BAG: Betriebsrente ab dem 60. Lebensjahr - Fremdgeschäftsführer
BAG, Urteil vom 15.4.2014 – 3 AZR 114/12
Leitsatz
Der Fremdgeschäftsführer einer GmbH kann nach § 17 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 30a BetrAVG bereits ab dem 60. Lebensjahr eine vorgezogene Betriebsrente verlangen, wenn er die in § 30a Abs. 1 BetrAVG genannten Voraussetzungen erfüllt. Dazu ist nicht erforderlich, dass ab dem 60. Lebensjahr ein Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung besteht.
Sachverhalt
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger bereits nach Vollendung des 60. Lebensjahres seit dem 1. Mai 2007 eine vorgezogene Betriebsrente zu zahlen und ob die Betriebsrente des Klägers zum 1. Mai 2010 gemäß § 16 Abs. 1 und Abs. 2 BetrAVG an den Kaufkraftverlust anzupassen ist.
Der am 1. Mai 1947 geborene Kläger war vom 1. Oktober 1994 bis zum 31. Dezember 1998 bei der Beklagten als Mitglied der Geschäftsführung tätig. Er war nicht am Stammkapital der Gesellschaft beteiligt.
Im „Dienstvertrag“ aus März 1994 hatten die Beklagte und der Kläger ua. folgende Vereinbarung getroffen:
„§ 5
Altersversorgung
1. Herrn B wurde gemäß Dienstvertrag vom 15./25.3.94 eine Alters-, Dienstunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung in entsprechender Anwendung der Versorgungsordnung der VAW AG vom 13.7.1989 zugesagt.
2. Diese hat folgende Besonderheiten:
a) Die Wartezeit entfällt.
b) Abweichend von § 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung behält Herr B seine Versorgungsanwartschaft auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalles endet und noch keine 10 Jahre bestanden hat.
c) Für die Berechnung der Versorgungsbezüge und der unverfallbaren Versorgungsanwartschaft werden Herrn B 10 Vordienstjahre in der Weise angerechnet, daß jedes volle Jahr der ersten 10 Dienstjahre doppelt zählt.“
In der Versorgungsordnung der Vereinigte Aluminium-Werke AG (im Folgenden: Versorgungsordnung VAW AG), einer Rechtsvorgängerin der Beklagten, vom 13. Juli 1989 heißt es ua.:
„Die Gewährung der Versorgungsleistung für Mitarbeiter der VAW aluminium AG ist in der folgenden ‚Versorgungsordnung‘ festgelegt, die zwischen Vorstand und Gesamtbetriebsrat vereinbart wurde.
Versorgungsleistungen und Versorgungsberechtigung
1.1 Geltungsbereich
Diese Versorgungsordnung gilt für Mitarbeiter der VAW aluminium AG, die in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen.
Außertariflich beschäftigten Mitarbeitern wird auf Grundlage dieser Versorgungsordnung eine Altersversorgungszusage durch Einzelzusage erteilt.
1.2 Versorgungsarten
Mitarbeiter und deren Hinterbliebene erhalten folgende Versorgungsleistungen:
● Ruhestandsrenten
● Dienstunfähigkeitsrenten
● Hinterbliebenenrenten
2. Ruhestandsrente
2.1 Voraussetzungen
Mitarbeiter, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und in den Ruhestand treten, erhalten eine Ruhestandsrente.
Ruhestandsrenten erhalten auch die Mitarbeiter, die nach Vollendung des 60. Lebensjahres in den Ruhestand treten und vorzeitiges Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen oder beziehen würden, wenn sie Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung wären und die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt hätten.
Ein Anspruch auf Ruhestandsrente entsteht erst nach einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 10 Jahren (Wartezeit).
2.2 Höhe
2.2.1 Grundrente
Die Ruhestandsrente beträgt für jedes Dienstjahr 0,3 Prozent des pensionsfähigen Diensteinkommens.
2.2.2 Zusatzrente
Für den Teil des pensionsfähigen Diensteinkommens, der über die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung hinausgeht, wird für jedes Dienstjahr - höchstens jedoch für 25 Dienstjahre - eine Zusatzrente von 1,5 Prozent gewährt.
Maßgebend ist die entsprechend dem Diensteinkommen gemittelte Beitragsbemessungsgrenze.
2.2.3 Versicherungsmathematischer Abschlag
Die Ruhestandsrente wird bei Bezug vor Vollendung des 65. Lebensjahres für jeden Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme um 0,5 Prozent gekürzt, höchstens jedoch um 12 Prozent.
6. Unverfallbare Anwartschaften
Die Gewährung von Versorgungsleistungen in Fällen, in denen Mitarbeiter vor Eintritt des Versorgungsfalles mit einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft aus den Diensten der Gesellschaft ausgeschieden sind, richtet sich nach den gesetzlichen Vorschriften.“
Am 24. November 1999 schlossen die VAW aluminium AG und der Gesamtbetriebsrat die folgende Vereinbarung:
„Ergänzungsvereinbarung
Zwischen der VAW aluminium AG - vertreten durch den Vorstand - und dem Gesamtbetriebsrat - vertreten durch den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden - wird in Ergänzung der Gesamtbetriebsvereinbarung über betriebliche Altersversorgung vom 4. Mai 1988/10. Dezember 1991 sowie in Abänderung der Versorgungsordnung der Vereinigte Aluminium-Werke AG Berlin/Bonn vom 13. Juli 1989 nachfolgende Gesamtbetriebsvereinbarung abgeschlossen.
1. Anpassung der gezahlten Rente
Ab Rentenbeginn wird gemäß § 16 BetrAVG alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Renten geprüft und unter Berücksichtigung der Belange des Versorgungsempfängers und der wirtschaftlichen Lage der Firma nach billigem Ermessen entschieden.
Ab 1. Januar 2000 werden die Renten, unabhängig davon, ob eine Erhöhung nach § 16 BetrAVG durchzuführen ist, mindestens um 1 % pro Jahr erhöht, das sind im Dreijahres-Überprüfungszeitraum 3,03 %.
Die fiktive, auf die feste Altersgrenze von 65 Jahren hochgerechnete Versorgungsleistung des Klägers beträgt 6.929,64 DM; die während des Dienstverhältnisses erworbene unverfallbare Anwartschaft beläuft sich auf 30,56 % hiervon, dh. auf 1.082,92 Euro.
Der Kläger bezieht seit dem 1. Mai 2010 von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine gesetzliche Altersrente für langjährig Versicherte iHv. 747,23 Euro und von der Beklagten eine monatliche Betriebsrente iHv. 954,00 Euro. Diesen Betrag errechnete die Beklagte, indem sie die Anwartschaft des Klägers iHv. 1.082,92 Euro wegen der vorgezogenen Inanspruchnahme der Betriebsrente um den nach der Versorgungsordnung VAW AG höchstmöglichen versicherungsmathematischen Abschlag von 12 % kürzte. Ab Januar 2011 hob sie die monatliche Betriebsrente des Klägers um 1 % auf 963,54 Euro an.
Mit Schreiben vom 31. März 2010 hatte der Kläger die Beklagte unter Berufung auf § 30a BetrAVG mit Fristsetzung zum Ende des Monats April 2010 aufgefordert, an ihn bereits ab dem 1. Mai 2007 eine Betriebsrente zu zahlen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte schulde ihm nach § 30a BetrAVG auch für die Zeit vom 1. Mai 2007 bis zum 30. April 2010 die Zahlung einer Betriebsrente. § 30a BetrAVG finde gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG auch auf ihn als Fremdgeschäftsführer einer GmbH Anwendung. Es sei unbeachtlich, dass § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG die Vorschrift des § 30a BetrAVG nicht ausdrücklich in Bezug nehme. Seine Betriebsrente sei demzufolge zum 1. Mai 2010 gemäß § 16 Abs. 1 und Abs. 2 BetrAVG an den Kaufkraftverlust anzupassen. Der Kaufkraftverlust in der Zeit vom Rentenbeginn bis zum Anpassungsstichtag betrage 4,91 %.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn rückständige Betriebsrente für die Zeit vom 1. Mai 2007 bis zum 30. Juni 2010 iHv. insgesamt 36.558,02 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 35.338,10 Euro seit dem 1. April 2010, aus weiteren 1.009,66 Euro seit dem 1. Mai 2010, aus weiteren 105,13 Euro seit dem 1. Juni 2010 sowie aus weiteren 105,13 Euro seit dem 1. Juli 2010 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab Juli 2010 eine monatliche Betriebsrente iHv. 1.059,13 Euro zu zahlen, zahlbar jeweils zum Monatsletzten,
3. festzustellen, dass die Beklagte zum Schadensersatz dem Grunde nach verpflichtet ist, soweit er für die Nachzahlung iHv. 36.558,02 Euro höhere Steuern schuldet als bei der pflichtgemäßen Auszahlung nach der Aufforderung durch ihn und der zusätzlichen laufenden Leistungen iHv. 105,13 Euro ab dem 1. Juli 2010, in beiden Fällen zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.
11 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger könne erst seit dem 1. Mai 2010 eine monatliche Betriebsrente beanspruchen. Aus § 30a BetrAVG könne der Kläger nichts zu seinen Gunsten ableiten. Bei dieser Bestimmung handele es sich nicht um eine Anspruchsgrundlage. Zudem finde § 30a BetrAVG auf den Kläger als Organmitglied einer juristischen Person keine Anwendung. Damit komme eine Anpassungsprüfung nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 BetrAVG erst zum Anpassungsstichtag 1. Mai 2013 in Betracht.
12 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat der Kläger die Zahlungsanträge in geringerer Höhe weiterverfolgt; außerdem hat er seine Klage um den Antrag festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, seine Betriebsrente statt nach § 16 Abs. 1 iVm. Abs. 3 BetrAVG nach § 16 Abs. 1 iVm. Abs. 2 Ziff. 1 BetrAVG anzupassen, erweitert. Nachdem die Parteien den Rechtsstreit im Hinblick auf diesen Antrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht übereinstimmend für erledigt erklärt hatten, hat der Kläger zuletzt sinngemäß beantragt, das erstinstanzliche Urteil abzuändern und
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn rückständige Betriebsrente für die Zeit vom 1. Mai 2007 bis zum 31. August 2011 iHv. insgesamt 35.017,12 Euro brutto zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 33.390,00 Euro seit dem 1. April 2010, aus weiteren 954,00 Euro seit dem 1. Mai 2010, aus jeweils weiteren 46,84 Euro seit dem jeweiligen Ersten eines jeden Monats, beginnend mit dem 1. Juni 2010 und endend mit dem 1. Januar 2011, sowie aus jeweils weiteren 37,30 Euro seit dem jeweiligen Ersten eines jeden Monats, beginnend mit dem 1. Februar 2011 und endend mit dem 1. September 2011, zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab dem 1. September 2011 eine monatliche Betriebsrente iHv. 1.000,84 Euro brutto zu zahlen, fällig jeweils zum Monatsletzten,
3. hilfsweise für den Fall einer - ganz oder teilweise - stattgebenden Entscheidung des Gerichts über den Klageantrag zu 1. festzustellen, dass die Beklagte zum Schadensersatz dem Grunde nach verpflichtet ist, soweit der Kläger wegen der Nachzahlung rückständiger Betriebsrenten höhere Steuern schuldet als bei der Auszahlung der monatlichen Betriebsrente nach Aufforderung durch ihn jeweils im Fälligkeitszeitpunkt; der Schadensersatzanspruch erstreckt sich auch auf die erforderlichen Steuerberatungskosten zur Ermittlung der Schadenshöhe.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das arbeitsgerichtliche Urteil zurückgewiesen und dem Kläger die Kosten der Berufung insgesamt, dh. auch hinsichtlich des von den Parteien übereinstimmend für erledigt erklärten Teils, auferlegt. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt gestellten Hauptanträge weiter. Seinen Hilfsantrag hat er mit Zustimmung der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Aus den Gründen
14
Die Revision des Klägers hat überwiegend Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht vollständig abgewiesen. Die Klage ist - soweit sie in der Revision noch anhängig ist - im Wesentlichen begründet. Der Kläger kann von der Beklagten bereits seit dem 1. Mai 2007 eine vorgezogene Altersrente iHv. monatlich 954,00 Euro brutto beanspruchen. Die Beklagte ist auch verpflichtet, die Betriebsrente des Klägers zum 1. Mai 2010 an den seit dem 1. Mai 2007 eingetretenen Kaufkraftverlust anzupassen. Allerdings ist der Anpassungsbetrag geringer als vom Kläger gefordert. In diesem Umfang ist die Revision unbegründet, ebenso hinsichtlich eines Teils der geltend gemachten Zinsen.
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I. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten seit dem 1. Mai 2007 Anspruch auf Zahlung einer vorgezogenen Altersrente iHv. monatlich 954,00 Euro. Die Beklagte ist deshalb verpflichtet, an den Kläger für die Zeit vom 1. Mai 2007 bis zum 30. April 2010 rückständige Betriebsrente iHv. insgesamt 34.344,00 Euro brutto zu zahlen. Zinsen auf diesen Betrag stehen dem Kläger allerdings erst seit dem 2. Mai 2010 zu.
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1. Der Anspruch des Klägers auf die vorgezogene Altersrente folgt zwar nicht aus dem Dienstvertrag von März 1994 iVm. der Versorgungsordnung VAW AG. Zwar bestimmt Ziff. 2.1 Abs. 2 der Versorgungsordnung VAW AG, dass Ruhestandsrenten auch Mitarbeiter erhalten, die nach der Vollendung des 60. Lebensjahres in den Ruhestand treten. Dies setzt jedoch voraus, dass der Mitarbeiter zeitgleich vorzeitiges Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht. Die Deutsche Rentenversicherung Bund zahlt dem Kläger erst seit dem 1. Mai 2010 eine gesetzliche Altersrente für langjährig Versicherte.
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2. Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht auf den Dienstvertrag von März 1994 iVm. der Versorgungsordnung VAW AG und § 17 Abs. 1 Satz 2, § 6 BetrAVG stützen. Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 6 BetrAVG für eine vorgezogene Inanspruchnahme der Betriebsrente ab dem 1. Mai 2007. Der Anspruch auf eine vorgezogene Betriebsrente nach § 6 BetrAVG setzt - ebenso wie nach Ziff. 2.1 Abs. 2 der Versorgungsordnung VAW AG - voraus, dass der Berechtigte zeitgleich die Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch nimmt. Dies ist beim Kläger erst seit dem 1. Mai 2010 der Fall.
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3. Der Anspruch des Klägers folgt jedoch aus dem Dienstvertrag von März 1994 iVm. der Versorgungordnung VAW AG und § 17 Abs. 1 Satz 2, § 30a Abs. 1 BetrAVG.
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a) Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten handelt es sich bei § 30a Abs. 1 BetrAVG um eine Anspruchsgrundlage.
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aa) Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung. Nach § 30a Abs. 1 BetrAVG sind männlichen Arbeitnehmern auf deren Verlangen nach Erfüllung der Wartezeit und sonstiger Leistungsvoraussetzungen der Versorgungsregelung für nach dem 17. Mai 1990 zurückgelegte Beschäftigungszeiten Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu gewähren, wenn sie vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, das 60. Lebensjahr vollendet haben, nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als 10 Jahre Pflichtbeiträge für eine in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch haben, die Wartezeit von 15 Jahren in der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt haben und ihr Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen die Hinzuverdienstgrenze nach § 34 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI nicht überschreitet. Mit dieser in § 30a Abs. 1 BetrAVG bestimmten Verpflichtung des Versorgungsschuldners korrespondiert - ebenso wie mit der in § 6 BetrAVG begründeten Verpflichtung - ein entsprechender Anspruch des Berechtigten.
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bb) Dies findet seine Bestätigung in der Entstehungsgeschichte der Bestimmung.
22
§ 30a BetrAVG wurde durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999 - RRG 1999 -) vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2998, 3025) in das BetrAVG eingefügt. Die Bestimmung, die am 1. Januar 1999 in Kraft getreten ist, geht zurück auf das sog. „Barber“-Urteil des EuGH vom 17. Mai 1990 (- C-262/88 - Slg. 1990, I-1889), mit dem der EuGH entschieden hat, dass Art. 119 EWG-Vertrag (später: Art. 141 EG, nunmehr: Art. 157 AEUV) jede das Entgelt betreffende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ohne Rücksicht darauf verbietet, woraus sich diese Ungleichbehandlung ergibt. Daher verstößt nach der „Barber“-Entscheidung des EuGH die Festsetzung eines je nach dem Geschlecht unterschiedlichen Rentenalters als Voraussetzung für die Eröffnung eines Rentenanspruchs im Rahmen eines betrieblichen Systems gegen Art. 119 EWG-Vertrag, selbst wenn dieser Unterschied im Rentenalter von Männern und Frauen der insoweit für das nationale gesetzliche System geltenden Regel entspricht.
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Diese Entscheidung hatte die Änderung der Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24. Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit (im Folgenden: RL 86/378/EWG) durch die Richtlinie 96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 zur Änderung der Richtlinie 86/378/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit (im Folgenden: RL 96/97/EG) zur Folge. Art. 6 der RL 86/378/EWG wurde dahin gefasst, dass Bestimmungen, die die Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand vorsehen, dem Grundsatz der Gleichbehandlung entgegenstehen. Den Mitgliedstaaten wurde aufgegeben, die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um der Richtlinie bis zum 1. Juli 1997 nachzukommen. Der deutsche Gesetzgeber verhandelte daraufhin über einen Gesetzesentwurf, der vorsah, nach § 6 BetrAVG, dem die Qualität einer Anspruchsgrundlage zukommt, einen mit dem späteren § 30a BetrAVG im Wesentlichen inhaltsgleichen § 6a mit der Überschrift „Anwendungsregel zu § 6“ in das BetrAVG einzufügen (vgl. BT-Drucks. 13/8011 S. 34). Später wurde die heute gültige Fassung von § 30a BetrAVG beschlossen. In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung heißt es, § 30a (neu) übernehme die bisher in § 6a vorgesehene Regelung, mit der die neue Richtlinie 96/97/EG in nationales Recht umgesetzt werde und präzisiere die bisherige Regelung insbesondere insoweit, als die Voraussetzungen für eine Frauenaltersrente in voller Höhe erfüllt sein müssten; hiermit werde im Ergebnis erreicht, dass ein Anspruch nur bei Ausscheiden aus dem Erwerbsleben bestehe (vgl. BT-Drucks. 13/8671 S. 121). Der Gesetzgeber wollte daher unzweifelhaft auch mit § 30a Abs. 1 BetrAVG eine Anspruchsgrundlage schaffen.
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b) § 30a Abs. 1 BetrAVG findet auf den Kläger als ehemaligen sog. Fremdgeschäftsführer der Beklagten Anwendung. Nach § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG gelten die §§ 1 bis 16 BetrAVG entsprechend für Personen, die nicht Arbeitnehmer sind, wenn ihnen aus Anlass ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt worden sind. Dies ist beim Kläger der Fall. § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG nimmt zwar die Regelung in § 30a BetrAVG nicht ausdrücklich in Bezug. Die Vorschrift wird jedoch von der Verweisung auf § 6 BetrAVG erfasst.
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aa) Der Kläger gehört zu dem in § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG genannten Personenkreis.
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(1) § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG trägt dem Umstand Rechnung, dass vielfach auch Mitglieder von Gesellschaftsorganen und Selbständige aus Anlass ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen betriebliche Versorgungszusagen erhalten, auf deren inhaltliche Ausgestaltung sie wie Arbeitnehmer wegen der regelmäßig stärkeren Position ihres Vertragspartners keinen oder nur geringen Einfluss nehmen können. Dieser Personenkreis, der zur Wahrung seines bisherigen Lebensstandards meist in besonderem Maße auf die betriebliche Versorgung angewiesen ist, soll in gleichem Maße durch die Vorschriften der §§ 1 bis 16 BetrAVG geschützt werden wie Arbeitnehmer (vgl. BT-Drucks. 7/1281 S. 30). Allerdings ordnet § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG dem Geltungsbereich des Gesetzes nur Personen zu, die nicht selbst Unternehmer sind, sondern die für ein fremdes Unternehmen tätig werden (vgl. auch BAG 16. April 1997 - 3 AZR 869/95 - zu I 2 b der Gründe; 21. August 1990 - 3 AZR 429/89 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 66, 1). Die Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung müssen den Personen iSd. § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG aus Anlass ihrer Tätigkeit „für“ ein Unternehmen und damit für ein fremdes Unternehmen zugesagt sein (vgl. BGH 28. April 1980 - II ZR 254/78 - zu III 5 der Gründe, BGHZ 77, 94).
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(2) Dies ist beim Kläger der Fall. Zu den Personen, die „für ein Unternehmen“ tätig sind, zählen grundsätzlich auch die Organmitglieder einer juristischen Person. Das sind bei der GmbH die Geschäftsführer (vgl. BGH 29. Mai 2000 - II ZR 380/98 - zu 2 der Gründe). Da der Kläger Fremdgeschäftsführer der Beklagten war, konnte er auf die unternehmerische Willensbildung keinen Einfluss nehmen und ist daher nicht als „Unternehmer“ vom Schutz des BetrAVG ausgeschlossen, sondern vielmehr einem Arbeitnehmer vergleichbar vom Schutzbereich des Gesetzes erfasst (vgl. etwa BAG 21. August 1990 - 3 AZR 429/89 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 66, 1).
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bb) Die Vorschrift des § 30a BetrAVG wird von der Verweisung in § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG erfasst.
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(1) Zwar nimmt § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG nur die §§ 1 bis 16 BetrAVG in Bezug und ordnet nicht ausdrücklich die Anwendbarkeit von § 30a BetrAVG an. § 30a BetrAVG wird jedoch von der in § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG enthaltenen Verweisung auf § 6 BetrAVG erfasst. Eine entsprechende Klarstellung hat der Gesetzgeber nicht für erforderlich erachtet.
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(a) Ursprünglich war vorgesehen, die nunmehr in § 30a BetrAVG enthaltene Regelung als „Anwendungsregel zu § 6“ mit einem § 6a in das BetrAVG einzufügen. Damit sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es für Männer - anders als für Frauen - nicht die Möglichkeit gab, gesetzliche Altersrente bereits ab dem 60. Lebensjahr zu beziehen und damit nach § 6 BetrAVG auch die Betriebsrente schon ab diesem Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen. Dies stand im Widerspruch zu der RL 96/97/EG. In der Begründung zum Entwurf des Rentenreformgesetzes 1999 heißt es hierzu: „Mit dem neuen § 6a wird der Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinie 96/97/EG, in der das in Artikel 119 EG-Vertrag verankerte Gebot des gleichen Entgeltes für Männer und Frauen konkretisiert wird, in Bezug auf § 6 BetrAVG nachgekommen. ... Mit Einfügung dieser Vorschrift wird keine Rechtsänderung herbeigeführt, da dieser Anspruch bereits jetzt aufgrund höherrangigen Gemeinschaftsrecht durchgesetzt werden könnte“ (vgl. BT-Drucks. 13/8011 S. 71).
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An der Zielsetzung des Gesetzes, auch Männern die Möglichkeit einzuräumen, bereits ab dem 60. Lebensjahr vorgezogene Betriebsrente in Anspruch zu nehmen, hat sich durch die Einordnung von § 30a in die „Übergangs- und Schlussvorschriften“ des BetrAVG nichts geändert. Diese Einordnung hat ihren Grund allein darin, dass im Zuge der Reform der gesetzlichen Rentenversicherung durch das Rentenreformgesetz 1999 die Bestimmung in § 237a in das SGB VI eingefügt wurde, mit dem die Altersgrenze für die Inanspruchnahme der besonderen Altersrente für Frauen schrittweise angehoben wurde. Damit stand fest, dass der ursprünglich vorgesehene § 6a BetrAVG nur noch übergangsweise von Bedeutung sein würde. Deshalb wurde der bisherige Regelungsgehalt von § 6a BetrAVG ebenfalls in eine Übergangsvorschrift (§ 30a BetrAVG) aufgenommen (vgl. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks. 13/8671 S. 120).
32
Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber eine klarstellende Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG dahin, dass auch § 30a BetrAVG von der Verweisung auf die §§ 1 bis 16 BetrAVG erfasst wird, erkennbar nicht für erforderlich gehalten.
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(b) Dass § 30a BetrAVG von der in § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG enthaltenen Verweisung auf § 6 BetrAVG erfasst wird und dass der Gesetzgeber eine ausdrückliche Klarstellung insoweit für überflüssig erachtet hat, wird auch durch die in § 17 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG getroffene Regelung bestätigt. Es besteht kein Zweifel, dass § 30a BetrAVG auf Arbeitnehmer iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG Anwendung findet. Dennoch hat es der Gesetzgeber auch nach Schaffung des § 30a BetrAVG dabei belassen, in § 17 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG den Arbeitnehmerbegriff nur im Hinblick auf die §§ 1 bis 16 BetrAVG zu definieren.
34
(2) Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen und der Beklagten scheitert die Anwendung von § 30a BetrAVG auf den Kläger auch nicht daran, dass dieser als ehemaliger Geschäftsführer der Beklagten auf seine Beschäftigungs- und Versorgungsbedingungen möglicherweise größeren Einfluss nehmen konnte als ein Arbeitnehmer und er deshalb uU weniger schutzbedürftig war. Auf die konkrete Schutzbedürftigkeit im Einzelfall stellt § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG nicht ab.
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Zwar ergibt sich aus § 17 Abs. 1 BetrAVG, dass die §§ 1 bis 16 BetrAVG in erster Linie Arbeitnehmern zugutekommen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG) und erst in zweiter Linie auch sonstige Empfänger vom Schutzbereich des Betriebsrentengesetzes erfasst werden (§ 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG). Danach soll die Geltung der Schutzvorschriften des BetrAVG erkennbar auf Personen begrenzt bleiben, deren Lage im Fall einer Pensionsvereinbarung mit der eines Arbeitnehmers annähernd vergleichbar ist (vgl. BGH 28. April 1980 - II ZR 254/78 - zu III 2 der Gründe, BGHZ 77, 94). Auch lässt die Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 7/1281 S. 30) erkennen, dass die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG wesentlich auf das Leitbild eines wirtschaftlich abhängigen und deshalb besonders schutzwürdigen Beschäftigten ausgerichtet ist (vgl. BGH 28. April 1980 - II ZR 254/78 - zu III 2 der Gründe, aaO). Der soziale Schutzcharakter des BetrAVG führt aber nicht dazu, dass die Anwendung von § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG vom konkreten Schutzbedürfnis des Versorgungsberechtigten im Einzelfall abhängt (vgl. BGH 28. April 1980 - II ZR 254/78 - zu III 3 der Gründe, aaO). Der Gesetzgeber hat sich bei der Fassung von § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG auf eine generelle Regelung beschränkt, die bestimmte typische Sachverhalte erfasst und damit einen weiten Anwendungsbereich eröffnet. Einschränkende Voraussetzung ist lediglich, dass die von § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG erfassten Personen für ein „fremdes“ Unternehmen und damit nicht selbst als Unternehmer tätig sind. Auf den Grad der Schutzbedürftigkeit im Einzelfall soll es demnach nicht ankommen.
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c) Der Kläger erfüllt seit dem 1. Mai 2007 die Voraussetzungen von § 30a Abs. 1 BetrAVG.
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aa) Er wurde am 1. Mai 1947 und damit vor dem 1. Januar 1952 geboren. Er hatte am 1. Mai 2007 zudem das 60. Lebensjahr vollendet.
38
bb) Ausweislich des vom Kläger zur Gerichtsakte gereichten Bescheides der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 24. März 2010 hatte er nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als 10 Jahre Pflichtbeiträge geleistet und die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt. Hierüber besteht unter den Parteien auch kein Streit.
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cc) Der Kläger erfüllt auch die Voraussetzung von § 30a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BetrAVG, wonach männliche Arbeitnehmer kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen beziehen dürfen, das die Hinzuverdienstgrenze nach § 34 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI überschreitet. Das Landesarbeitsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass der Kläger am 1. Mai 2007 endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden war und seitdem bis zur Bewilligung der vorgezogenen gesetzlichen Altersrente keine berücksichtigungsfähigen Einkünfte mehr bezogen hat. Diese Feststellung ist für den Senat bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO), da die Beklagte diese Feststellung nicht erfolgreich mit einer Verfahrensrüge angegriffen hat.
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(1) Das Landesarbeitsgericht hat zwar - ebenso wie das Arbeitsgericht - festgestellt, dass der Kläger mit dem „1. Juli 2007“ aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. Das vom Landesarbeitsgericht festgestellte Datum beruht jedoch erkennbar auf einem Versehen. Der Kläger hatte stets geltend gemacht, er erziele bereits seit dem 1. Mai 2007 kein Arbeitseinkommen mehr; er habe auch keine Einkünfte aus selbständiger Arbeit, sondern versorge sich seitdem aus gespartem Kapitalvermögen, er sei aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Für eine Anknüpfung an das Datum „1. Juli 2007“ ergibt sich kein Anhaltspunkt.
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(2) Die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, dass der Kläger jedenfalls seit dem 1. Mai 2007 kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen mehr erzielt hat, ist für den Senat bindend. Nach § 559 Abs. 2 ZPO ist das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gebunden, soweit nicht eine zulässige und begründete Verfahrensrüge iSv. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO erhoben wurde. Die Beklagte hat insoweit keine durchgreifende Verfahrensrüge erhoben.
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(a) Die Beklagte hat in ihrer Revisionserwiderung geltend gemacht, es sei nicht unstreitig, dass der Kläger die weiteren Voraussetzungen des § 30a BetrAVG erfülle. Sie habe sowohl in der ersten als auch in der zweiten Instanz bestritten, dass der Kläger insbesondere ab dem 60. Lebensjahr über keinerlei Einkünfte mehr verfügt habe. Den entsprechenden Nachweis sei der Kläger bisher schuldig geblieben.
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(b) Soweit die Beklagte damit zum Ausdruck bringen will, das Landesarbeitsgericht habe ihr Bestreiten übergangen, hat die Rüge keinen Erfolg, da der Kläger den von der Beklagten vermissten Nachweis erbracht hatte. Der Kläger hatte im Verlaufe des Rechtsstreits die Steuerbescheide für die Jahre 2007, 2008 und 2009 vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass er in diesen Jahren keinerlei Einkommen aus unselbständiger oder selbständiger Arbeit erzielt hatte.
44
dd) Der Kläger hatte am 1. Mai 2007 ferner die Wartezeit und die sonstigen Leistungsvoraussetzungen der Versorgungsordnung VAW AG erfüllt. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten gehört zu den „sonstigen Leistungsvoraussetzungen der Versorgungsregelung“ nach § 30a Abs. 1 BetrAVG nicht die unter Ziff. 2.1 Abs. 2 der Versorgungsordnung VAW AG bestimmte Voraussetzung des gleichzeitigen Bezuges von vorzeitigem Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck von § 30a BetrAVG. Die Bestimmung dient dazu, es auch Männern zu ermöglichen, ebenso wie Frauen die Betriebsrente schon ab dem 60. Lebensjahr in Anspruch zu nehmen, obwohl Männer - anders als Frauen - zu diesem Zeitpunkt noch keine gesetzliche Altersrente in Anspruch nehmen können und sie deshalb die Voraussetzungen des § 6 BetrAVG nicht erfüllen. Bei einem anderen Verständnis der Bestimmung verbliebe für § 30a BetrAVG kein Anwendungsbereich.
45
ee) Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten setzt der Anspruch nach § 30a Abs. 1 BetrAVG nicht voraus, dass es in dem Unternehmen vergleichbare Mitarbeiterinnen gibt, gegenüber denen eine Ungleichbehandlung hinsichtlich des Entgelts bestehen könnte. Diese Anforderung lässt sich § 30a BetrAVG nicht entnehmen. Sie wäre auch mit den Vorgaben von Art. 141 EG (zuvor: Art. 119 EWG-Vertrag, nunmehr: Art. 157 AEUV) unvereinbar. Gemäß Art. 141 Abs. 1 EG hat jeder Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherzustellen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist Art. 141 Abs. 1 EG dahin auszulegen, dass die Anwendbarkeit von Art. 141 Abs. 1 EG auf ein Unternehmen nicht von der Voraussetzung abhängt, dass der betroffene Arbeitnehmer mit einem Arbeitnehmer des anderen Geschlechts verglichen werden kann, der bei demselben Arbeitgeber beschäftigt ist oder war und der für die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit ein höheres Entgelt erhalten hat (EuGH 13. Januar 2004 - C-256/01 - [Allonby], Slg. 2004, I-873).
46
ff) Der Kläger hat die Zahlung der vorgezogenen Betriebsrente ab dem 1. Mai 2007 mit Schreiben vom 31. März 2010 von der Beklagten verlangt.
47
4. Der Kläger kann Zinsen auf die rückständige Betriebsrente für die Zeit vom 1. Mai 2007 bis zum 30. April 2010 iHv. insgesamt 34.344,00 Euro brutto nach § 286 Abs. 1 und Abs. 2, § 288 BGB erst seit dem 2. Mai 2010 beanspruchen. Hinsichtlich der darüber hinausgehenden Zinsforderung ist die Klage unbegründet.
48
Der Kläger hat die Beklagte mit Schreiben vom 31. März 2010, das dieser am selben Tage per Telefax zugegangen ist, unter Berufung auf § 30a BetrAVG sowie unter Fristsetzung zum Ende des Monats April 2010 aufgefordert, an ihn nachträglich für die Zeit vom 1. Mai 2007 bis zum 31. März 2010 rückständige Betriebsrente zu zahlen. Zudem hat er für die Zeit ab April 2010 die Zahlung einer laufenden monatlichen Betriebsrente verlangt. Damit befand sich die Beklagte hinsichtlich der Rückstände aufgrund der Mahnung des Klägers ab Ende April 2010 in Verzug. Hinsichtlich der Betriebsrente für April 2010 bedurfte es nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB keiner Mahnung, da nach Ziff. 5.2 der Versorgungsordnung VAW AG die Betriebsrente monatlich nachträglich gezahlt wird und der Kläger am 31. März 2010 die Zahlung der Betriebsrente ab dem 1. Mai 2007 verlangt hat.
49
II. Die Beklagte ist nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 BetrAVG verpflichtet, die Betriebsrente des Klägers ab dem 1. Mai 2010 um 4,15 %, dh. um 39,59 Euro, auf 993,59 Euro monatlich anzupassen.
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1. Nach § 16 Abs. 1 BetrAVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei hat er insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und seine eigene wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen. Die Belange des Versorgungsempfängers werden durch den Anpassungsbedarf und die sog. reallohnbezogene Obergrenze bestimmt. Der Anpassungsbedarf richtet sich nach dem seit Rentenbeginn eingetretenen Kaufkraftverlust. Dieser ist nach dem am Anpassungsstichtag vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Verbraucherpreisindex zu ermitteln.
51
2. Da sich die Beklagte weder auf die reallohnbezogene Obergrenze berufen hat noch darauf, aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage zur Anpassung der Betriebsrente des Klägers nicht imstande gewesen zu sein, ist die Beklagte verpflichtet, die Betriebsrente des Klägers zum 1. Mai 2010 an den seit dem Rentenbeginn am 1. Mai 2007 eingetretenen Kaufkraftverlust anzupassen. Dieser beläuft sich auf 4,15 %.
52
Der am 1. Mai 2010 veröffentlichte Verbraucherpreisindex für Deutschland (Basis 2005) betrug in dem Monat vor Rentenbeginn, mithin im April 2007, 103,6, und in dem Monat vor dem Anpassungsstichtag, mithin im April 2010, 107,9. Hieraus errechnet sich zum Anpassungsstichtag 1. Mai 2010 eine Steigerung von 4,15 % ([107,9 : 103,6 - 1] x 100).
53
Die monatliche Betriebsrente des Klägers war daher um 39,59 Euro auf 993,59 Euro anzupassen. Da die Beklagte dem Kläger in der Zeit vom 1. Mai 2010 bis zum 31. Dezember 2010 eine monatliche Betriebsrente iHv. 954,00 Euro gezahlt hat, beläuft sich der Rückstand für diesen Zeitraum auf 316,72 Euro. Ab dem 1. Januar 2011 hat die Beklagte an den Kläger eine monatliche Betriebsrente iHv. 963,54 Euro erbracht. Für die Zeit ab Januar 2011 beträgt die monatliche Differenz demnach 30,05 Euro. Deshalb kann der Kläger von der Beklagten für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis zum 31. August 2011 rückständige Betriebsrente iHv. insgesamt 240,40 Euro verlangen. Ab September 2011 steht dem Kläger eine um 30,05 Euro brutto höhere monatliche Betriebsrente zu.
54
3. Zinsen auf die rückständigen Anpassungsforderungen iHv. insgesamt 557,12 Euro kann der Kläger erst ab dem 16. April 2014 beanspruchen. Dem Kläger stehen Zinsen auf die für die Zeit vom 1. Mai 2010 bis zum 31. August 2011 geltend gemachten monatlichen Erhöhungsbeträge nicht bereits seit dem jeweiligen Ersten des jeweiligen Folgemonats zu, sondern erst ab dem Folgetag des Tages, an dem das Urteil hinsichtlich der Anpassungsverpflichtung rechtskräftig wird. Das ist der 16. April 2014. Für die davor liegenden Zeiträume fehlt es an der für den Zinsanspruch notwendigen Fälligkeit der Forderungen.
55
a) Der Anspruch auf Verzugszinsen entsteht - da Verzug erst ab Fälligkeit eintreten kann - frühestens ab der Fälligkeit der Forderung. Die Fälligkeit der Anpassungsforderungen des Klägers tritt nicht vor der Rechtskraft des klagestattgebenden Urteils ein (vgl. Palandt/Grüneberg 73. Aufl. § 286 Rn. 13). Leistungen, die nach billigem Ermessen zu bestimmen sind, werden bei gerichtlicher Bestimmung erst aufgrund eines rechtskräftigen Gestaltungsurteils nach § 315 Abs. 3 BGB fällig. Dazu gehören auch die aufgrund einer Anpassungsentscheidung nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 BetrAVG zu gewährenden Leistungen (vgl. etwa BAG 19. Juni 2012 - 3 AZR 464/11 - Rn. 49, BAGE 142, 116; 28. Juni 2011 - 3 AZR 859/09 - Rn. 32, BAGE 138, 213).
56
b) Es kann offenbleiben, ob Prozesszinsen nach § 291 BGB im Falle der Bestimmung der Leistung durch Gestaltungsurteil überhaupt zugesprochen werden können (dagegen BGH 4. April 2006 - X ZR 122/05 - Rn. 23, BGHZ 167, 139; 4. April 2006 - X ZR 80/05 - Rn. 24). Dem könnte entgegenstehen, dass Prozesszinsen keinen Schuldnerverzug voraussetzen, der Schuldner vielmehr durch § 291 BGB schon deshalb einer Zinspflicht unterworfen wird, weil er es zum Prozess hat kommen lassen und für das damit verbundene Risiko einstehen soll; dieses Risiko kann sich nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens nicht mehr verwirklichen. Jedenfalls könnte auch der Anspruch auf Prozesszinsen frühestens ab der Fälligkeit der Forderung (§ 291 Satz 1 Halbs. 2 BGB) entstehen (vgl. etwa BAG 19. Juni 2012 - 3 AZR 464/11 - Rn. 50, BAGE 142, 116).
57
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 91 Abs. 1, § 91a Abs. 1 und § 269 Abs. 3 ZPO.
58
Soweit die Parteien den Rechtsstreit im Hinblick auf den in zweiter Instanz gestellten Antrag des Klägers festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, seine Betriebsrente statt nach § 16 Abs. 1 iVm. Abs. 3 BetrAVG nach § 16 Abs. 1 iVm. Abs. 2 Ziff. 1 BetrAVG anzupassen, in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 24. November 2011 übereinstimmend für erledigt erklärt hatten, hat das Landesarbeitsgericht dem Kläger im Ergebnis zu Recht nach § 91a Abs. 1 ZPO die Kosten auferlegt. Der Feststellungsantrag des Klägers war wegen fehlenden Feststellungsinteresses (§ 256 Abs. 1 ZPO) von vornherein unzulässig. Die Versorgungsordnung VAW AG bedingt weder die Anpassungsprüfung nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 BetrAVG ausdrücklich ab noch ersetzt sie diese, sondern sieht eine zusätzliche Garantieanpassung um 1 % pro Jahr vor. Soweit der Kläger in der Revisionsinstanz seinen Hilfsantrag mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen hat, hat er nach § 269 Abs. 3 ZPO die Kosten zu tragen. Im Übrigen ergibt sich die Kostenfolge aus § 91 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO.
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