LAG Nürnberg: Bezugnahme in arbeitsvertraglicher Klausel
Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 29.10.2009
Aktenzeichen: 5 Sa 403/08
Rechtsgebiete: TVG
Vorschriften:
TVG § 4 Abs. 1 S. 1 |
Eine arbeitsvertragliche Klausel, in der auf tarifvertragliche Bestimmungen Bezug genommen wird, kann als Gleichstellungsabrede nur dann gewertet werden, wenn auf die tarifvertraglichen Bestimmungen, die im Falle einer arbeitnehmerseitigen Tarifbindung normativ gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG zur Anwendung kommen würden, als Ganzes Bezug genommen wird.
Landesarbeitsgericht Nürnberg Im Namen des Volkes URTEIL
5 Sa 403/08
Verkündet am: 29.10.2009
In dem Rechtsstreit
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Malkmus und die ehrenamtlichen Richter Hertel und Pelikan
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Weiden/Kammer Schwandorf/Gerichtstag Amberg vom 06.05.2008, Aktenzeichen: 6 Ca 1314/07 A, in Ziffern 1. bis 4. abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass die in § 1 des Arbeitsvertrages vom 22.12 1999 angeführten Tarifbestimmungen auf das Arbeitsverhältnis des Klägers bis zu seinem Ausscheiden in dynamischer Form zur Anwendung gekommen sind und die dem Kläger zustehenden Ansprüche auf dieser Grundlage abzurechnen sind.
3. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
4. Die Beklagte trägt die Kosten beider Instanzen.
5. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Frage, ob der Kläger Vergütung auf der Grundlage der Vergütungsregelungen des TV AL II verlangen kann.
Der am 12.02.1945 geborene Kläger war bei der Beklagten auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 22.12.1999 (Bl. 4/5 d.A.) ab dem 01.12.1999 als Wachmann beschäftigt.
§ 1 Abs. 1 des Arbeitsvertrages hat folgenden Inhalt:
"Herr, A... O... wird ab 01.12.99 im Objekt V... als vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer in der Lohngruppe ZW2/1 Tabelle "A" mit einer festgesetzten regelmäßigen Arbeitszeit bis 183 Stunden/Monat beschäftigt. Weitere Arbeitskonditionen sind in dem Tarifvertrag TV AL II, Anhang Z-II, Sonderteil ZW (US) geregelt."
Nach der Regelung in § 2 des Arbeitsvertrages betrug die damalige Monatsvergütung DM 2.962,-- zuzüglich einer Wachzulage in Höhe von DM 140,--.
Die Beklagte hatte am 22.07.1997 mit der Gewerkschaft ÖTV einen Firmentarifvertrag (Bl. 136, 137 d.A.) vereinbart, der zum 01.09.1997 in Kraft getreten ist. § 2 dieses Firmentarifvertrages hat folgenden Wortlaut: "§ 2 Arbeits- und Einkommensbedingungen
Es gelten die Bestimmungen für das Wachpersonal gemäß des Tarifvertrages für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland - TV AL II - nebst Anhängen, in der jeweils gültigen Fassung, soweit im Folgenden nichts Abweichendes geregelt ist." Dieser Firmentarifvertrag ist von der Beklagten zum 31.08.2000 gekündigt worden.
Der Kläger hat mit seiner Klage die Zahlung von Vergütung unter Zugrundelegung der nach dem 31.08.2000 in Kraft getretenen tarifvertraglichen Vergütungsregelungen des TV AL II begehrt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 02.08.2007, Aktenzeichen: 5 Sa 557/06, im Wesentlichen stattgegeben. Danach sei die in § 1 des Arbeitsvertrages enthaltene Klausel als konstitutive dynamische Verweisung auf die jeweils gültige tarifliche Vergütungsgruppe zu werten. Auf den Inhalt des arbeitsgerichtlichen Urteils wird, auch hinsichtlich des erstinstanzlichen Parteivorbringens im Einzelnen, Bezug genommen.
Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 09.06.2008 Berufung eingelegt. Im Rahmen des Berufungsverfahrens hat die Klägerseite ihre erstinstanzlich auf Leistung gerichtete Klage wie folgt geändert: "Es wird festgestellt, dass die in § 1 des Arbeitsvertrages vom 22.12 1999 angeführten Tarifbestimmungen auf das Arbeitsverhältnis des Klägers bis zu seinem Ausscheiden in dynamischer Form zur Anwendung gekommen sind und die dem Kläger zustehenden Ansprüche auf dieser Grundlage abzurechnen sind."
Die Beklagtenseite hat sich mit der Änderung der Klage einverstanden erklärt und erklärt, dass sie im Falle einer rechtskräftigen Feststellung die Ansprüche des Klägers entsprechend der getroffenen Feststellung für die Zeit bis zum Ausscheiden des Klägers abrechnen und etwaige Ansprüche an den Kläger erfüllen werde.
Zur Begründung ihrer Berufung lässt die Beklagte vorbringen, die arbeitsvertragliche Klausel sei als "Gleichstellungsabrede" zu werten. Der Grund für die Verweisung auf die Bestimmungen des TV AL II sei ausschließlich in der zum damaligen Zeitpunkt vorhandenen tarifvertraglichen Bindung der Beklagten zu sehen. Nachdem der Haustarifvertrag von der Beklagten zum 31.08.2000 gekündigt worden sei, wirke der in Bezug genommene Tarifvertrag nur noch nach, so dass das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht mehr an der dynamischen Entwicklung des Tarifvertrages teilnehme.
Der Kläger lässt vortragen, die arbeitsvertragliche Verweisung auf Tarifrecht betreffe nicht die in § 1 und § 2 des Arbeitsvertrages ausdrücklich genannten Vergütungsregelungen. Der Wille der Beklagten, mit der vertraglichen Bezugnahme eine Gleichstellungsabrede zu schaffen, komme an keiner Stelle des Arbeitsvertragstextes zum Ausdruck.
Wegen des Berufungsvorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Die als Anschlussberufung des Klägers zu wertende Klageänderung ist schon im Hinblick auf die Einwilligung der Beklagten zulässig (§ 263 ZPO).
Die auf Feststellung der Anwendbarkeit der in § 1 des Arbeitsvertrages des Klägers angeführten Tarifbestimmungen in dynamischer Form gerichtete Klage ist zulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Zwar fehlt dieses in der Regel dann, wenn eine Klage auf fällige Leistung und entsprechende Bezifferung möglich und zumutbar ist (BGH vom 15.03.2006, NJW 2006, 2548). Diese Möglichkeit steht der Feststellungsklage indes dann nicht entgegen, wenn - wie vorliegend - der Streit den Anspruchsgrund betrifft und zu erwarten ist, dass die Beklagtenseite bei der Feststellung ihrer Leistungspflicht im Urteil zur Leistung fähig und bereit ist (BGH vom 11.01.2007, NJW 2007, 3002). Von einer solchen Erwartung ist im zu entscheidenden Fall im Hinblick auf die Erklärungen der Beklagten in der Berufungsverhandlung auszugehen.
Die Anwendbarkeit der in § 1 des Arbeitsvertrages des Klägers vom 22.12.1999 angeführten Tarifbestimmungen auf das Arbeitsverhältnis des Klägers in dynamischer Form ergibt sich aus der in § 1 des Arbeitsvertrages vom 22.12.1999 enthaltenen Bezugnahmeklausel. Bei der Klausel handelt es sich nicht lediglich um eine "Gleichstellungsabrede" im Sinne der für vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 01.01.2002 geschlossene Arbeitsverträge zur Anwendung kommenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG vom 23.01.2008, AP Nr. 63 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag).
Hiernach waren bei Tarifbindung des Arbeitgebers - anders als bei nicht tarifgebundenen Arbeitgebern - vertragliche Klauseln, mit denen pauschal ohne weitere Vorbehalte auf Tarifverträge verwiesen wurde in aller Regel als sogenannte Gleichstellungsabreden auszulegen (BAG vom 23.01.2008, a.a.O.). Mit einer solchen Verweisung will der tarifgebundene Arbeitgeber regelmäßig den Arbeitnehmer ungeachtet seiner Gewerkschaftszugehörigkeit so stellen, als sei dieser tarifgebunden. Die arbeitsvertragliche Verweisung ersetzt also die fehlende oder unsichere Tarifbindung des Arbeitnehmers (BAG vom 25.08.2002 und vom 01.12.2004, AP Nrn. 26 und 34 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag).
Die für das Verständnis als Gleichstellungsabrede maßgebende Vorstellung, dass mit einer solchen von einem tarifgebundenen Arbeitgeber gestellten Bezugnahmeklausel lediglich die möglicherweise fehlende Gebundenheit des Arbeitnehmers an die im Arbeitsvertrag genannten Tarifverträge ersetzt werden soll, um jedenfalls zu einer vertraglichen Anwendung des einschlägigen Tarifvertrages zu kommen und damit zu dessen Geltung für alle Beschäftigten (vgl. BAG vom 23.01.2008, a.a.O.) rechtfertigt die Interpretation als Gleichstellungsabrede aber nur dann, wenn die Inbezugnahme den Tarifvertrag als Ganzes erfasst. Werden nur Teile eines Tarifvertrages in Bezug genommen kommt die unterstellte Absicht, über die Bezugnahmeklausel auf Seiten des Arbeitnehmers die fehlende Tarifbindung schuldrechtlich zu ersetzen und die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer den tarifgebundenen gleichzustellen, nicht zum Ausdruck. Denn für tarifgebundene Arbeitnehmer kommt der Tarifvertrag als Ganzes normativ zur Anwendung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG).
Vorliegend weist die Bezugnahmeklausel des § 1 des Arbeitsvertrages vom 22.12.1999 in zweifacher Hinsicht Einschränkungen auf.
Zum Einen wird in dem Arbeitsvertrag nicht - wie in § 2 des Firmentarifvertrages vom 22.07.1997 vorgesehen - umfassend auf die Bestimmungen für das Wachpersonal gemäß Tarifvertrag für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland - TV AL II - nebst Anhängen, in der jeweils gültigen Fassung für die Arbeits- und Einkommensbedingungen Bezug genommen. Die Bezugnahme beschränkt sich vielmehr auf die Geltung der Lohngruppe, hinsichtlich weiterer Arbeitskonditionen wird auf die Regelung in dem Tarifvertrag TV AL II, Anhang Z-II, Sonderteil ZW (US) verwiesen. Nicht von der Bezugnahme erfasst werden etwa der Anhang Z-I sowie die das Urlaubsgeld und das Weihnachtsgeld betreffenden Anhänge V und W zum TV AL II.
Zum Anderen scheitert die Auslegung der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede bereits daran, dass auch der Firmentarifvertrag vom 22.07.1997 nicht als Ganzes in Bezug genommen wurde. § 1 des Arbeitsvertrages lässt lediglich die Bezugnahme auf einen Teil der in § 2 des Firmentarifvertrages vom 22.07.1997 geregelten Gegenstände erkennen. Neben der Bezugnahme auf den TV AL II nebst Anhängen in § 2 des Firmentarifvertrages vom 22.07.1997 regelt dieser abweichend eine Reihe von anderen Fragen. Hierauf wird im Arbeitsvertrag nicht Bezug genommen, so dass der arbeitsvertraglichen Bezugnahme ein Gleichstellungscharakter zu keiner Zeit zukommen konnte.
Ist die Bezugnahme im Arbeitsvertrag aber als konstitutive schuldrechtliche, nicht statisch wirkende Verweisung auf die tarifliche Lohngruppe sowie die im Anhang Z-II, Sonderteil ZW (US) zum TV AL geregelte Eingruppierung und Einstufung zu verstehen, so war die Feststellung im Tenor wie beantragt zu treffen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Revision ist zuzulassen, da die Rechtssache aufgrund der Vielzahl der Bezugsfälle grundsätzliche Bedeutung hat und die vorliegende Entscheidung von dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 25.02.2009 (Aktenzeichen: 4 Sa 435/08) abweicht (§ 64 Abs. 3 Ziffern 1 und 3 ArbGG).
Damit kann die Beklagte gemäß nachstehender Rechtsmittelbelehrung Revision einlegen.
Stichworte: | Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede |
Verfahrensgang: | ArbG Weiden, 6 Ca 1314/07 A vom 06.05.2008 |