BAG: Beitragspflichten zu dem Sozialkassensystem der Bauwirtschaft - Montagebauarbeiten - Darlegungs- und Beweislast - Anbringen von Markisen und Fliegengittern
BAG, Urteil vom 14.7.2021 – 10 AZR 135/19
ECLI:DE:BAG:2021:140721.U.10AZR135.19.0
Volltext: BB-Online BBL2021-2749-1
Orientierungssätze
1. Ob die erstmals in der Revisionsbegründung erhobene Einrede der Verjährung zu der Zulässigkeit der Revision führt, kann dahinstehen, wenn die Revision in der Sache keinen Erfolg hat (Rn. 16).
2. Reparatur- und Servicearbeiten an Fenstern in einem Gebäude sind bauliche Leistungen iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes, auch wenn sie ausschließlich mit Materialien, Werkzeugen und Arbeitsmethoden eines der in § 1 Abs. 2 Abschn. VII der Verfahrenstarifverträge genannten Betriebe des Ausbaugewerbes ausgeführt werden. Dies gilt auch für die Montage einer Markise oder eines Fliegengitters (Rn. 27 ff.).
Sachverhalt
Die Parteien streiten über Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft verpflichtet. Der Kläger nimmt die Beklagte auf der Grundlage verschiedener Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) für die Zeit von Dezember 2009 bis Juli 2014 auf Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer in Anspruch. Er stützt die Ansprüche für Dezember 2009 auf den VTV vom 20. Dezember 1999 idF vom 5. Dezember 2007 (VTV 2007 II), für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2011 auf den VTV vom 18. Dezember 2009 (VTV 2009), für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2012 auf den VTV vom 18. Dezember 2009 idF vom 21. Dezember 2011 (VTV 2011), für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2013 auf den VTV vom 18. Dezember 2009 idF vom 17. Dezember 2012 (VTV 2012), für die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2013 auf den VTV vom 3. Mai 2013 (VTV 2013 I) und für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2014 auf den VTV vom 3. Mai 2013 idF vom 3. Dezember 2013 (VTV 2013 II). Die Beitragsansprüche für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer berechnet der Kläger anhand der vom Statistischen Bundesamt ermittelten Durchschnittslöhne. Für geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer legt er die Verdienstgrenze des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV in der jeweils maßgeblichen Fassung zugrunde.
Die im Klagezeitraum geltenden Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes wurden für allgemeinverbindlich erklärt. Der Senat hat entschieden, dass diese Allgemeinverbindlicherklärungen unwirksam sind (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – BAGE 156, 213, nachgehend BVerfG 10. Januar 2020 – 1 BvR 4/17 -; BAG 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – BAGE 156, 289, nachgehend BVerfG 10. Januar 2020 – 1 BvR 593/17 -; BAG 25. Januar 2017 – 10 ABR 34/15 -, nachgehend BVerfG 10. Januar 2020 – 1 BvR 1459/17 -; BAG 25. Januar 2017 – 10 ABR 43/15 -, nachgehend BVerfG 10. Januar 2020 – 1 BvR 1104/17 -).
Die nicht originär tarifgebundene Beklagte unterhält in Hamm einen Betrieb. Der Betrieb ist im Handelsregister seit 2006 mit dem Unternehmensgegenstand „Handel mit Bauelementen und Montage von Fenstern, Türen und Rollläden einschließlich der damit verbundenen Versiegelungsarbeiten“ eingetragen. Am 24. September 2012 traf ein Prüfer des Hauptzollamts Bielefeld vier Arbeitnehmer der Beklagten auf einer Baustelle in Hamm an, die dort Fenster einbauten. Sie erklärten, sie arbeiteten für die Beklagte als Monteure bzw. als Fenstermonteure. Nach einer am 8. Mai 2013 durchgeführten Prüfung kam die Agentur für Arbeit Hamm zu dem Ergebnis, der Betrieb der Beklagten erbringe überwiegend „typische Montage-, Fertigbauarbeiten“. Seit dem 25. August 2014 ist die Beklagte Mitglied der Tischler-Innung Hamm.
Der Kläger hat den betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes für eröffnet gehalten. Er hat behauptet, im Betrieb der Beklagten hätten in den Kalenderjahren 2009 bis 2014 bis zu neun in Vollzeit und bis zu zwei geringfügig beschäftigte gewerbliche Arbeitnehmer arbeitszeitlich überwiegend aus dem Handel bezogene, industriell vorgefertigte Fenster und Türen montiert und damit zusammenhängende Verkaufs- und Vorbereitungsarbeiten (zB Setzen von Fenstergriffen) ausgeführt. Im Berufungsverfahren hat der Kläger die Beitragsforderungen auf das SokaSiG gestützt.
Nach einer teilweisen Rücknahme der Klage hat der Kläger zuletzt – soweit für die Revision von Interesse – beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 232.840,20 Euro zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, in den Jahren 2009 bis 2014 sei weit mehr als die Hälfte der betrieblichen Arbeitszeit auf „baufremde“ Tätigkeiten wie den Verkauf und die Beratung, die Planung, die Konstruktion und die Werkstattvorbereitung der Handelsware entfallen. Die Fenster- und Türelemente seien in der Werkstatt aus Rohmaterialien und sog. Halbzeugen wie Fenster- und Flügelrahmen hergestellt und verglast worden. Die Rollläden und die Fliegengitter seien in der Werkstatt zugeschnitten und mit den Fenstern verbunden worden. Deshalb habe sie, so hat die Beklagte gemeint, Tätigkeiten des Glaser- und des Schreinerhandwerks iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VII der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes verrichtet. Aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Tischler-Innung Hamm könne sie sich auf die Verbändevereinbarung zur tarifpolitischen Koordination der Bau- und Ausbaugewerke vom 15. Oktober 2017 berufen. Da bei der Montage von Fliegengittern und Markisen nicht in das Gefüge der Gebäude eingegriffen werde, stellten diese Arbeiten keine baulichen Leistungen dar. Das gelte auch für Reparatur- und Servicearbeiten an bereits eingebauten Fenstern. Für die Beitragsansprüche bis einschließlich Dezember 2012 hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben. Das SokaSiG hat sie für verfassungswidrig gehalten.
Der Kläger hat die Beitragsansprüche in zwei Mahnverfahren geltend gemacht. Der den Zeitraum von Dezember 2009 bis Mai 2014 betreffende Mahnbescheid vom 23. September 2014 ist der Beklagten am 25. September 2014 zugestellt worden (- 9 Ba 1994/14 -). Der Mahnbescheid vom 8. Januar 2015, der die Beitragsansprüche für Juni und Juli 2014 umfasst, ist der Beklagten am 13. Januar 2015 zugestellt worden (- 9 Ba 2748/14 -). Das Arbeitsgericht hat die Prozesse verbunden. Nach einer Beweisaufnahme hat es der Klage überwiegend stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der für sie zugelassenen Revision will die Beklagte weiterhin erreichen, dass die Klage abgewiesen wird. In der Revision erhebt sie die Einrede der Verjährung auch im Hinblick auf die Beitragsansprüche für die Monate Januar bis Mai 2013.
Aus den Gründen
9 Die Revision ist zum Teil unzulässig und im Übrigen unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Soweit das Arbeitsgericht die Beklagte dazu verurteilt hat, an den Kläger 232.840,20 Euro anstelle von 232.501,80 Euro zu zahlen, handelt es sich um einen Rechnungsfehler. Der Senat hat ihn von Amts wegen berichtigt.
10 A. Die Revision ist unzulässig, soweit die Beklagte ihre Verurteilung zur Zahlung von Sozialkassenbeiträgen für den Zeitraum von Juni 2013 bis Juli 2014 iHv. 50.584,80 Euro angreift. Zulässig, aber unbegründet ist die Revision, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Zahlung der Beiträge iHv. 162.690,60 Euro für den Zeitraum von Dezember 2009 bis Dezember 2012 richtet. Da die Revision mit Blick auf die für den Zeitraum von Januar bis Mai 2013 zugesprochenen Beiträge iHv. 19.226,40 Euro jedenfalls unbegründet ist, kann ihre Zulässigkeit insoweit dahinstehen.
11 I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört die Angabe der Revisionsgründe zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung. Bei einer Sachrüge sind nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO die Umstände zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergeben soll. Die Revisionsbegründung muss den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des revisionsrechtlichen Angriffs erkennbar sind. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung. Dazu hat der Revisionskläger im Einzelnen darzulegen, weshalb er die Begründung des Berufungsgerichts für unrichtig hält (st. Rspr., zB BAG 16. Juni 2021 – 10 AZR 208/20 – Rn. 11). Bei mehreren Streitgegenständen muss er für jeden eine Begründung geben. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig (st. Rspr., zB BAG 26. Januar 2021 – 3 AZR 139/17 – Rn. 15).
12 II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht, soweit die Beklagte ihre Verurteilung für den Zeitraum von Dezember 2009 bis Dezember 2012 angreift. Die Revision gegen die Stattgabe der Beitragsansprüche für den Zeitraum von Juni 2013 bis Juli 2014 ist nicht hinreichend begründet. Ob die Revisionsbegründung den gesetzlichen Anforderungen genügt, soweit die Beklagte zu der Zahlung der Beiträge für Januar bis Mai 2013 verurteilt worden ist, kann dahinstehen, weil die Revision insoweit in der Sache keinen Erfolg hat.
13 1. Der prozessuale Anspruch einer Beitragsklage der Sozialkasse für gewerbliche Arbeitnehmer ist der auf der Grundlage des jeweils einschlägigen Verfahrenstarifvertrags des Baugewerbes anfallende Sozialkassenbeitrag für einen Kalendermonat. Verlangt der Kläger – wie hier – Beiträge für einen längeren Zeitraum, handelt es sich um eine „Gesamtklage“ (BAG 30. Oktober 2019 – 10 AZR 177/18 – Rn. 17, BAGE 168, 290).
14 2. Ihre Verurteilung zu der Beitragszahlung für die Monate Dezember 2009 bis Dezember 2012 greift die Beklagte mit dem Hinweis auf die erhobene Verjährungseinrede an. Da sich das Landesarbeitsgericht mit der Einrede nicht befasst, sondern ausschließlich den Verfall der Beitragsforderungen geprüft hat, waren weitere Ausführungen zu dieser Sachrüge in der Revisionsbegründung entbehrlich (vgl. BAG 31. März 2021 – 5 AZR 292/20 – Rn. 12 mwN).
15 3. Soweit sich die Revision gegen die Verurteilung zu der Zahlung von Sozialkassenbeiträgen für die Monate Juni 2013 bis Juli 2014 richtet, ist sie unzulässig, weil sich die Revisionsbegründung für diese Streitgegenstände nicht mit den tragenden Erwägungen des Landesarbeitsgerichts auseinandersetzt. Sie erschöpft sich darin, die bereits in den Vorinstanzen vorgetragenen Argumente zu wiederholen. Das genügt nicht (vgl. BAG 26. Januar 2021 – 3 AZR 139/17 – Rn. 15).
16 4. Es kann offenbleiben, ob die Revision im Hinblick auf die Verurteilung zu der Zahlung der Sozialkassenbeiträge für die Kalendermonate Januar bis Mai 2013 zulässig ist, weil erstmals in der Revisionsbegründung auch für diese Streitgegenstände die Einrede der Verjährung erhoben worden ist (zu einer einschränkenden Auslegung des § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO BAG 19. Dezember 2018 – 10 AZR 233/18 – Rn. 73 ff., BAGE 165, 19; zu dem Charakter der Verjährung BAG 29. September 2020 – 9 AZR 266/20 (A) – Rn. 32 mwN). Die Zulässigkeit der Revision kann insoweit aus prozessökonomischen Gründen unterstellt werden, weil sie in der Sache keinen Erfolg hat (vgl. BAG 4. Juni 2003 – 10 AZR 586/02 – zu I 3 der Gründe; ähnlich BAG 13. Februar 2013 – 7 AZR 284/11 – Rn. 13; BGH 31. März 2021 – IV AR (VZ) 6/20 – Rn. 3 [zu dem Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 29 EGGVG]). Daraus ergeben sich keine nachteiligen Folgen für die Parteien.
17 B. Die Revision ist – soweit sie nicht bereits unzulässig ist – unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist zulässig und begründet.
18 I. Der Kläger hat die Klage nicht geändert, indem er die Beitragsforderungen im Berufungsverfahren auf § 7 Abs. 5 bis 8 iVm. den Anlagen 30 bis 33 SokaSiG gestützt hat. Beitragsansprüche nach einem Verfahrenstarifvertrag, für dessen Geltungserstreckung sowohl eine Allgemeinverbindlicherklärung als auch § 7 SokaSiG in Betracht kommen, werden von demselben den Streitgegenstand umgrenzenden Lebenssachverhalt erfasst. Die Ansprüche stützen sich auf dasselbe Tatgeschehen. Sie sind weder in ihren materiell-rechtlichen Voraussetzungen noch in ihren Folgen oder strukturell grundlegend verschieden ausgestaltet (st. Rspr., zB BAG 28. April 2021 – 10 AZR 404/18 – Rn. 11).
19 II. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat nach § 7 Abs. 8 iVm. der Anlage 33 SokaSiG Anspruch auf den geltend gemachten Sozialkassenbeitrag für Dezember 2009. Die Beiträge für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2011 schuldet die Beklagte dem Kläger nach § 7 Abs. 7 iVm. der Anlage 32 SokaSiG. Für die zwölf Kalendermonate des Jahres 2012 beruhen die Ansprüche auf § 7 Abs. 6 iVm. der Anlage 31 SokaSiG, für die fünf Kalendermonate des Jahres 2013 von Januar bis Mai auf § 7 Abs. 5 iVm. der Anlage 30 SokaSiG. Die Anlagen 30 bis 33 enthalten die vollständigen Texte des VTV 2007 II, des VTV 2009, des VTV 2011 und des VTV 2012 (vgl. den Anlageband zum BGBl. I Nr. 29 vom 24. Mai 2017 S. 309 bis 365). Es bestehen keine Bedenken daran, dass das SokaSiG als Geltungsgrund für die Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes verfassungsgemäß ist (BVerfG 11. August 2020 – 1 BvR 2654/17 – Rn. 14 ff.; 11. August 2020 – 1 BvR 1115/18 – Rn. 2; BAG 17. Juni 2020 – 10 AZR 464/18 – Rn. 58 ff.; 20. November 2018 – 10 AZR 121/18 – Rn. 42 ff., BAGE 164, 201). Die Pflicht der Beklagten, Beiträge für Dezember 2009 zu leisten, folgt aus § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. II, Abschn. V Nr. 37, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 18 Abs. 2 Satz 1 und § 22 Abs. 1 Satz 1 VTV 2007 II. Vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Mai 2013 ist die Beklagte nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. II, Abschn. V Nr. 37, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 3 Abs. 3, § 18 Abs. 1 Satz 1 und § 21 Abs. 1 Satz 1 VTV 2009, VTV 2011 und VTV 2012 zur Beitragszahlung verpflichtet.
20 1. Der im Land Nordrhein-Westfalen gelegene Betrieb der Beklagten unterfällt dem räumlichen Geltungsbereich der Tarifverträge (§ 1 Abs. 1 der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes). Die gewerblichen Arbeitnehmer der Beklagten werden vom persönlichen Geltungsbereich erfasst (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Verfahrenstarifverträge).
21 2. Der Betrieb der Beklagten fiel in den betrieblichen Geltungsbereich der in der Zeit von Dezember 2009 bis Mai 2013 geltenden Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes. Davon ist das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage der von ihm getroffenen und für den Senat nach § 559 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen zutreffend ausgegangen.
22 a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats wird ein Betrieb vom betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes erfasst, wenn in ihm in den Kalenderjahren des Anspruchszeitraums arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt wurden, die unter § 1 Abs. 2 Abschn. I bis V des jeweiligen Verfahrenstarifvertrags fallen. Werden baugewerbliche Tätigkeiten in diesem Sinn erbracht, sind ihnen auch diejenigen Nebenarbeiten zuzuordnen, die zu einer sachgerechten Ausführung der baulichen Leistungen notwendig sind und deshalb mit ihnen im Zusammenhang stehen. Für den Anwendungsbereich der Verfahrenstarifverträge reicht es aus, wenn in dem Betrieb überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen ihrer Abschnitte IV oder V genannten Tätigkeiten ausgeübt werden. Der Betrieb wird dann stets vom betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge erfasst, ohne dass die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III zusätzlich geprüft werden müssen. Nur wenn in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend nicht die in den Abschnitten IV und V genannten Beispielstätigkeiten versehen werden, muss darüber hinaus festgestellt werden, ob die ausgeführten Tätigkeiten die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III erfüllen (st. Rspr., zB BAG 27. Januar 2021 – 10 AZR 384/18 – Rn. 17 mwN).
23 b) Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in einem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten verrichtet werden, obliegt dem Kläger. Sein Sachvortrag ist schlüssig, wenn er Tatsachen vorbringt, die den Schluss zulassen, der Betrieb des Arbeitgebers werde vom betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes erfasst. Dazu gehört neben der Darlegung von Arbeiten, die sich § 1 Abs. 2 der Verfahrenstarifverträge zuordnen lassen, auch die Darlegung, dass diese Tätigkeiten insgesamt arbeitszeitlich überwiegen (st. Rspr., zB BAG 27. Januar 2021 – 10 AZR 384/18 – Rn. 18 mwN). Ist entsprechender Tatsachenvortrag gehalten, hat sich der Arbeitgeber hierzu nach § 138 Abs. 2 ZPO zu erklären. Das substantiierte Bestreiten kann sich auf die Art und/oder den Umfang der verrichteten Arbeiten beziehen. Um feststellen zu können, welche Tätigkeiten in welchem Umfang ausgeübt wurden, muss der Arbeitgeber im Rahmen des substantiierten Bestreitens entsprechende Tatsachen vortragen. Dazu gehört auch die Darlegung der zeitlichen Anteile der verschiedenen Tätigkeiten (st. Rspr., zB BAG 16. September 2020 – 10 AZR 56/19 – Rn. 44 mwN).
24 c) Nach diesen Maßgaben sind die Vorinstanzen zutreffend davon ausgegangen, dass im Betrieb der Beklagten arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten nach § 1 Abs. 2 Abschn. II und Abschn. V Nr. 37 der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes ausgeführt wurden.
25 aa) Der Kläger hat schlüssig vorgetragen, dass die Beklagte in der Zeit von Dezember 2009 bis Mai 2013 arbeitszeitlich überwiegend industriell vorgefertigte und vor ihrer Montage nicht oder nicht wesentlich veränderte Fenster und Türen eingebaut und damit im Zusammenhang stehende vorbereitende Werkstattarbeiten (Setzen von Tür- und Fenstergriffen usw.) sowie Verkaufstätigkeiten ausgeführt habe. Das Landesarbeitsgericht hat diese Arbeiten zutreffend unter die Beispielstätigkeit des § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes subsumiert. Es hat alle Umstände berücksichtigt und gewürdigt, die nach der ständigen Senatsrechtsprechung für diese Beispielstätigkeit erheblich sind (vgl. BAG 24. Februar 2021 – 10 AZR 43/19 – Rn. 25 mwN).
26 bb) Die Beklagte hat den Klägervortrag für die Kalenderjahre 2009 bis 2011 nicht substantiiert bestritten. Sie hat lediglich pauschal behauptet, in ihrer Werkstatt arbeitszeitlich überwiegend Türen, Fenster und Fensterelemente aus Rohmaterialien und Halbzeugen hergestellt und Handelstätigkeiten ausgeführt zu haben. Die für den Kläger günstigen Umstände, die bei der Beweisaufnahme für diesen Streitzeitraum zutage getreten sind, hat das Landesarbeitsgericht zu Recht berücksichtigt (vgl. BAG 15. Januar 2013 – 3 AZR 169/10 – Rn. 38 mwN, BAGE 144, 160). Seine Annahme, die Beklagte hätte vor diesem Hintergrund im Einzelnen darlegen müssen, welche Tätigkeiten ihre Arbeitnehmer in den Kalenderjahren 2009 bis 2011 im Einzelnen verrichteten und welche Arbeitszeitanteile darauf jeweils konkret entfielen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Gegen die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dass die Beweisaufnahme den Klägervortrag für die Kalenderjahre 2012 und 2013 bestätigt habe, hat die Beklagte eine insoweit erforderliche Verfahrensrüge nicht erhoben (vgl. BAG 15. Mai 2019 – 7 ABR 46/17 – Rn. 26). Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Zeuge S habe zu mindestens 50 % in der Fertigung gearbeitet, stimmt mit dem Vortrag der Beklagten überein.
27 cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die von ihr erbrachten Reparatur- und Servicearbeiten an Fenstern in Gebäuden jedenfalls bauliche Leistungen iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes. Gleiches gilt für die Montage von Fliegengittern und Markisen.
28 (1) § 1 Abs. 2 Abschn. II der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes erfasst alle Arbeiten, die irgendwie – wenn auch nur auf einem kleinen und speziellen Gebiet – dazu dienen sollen, Bauwerke zu errichten und zu vollenden, sie instand zu setzen oder instand zu halten, sodass sie in vollem Umfang ihre bestimmungsgemäßen Zwecke erfüllen können. Zu der Erstellung des Bauwerks gehört nicht nur die Fertigstellung des Rohbaus, sondern auch der vollständige Ausbau, wie er vom Bauherrn in Auftrag gegeben worden ist (st. Rspr., vgl. BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 337/18 – Rn. 58).
29 (2) Die – zweifellos gewerblichen – Reparaturarbeiten an den Fenstern dienten dazu, das Bauwerk instand zu halten, an dem sie ausgeführt wurden. Die Montage einer Markise oder eines Fliegengitters verändert ein Gebäude nach den Wünschen des Bauherrn (vgl. BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 337/18 – Rn. 60).
30 (3) Die Beklagte erbrachte die baulichen Leistungen auch „nach ihrer betrieblichen Einrichtung“ iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes, selbst wenn sie für die Arbeiten ausschließlich Materialien, Werkzeuge und Arbeitsmethoden eines der in § 1 Abs. 2 Abschn. VII der Verfahrenstarifverträge genannten Betriebe des Ausbaugewerbes verwendet haben sollte (vgl. BAG 18. Dezember 2019 – 10 AZR 424/18 – Rn. 43).
31 d) Der Betrieb der Beklagten ist nicht nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes von ihrem betrieblichen Geltungsbereich ausgenommen.
32 aa) Voraussetzung für eine solche Ausnahme ist, dass in dem Betrieb arbeitszeitlich zu mehr als der Hälfte der Gesamtarbeitszeit Tätigkeiten ausgeübt werden, die einem der Tatbestände des Ausnahmekatalogs zuzuordnen sind. Verschiedenen Ausnahmetatbeständen zuzuordnende Tätigkeiten sind nicht zusammenzurechnen (st. Rspr., zB BAG 27. März 2019 – 10 AZR 512/17 – Rn. 30; krit. Grzeszick NZA 2021, 757, 758 ff.).
33 bb) Die Beklagte hat nicht schlüssig dargelegt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Abschn. VII der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes erfüllt sind. Eine arbeitszeitlich überwiegende Ausführung von Glaserarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 4 der Verfahrenstarifverträge hat die Beklagte nicht behauptet. Soweit sie vorgetragen hat, überwiegend seien nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 11 der Verfahrenstarifverträge ausgenommene Schreinerarbeiten verrichtet worden, übersieht sie, dass die Rückausnahme eingreift, weil in ihrem Betrieb nach den vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen arbeitszeitlich überwiegend Montagebauarbeiten ausgeführt wurden.
34 e) Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Erstreckung der Rechtsnormen der im Streitfall einschlägigen Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes nach Absatz 4 Nr. 5 der Anlage 37 (zu § 10 Abs. 1) SokaSiG beschränkt ist. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts besteht die Mitgliedschaft der Beklagten in der Tischler-Innung Hamm erst seit dem 25. August 2014. Die Beklagte hat nicht behauptet, dass ihr Betrieb im Streitzeitraum mittelbar oder unmittelbar Mitglied des Bundesverbands Holz und Kunststoff gewesen sei und auch die weiteren in Absatz 4 Nr. 5 der Anlage 37 (zu § 10 Abs. 1) SokaSiG genannten Voraussetzungen erfüllt habe. Die Verbändevereinbarung zur tarifpolitischen Koordination der Bau- und Ausbaugewerke vom 15. Oktober 2017 ist für die Zeit von Dezember 2009 bis Mai 2013 schon deshalb nicht einschlägig, weil die Beklagte erst nach diesem Zeitraum am 25. August 2014 und damit nach dem Stichtag des 30. Juni 2014 Mitglied der Tischler-Innung Hamm geworden ist.
35 3. Der Kläger ist nach § 3 Abs. 3 Satz 1 VTV 2009, VTV 2011 und VTV 2012 Einzugsstelle für die geltend gemachten Beitragsforderungen. Er ist nach der Rechtsprechung des Senats dazu befugt, seine Ansprüche für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer auf der Grundlage der vom Statistischen Bundesamt ermittelten durchschnittlichen Bruttomonatslöhne in der Bauwirtschaft geltend zu machen (BAG 27. Januar 2021 – 10 AZR 138/19 – Rn. 53 mwN). Gegen die Ermittlung der Beiträge für geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer auf der Grundlage der nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV in der jeweiligen Fassung maßgeblichen Verdienstgrenze bestehen keine rechtlichen Bedenken. Sie betrug 400,00 Euro bis zum 31. Dezember 2012 und stieg ab dem 1. Januar 2013 auf 450,00 Euro an. Die Revision hat weder die von dem Kläger angenommene Zahl der Arbeitnehmer noch den Umfang der Beschäftigung bestritten. Sie hat auch keine Einwände gegen die konkrete Berechnung der Beiträge erhoben. Revisionsrechtlich erhebliche Fehler sind nicht zu erkennen. Der Senat hat den Rechnungsfehler, der dem Arbeitsgericht bei der Addition der Beitragsforderungen unterlaufen ist, nach § 319 Abs. 1 ZPO von Amts wegen zu berichtigen.
36 a) Die Höhe der für einen vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer geltend gemachten Durchschnittsbeiträge von 584,00 Euro (2009), 587,00 Euro (2010), 609,00 Euro (2011), 643,00 Euro (2012) und 629,00 Euro (2013) ist nicht zu beanstanden. Für Beiträge, die das Jahr 2014 betreffen, hat der Kläger den zum Zeitpunkt der Geltendmachung maßgeblichen Beitrag des Vorjahrs herangezogen. Er fällt mit 629,00 Euro niedriger aus als der später ermittelte Durchschnittsbeitrag für das Jahr 2014 iHv. 663,00 Euro. Für die geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer hat der Kläger den tariflichen Beitragssatz mit der jeweils maßgeblichen Verdienstgrenze multipliziert. Dazu ist er nach § 18 Abs. 4 Buchst. a VTV 2007 II, VTV 2009, VTV 2011, VTV 2012 und § 15 Abs. 4 Buchst. a VTV 2013 I berechtigt.
37 b) Die Beitragsforderungen belaufen sich für Dezember 2009 auf 4.751,20 Euro und für die Kalenderjahre 2010 bis 2012 auf insgesamt 157.939,40 Euro. Für das Kalenderjahr 2013 hat der Kläger seine Forderungen auf 45.288,00 Euro für sechs vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer und weitere 1.603,80 Euro für zwei im Zeitraum von April bis Dezember 2013 geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer verringert. Der Kläger hat zuletzt noch Beiträge iHv. 22.644,00 Euro für insgesamt sechs vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer im Januar 2014 und für fünf vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer im Zeitraum von Februar bis einschließlich Juli 2014 geltend gemacht. Für den Zeitraum von Januar bis März 2014 hat er darüber hinaus insgesamt 275,40 Euro als Beiträge für einen geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer begehrt. Danach beläuft sich die Beitragssumme für den gesamten Klagezeitraum auf 232.501,80 Euro. Die vom Arbeitsgericht zuerkannten Ansprüche von insgesamt 232.840,20 Euro übersteigen diesen Betrag. Der Senat muss den Rechnungsfehler nach § 319 Abs. 1 ZPO von Amts wegen berichtigen (vgl. BAG 24. Februar 2021 – 10 AZR 8/19 – Rn. 26 f.).
38 4. Die Ansprüche sind nicht verfallen. Ihrer Durchsetzbarkeit steht auch nicht die Einrede der Verjährung entgegen.
39 a) Verfall und Verjährung des Beitragsanspruchs für Dezember 2009 richten sich nach § 25 Abs. 1 und 4 VTV 2007 II und für die Kalendermonate des Zeitraums von Januar 2010 bis Mai 2013 nach § 24 Abs. 1 und 4 des jeweils anwendbaren Verfahrenstarifvertrags des Baugewerbes. Die Verfall- und die Verjährungsfrist betragen danach vier Jahre. § 199 BGB ist anzuwenden. Die Verlängerung der Verjährungsfrist gegenüber § 195 BGB ist nach § 202 BGB wirksam. Für den Beginn der Verjährung ist auf den Zeitpunkt der Fälligkeit abzustellen, weil ein Anspruch iSv. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB regelmäßig entsteht, wenn er nach § 271 BGB fällig ist (BAG 28. April 2021 – 10 AZR 404/18 – Rn. 33 mwN).
40 b) Der älteste Beitragsanspruch für den Kalendermonat Dezember 2009 war nach § 22 Abs. 1 Satz 1 VTV 2007 II mit dem 15. Januar 2010 fällig, sodass die Verfall- und die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres 2010 zu laufen begannen und am 31. Dezember 2014 endeten. Der die Kalendermonate Dezember 2009 bis einschließlich Mai 2013 betreffende Mahnbescheid vom 23. September 2014 ist der Beklagten vor Ablauf dieser Fristen am 25. September 2014 zugestellt worden (- 9 Ba 1994/14 -).
41 c) Dem Beginn der Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB steht nicht entgegen, dass der Kläger zur Begründung der Ansprüche als Geltungsgrund der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes zunächst die Allgemeinverbindlicherklärung und erst in der Berufungsinstanz das SokaSiG herangezogen hat. Bei den Beitragsansprüchen handelt es sich um denselben Streitgegenstand, unabhängig davon, ob die Verfahrenstarifverträge aufgrund einer Allgemeinverbindlicherklärung oder nach § 7 SokaSiG zur Anwendung kommen (BAG 16. September 2020 – 10 AZR 56/19 – Rn. 68). Die Verjährungshemmung dauerte aufgrund der in § 7 Abs. 5 bis 8 SokaSiG angeordneten rückwirkenden Geltungserstreckung der in der Zeit von Dezember 2009 bis Mai 2013 einschlägigen Verfahrenstarifverträge – mit den die Verjährung betreffenden Normen – ununterbrochen fort (vgl. BAG 16. September 2020 – 10 AZR 56/19 – Rn. 59).
42 C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.