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Arbeitsrecht
15.08.2013
Arbeitsrecht
BAG: Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei Betriebsratsgröße

BAG, Beschluss vom 13.3.2013 - 7 ABR 69/11


Amtlicher Leitsatz


Im Entleiherbetrieb regelmäßig beschäftigte Leiharbeitnehmer sind bei der Größe des Betriebsrats grundsätzlich zu berücksichtigen.


§ 9 S 1 BetrVG


Sachverhalt


A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Kern der Auseinandersetzung ist, ob die im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer bei Anwendung von § 9 S. 1 BetrVG mitzuzählen sind.


Im Betrieb der Arbeitgeberin fand am 29./30.3.2010 eine Betriebsratswahl statt. Bei Erlass des Wahlausschreibens waren in dem Betrieb regelmäßig 879 Stammarbeitnehmer und 292 Leiharbeitnehmer beschäftigt. Der Wahlvorstand hatte unter Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer zunächst die Wahl eines 15-köpfigen Betriebsrats ausgeschrieben. In einem einstweiligen Verfügungsverfahren wurde ihm vom Arbeitsgericht aufgegeben, das Wahlverfahren abzubrechen und die Wahl eines 13-köpfigen Betriebsrats auszuschreiben. Dem kam der Wahlvorstand nach. Das Ergebnis der Wahl wurde am 7.4.2010 bekannt gegeben.


Die Antragsteller haben die Wahl am 21.4.2010 mit der Begründung angefochten, es sei kein Gremium von 13, sondern von 15 Betriebsratsmitgliedern zu wählen gewesen. Die Leiharbeitnehmer hätten mitgezählt werden müssen. Der Betriebsrat hat diesen Standpunkt unterstützt.


Die Antragsteller haben beantragt,


die Wahl des Betriebsrats für unwirksam zu erklären.


Die Arbeitgeberinnen haben beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie haben die Auffassung vertreten, Leiharbeitnehmer zählten nicht als Arbeitnehmer des Entleiherbetriebs, an den sie arbeitsvertraglich nicht gebunden seien. Der tatsächlichen Eingliederung der Leiharbeitnehmer in den Entleiherbetrieb habe der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass er ihnen dort einzelne betriebsverfassungsrechtliche Rechte zuerkannt habe.


Die Vorinstanzen haben den Wahlanfechtungsantrag abgewiesen, den die Antragsteller mit Unterstützung des Betriebsrats im zugelassenen Rechtsbeschwerdeverfahren weiterverfolgen. Die Arbeitgeberin beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.


Aus den Gründen


7          B. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Der Wahlanfechtungsantrag ist begründet. Bei der Wahl wurde gegen § 9 S. 1 BetrVG verstoßen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts zählen in der Regel beschäftigte Leiharbeitnehmer bei der Festlegung der Anzahl zu wählender Betriebsratsmitglieder grundsätzlich mit. Seine entgegenstehende Rechtsprechung gibt der Senat auf. Der Verstoß gegen § 9 S. 1 BetrVG war geeignet, das Ergebnis der Wahl zu beeinflussen. Diese ist daher unwirksam.


8          I. Der Antrag der Beteiligten zu 1. bis 14. ist zulässig.


9          1. Der Wahlanfechtungsantrag ist nicht etwa deshalb unzulässig, weil das Arbeitsgericht im vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren dem Wahlvorstand, der die Größe des zu wählenden Betriebsrats ursprünglich unter Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern auf 15 Mitglieder festgesetzt hatte, aufgegeben hat, das Wahlverfahren abzubrechen und die Betriebsratswahl neu auszuschreiben, ohne dabei die Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen. Der Anfechtung einer daraufhin nach der gerichtlichen Maßgabe durchgeführten Wahl eines 13-köpfigen Betriebsrats steht die Rechtskraft der vom Arbeitsgericht in dem einstweiligen Verfügungsverfahren getroffenen Entscheidung nicht entgegen.


10        a) Allerdings sind Beschlüsse im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren der formellen und materiellen Rechtskraft fähig. Formell rechtskräftig werden sie, wenn sie mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht mehr angefochten werden können. Die von dieser äußeren Rechtskraft abhängige materielle (innere) Rechtskraft bedeutet, dass der Streitgegenstand des Verfahrens durch die Verfahrensbeteiligten bei unverändertem Sachverhalt nicht erneut einer Entscheidung der Gerichte für Arbeitssachen unterbreitet werden kann. Ein Antrag, der den gleichen Streitgegenstand erneut zur Entscheidung stellt, ist unzulässig, weil der Rechtsschutz bereits gewährt wurde (vgl. BAG 6.6.2000 - 1 ABR 21/99 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 95, 47, BB 2001, 210). Subjektiv wirkt die materielle Rechtskraft nach § 325 Abs. 1 ZPO grundsätzlich zwischen den Parteien des Vorprozesses, im Beschlussverfahren also zwischen den Beteiligten (BAG 6.6.2000 - 1 ABR 21/99 - zu B II 2 der Gründe, a. a. O.). Auf die Frage, ob und ggf. wie sich diese Grundsätze auch im Verhältnis von Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu späteren Hauptsacheverfahren auswirken (vgl. dazu BAG 20.11.2012 - 1 AZR 611/11 - Rn. 87 ff. m. w. N.), kommt es vorliegend nicht an.


11        b) Die formelle und materielle Rechtskraft der im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangenen Entscheidung steht der Zulässigkeit des Wahlanfechtungsantrags der Beteiligten zu 1. bis 14. schon deshalb nicht entgegen, weil die Streitgegenstände der Verfahren nicht identisch sind. Gegenstand des einstweiligen Verfügungsverfahrens waren der Abbruch der eingeleiteten sowie die Einleitung einer erneuten Betriebsratswahl. Dagegen geht es im vorliegenden Verfahren um die Wirksamkeit der durchgeführten Wahl. Darüber hinaus sind auch die Beteiligten der beiden Verfahren überwiegend nicht identisch. Während in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Arbeitgeberin und der Wahlvorstand beteiligt waren, sind an vorliegendem Verfahren neben der Arbeitgeberin 14 wahlberechtigte Arbeitnehmer und der Betriebsrat beteiligt.


12        2. Die Antragsteller sind nach § 19 Abs. 2 S. 1 BetrVG zur Wahlanfechtung berechtigt. Die zweiwöchige Anfechtungsfrist des § 19 Abs. 2 S. 2 BetrVG ist gewahrt.


13        II. Der Wahlanfechtungsantrag ist begründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts entspricht die Wahl von 13 Betriebsratsmitgliedern nicht den gesetzlichen Vorgaben des § 9 S. 1 BetrVG. Unter Berücksichtigung der ständig beschäftigten Leiharbeitnehmer wäre nach der Staffel des § 9 S. 1 BetrVG ein Betriebsrat mit 15 Mitgliedern zu wählen gewesen.


14        1. Der Wahlanfechtungsantrag ist nicht schon deshalb unbegründet, weil die Gerichte im Wahlanfechtungsverfahren an die im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangene Entscheidung gebunden wären.


15        a) Allerdings sind formell und materiell rechtskräftige Entscheidungen geeignet, präjudizielle Bindungswirkung für Folgeprozesse zu entfalten, in denen der Streitgegenstand zwar nicht identisch ist, der Streitgegenstand des Vorprozesses aber eine entscheidungserhebliche Vorfrage bildet (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 29. Aufl. vor § 322 Rn. 22 ff.). Das gilt auch für Beschlüsse in arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren. Dabei beschränkt sich die Bindungswirkung auf den unmittelbaren Gegenstand der vorangegangenen Entscheidung (vgl. BAG 20.11.2012 - 1 AZR 611/11 - Rn. 89). Inwieweit Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Bindungswirkung für spätere Erkenntnisverfahren entfalten, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. dazu BAG 20.11.2012 - 1 AZR 611/11 - Rn. 87 ff. m. w. N.). Subjektiv tritt die Bindungswirkung grundsätzlich nur zwischen den Beteiligten und ihren Rechtsnachfolgern ein. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren erfährt dieser Grundsatz allerdings erhebliche Durchbrechungen (vgl. GK-ArbGG/Dörner Stand März 2013 § 84 Rn. 31 ff. mit zahlreichen Nachweisen; Fitting 26. Aufl. nach § 1 Rn. 59; Nottebom RdA 2002, 292). Sofern es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung - wie etwa § 9 TVG - fehlt, ist stets im Einzelfall zu prüfen, ob eine Erweiterung der Bindungswirkung auf Personen oder Stellen, die am Vorverfahren nicht beteiligt waren, aufgrund materiellen Rechts geboten ist (vgl. GK-ArbGG/Dörner § 84 Rn. 31).


16        b) Hiernach entfaltet die im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangene Entscheidung für das vorliegende Wahlanfechtungsverfahren schon deshalb keine präjudizielle Wirkung, weil eine Erstreckung der Bindungswirkung der zwischen - überwiegend - anderen Beteiligten ergangenen Entscheidung auf die Beteiligten des vorliegenden Verfahrens aus Gründen materiellen Rechts nicht geboten erscheint. Vielmehr würde es zu einer nicht gerechtfertigten Einschränkung der Rechte der zu einer Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 2 S. 1 BetrVG Berechtigten führen, wären diese an die Entscheidung in einem vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren gebunden, an dem sie nicht beteiligt waren.


17        2. Die Wahlanfechtung ist nach § 19 Abs. 1 BetrVG begründet.


18        a) Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann eine Betriebsratswahl angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. § 9 S. 1 BetrVG ist eine wesentliche Vorschrift des Wahlverfahrens. Danach richtet sich die Zahl der Mitglieder des Betriebsrats nach der Anzahl der im Betrieb in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer. In Betrieben mit in der Regel 701 bis 1000 Arbeitnehmern besteht der Betriebsrat aus 13 Mitgliedern, in Betrieben mit in der Regel 1001 bis 1500 Arbeitnehmern aus 15 Mitgliedern. Hiergegen wurde durch die Wahl eines 13-köpfigen Betriebsrats verstoßen.


19        aa) Allerdings befindet sich die Beurteilung des Landesarbeitsgerichts, Leiharbeitnehmer seien generell nicht als Arbeitnehmer des Betriebs i. S. d. § 9 S. 1 BetrVG anzusehen, im Einklang mit der bisherigen Senatsrechtsprechung. Nach § 9 BetrVG in der bis zum 27.7.2001 geltenden Fassung wurden für die Anzahl zu wählender Betriebsratsmitglieder nur betriebsangehörige Arbeitnehmer berücksichtigt (BAG 18.1.1989 - 7 ABR 21/88 - BAGE 61, 7, BB 1989, 1406). Für § 9 BetrVG idF des Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23.7.2001 (BGBl. I S. 1852) galt nach bisheriger Rechtsprechung nichts anderes. Dies hat der Senat für gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung am 16.4.2003 (- 7 ABR 53/02 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 106, 64, BB 2003, 2178) und für nicht gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung am 10.3.2004 (- 7 ABR 49/03 - zu B I 1 a der Gründe, BAGE 110, 27, BB 2004, 2753) entschieden.


20        bb) Im Schrifttum hat die Rechtsprechung ein uneinheitliches Echo gefunden. Ein erheblicher Teil der Autoren hat sich der Auffassung des Senats angeschlossen (Brose NZA 2005, 797; ErfK/Wank 13. Aufl. § 14 AÜG Rn. 7; Gillen/Vahle BB 2006, 2749, 2750; ErfK/Koch § 9 BetrVG Rn. 2; Kreutz GK-BetrVG 9. Aufl. § 9 Rn. 6; ders. FS Wissmann S. 364, 365; H/S/W/G/N/R-Nicolai 8. Aufl. § 9 Rn. 6; HWK/Gotthardt 5. Aufl. § 14 AÜG Rn. 10; Konzen RdA 2001, 76, 83 f.; Löwisch BB 2001, 1734, 1737; Maschmann DB 2001, 2446, 2448; Lindemann/Simon NZA 2002, 365, 367 f.; Löwisch/Kaiser BetrVG 6. Aufl. § 9 Rn. 2; Reineke FS Löwisch S. 211, 221 ff.; Thüsing in Richardi BetrVG 13. Aufl. § 9 Rn. 7; Schirmer FS 50 Jahre BAG S. 1063, 1077; Urban-Crell/Schulz Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung Rn. 1049). Ein anderer Teil des Schrifttums will Leiharbeitnehmer bei den Schwellenwerten der §§ 9, 38 BetrVG berücksichtigen (Brors NZA 2003, 1380, 1382; Hako-BetrVG/Brors 3. Aufl. § 9 Rn. 3; Brors/Schüren BB 2004, 2745, 2751; Däubler ArbuR 2001, 285, 286 und ArbuR 2004, 81, 82; Fitting § 5 Rn. 238 und § 9 Rn. 25; Richardi NZA 2001, 346, 350; DKKW-Homburg 13. Aufl. § 7 Rn. 7 und § 9 Rn. 14; Ratayczak AiB 2004, 212 ff.; Schüren RdA 2004, 184; Wlotzke FS 50 Jahre BAG S. 1149, 1160; ders. distanziert zur Rspr. auch in WPK BetrVG 4. Aufl. § 7 Rn. 30). Differenzierend wird die Auffassung vertreten, Leiharbeitnehmer sollten dann zählen, wenn sie im Entleiherbetrieb auf dauerhaft oder auf regelmäßig besetzten Arbeitsplätzen zum Einsatz kommen (vgl. Hamann in Schüren/Hamann AÜG 4. Aufl. § 14 Rn. 110 f.; vgl. auch ders. Anm. EzA BetrVG 2001 § 9 Nr. 1, S. 16 ff.; ders. Anm. EzA BetrVG 2001 § 9 Nr. 2 S. 17 ff.; Reichold NZA 2001, 857, 861; ders. NZA 2001 Sonderbeilage zu Heft 24 S. 32, 37; Dörner FS Wissmann S. 286, 295 hat dies für den Fall erwogen, dass nach der ab 1.1.2004 geltenden Gesetzesfassung dauerhaft überlassene Leiharbeitnehmer nicht mehr nur eine Randbelegschaft bilden).


21        cc) Nachdem der Senat die zum betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff entwickelte sog. „Zwei-Komponenten-Lehre" für die Fälle des drittbezogenen Personaleinsatzes aufgegeben hat (vgl. dazu im einzelnen BAG 5.12.2012 - 7 ABR 48/11 - Rn. 17 ff.), hält er auch an seiner Rechtsprechung, Leiharbeitnehmer seien im Rahmen von § 9 S. 1 BetrVG nicht zu berücksichtigen, nicht weiter fest. Bei einer insbesondere am Sinn und Zweck der Schwellenwerte in § 9 BetrVG orientierten Auslegung des Gesetzes sind die in der Regel beschäftigten Leiharbeitnehmer mitzuzählen. In Betrieben mit bis zu 51 Arbeitnehmern kommt es zusätzlich auf die Wahlberechtigung der Arbeitnehmer an. Für Betriebe mit in der Regel mehr als 51 Arbeitnehmern sieht das Gesetz diese Voraussetzung nicht mehr vor.


22        (1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und allgemeiner Auffassung im Schrifttum geht das Betriebsverfassungsgesetz in § 5 Abs. 1 S. 1 vom allgemeinen Arbeitnehmerbegriff aus, den es in § 5 Abs. 1 S. 2 und S. 3, Abs. 2 und Abs. 3 erweitert sowie einschränkt. Danach ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (vgl. BAG 5.12.2012 - 7 ABR 48/11 - Rn. 17 m. w. N.). Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen einem Arbeitnehmer und dem Inhaber eines Betriebs genügt allerdings nicht in jedem Fall, um die Beurteilung zu rechtfertigen, der Arbeitnehmer sei auch im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn Arbeitnehmer „des Betriebs". Erforderlich ist hierzu vielmehr die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung des Arbeitnehmers zu einem bestimmten Betrieb. Diese setzt regelmäßig voraus, dass der Arbeitnehmer in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers eingegliedert ist (vgl. BAG 5.12.2012 - 7 ABR 48/11 - Rn. 18 m. w. N.). Diese sog. „Zwei-Komponenten-Lehre", nach der zu den konstitutiven Merkmalen der Betriebszugehörigkeit einerseits ein Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber, andererseits die tatsächliche Eingliederung in dessen Betriebsorganisation gehört (BAG 10.11.2004 - 7 ABR 12/04 - zu B II 1 der Gründe m. w. N., BAGE 112, 305, BB 2005, 1456), wird regelmäßig ohne Weiteres der „Normalfall-Gestaltung" gerecht, „die dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Arbeitnehmer aufgrund eines wirksamen Arbeitsvertrags in der einzigen Betriebsstätte seines Arbeitgebers unselbständige, fremdbestimmte Arbeit tatsächlich leistet" (Kreutz/Raab GK-BetrVG § 7 Rn. 20). Schwierigkeiten entstehen aber bei atypischen Fallgestaltungen, insbesondere beim sog. „drittbezogenen Personaleinsatz", also beim Arbeitseinsatz von Arbeitnehmern in Drittbetrieben (vgl. zu den unterschiedlichen Fallgestaltungen Kreutz/Raab GK-BetrVG § 7 Rn. 39 ff.). Hier führt die reine „Zwei-Komponenten-Lehre" nicht zu sachgerechten Ergebnissen. Ihre uneingeschränkte Anwendung hätte vielmehr zur Folge, dass der Arbeitnehmer einerseits dem Betrieb seines Vertragsarbeitgebers mangels Eingliederung nicht zugeordnet werden könnte, während es andererseits zum Betriebsarbeitgeber an einem arbeitsvertraglichen Band fehlt. In derartigen Fällen der aufgespaltenen Arbeitgeberstellung bedarf es daher einer differenzierten Beurteilung der betriebsverfassungsrechtlichen Zuordnung von Arbeitnehmern (BAG 5.12.2012 - 7 ABR 48/11 - Rn. 20). Diese hat zum einen zu beachten, dass der Gesetzgeber die betriebsverfassungsrechtliche Behandlung des drittbezogenen Personaleinsatzes bereits zu einem nicht unbeträchtlichen Umfang teils im Betriebsverfassungsgesetz, teils in anderen Gesetzen geregelt hat (vgl. BAG 5.12.2012 - 7 ABR 48/11 - Rn. 21 bis Rn. 23). Zum anderen gilt es zu berücksichtigen, dass im Betriebsverfassungsgesetz in ganz unterschiedlichem Zusammenhang auf „den" Arbeitnehmer abgestellt wird (vgl. BAG 5.12.2012 - 7 ABR 48/11 - Rn. 24). Daher sind beim drittbezogenen Personaleinsatz und einer aufgespaltenen Arbeitgeberstellung differenzierende Lösungen geboten, die zum einen die ausdrücklich normierten (spezial-)gesetzlichen Konzepte, zum anderen aber auch die Funktion des Arbeitnehmerbegriffs im jeweiligen betriebsverfassungsrechtlichen Zusammenhang angemessen berücksichtigen (vgl. BAG 5.12.2012 - 7 ABR 48/11 - Rn. 25).


23        (2) Ausgehend von diesem veränderten Verständnis ist der Arbeitnehmerbegriff der „Zwei-Komponenten-Lehre" nicht geeignet für die Beantwortung der Frage, ob im Betrieb beschäftigte Leiharbeitnehmer als Arbeitnehmer im Sinne von § 9 BetrVG anzusehen sind. Da es insoweit auch an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung fehlt, kommt es entscheidend darauf an, welche Funktion dem Arbeitnehmerbegriff in § 9 BetrVG zukommt.


24        (a) Der reine Wortlaut der Vorschrift ist insoweit nicht weiterführend.


25        (b) Der systematische Kontext der Bestimmung spricht insgesamt eher dafür, Leiharbeitnehmer im Einsatzbetrieb bei der Anwendung von § 9 BetrVG zu berücksichtigen.


26        (aa) Allerdings folgt aus § 14 Abs. 1 AÜG, dass Leiharbeitnehmer während der Zeit ihrer Arbeitsleistung bei einem Entleiher weiter dem entsendenden Betrieb des Verleihers angehören. Dies gebietet aber nicht den Schluss, Leiharbeitnehmer könnten im Entleiherbetrieb bei den Schwellenwerten keine Berücksichtigung finden. Dem systematischen Zusammenhang von Betriebsverfassungsgesetz und Arbeitnehmerüberlassungsgesetz lässt sich nicht entnehmen, Leiharbeitnehmer dürften hinsichtlich der Größe des Betriebsrats nur bei einem der beiden Arbeitgeber berücksichtigt werden. Die Situation der Leiharbeitnehmer ist vielmehr gerade durch die Aufspaltung der Arbeitgeberstellung gekennzeichnet.


27        (bb) Für eine Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer im Rahmen von § 9 S. 1 BetrVG spricht der systematische Zusammenhang zu § 7 S. 2 BetrVG (anders noch BAG 10.3.2004 - 7 ABR 49/03 - zu B I 1 a bb der Gründe, BAGE 110, 27, BB 2004, 2753). Nach dieser durch das Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23.7.2001 (BGBl. I S. 1852) neu eingefügten Bestimmung sind Arbeitnehmer eines anderen Arbeitgebers, die zur Arbeitsleistung überlassen werden, wahlberechtigt, wenn sie länger als drei Monate eingesetzt werden. In der Begründung zum Regierungsentwurf heißt es dazu, § 7 S. 2 BetrVG erkenne für bestimmte Fälle die Zugehörigkeit der Leiharbeitnehmer zum Einsatzbetrieb an, um der Erosion der Stammbelegschaft durch den Einsatz von Arbeitnehmern anderer Arbeitgeber entgegenzuwirken (BT-Drucks. 14/5741 S. 36 zu Nr. 7). Dabei steht dem überlassenen Arbeitnehmer, der länger als drei Monate eingesetzt wird, das aktive Wahlrecht zum Betriebsrat nach der Gesetzesbegründung bereits ab dem ersten Arbeitstag im Einsatzbetrieb zu; sein Wahlrecht im Stammbetrieb bleibt unberührt (BT-Drucks. 14/5741 S. 36 zu Nr. 7). § 9 S. 1 BetrVG stellt für Betriebe mit bis zu 51 Arbeitnehmern ebenfalls auf deren Wahlberechtigung ab. Daher erschiene es wenig konsistent, die Leiharbeitnehmer zwar nach § 7 S. 2 BetrVG als im Einsatzbetrieb wahlberechtigt zu behandeln, sie aber nicht als „wahlberechtigte Arbeitnehmer" i. S. v. § 9 S. 1 BetrVG anzusehen. Dass der Gesetzgeber in § 9 S. 1 BetrVG nur in Betrieben mit bis zu 51 Arbeitnehmern die Wahlberechtigung verlangt und darüber auf dieses Erfordernis verzichtet, hebt den systematischen Zusammenhang zwischen § 7 S. 2 BetrVG und § 9 S. 1 BetrVG nicht auf.


28        (c) Für die Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer sprechen entscheidend Sinn und Zweck der Schwellenwerte in § 9 S. 1 BetrVG.


29        (aa) Durch die in dieser Vorschrift vorgesehene Staffelung soll sichergestellt werden, dass die Zahl der Betriebsratsmitglieder in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der betriebsangehörigen Arbeitnehmer steht, deren Interessen und Rechte der Betriebsrat zu wahren hat (BAG 10.3.2004 - 7 ABR 49/03 - zu B I 1 a bb der Gründe, BAGE 110, 27, BB 2004, 2753). Die in den Organisationsvorgaben geregelte Abhängigkeit der Betriebsratsgröße von der Anzahl der in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer trägt dem Umstand Rechnung, dass hiervon der Tätigkeitsaufwand des Betriebsrats maßgeblich bestimmt wird. Je mehr Arbeit im Betriebsrat anfällt, desto mehr Mitglieder soll er haben. Eine angemessene Interessenvertretung ist dann gefährdet, wenn die Zahl der regelmäßig im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer deutlich steigt, ohne dass dies bei der Betriebsratsgröße Berücksichtigung findet (vgl. Hamann in Schüren/Hamann AÜG § 14 Rn. 111).


30        (bb) Der Umfang der Betriebsratsarbeit wird durch die im Betrieb regelmäßig tätigen Leiharbeitnehmer auch bei einer nur partiellen Vertretung in erheblichem Umfang beeinflusst. Dies allein hat der Senat allerdings bislang für eine Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer im Rahmen von § 9 S. 1 BetrVG nicht als ausreichend angesehen (vgl. BAG 10.3.2004 - 7 ABR 49/03 - zu B I 1 a bb der Gründe, BAGE 110, 27, BB 2004, 2753). Nach erneuter Prüfung hält der Senat hieran nicht fest. Die Zunahme an Betriebsratsaufgaben, die mit der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern verbunden ist, ist so erheblich, dass ihr durch eine entsprechende Betriebsratsgröße Rechnung zu tragen ist. Für den Betriebsrat ergeben sich durch die im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer sowohl in Mitbestimmungsangelegenheiten als auch darüber hinaus in beträchtlichem Umfang Aufgaben und Pflichten.


31        (aaa) So erstreckt sich die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG in erheblichem Maße auch auf Leiharbeitnehmer. Insoweit kann beispielhaft verwiesen werden auf die Mitbestimmungsrechte zu Fragen der Ordnung des Betriebs (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG), zur Lage der Arbeitszeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, dazu BAG 15.12.1992 - 1 ABR 38/92 - zu B II 2 b der Gründe, BAGE 72, 107, BB 1993, 648), zur Einführung und Anwendung von Einrichtungen zur Verhaltens- und Leistungskontrolle (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG), zu Regelungen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG) und zu Grundsätzen der Gruppenarbeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG). Diese Mitbestimmungsrechte betreffen Leiharbeitnehmer in gleicher oder ähnlicher Weise wie die Stammbelegschaft.


32        (bbb) Im Rahmen der personellen Mitbestimmung ist der Betriebsrat bei Einstellungen und Versetzungen von überlassenen Arbeitnehmern zu beteiligen (vgl. dazu BAG 9.3.2011 - 7 ABR 137/09 - Rn. 26, BAGE 137, 194; 23.1.2008 - 1 ABR 74/06 - Rn. 22 f. m. w. N., BAGE 125, 306). Erfolgen nacheinander mehrere - noch so kurze - befristete Einsätze, ist jeder von ihnen nach § 14 Abs. 3 S. 1 AÜG, § 99 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Ebenso wenig wie Dauer und zeitlicher Umfang des Leiharbeitnehmereinsatzes das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Entleiherbetrieb reduzieren, ist es bei einem bloßen personellen Wechsel des eingesetzten Leiharbeitnehmers eingeschränkt. Dies gilt selbst dann, wenn nach den Vereinbarungen zwischen dem entleihenden Arbeitgeber und dem Verleiher die Entscheidung über die konkret-personenbezogene Auswahl der auf Anforderung des Arbeitgebers zum Einsatz kommenden Leiharbeitnehmer nach einer entsprechenden Rahmenvereinbarung allein beim Verleiher liegt (vgl. BAG 9.3.2011 - 7 ABR 137/09 - Rn. 26 f. m. w. N., a. a. O.). Die bei Leiharbeitnehmern typischerweise häufigere Fluktuation ist für den Betriebsrat hiernach im Bereich der personellen Mitbestimmung sogar eher mit mehr Arbeit verbunden als bei der Stammbelegschaft.


33        (ccc) Auch über die Mitbestimmung hinaus ist der Betriebsrat in erheblichem Umfang für die Leiharbeitnehmer und deren Angelegenheiten zuständig. So sind überlassene Arbeitnehmer nach § 14 Abs. 2 S. 2 AÜG berechtigt, im Entleiherbetrieb die Sprechstunden der Arbeitnehmervertretungen aufzusuchen und an den Betriebs- und Jugendversammlungen teilzunehmen. Ferner gelten für sie nach § 14 Abs. 2 S. 3 AÜG im Entleiherbetrieb die §§ 81, 82 Abs. 1 und die §§ 84 bis 86 BetrVG. Danach haben auch Leiharbeitnehmer das Recht, mit Hilfe des Betriebsrats des Entleiherbetriebs eine individuelle Beschwerde bei den zuständigen Stellen im Entleiherbetrieb zu führen, indem sie nach § 84 Abs. 1 S. 2 BetrVG ein Mitglied des Betriebsrats zur Unterstützung oder Vermittlung hinzuziehen. § 85 BetrVG sieht vor, dass der Betriebsrat Beschwerden von Arbeitnehmern entgegennimmt und, falls er sie für berechtigt erachtet, beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinwirkt.


34        (cc) Soweit die Erhöhung der Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder durch das Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes mit der Aufgabenerweiterung begründet wurde, die sich im Zusammenhang mit der Einführung und Anwendung neuer Techniken, moderner Produktions- und Arbeitsmethoden, Qualifizierung, Beschäftigungssicherung sowie Arbeits- und Umweltschutz ergeben habe (BT-Drucks. 14/5741 S. 36 zu Nr. 8), steht dies der Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer im Rahmen von § 9 BetrVG nicht entgegen (anders noch BAG 10.3.2004 - 7 ABR 49/03 - zu B I 1 a bb der Gründe, BAGE 110, 27, BB 2004, 2753). Der Arbeitsanfall durch die Erweiterung der Mitbestimmung ist nicht nur hinsichtlich der Stammarbeitskräfte, sondern in beträchtlicher Weise auch hinsichtlich der Leiharbeitnehmer gestiegen. Leiharbeitnehmer sind auch nicht etwa eine regelmäßig nur kleine und bei typisierender Betrachtung zu vernachlässigende Gruppe, sondern bilden des Öfteren einen quantitativ erheblichen, bisweilen sogar den überwiegenden Teil der Belegschaft (vgl. etwa BAG 13. Februar 2013 - 7 ABR 36/11 - Rn. 3: von ca. 260 beschäftigten Arbeitnehmern waren 245 Leiharbeitnehmer).


35        b) Hiernach waren entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts die im Betrieb der Arbeitgeberin regelmäßig beschäftigten 292 Leiharbeitnehmer bei der für die Betriebsratsgröße maßgeblichen Arbeitnehmerzahl nach § 9 S. 1 BetrVG zu berücksichtigen. Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Beschäftigung der nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts „regelmäßig" 292 Leiharbeitnehmer um eine nur zum Zeitpunkt der Wahl vorliegende Ausnahmesituation gehandelt habe (vgl. zur Frage der „in der Regel" Beschäftigten BAG 7.5.2008 - 7 ABR 17/07 - Rn. 17), sind weder behauptet noch ersichtlich. Im Zeitpunkt des Wahlausschreibens bestand die regelmäßige Belegschaft damit aus 1.171 Arbeitnehmern. Somit hätte nach § 9 S. 1 BetrVG statt eines 13-köpfigen ein 15-köpfiger Betriebsrat gewählt werden müssen. Dieser Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift des Wahlverfahrens hat das Wahlergebnis beeinflusst. Eine Korrekturmöglichkeit besteht nicht. Die Betriebsratswahl ist daher unwirksam.

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