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Arbeitsrecht
20.06.2014
Arbeitsrecht
BAG: Beitragspflicht – Sozialkasse für das Maler- und Lackiererhandwerk

BAG, Urteil vom 9.4.2014 – 10 AZR 1085/12

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Sozialkassenbeiträgen für die Jahre 2005 bis 2007.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Maler- und Lackiererhandwerks. Er ist nach näherer tarifvertraglicher Maßgabe zum Einzug der Beiträge für das Verfahren für den Urlaub und die Zusatzversorgung in diesem Handwerk verpflichtet. Die Beklagte unterhielt im Klagezeitraum einen Betrieb, der sich gemäß Handelsregistereintrag mit der „Durchführung von Sandstrahl- und Korrosionsschutzarbeiten, einfachen Reinigungsarbeiten und damit in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten, insbesondere für Schiffe und Industrieanlagen, sowie Hilfsarbeiten aller Art“ befasste. Die Beklagte hat arbeitszeitlich überwiegend als Subunternehmerin auf Großwerften Korrosionsschutzarbeiten in Form von Entrostungs- und Oberflächenbeschichtungsarbeiten an Schiffen einschließlich damit in Zusammenhang stehender Nebentätigkeiten erbracht und dabei ca. 450 ungelernte Arbeitskräfte aus Griechenland eingesetzt. Die Beklagte beschäftigt kein Fachpersonal.

Der allgemeinverbindliche Tarifvertrag über das Verfahren für den Urlaub und die Zusatzversorgung im Maler- und Lackiererhandwerk vom 23. November 2005 (VTV Maler) bestimmt Folgendes:

„§ 1          

Geltungsbereich

…       

2. Betrieblicher Geltungsbereich:

Betriebe, die unter den betrieblichen Geltungsbereich des Rahmentarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk (RTV Maler-Lackierer) in der jeweils gültigen Fassung fallen.

§ 5

Beitrag

1. Der Arbeitgeber hat die Mittel für die tariflich festgesetzten Leistungen aufzubringen.

a) Der Beitrag für die gewerblichen Arbeitnehmer beträgt

- bis 30. September 2011:                                               14,10 v. H.,

der Bruttolohnsumme im Sinne von § 21 Nr. 3 RTV Maler-Lackierer. Davon entfallen 2 Prozentpunkte auf die Zusatzversorgungskasse, die übrigen Beitragsanteile auf die Urlaubskasse.

b) Der Beitrag für die Zusatzversorgung der Angestellten beträgt 2 v. H. des Bruttomonatsgehalts.

…“

Der Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk vom 30. März 1992 (RTV Maler) hat in den im Streitzeitraum geltenden Fassungen Folgendes geregelt:

„§ 1

Räumlicher, betrieblicher

und persönlicher Geltungsbereich

2. Betrieblicher Geltungsbereich:

(1) Alle Betriebe des Maler- und Lackiererhandwerks. Dies sind Betriebe und selbständige Betriebsabteilungen, die Maler-, Lackierer-, …, Entrostungs- und Eisenanstrich-, … sowie Bodenbeschichtungs- und -belagsarbeiten ausführen. …

(2) Die in Absatz 1 genannten Betriebe und selbständigen Betriebsabteilungen fallen grundsätzlich als Ganzes unter diesen Tarifvertrag.

(5) Nicht erfasst werden

a) Entrostungs- und Eisenanstricharbeiten,…

ausführende Betriebe bzw. selbständige Betriebsabteilungen, die mittelbar oder unmittelbar Mitglied des Hauptverbandes der deutschen Bauindustrie e. V. oder des Zentralverbandes des deutschen Baugewerbes e. V. sind.

…“

Nach § 1 Abs. 2 Abschnitt IV Nr. 2 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 (VTV Bau) unterfallen Betriebe, die Eisenschutzarbeiten ausführen, dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV Bau. Nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 6 VTV Bau sind Betriebe des Maler- und Lackiererhandwerks vom Geltungsbereich des VTV Bau aber ausgenommen, sofern nicht Arbeiten u. a. der in Abschnitt IV aufgeführten Art ausgeführt werden. Die Allgemeinverbindlichkeit des VTV Bau erstreckt sich nach Abschnitt III Nr. 1 des Ersten Teils der Bekanntmachung über die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifvertragswerken für das Baugewerbe vom 24. Februar 2006 nicht auf (Eisenschutzarbeiten ausführende) Betriebe, die vom RTV Maler erfasst werden.

Der Kläger ist der Auffassung, der Geltungsbereich des VTV Maler erfasse den Betrieb der Beklagten; dieser sei handwerklich und nicht industriell geprägt.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 474.491,24 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, Korrosionsschutz an Schiffen sei ein eigener Industriezweig, die Arbeiten seien durch umfangreichen Maschineneinsatz, sich ständig wiederholende und gleichförmige Arbeitsprozesse, Arbeitsteilung und Arbeitnehmer ohne fachliche Qualifikation geprägt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Aus den Gründen

10        Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Sozialkassenbeiträgen nach § 5 Nr. 1 VTV Maler. Die Beklagte führt keinen Betrieb des Maler- und Lackiererhandwerks, sondern einen industriell geprägten Betrieb. Dieser wird nicht vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV Maler erfasst.

11        I. Ein Betrieb wird vom Geltungsbereich des VTV Maler erfasst, wenn arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten des Maler- und Lackiererhandwerks iSv. § 1 Nr. 2 Abs. 1 RTV Maler ausgeübt werden. Werden solche Tätigkeiten erbracht, sind ihnen diejenigen Nebentätigkeiten zuzuordnen, die zu einer sachgerechten Ausführung der Tätigkeiten notwendig sind und deshalb mit ihnen im Zusammenhang stehen (st. Rspr., zuletzt zum VTV Bau: BAG 15. Januar 2014 - 10 AZR 669/13 - Rn. 12), auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst oder auf handels- und gewerberechtliche Kriterien kommt es nicht an (st. Rspr., BAG 15. Januar 2014 - 10 AZR 669/13 - Rn. 12; 1. April 2009 - 10 AZR 593/08 - Rn. 16; 1. August 2007 - 10 AZR 369/06 - Rn. 13; 2. August 2006 - 10 AZR 756/05 - Rn. 13). Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in einem Betrieb überwiegend Tätigkeiten des betrieblichen Geltungsbereichs eines Sozialkassentarifvertrags verrichtet werden, obliegt der Sozialkasse (st. Rspr., zuletzt BAG 15. Januar 2014 - 10 AZR 415/13 -).

12        II. Der Betrieb der Beklagten verrichtet nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts arbeitszeitlich überwiegend auf Großwerften Korrosionsschutzarbeiten an Schiffen, wie Entrostungs- und Oberflächenbeschichtungsarbeiten einschließlich der Zusammenhangstätigkeiten. Dies können „Entrostungs- und Eisenanstricharbeiten“ sein, die vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV Maler und RTV Maler erfasst werden. Dass Korrosionsschutzarbeiten an Schiffen durchgeführt werden, ist dabei unerheblich; der betriebliche Geltungsbereich beider Tarifverträge ist unabhängig von der Art des zu bearbeitenden Objekts für alle Tätigkeiten des Maler- und Lackiererhandwerks eröffnet.

13        III. Der Betrieb wird aber deshalb nicht vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV Maler erfasst, weil er industriell und nicht handwerklich geprägt ist. Er ist kein Betrieb des Maler- und Lackiererhandwerks.

14        1. Tarifvertragspartei des VTV Maler und RTV Maler ist auf Arbeitgeberseite der Bundesinnungsverband des deutschen Maler- und Lackiererhandwerks. Der betriebliche Geltungsbereich des VTV Maler und des RTV Maler erfasst ausschließlich Betriebe des Maler- und Lackiererhandwerks; Betriebe, die ihre Leistungen industriell erbringen, fallen nicht unter den Geltungsbereich (BAG 13. November 1991 - 4 AZR 78/91 -). Werden Eisenschutzarbeiten nicht in einer handwerklich, sondern industriell geprägten Arbeitsweise ausgeführt, ist der betriebliche Geltungsbereich des § 1 Abs. 2 Abschnitt IV Nr. 2 VTV Bau (Eisenschutzarbeiten) eröffnet.

15        2. Ob es sich im Einzelfall um einen Handwerks- oder Industriebetrieb handelt, ist im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände unter Berücksichtigung der jeweiligen tariflichen Regelungen zu ermitteln (st. Rspr., BAG 26. März 2013 - 3 AZR 89/11 - Rn. 16; 13. April 2011 - 10 AZR 838/09 - Rn. 23). Die Abgrenzung hat nicht nach gewerberechtlichen, handelsrechtlichen oder betriebswirtschaftlichen Kriterien, sondern vorrangig danach zu erfolgen, ob die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer handwerklich oder nicht handwerklich geprägt ist. Eine etwaige Eintragung in die Handwerksrolle, insbesondere wenn sie mit Zustimmung der Industrie- und Handelskammer erfolgt ist, kann dabei ein wesentliches Kriterium für die Handwerkseigenschaft darstellen. Der Betrieb muss aber nicht nur formell, sondern auch materiell den Anforderungen eines Handwerksbetriebs entsprechen. Dafür ist entscheidend, dass die Handfertigkeit der am Produktionsprozess beteiligten Mitarbeiter prägend für die Produktherstellung ist, die eingesetzten Maschinen und technischen Hilfsmittel nur der Erleichterung und Unterstützung der Handfertigung dienen und durch ihren Einsatz nicht wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten des Handwerks entbehrlich werden. Der Handwerksbetrieb zeichnet sich gegenüber dem Industriebetrieb dadurch aus, dass die Produktion von dem Können sowie den Fertigkeiten zumindest einer Vielzahl der beschäftigten Arbeitnehmer und nicht von dem Einsatz der solche Arbeitnehmer ersetzenden Maschinen abhängt und dass die Arbeitsteilung nicht so weit fortgeschritten ist, dass jede einzelne Arbeitskraft nur bestimmte - in der Regel immer wiederkehrende - und eng begrenzte Teilarbeiten auszuführen hat, wie dies in einem Industriebetrieb der Fall ist. Für eine handwerksmäßige Betriebsweise spricht es daher, wenn überwiegend fachlich qualifizierte, handwerklich ausgebildete Arbeitskräfte beschäftigt werden (BAG 26. März 2013 - 3 AZR 89/11 - Rn. 16; 13. April 2011 - 10 AZR 838/09 - Rn. 22; 27. Juni 1984 - 5 AZR 25/83 - zu II 2 c, d, e, g der Gründe). Die technische Entwicklung hat zwar dazu geführt, dass auch Handwerksbetriebe in zunehmendem Maße auf die Verwendung von Maschinen und vorgefertigtem Material angewiesen sind; technische, wirtschaftliche und soziale Entwicklungen können sogar dazu führen, dass einzelne Zweige des Handwerks oder einzelne Betriebe zu anderen Betriebsformen überwechseln (vgl. BVerwG 1. April 2004 - 6 B 5.04 - zu 1 a aa der Gründe). Allein die Nutzung technischer Hilfsmittel spricht aber nicht für einen Industrie- und gegen einen Handwerksbetrieb. Werden dagegen als Folge der Technisierung wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten des betreffenden Handwerks durch den Einsatz von Maschinen entbehrlich und bleibt kein Raum mehr für das handwerkliche Können, liegt eine handwerksmäßige Betriebsform fern (BAG 26. März 2013 - 3 AZR 89/11 - Rn. 16).

16        3. Die Beurteilung der Frage, ob ein Betrieb dem Handwerk zuzuordnen ist oder ob es sich um einen Industriebetrieb handelt, obliegt in erster Linie den Gerichten der Tatsacheninstanzen, sie haben insoweit einen Beurteilungsspielraum, der nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt (BAG 26. März 2013 - 3 AZR 89/11 - Rn. 17; 13. April 2011 - 10 AZR 838/09 - Rn. 23).

17        4. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es handele sich bei dem Betrieb der Beklagten um einen Industriebetrieb, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

18        a) Entrostungs- und Korrosionsschutzarbeiten können handwerklich ausgeführt werden. Dies zeigt die Verordnung über die Berufsausbildung im Maler- und Lackierergewerbe vom 3. Juli 2003 (MalerLackAusbV, BGBl. I S. 1064, 1546), die in § 6 Nr. 3 als Gegenstand der Berufsausbildung die Fachrichtung Bauten- und Korrosionsschutz und die einzelnen Ausbildungsschritte benennt. Nach § 15 Abs. 3 Satz 2 MalerLackAusbV sind in der Gesellenprüfung auch im Prüfungsbereich Korrosionsschutz und Bautenschutz fachliche Probleme mit verknüpften informationstechnischen, technologischen und mathematischen Kenntnissen zu analysieren, zu bewerten und zu lösen. Im Prüfungsbereich Korrosionsschutz soll der Prüfling zeigen, dass er die Ausführung des Kundenauftrags planen, Korrosionsschutzsysteme entsprechend der Belastung von Objekten und Bauwerken sowie erforderliche Entrostungsverfahren, Maßnahmen zur Oberflächenvorbereitung, Beschichtungssysteme und metallische Überzüge auswählen und beschreiben, den Einsatz von Anlagen und Geräten, Gerüsten und Maßnahmen zum Schutz der Umwelt unter Beachtung von Normen, technischen Richtlinien und Merkblättern einbeziehen, sowie Flächen, Kosten und Mengen berechnen kann (vgl. § 15 Abs. 3 Nr. 1 MalerLackAusbV).

19        b) Handwerkliche Korrosionsschutzarbeiten im vorbeschriebenen Sinn werden im Betrieb der Beklagten nicht verrichtet. Die Tätigkeit ist zwar insoweit „händisch“, als das Sandstrahlen und das Aufbringen des Anstrichs mit den eingesetzten maschinellen Hilfsmitteln durch einen Arbeitnehmer von Hand gesteuert wird, eine „handwerkliche“ Tätigkeit verrichten die Arbeitnehmer dabei jedoch nicht. Jede einzelne Arbeitskraft führt wiederkehrende eng begrenzte Teilarbeiten aus, wie dies typischerweise in einem Industriebetrieb der Fall ist. Großflächig an Schiffen vorgenommene Korrosionsschutzarbeiten werden nicht durch die Handfertigkeit der am Produktionsprozess beteiligten Mitarbeiter, sondern durch die eingesetzten Maschinen und technischen Hilfsmittel geprägt. Die Mitarbeiter müssen nicht Kundenaufträge planen und organisieren, geeignete Maßnahmen zur Oberflächenvorbereitung und Beschichtung auswählen und umsetzen; durch den großflächigen Einsatz technischer Hilfsmittel sind Kenntnisse und Fertigkeiten des Handwerks weitgehend entbehrlich. Dem entspricht, dass im Betrieb der Beklagten ausschließlich ungelernte Arbeitnehmer beschäftigt werden. Ein Betrieb, der sich mit einer Betriebsgröße von mehreren hundert Mitarbeitern deutlich von einem typischen Betrieb des Maler- und Lackiererhandwerks unterscheidet und vollständig auf den Einsatz von Fachkräften verzichten kann, ist kein Betrieb des Maler- und Lackierhandwerks, sondern industriell geprägt, sodass jedenfalls zu den Sozialkassen des Maler- und Lackiererhandwerks keine Beiträge entrichtet werden müssen.

20        IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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