BGH: Besetzung des mitbestimmten Aufsichtsrats bei Umwandlung einer SE
BGH, Urteil vom 23.7.2019 – II ZB 20/18
ECLI:DE:BGH:2019:230719BIIZB20.18.0
Volltext: BB-ONLINE BBL2019-2227-1
Amtlicher Leitsatz
Wenn vor der Eintragung einer durch formwechselnde Umwandlung gegründeten, dualistisch aufgebauten Europäischen Gesellschaft (SE) in das Handelsregister ein Statusverfahren eingeleitet worden ist, richtet sich die in diesem Verfahren festzulegende Zusammensetzung des Aufsichtsorgans der SE bei Anwendbarkeit der Auffangregelung über die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§§ 34 ff. SEBG) danach, wie der Aufsichtsrat vor der Umwandlung nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften richtigerweise zusammenzusetzen war.
AktG § 98 Abs. 1; SEBG § 34 Abs. 1 Nr. 1, § 35 Abs. 1
Sachverhalt
I.
Die Beteiligten streiten über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Antragsgegnerin nach deren Umwandlung in eine Societas Europaea (SE).
Die Antragsgegnerin bestand ursprünglich in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft deutschen Rechts. Ihre formwechselnde Umwandlung in eine SE wurde am 2. Juni 2017 von der Hauptversammlung beschlossen und am 31. Juli 2017 im Handelsregister eingetragen. Eine Vereinbarung über die Arbeitnehmerbeteiligung gemäß § 21 des Gesetzes über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SEBG) wurde nicht geschlossen. Das bei der Antragsgegnerin bestehende Aufsichtsorgan setzt sich, ebenso wie der Aufsichtsrat vor der Umwandlung, ausschließlich aus Vertretern der Anteilseigner zusammen.
Die Antragsgegnerin beschäftigte vor der Umwandlung 205 Arbeitnehmer. Unter Einbeziehung weiterer zu dem Konzern der Antragsgegnerin gehörender Gesellschaften betrug die Gesamtzahl der Beschäftigten 1.046. Ein Beherrschungsvertrag bestand nur mit höchstens zwei dieser Gesellschaften. Außerdem hielt die Antragsgegnerin eine Beteiligung von 49 % an der K. Seniorenwohn- und Pflegeanlage Betriebs-GmbH, die etwa 1.300 Arbeitnehmer beschäftigte. Die konzernrechtliche Zurechnung dieser Gesellschaft ist streitig.
Der Antragsteller ist Aktionär der Antragsgegnerin. Mit am 27. Juli 2017 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz hat er eine gerichtliche Entscheidung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Antragsgegnerin gemäß § 98 Abs. 1 AktG beantragt. Er ist der Ansicht, dass der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin nicht nach den hier maßgebenden gesetzlichen Vorschriften zusammengesetzt sei und richtigerweise zur Hälfte oder jedenfalls zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern bestehen müsse. Die Antragsgegnerin tritt dem entgegen.
Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen (LG Frankfurt a.M., ZIP 2018, 932). Auf die Beschwerden des Antragstellers und der Rechtsbeschwerdegegnerin zu 2, einer Gewerkschaft, hat das Beschwerdegericht den Beschluss des Landgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
Aus den Gründen
II.
6 Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
7 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 99 Abs. 1 AktG, § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Antragsgegnerin beschwerdebefugt.
8 Ob und unter welchen Voraussetzungen in einem Statusverfahren nach § 98 f. AktG die betroffene Aktiengesellschaft beschwerdebefugt ist, ist dem Gesetz nicht eindeutig zu entnehmen und in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Einerseits wird die Gesellschaft in der Aufzählung der Antragsberechtigten (§ 98 Abs. 2 AktG), die nach § 99 Abs. 4 Satz 3 AktG zugleich beschwerdeberechtigt sind, nicht ausdrücklich genannt. Andererseits enthält § 99 Abs. 4 Satz 4 AktG eine Regelung zum Beginn der für die Gesellschaft geltenden Beschwerdefrist, was dafür spricht, dass das Gesetz von einer Beschwerdeberechtigung der Gesellschaft ausgeht.
9 Die mittlerweile überwiegende Meinung bejaht eine Beschwerdeberechtigung der Gesellschaft jedenfalls dann, wenn der Antrag in der vorherigen Instanz Erfolg hatte, wobei teilweise auf die allgemeine Regelung der Beschwerdebefugnis in § 59 Abs. 1 FamFG abgestellt wird, die neben der besonderen Regelung in § 99 Abs. 4 Satz 3 AktG anwendbar bleibe (KG, ZIP 2016, 369 f.; MünchKommAktG/Habersack, 5. Aufl., § 99 Rn. 19; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 99 Rn. 29; Koch in Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl., § 99 Rn. 8; Hölters/Simons, AktG, 3. Aufl., § 99 Rn. 13; Grigoleit/Tomasic, AktG, § 99 Rn. 9; Henssler in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., § 99 AktG Rn. 5). Die Gegenansicht hält die besondere Regelung der Beschwerdebefugnis in § 99 Abs. 4 Satz 3 AktG hingegen für abschließend und meint, danach sei zwar unter anderem der Vorstand im eigenen Namen (§ 98 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 99 Abs. 4 Satz 3 AktG), nicht aber die Gesellschaft beschwerdebefugt (Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl., § 99 Rn. 11; Israel in Bürgers/Körber, Aktiengesetz, 4. Aufl., § 99 Rn. 5).
10 Zuzustimmen ist im Ergebnis der Auffassung, die die Beschwerdebefugnis der Gesellschaft bejaht. Ihre Beschwerdeberechtigung folgt daraus, dass die Antrags- und Beschwerdeberechtigung des Vorstands (§ 98 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 99 Abs. 4 Satz 3 AktG) diesem nicht oder jedenfalls nicht allein als einem aus eigenem Recht selbständig Beteiligten zusteht, sondern ihm - zumindest auch - als dem Vertretungsorgan der Gesellschaft eingeräumt ist (Mertens/Cahn in KK-AktG, 3. Aufl., §§ 97-99 Rn. 23; a.A. Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 98 Rn. 30). Mithin kann der Vorstand aufgrund der ihm zugewiesenen Organkompetenz für die Gesellschaft Beschwerde einlegen. Da es sich in diesem Fall um eine Beschwerde der Gesellschaft handelt, fügt sich auch die Regelung zu dem Beginn der für die Gesellschaft geltenden Beschwerdefrist (§ 99 Abs. 4 Satz 4 AktG) widerspruchsfrei in den normativen Gesamtzusammenhang ein.
11 2. Die Rechtsbeschwerde ist aber nicht begründet.
12 a) Das Beschwerdegericht (OLG Frankfurt, ZIP 2018, 1874) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
13 Die Beschwerden seien zulässig. Die Beschwerdeberechtigung der beteiligten Gewerkschaft ergebe sich daraus, dass ihr bei Anwendung der Mitbestimmungsregeln ein Vorschlagsrecht nach § 16 Abs. 2 MitbestG zustünde (§ 99 Abs. 4 Satz 3, § 98 Abs. 2 Satz 1 Nr. 10 AktG). Hierfür genüge, dass die beteiligte Gewerkschaft bei einem Unternehmen im Konzern der Antragsgegnerin vertreten sei. Die Erfüllung dieser Voraussetzung habe die Beteiligte durch Vorlage einer öffentlichen Urkunde nachgewiesen, aus der sich ergebe, dass ein Mitglied der Gewerkschaft bei der F. GmbH, einer zum Konzern der Antragsgegnerin gehörenden Gesellschaft, beschäftigt sei.
14 Die Beschwerden seien auch begründet. Entgegen der Auffassung des Landgerichts richte sich die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Antragsgegnerin gemäß § 35 Abs. 1 SEBG nicht nach der vor Eintragung der SE in das Handelsregister tatsächlich praktizierten Mitbestimmung (Ist-Zustand), sondern nach der rechtlich gebotenen Mitbestimmung (Soll-Zustand). Das aus § 96 Abs. 4 AktG folgende Kontinuitätsprinzip stehe dem nicht entgegen. Ihm werde hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass auch in der SE die geänderte Zusammensetzung des Aufsichtsrats erst mit dem Abschluss eines Statusverfahrens zum Tragen komme. Ein vor der Umwandlung bestehendes, noch nicht durchgesetztes Recht darauf, die rechtswidrige Zusammensetzung des Aufsichtsrats im Wege eines Statusverfahrens dem rechtmäßigen Zustand anzugleichen, dürfe den Arbeitnehmern durch die Umwandlung nicht genommen werden. Andernfalls könnten sich zudem schwierige Abgrenzungsprobleme im Hinblick auf vor der Umwandlung eingeleitete aber noch nicht rechtskräftig beendete und umgesetzte Statusverfahren ergeben. Der Abschluss eines nach Bekanntgabe der Umwandlungsabsicht sogleich eingeleiteten Statusverfahrens noch vor Eintragung der SE, könne vom Zufall abhängen oder sogar durch eine bewusste Verzögerung des Statusverfahrens vereitelt werden.
15 Entscheidend sei danach, ob die Antragsgegnerin vor der Umwandlung nach dem Mitbestimmungsgesetz oder dem Drittelbeteiligungsgesetz mitbestimmungspflichtig gewesen sei. Da das Landgericht keine Feststellungen zur Frage einer etwaigen konzernrechtlichen Zuordnung der K. Seniorenwohn- und Pflegeanlage Betriebs-GmbH zur Antragsgegnerin und damit der für die Beurteilung der anzuwendenden Mitbestimmungsregeln maßgeblichen Verhältnisse getroffen habe, sei die Sache an das Landgericht zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
16 b) Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde jedenfalls im Ergebnis stand.
17 aa) Ohne Erfolg rügt die Antragsgegnerin, das Beschwerdegericht habe die Beschwerdebefugnis der beteiligten Gewerkschaft zu Unrecht angenommen, da die vorgelegte Urkunde eine Beschäftigung des nicht namentlich genannten Gewerkschaftsmitglieds bei der F. GmbH erst ab April 2018 belege, nicht aber für die Zeitpunkte der Umwandlung und des Ablaufs der Beschwerdefrist.
18 Das Beschwerdegericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis des Gewerkschaftsmitglieds bei der F. GmbH in dem für die Beurteilung der Beschwerdebefugnis rechtlich maßgebenden Zeitraum vorlag, der nach vorherrschender Auffassung in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit dem Erlass der angefochtenen Entscheidung beginnt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 1989 - IVb ZB 208/87, NJW 1989, 1858; KGR Berlin 1999, 259 f.; Müther in Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, 3. Aufl., § 59 Rn. 13; Zöller/Feskorn, ZPO, 32. Aufl., § 59 FamFG Rn. 6; a.A. Abramenko in Prütting/Helms, FamFG, 4. Aufl., § 59 Rn. 10).
19 Die Rechtsbeschwerde weist zwar zutreffend darauf hin, dass die zu den Akten gereichte Urkunde die Vorlage einer Gehaltsbescheinigung lediglich für April 2018 bestätigt. Das Beschwerdegericht war aber nicht gehindert, hieraus den Schluss zu ziehen, dass das Arbeitsverhältnis schon in der Zeit davor bestanden habe, zumal die Antragsgegnerin nach Vorlage der Urkunde im Beschwerdeverfahren nicht mehr auf ihren Einwand zurückgekommen ist, dass die Gewerkschaft schon nicht beschwerdebefugt sei. Der Senat teilt diese Einschätzung des Beschwerdegerichts.
20 Im Übrigen hätte selbst eine fehlende Beschwerdebefugnis der Gewerkschaft für das vom Antragsteller eingeleitete Statusverfahren keine weitergehenden Auswirkungen. Die Endentscheidung wirkt für und gegen alle (§ 99 Abs. 5 Satz 2 AktG). Die gerichtlichen Kosten des Verfahrens sind von der Gesellschaft zu tragen, soweit sie nicht dem Antragsteller auferlegt werden; im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt (§ 23 Nr. 10 GNotKG, § 99 Abs. 6 AktG). Ferner war die Gewerkschaft unabhängig von der Zulässigkeit ihrer Beschwerde jedenfalls ab April 2018 berechtigt, sich an dem vom Antragsteller betriebenen Verfahren zu beteiligen.
21 bb) Die angefochtene Entscheidung hält auch in der Sache rechtlicher Nachprüfung stand. Das Beschwerdegericht hat jedenfalls im Ergebnis zutreffend angenommen, dass der Antrag auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht zurückgewiesen werden kann und es einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts im Hinblick auf die vor der Eintragung der SE anzuwendenden Mitbestimmungsregelungen bedarf.
22 (1) Die Zulässigkeit des Antrags hat das Beschwerdegericht zu Recht bejaht. Hiergegen erinnert die Rechtsbeschwerde auch nichts.
23 (2) Die im Statusverfahren festzulegende Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Antragsgegnerin bestimmt sich aufgrund der Umstände des Streitfalls danach, wie der Aufsichtsrat vor der Umwandlung nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften zusammenzusetzen war.
24 (a) Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Organen einer SE richtet sich gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG allein nach diesem Gesetz. Durch das SEBG ist die zeitgleich mit der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-VO) erlassene Richtlinie 2001/86/EG des Rates zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer (SE-Ergänzungsrichtlinie) in deutsches Recht umgesetzt worden. Nach Art. 13 Abs. 2 der SE-Ergänzungsrichtlinie finden einzelstaatliche Rechtsvorschriften in Bezug auf die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Gesellschaftsorganen, die nicht zur Umsetzung der Richtlinie dienen, keine Anwendung auf Gesellschaften in der Rechtsform der SE. Die Bestimmungen des Mitbestimmungs- und des Drittelbeteiligungsgesetzes sind auf die SE zudem deshalb nicht unmittelbar anwendbar, weil sie nicht zu den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG und § 1 DrittelbG abschließend aufgelisteten Gesellschaftsformen zählt.
25 Nach dem SEBG besteht eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer durch eine Beteiligung in Organen der SE nur dann, wenn zwischen den Leitungen der Gründungsgesellschaften und dem gemäß § 5 SEBG zusammengesetzten besonderen Verhandlungsgremium eine Vereinbarung getroffen wurde, die die Mitbestimmung vorsieht (§ 21 Abs. 3 bis 6 SEBG), oder wenn die Voraussetzungen der Mitbestimmung kraft Gesetzes gemäß §§ 34 ff. SEBG vorliegen.
26 (b) Das Beschwerdegericht hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zu Recht angenommen, dass im Streitfall die Anwendung der Auffangregelungen nach §§ 34 ff. SEBG in Betracht kommt. Eine Vereinbarung nach § 21 SEBG ist nicht getroffen worden. Die Anwendung der §§ 34 ff. SEBG schiede zwar auch dann aus, wenn das besondere Verhandlungsgremium gemäß § 16 SEBG wirksam beschlossen hätte, keine Verhandlungen aufzunehmen oder bereits aufgenommene Verhandlungen abzubrechen (§ 34 Abs. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 2 SEBG). Einen solchen Beschluss hat das Landgericht aber nicht festgestellt und das Beschwerdegericht ist auf dieser Grundlage im Rahmen der ihm obliegenden Rechtsprüfung (§ 99 Abs. 3 Satz 3 AktG) rechts- und verfahrensfehlerfrei davon ausgegangen, dass eine Beschlussfassung nach § 16 SEBG unterblieben ist.
27 Die erstmals im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgebrachte Behauptung der Antragsgegnerin, das besondere Verhandlungsgremium habe beschlossen, keine Verhandlungen aufzunehmen, wie sich aus der Kürze der bis zur Eintragung der SE im Handelsregister verstrichenen Zeit ergebe, ist nicht mehr zu berücksichtigen (§ 99 Abs. 1 AktG, § 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG, § 559 Abs. 1 ZPO). Die Rechtsbeschwerde erhebt insoweit schon deshalb keine durchgreifende Verfahrensrüge, weil ihr Vorbringen nicht erkennen lässt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für eine wirksame Beschlussfassung nach § 16 SEBG erfüllt gewesen seien. Eine auf äußere Abläufe gestützte Vermutung genügt nicht. Das Beschwerdegericht war zudem - auch in Anbetracht des Zeitablaufs bis zur Eintragung der SE - nicht gehalten, von Amts wegen der Frage nachzugehen, ob ein Beschluss nach § 16 SEBG gefasst worden ist. Es durfte vielmehr davon ausgehen, dass die im Beschwerdeverfahren anwaltlich vertretene Antragsgegnerin für sie vorteilhafte Umstände, die von dem Sachverhalt, den das Landgericht zugrunde gelegt hatte, in einem wesentlichen Punkt abweichen, von sich aus geltend machen und ihre Nichtberücksichtigung gegebenenfalls rügen werde (vgl. OLG Zweibrücken, ZIP 2005, 1966 f.; OLG Düsseldorf, ZIP 1997, 546, 547).
28 (c) In dem hier gegebenen Fall einer durch formwechselnde Umwandlung gegründeten SE finden die §§ 35 bis 38 SEBG nur Anwendung, wenn in der Gesellschaft vor der Umwandlung Bestimmungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan galten (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG). Ist diese Voraussetzung erfüllt, bleibt die Regelung zur Mitbestimmung erhalten, die in der Gesellschaft vor der Umwandlung bestanden hat (§ 35 Abs. 1 SEBG).
29 Die Auslegung dieser Vorschriften ist insbesondere hinsichtlich der Frage umstritten, worauf für die Beurteilung des vor der Umwandlung gegebenen Anknüpfungstatbestandes abzustellen ist. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass es für das Mitbestimmungsstatut der SE auf die in der Gründungsgesellschaft tatsächlich praktizierte Mitbestimmung, mithin den "Ist-Zustand", ankomme (LG München I, ZIP 2018, 1546, 1548; LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 21. Dezember 2017 - 3-05 O 81/17, juris Rn. 17 f.; Oetker in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl., § 34 SEBG Rn. 15; MünchKommAktG/Jacobs, 4. Aufl., § 34 SEBG Rn. 5 und § 35 SEBG Rn. 2; Hohenstatt/Müller-Bonanni in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl., § 34 SEBG Rn. 6 und § 35 SEBG Rn. 2; Habersack, AG 2018, 823, 828 f.; Seibt, ZIP 2010, 1057, 1064; Mückl, BB 2018, 2868 ff.; Schapers, EWiR 2018, 615 f.).
30 Andere wollen auf die in der Gründungsgesellschaft gesetzlich gebotene Mitbestimmung, den "Soll-Zustand", abstellen (Sagan in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, § 34 SEBG Rn. 3; Rudolph in Annuß/Kühn/Rudolph/Rupp, EBRG, § 34 SEBG Rn. 6; Forst in Gaul/Ludwig/Forst,Europäisches Mitbestimmungsrecht, § 2 Rn. 464; Cannistra, Das Verhandlungsverfahren zur Regelung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei Gründung einer Societas Europaea und bei Durchführung einer grenzüberschreitenden Verschmelzung, 2014, S. 199 f.; Grambow, BB 2012, 902; Kienast, DB 2018, 2487 f.; Ziegler/Gey, BB 2009, 1750, 1756), wobei einige annehmen, dass das tatsächlich praktizierte Mitbestimmungsstatut zwar zunächst fortgelte, aber im Wege des Statusverfahrens auch nach Gründung der SE noch an den vor Gründung geltenden Sollzustand angepasst werden könne (Rieble in Rieble/Junker, Vereinbarte Mitbestimmung in der SE, 2008, § 3 Rn. 128 ff., Rn. 140; Düwell/Sick, BetrVG, 5. Aufl., Europäische Aktiengesellschaft (SE) pp. Rn. 14; Behme, EWiR 2018, 333, 334; Kurzböck/Weinbeck, DB 2019, 244, 246; Gesell/Berjasevic, DB 2018, 1716, 1717).
31 (d) Welcher dieser Meinungen zu folgen ist, bedarf in der vorliegenden Sache keiner abschließenden Entscheidung; insbesondere kann offenbleiben, ob grundsätzlich auf den "Ist-Zustand" oder den "Soll-Zustand" abzustellen ist.
32 (aa) Allerdings bedarf die mögliche Anknüpfung an einen in der Gründungsgesellschaft noch nicht praktizierten "Soll-Zustand" stets eines geregelten Verfahrens, um rechtlich wirksam zu werden. Sofern vor der Umwandlung keine Vereinbarung über die Mitbestimmung geschlossen wurde, erfordert eine Änderung der Zusammensetzung des Aufsichtsorgans zur Umsetzung der vor der Umwandlung rechtlich gebotenen Mitbestimmung die Durchführung eines Statusverfahrens nach den §§ 97 ff. AktG. Das Statusverfahren ist, wie sich aus § 17 Abs. 4 Satz 1 SEAG erschließt, auch auf die SE anwendbar (Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl., § 34 SEBG Rn. 30; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 98 Rn. 5; Seibt, ZIP 2010, 1057, 1064). Damit gilt das in § 96 Abs. 4 AktG normierte Kontinuitätsprinzip auch für die SE. Hieraus hat das Beschwerdegericht zu Recht gefolgert, dass auch in einer SE die Änderung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats erst mit dem Abschluss des Statusverfahrens wirksam wird und der gewählte Aufsichtsrat bis dahin in seiner konkreten Zusammensetzung rechtmäßig bestehen bleibt.
33 Hiermit ist indes nicht die Frage beantwortet, ob es für die gesetzlich gebotene, gegebenenfalls im Wege eines Statusverfahrens durchsetzbare, Zusammensetzung des Aufsichtsrats auf den vor der Umwandlung bestehenden "Ist-Zustand" oder den "Soll-Zustand" ankommt.
34 (bb) Im Streitfall kann diese Frage jedoch offenbleiben, weil das hier anhängige Statusverfahren bereits vor der Eintragung der SE in das Handelsregister und damit vor dem für den Vollzug der formwechselnden Umwandlung maßgebenden Zeitpunkt (§ 202 UmwG) eingeleitet worden ist. Infolge dieses Umstandes käme es auch unter der Prämisse, dass grundsätzlich auf den "Ist-Zustand" abzustellen sei, entscheidend darauf an, wie der Aufsichtsrat vor der Umwandlung nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften richtigerweise zusammenzusetzen war.
35 Ist ein Statusverfahren vor der Eintragung der SE in das Handelsregister eingeleitet worden, prägt dieser tatsächliche Umstand den vor der Umwandlung bestehenden "Ist-Zustand" mit. Das anhängige Statusverfahren nimmt der bis dahin praktizierten Regelung ihre Verbindlichkeit für den Mitbestimmungsstatus der SE und öffnet die bisherige Handhabung für eine Korrektur nach Maßgabe der einschlägigen Mitbestimmungsregeln (vgl. Habersack, AG 2018, 823, 829; a.A. wohl Mückl, BB 2018, 2868, 2871).
36 Dafür, dass diese Korrekturmöglichkeit mit der Eintragung der SE in das Handelsregister nicht entfällt, sondern auch im Hinblick auf das Aufsichtsorgan der SE erhalten bleibt, sprechen entscheidend Ziel und Zweck des SEBG und der ihm zugrunde liegenden Ergänzungsrichtlinie.
37 Fundamentaler Grundsatz und erklärtes Ziel der Richtlinie ist gemäß Erwägungsgrund 18 die Sicherung erworbener Rechte der Arbeitnehmer über ihre Beteiligung an Unternehmensentscheidungen. Die vor der Gründung einer SE bestehenden Rechte der Arbeitnehmer sollten deshalb Ausgangspunkt auch für die Gestaltung ihrer Beteiligungsrechte in der SE sein (Vorher-Nachher-Prinzip). § 1 SEBG greift diese Zielvorgabe auf und sieht in Abs. 3 vor, die Vorschriften des SEBG so auszulegen, dass die Ziele der Europäischen Union, die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE sicherzustellen, gefördert werden. Für den Fall der SE-Gründung durch formwechselnde Umwandlung gilt das Vorher-Nachher-Prinzip besonders streng (vgl. § 15 Abs. 5, § 21 Abs. 6 SEBG). Der Gesetzgeber hat in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht die Gefahr, dass die Mitbestimmung der Arbeitnehmer beeinträchtigt wird, bei der SE-Gründung durch formwechselnde Umwandlung als besonders hoch eingeschätzt. Eine „Flucht aus der Mitbestimmung“ durch Umwandlung in eine SE sollte nach Möglichkeit unterbunden werden.
38 Einer solchen "Flucht aus der Mitbestimmung" könnte aber, wie das Beschwerdegericht zutreffend aufgezeigt hat, Vorschub geleistet werden, wenn ein Mitbestimmungsstatut dauerhaft festgeschrieben würde, obwohl dessen Übereinstimmung mit den anwendbaren Mitbestimmungsvorschriften durch die Einleitung eines Statusverfahrens bereits auf den Prüfstand gestellt wurde. Da die Einleitung eines Statusverfahrens die Gründung der SE durch Eintragung in das Handelsregister nicht hindert (Habersack, AG 2018, 823, 828 mwN), könnte mit der Eintragung der SE einem bis dahin noch nicht rechtskräftig beendeten Statusverfahren der Prüfungsgegenstand entzogen und die weitere gerichtliche Überprüfung vereitelt werden. In diesem Zusammenhang hat das Beschwerdegericht zu Recht darauf hingewiesen, dass die Dauer eines Statusverfahrens von Umständen außerhalb der Einwirkungsmöglichkeiten der Antragsteller abhängen und gegebenenfalls durch ein auf Verfahrensverzögerung ausgerichtetes Prozessverhalten der Antragsgegnerseite beeinflusst werden kann.
39 3. Die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin kraft Gesetzes zu tragen (§ 23 Nr. 10 GNotKG). Es besteht kein Anlass, die Kosten ganz oder teilweise dem Antragsteller aufzuerlegen (§ 99 Abs. 6 Satz 1 AktG). Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet (§ 99 Abs. 6 Satz 2 AktG).