeit in Schichtarbeit erbringen und die bisher Zuschläge aus dem Haustarifvertrag vom 01.01.2002 erhalten haben und derzeit noch erhalten, gelten die bisherigen Zeitzuschläge.“
Der Kläger hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, die Absenkung aufgrund des neuen Manteltarifvertrages käme nicht zur Anwendung. Sein Einkommen sei um 1/3 gesunken, so dass der Tarifvertrag als sittenwidrig zu gelten habe. Im Übrigen werde er von der Gewerkschaft nicht vertreten.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.431,55 € brutto nebst Zinsen zu zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm einen Nachtzuschlag von 100 %, einen Sonntagszuschlag von 75 % und einen Feiertagszuschlag von 100 % ab dem 1. Juni 2013 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass zwar die ihrer Ansicht nach exorbitanten Zuschläge reduziert worden seien, doch hätten sich gleichzeitig andere Gehaltskomponenten erhöht.
Mit Urteil vom 10. Oktober 2013 hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen. Aufgrund der dynamischen Verweisung im Arbeitsvertrag kämen die veränderten Zuschlagssätze zur Anwendung. Dies habe sich durch den Änderungsvertrag vom 1. Februar 2011 auch nicht geändert.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er ist der Ansicht, dass der neue Tarifvertrag nicht zur Anwendung komme, da im Änderungsvertrag vom 1. Februar 2011 nicht Bezug genommen worden sei auf die jeweiligen Tarifverträge. Das Arbeitsgericht habe nicht geprüft, ob die Anwendung des neuen Tarifvertrages sittenwidrig sei. Die Herabsetzung um 1/3 des Verdienstes sei mindestens ein Verstoß gegen Fürsorgepflichten. Später hat der Kläger vorgetragen, es soll eine Besitzstandsvereinbarung zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft geben. Deswegen könne auch er eine entsprechende Gleichbehandlung verlangen.
Nachdem die Kammer am 26. Februar 2014 auf die Regelungen in § 5 Abs. 2 MTV vom 18. September 2012 hingewiesen und zu bedenken gegeben hat, dass die entsprechende Differenzierungsklausel unwirksam sein könnte, hat die Beklagte ab März 2014 die sechs betroffenen Gewerkschaftsmitglieder mit Schreiben vom 5. März 2014 (Kopie Bl. 129 d. A.) darauf hingewiesen, dass die Besitzstandsklausel künftig nicht mehr zur Anwendung komme.
Der Kläger beantragt nunmehr sinngemäß
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 10.10.2013 – 9 Ca 8624/13 –
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn
364,63 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31. August 2012,
377,39 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.September 2012,
580,55 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31. Oktober 2012,
693,06 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.November 2012,
415,92 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31. Dezember 2012
zu zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm für die Zeit ab 1. Juni 2013 bis 28. Februar 2014 einen Nachtzuschlag von 100 %, einen Sonntagszuschlag von 75 % und einen Feiertagszuschlag von 100 % zu zahlen.
Für die Zeit ab März 2014 wird der Rechtsstreit für erledigt erklärt.
Die Beklagte beantragt,
Die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, es liege eine zulässige einfache Differenzierungsklausel vor.
Aus den Gründen
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist daher zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen. Der Kläger kann für die Zeit von August bis Dezember 2012 nicht die Zahlung von Differenzbeträgen in Gesamthöhe von 2.431,55 € brutto nebst Zinsen verlangen. Auch für die Zeit ab Juni 2013 steht ihm die begehrte Feststellung zur Zahlung von höheren Zulagen nicht zu.
1. Der Kläger kann die Zahlung höher Zulagen nicht deswegen verlangen, weil der neue Tarifvertrag vom 18. September 2012 auf sein Arbeitsverhältnis nicht zur Anwendung kommt. Diese Rechtsansicht ist vielmehr unzutreffend. Schon das Arbeitsgericht hat zu Recht darauf verwiesen, dass aufgrund der arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel die jeweiligen Tarifverträge und somit auch der hier anzuwendende Manteltarifvertrag zur Anwendung kommen. Hierauf wird Bezug genommen. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist folgendes zu ergänzen:
Der Kläger meint, die Kürzung seines Gehalts um ca. 1/3 verstoße gegen gesetzliche Vereinbarungen. Insofern sei der neue Tarifvertrag sittenwidrig. Dem kann nicht gefolgt werden. Die Beklagte hatte durchgängig bestritten, dass es aufgrund der Anhebung der Grundgehälter trotz der Kürzung der Zulagen überhaupt zu einer Lohneinbuße gekommen sei. In der Tat kann das Argument des Klägers nicht nachvollzogen werden. Nimmt man die vom Kläger eingereichte Lohnabrechnung für Mai 2012 (Anlage K2) so ergibt sich bei der dort angegebenen Jahressumme ein Durchschnittsverdienst in den ersten fünf Monaten von 1.998,36 €. Die Verdienstabrechnung für Oktober 2012 (Anlage K7) lässt hingegen ein durchschnittliches Monatsentgelt für die ersten zehn Monate von 2.115,47 € erkennen. Trotz der Zulagenkürzung ab dem 1. Juli 2012 hat sich das durchschnittliche Monatseinkommen des Klägers sogar erhöht. Insofern kann allein deswegen nicht festgestellt werden, dass die Regelung im Tarifvertrag sittenwidrig sein könnte. Auch ein sonstiger Gesetzesverstoß ist nicht ersichtlich. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass im Gegensatz zur Auffassung des Klägers Tarifverträge grundsätzlich auch eine Verschlechterung des Gehaltsniveaus herbeiführen können.
2. Auch bei Anwendung des Tarifvertrages vom 18. September 2012 und unter Berücksichtigung der dort vorgesehenen Differenzierungsklausel für Gewerkschaftsmitglieder stehen dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Ein Arbeitnehmer, der nicht Gewerkschaftsmitglied ist, kann aus einer einfachen Differenzierungsklausel (Vgl. Däubler – Hensche/Heuschmid § 1 TVG Rn 981ff) regelmäßig keine Ansprüche herleiten. Hierbei kann offen bleiben, ob die Klausel wirksam oder unwirksam ist.
2.1 Ist die Klausel – unterstellt – wirksam, dann erfüllt der Kläger die entsprechenden Voraussetzungen nicht. Er ist unstreitig nicht Gewerkschaftsmitglied und war es auch nicht zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Regelung (01.07.2012).
2.2 Ist die Klausel – unterstellt – unwirksam, ist allein aus der Befolgung eines unwirksamen Normbefehls durch den Arbeitgeber eine Pflicht zur Gleichbehandlung nicht zu entnehmen (BAG 18.03.2009 – 4 AZR 64/08 – NZA 2009, 1028 Rn. 127; BAG 22.09.2010 – 4 AZR 117/09 Rn. 36; LAG München 26.09.2013 – 4 Sa 521/13 – Rn. 72). Das Bundesarbeitsgericht begründet dies damit, dass der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz den Arbeitgeber an selbst aufgestellte Regeln bindet, nicht aber an die Befolgung auf ihn – auch vermeintlich – von außen einwirkenden Normbefehlen. Das Bundesarbeitsgericht hält selbst dann den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz für nicht anwendbar, wenn ein Arbeitgeber wirksame Normbefehle irrtümlich falsch auslegt und er deswegen sich tarifvertraglich zur Zahlung verpflichtet gehalten hat (BAG 26.10.1995 – 6 AZR 125/95 – Rn. 23 f.), wenn der Arbeitgeber sich von der rechtsirrtümlich gewährten Zahlung lossagt.
Es spricht einiges dafür, dass die Differenzierungsklausel in § 5 Abs. 2 MTV vom 18.09.2012 unwirksam ist. Differenzierungsklauseln, die entgegen §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG die Leistung von der Gewerkschaftszugehörigkeit von einem – in der Vergangenheit liegenden – Stichtag abhängig machen, sind nach Auffassung des BAG rechtsunwirksam (09.05.2007 – 4 AZR 275/06 – Rn. 32 f.; Däubler – Hensche/Heuschmid § 1 TVG Rn 989). Doch selbst wenn nur die Stichtagsregelung zu streichen wäre (Vgl. hierzu LAG Schleswig-Holstein 22.03.2012 – 4 Sa 255/11 – Rn. 91, weil nur die Stichtagsregelung als unwirksam erachtet wird, dürfte die verbleibende Differenzierungsklausel unwirksam sein. Das BAG hält in aller Regel Differenzierungsklauseln dann für unwirksam, wenn sie an Regelungen des Austauschverhältnisses von Leistung und Gegenleistung anknüpfen, die Grundlage des laufenden Lebensunterhaltes sind oder die eine Höhe erreichen, so dass ein verständiger Arbeitnehmer einen mit Zwang vergleichbaren Druck verspürt, von seiner Entscheidung gegen eine Gewerkschaftszugehörigkeit Abstand zu nehmen (BAG 18.03.2009 – 4 AZR 64/08 – Rn. 79, 82). Insofern sei die negative Koalitionsfreiheit betroffen (Art 9 GG).
Letztendlich kann unentschieden bleiben, ob im Sinne dieser Rechtsprechung die hiesige Differenzierungsklausel unwirksam ist. Jedenfalls kann ein Arbeitnehmer, der nicht Gewerkschaftsmitglied ist, nicht unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung eine Leistungserbringung an sich verlangen.
Geht man davon aus, dass die hiesige Differenzierungsklausel unwirksam ist, hat dies nicht zur Folge, dass der Tarifvertrag vom 18. September 2012 insgesamt unwirksam ist. Es ist nicht zu fragen, ob gem. § 139 BGB bei Teilnichtigkeit das ganze Rechtsgeschäft nichtig ist, weil anzunehmen wäre, dass es nicht ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre. § 139 BGB findet auf Tarifverträge keine Anwendung (BAG 12.12.2007 – 4 AZR 996/06 – Rn. 21; Däubler – Reim/Nebbe § 1 TVG Rn 186). Es kommt vielmehr darauf an, ob der Tarifvertrag ohne die unwirksame Bestimmung noch eine sinnvolle, in sich geschlossene Regelung enthält (BAG a. a. o.). Davon ist vorliegend auszugehen. Der Manteltarifvertrag enthält weiterhin eine in sich sinnvolle geschlossene Regelung. Er enthält Regelungen zur Kündigung, zur Arbeitszeit, zum Erholungsurlaub und auch über Zeitzuschläge. Für eine Lückenfüllung durch die Arbeitsgerichte bleibt insofern kein Raum.
2.3 Vorliegend kann auch nicht festgestellt werden, dass die Arbeitgeberin in Kenntnis einer vermeintlichen Unwirksamkeit der Klausel weiterhin Leistungen an Gewerkschaftsmitglieder erbracht hat.
In einem solchen Fall käme jedoch der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zur Anwendung (BAG 18.03.2009 – 4 AZR 64/08 – Rn. 127). Nachdem von der hiesigen Kammer erstmals im Termin vom 26. Februar 2014 die Unwirksamkeit der Differenzierungsklausel angesprochen wurde, hat die Beklagte vielmehr ab März 2014 unstreitig keinerlei Zahlungen mehr erbracht und die betroffenen sechs Gewerkschaftsmitglieder nach einer vorangegangenen Betriebsversammlung hierüber auch im Einzelnen schriftlich hingewiesen. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte schon zuvor von einer Unwirksamkeit der Differenzierungsklausel ausgegangen ist. Von Klägerseite ist das Thema Differenzierungsklausel bis zum ersten Berufungstermin nicht einmal angesprochen worden. Auch im erstinstanzlichen Urteil war hierauf nicht eingegangen worden. Die Beklagte hatte dieses Stichwort erstmals mit Schriftsatz vom 14. Februar 2014 eingeführt mit der Bemerkung, dass solche Klauseln nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zulässig seien.
3. Soweit der Kläger hinsichtlich des Feststellungsantrages zu 2. für die Zeit ab März 2014 den Rechtsstreit einseitig für erledigt erklärt hat, konnte eine entsprechende Feststellung nicht getroffen werden. Auch insofern war die Klage abzuweisen und die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger beruft sich insofern darauf, dass durch die nicht mehr erfolgte Zahlung an die Gewerkschaftsmitglieder ab März 2014 ein erledigendes Ereignis eingetreten ist. Eine Erledigung wäre jedoch nur dann eingetreten, wenn die Klage anfangs auch für diesen Zeitraum zulässig und begründet gewesen wäre. Dies ist nach den obigen Ausführungen jedoch nicht der Fall, denn auch unabhängig von der Zahlungseinstellung war die Klage für den Feststellungszeitraum ab März 2013 nicht begründet.
4. Der Kläger hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 ZPO).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) liegen nicht vor, da es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt und die grundsätzlichen Rechtsfragen geklärt sind. Insofern ist gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel nicht gegeben.