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Arbeitsrecht
29.01.2009
Arbeitsrecht
: Außerordentliche Kündigung - Ingangsetzen der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 05.06.2008
Aktenzeichen: 2 AZR 25/07
Rechtsgebiete: BGB, BAT, EGGVG
Vorschriften:

      BGB § 626
      BAT § 54
      EGGVG § 14 Abs. 1 Nr. 5b

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


BUNDESARBEITSGERICHT

Im Namen des Volkes!

URTEIL

2 AZR 25/07

Verkündet am 5. Juni 2008

In Sachen

hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 5. Juni 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Rost, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Eylert und Schmitz-Scholemann sowie die ehrenamtlichen Richter Krichel und Löllgen

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 10. November 2006 - 6 Sa 49/06 - aufgehoben.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 3. Mai 2006 - 3 Ca 610/05 - abgeändert.

Die Klage wird auf Kosten des Klägers abgewiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über eine von der Beklagten auf verhaltensbedingte Gründe gestützte außerordentliche Kündigung.

Der Kläger trat im Jahre 2000 als Lebensmittelkontrolleur im Außendienst in die Dienste der beklagten Hansestadt.

Am 27. Februar 2004 beschwerte sich Frau B, die in Hamburg ein Einzelhandelsgeschäft mit Videoverleih und Kiosk betreibt, beim Dezernenten des Gesundheits- und Verbraucherschutzamtes der Beklagten persönlich über Auftreten und Verhalten des Klägers. Der Kläger hatte ihr Geschäft wesentlich öfter als andere Geschäfte aufgesucht und Frau B innerhalb weniger Monate zusätzlich etwa zehnmal auf ihrem privaten Mobiltelefon angerufen. Im Einzelnen warf Frau B dem Kläger vor, er habe mehrfach Zeitschriften und Getränke aus ihrem Geschäft ohne Bezahlung mitgenommen, ferner sei er ihr mit Hinweis auf angeblich gegen sie vorliegende Beschwerden zunehmend aufdringlich begegnet, habe sie körperlich berührt, sie (auch per Telefon) zum Essen eingeladen mit der Bemerkung, man könne hinterher sehen, ob man zu ihr oder zu ihm gehe.

Auf Grund der Beschwerde führten der Leiter des Wirtschafts- und Ordnungsamtes und der Dezernent am 1. März 2004 ein persönliches Gespräch mit dem Kläger. Der Kläger bestritt die ihm vorgeworfenen Verhaltensweisen. Am 17. März 2004 gab die Beklagte den Vorgang unter Hinweis auf einen möglichen Anfangsverdacht einer strafbaren Handlung durch den Kläger an die Behörde für Inneres, Dezernat für interne Ermittlungen (DIE) ab. Diese schaltete die Staatsanwaltschaft Hamburg ein.

Die Beklagte beschäftige den Kläger zunächst weiter und schloss mit ihm im Oktober 2005 einen Altersteilzeitvertrag ab.

Am 31. Oktober 2005 wurde dem Strafverteidiger des Klägers ein Strafbefehl des Amtsgerichts Hamburg (Geschäftsnummer 247 Ds 57001 Js 126/04 (61/05)) zugestellt. Gegen den Kläger wurde wegen Bestechlichkeit in Tateinheit mit Nötigung in zwei Fällen sowie wegen fahrlässiger Verdächtigung in Tateinheit mit Verleumdung sowie wegen Diebstahls in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten festgesetzt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Am 4. November 2005 übergab der Kläger seiner unmittelbaren Dienstvorgesetzten eine Kopie des ihm formlos übersandten Strafbefehls. Am 17. und 18. November 2005 fanden Telefongespräche zwischen dem Kläger und dem Dezernenten statt, über deren Einzelheiten die Parteien ebenso wie über den Hergang der Übergabe des Strafbefehls am 4. November 2005 unterschiedliche Darstellungen gegeben haben. Am 24. November 2005 teilte der Kläger der Beklagten mit, der Strafbefehl sei rechtskräftig geworden.

Am 30. November 2005 hörte die Beklagte den Kläger im Beisein seines Strafverteidigers erneut persönlich an. Nach Beteiligung des Personalrats kündigte die Beklagte am 8. Dezember 2005 das Arbeitsverhältnis außerordentlich unter Bezugnahme auf den rechtskräftigen Strafbefehl.

Der Kläger hat die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Die Beklagte habe schon die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Sie sei bereits im Januar 2005 über die Anklageerhebung unterrichtet worden. Von dem Strafbefehl habe die Beklagte am 4. November 2005 erfahren. Selbst wenn man der Beklagten zugute halte, sie habe die Rechtskraft des dem Verteidiger am 31. Oktober 2005 zugestellten Strafbefehls abwarten dürfen, so wäre die Frist am 28. November 2005 abgelaufen. Die Beklagte habe sich über den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft erkundigen müssen. Die Beklagte habe insgesamt oberflächlich und laienhaft gearbeitet.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 8. Dezember 2005 beendet worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Ein wichtiger Grund für die Kündigung liege in dem der rechtskräftigen Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt. Die Kündigungserklärungsfrist sei gewahrt. Die Frist habe erst am 24. November 2005 mit tatsächlicher Kenntnis von der Rechtskraft des Strafbefehls zu laufen begonnen.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Im Laufe des Berufungsverfahrens ist der frühere Strafverteidiger des Klägers dem Rechtsstreit, nachdem der Kläger ihm den Streit verkündet hatte, als Nebenintervenient auf Seiten des Klägers beigetreten und hat sich auch im Revisionsverfahren dessen Anträgen angeschlossen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Abweisung der Klage.

A. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach § 626 Abs. 1 BGB, § 54 Abs. 1 BAT liege vor. Der Beklagten sei es nicht zumutbar, einen rechtskräftig in der geschehenen Weise verurteilten Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen. Die Kündigung sei gleichwohl unwirksam, weil die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB, § 54 Abs. 2 BAT nicht eingehalten habe. Zwar habe die Beklagte ihren Kündigungsentschluss zulässiger Weise von der Rechtskraft des Strafbefehls abhängig gemacht. Die Erklärungsfrist habe auch noch nicht mit dem objektiven Eintritt der Rechtskraft, also unmittelbar nach dem am 14. November 2005 erfolgten Ablauf der Frist zum Widerspruch gegen den Strafbefehl zu laufen begonnen. Wohl aber sei die Frist am 18. November 2005 angelaufen. Die für die Kündigung zuständige Stelle, nämlich die Personalabteilung, habe am 10. November 2005 von der Existenz des Strafbefehls erfahren. Sie habe - gerechnet von diesem Zeitpunkt ab - bis zum Ablauf der folgenden Arbeitswoche das Datum der Zustellung in Erfahrung bringen müssen, etwa durch Nachfrage beim Kläger oder bei dessen Verteidiger. Sie habe aber erst am 18. November 2005 überhaupt begonnen, sich nach dem Schicksal des Strafbefehls zu erkundigen. Sie habe ein "bürokratisches Phlegma" an den Tag gelegt, das im Widerspruch zu Sinn und Zweck der Ausschlussfrist stehe.

B. Dem stimmt der Senat nicht zu. Die Klage ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen unbegründet. Die außerordentliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst. Sie ist durch einen wichtigen Grund iSd. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt und innerhalb der Kündigungserklärungsfrist von § 54 Abs. 2 BAT, § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen worden.

I. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, für die Kündigung liege ein wichtiger Grund iSd. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB vor. Dass die rechtskräftige Verurteilung zu einer mehrmonatigen Freiheitsstrafe wegen vorsätzlicher strafbarer Handlungen im Dienst einen wichtigen Grund bildet, liegt auf der Hand. Hier kommt noch hinzu, dass der Kläger unter Missbrauch seiner dienstlichen Stellung zum Nachteil eben derjenigen gehandelt hat, denen gegenüber er Recht durchsetzen soll. Die Interessenabwägung kann bei solcher Lage in aller Regel nicht zu einem Überwiegen des Beschäftigungsinteresses führen, zumal bei strafbaren Handlungen in der hier gegebenen Konstellation bei den Opfern der Eindruck entstehen muss, sie seien einer sich krimineller Methoden bedienenden Staatsmacht und den persönlichen Gelüsten eines für diese handelnden Bediensteten hilflos preisgegeben.

II. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB, § 54 Abs. 2 BAT eingehalten. Das kann der Senat auf Grund der getroffenen Feststellungen selbst entscheiden. Die Kündigungserklärungsfrist begann nicht, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat, am 18. November 2005, sondern erst an dem Tage, an dem die Beklagte Kenntnis von der Rechtskraft des Strafbefehls erhielt, also am 24. November 2005. Bei Fristbeginn an diesem Tage ist, wie auch das Landesarbeitsgericht richtig gesehen hat, die Erklärungsfrist für die am 8. Dezember 2005 zugegangene Kündigung gewahrt.

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB bzw. § 54 Abs. 2 Satz 1 BAT kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Diese Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB, § 54 Abs. 2 Satz 2 BAT in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt (BAG 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 -AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9).

a) § 626 Abs. 2 BGB ist ein gesetzlich bzw. tariflich (§ 54 Abs. 2 BAT) konkretisierter Verwirkungstatbestand (Senat 6. Juli 1972 - 2 AZR 386/71 -BAGE 24, 341; 18. November 1999 - 2 AZR 852/98 - BAGE 93, 12). Nach allgemeinen Grundsätzen ist ein Anspruch oder Recht verwirkt, wenn der Berechtigte längere Zeit untätig geblieben ist und dadurch den Eindruck erweckt hat, er wolle das Recht nicht mehr geltend machen, sein Vertragspartner sich auf den dadurch geschaffenen Vertrauenstatbestand eingestellt hat und es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf das verspätete Begehren des Berechtigten zu berufen. Sinn der Kündigungserklärungsfrist ist es, für den betroffenen Arbeitnehmer rasch Klarheit darüber zu schaffen, ob sein Arbeitgeber einen Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nimmt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist der Kündigungsberechtigte für die Einhaltung der Ausschlussfrist darlegungs- und beweispflichtig (BAG 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9).

b) Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB bzw. des § 54 Abs. 2 BAT beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 32/71 -BAGE 23, 475; 6. Juni 1972 - 2 AZR 386/71 - BAGE 24, 341; zuletzt: 5. Dezember 2002 - 2 AZR 478/01 - AP BGB § 123 Nr. 63 = EzA BAT § 53 Anfechtung Nr. 5). Auch grob fahrlässige Unkenntnis ist insoweit ohne Bedeutung (Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 32/71 - aaO; 29. Juli 1993 - 2 AZR 90/93 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 31 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 4; 15. November 1995 - 2 AZR 974/94 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 73 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 89; 31. März 1993 - 2 AZR 492/92 - BAGE 73, 42; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; KR-Fischermeier 8. Aufl. § 626 BGB Rn. 319 mwN). Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Ohne die umfassende Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt kann sein Kündigungsrecht nicht verwirken (Senat 5. Dezember 2002 - 2 AZR 478/01 - aaO). Ein Kündigungsberechtigter darf den Aus- bzw. Fortgang eines Strafermittlungs-bzw. eines Strafverfahrens abwarten (BAG 12. Mai 1955 - 2 AZR 77/53 -BAGE 2, 1; 11. März 1976 - 2 AZR 29/75 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 9 = EzA BGB § 626 nF Nr. 46; 12. Dezember 1984 - 7 AZR 575/83 - BAGE 47, 307; 29. Juli 1993 - 2 AZR 90/93 - aaO) und seinen Kündigungsentschluss davon abhängig machen.

2. Ist die Frist bereits angelaufen, so kann sie gleichwohl gehemmt werden. Während den Arbeitgeber vor Fristbeginn grundsätzlich keine Obliegenheiten zur Aufklärung treffen, muss er nach Kenntnis vom Kündigungssachverhalt mit der gebotenen Eile vorgehen: Er weiß nunmehr, dass - aus seiner Sicht - ein Kündigungsgrund vorliegt und dass er kündigen kann. Innerhalb der Frist muss er entscheiden, ob er kündigen will und die Kündigung gegenüber dem Arbeitnehmer erklären. Ab Kenntnis vom Kündigungsgrund ist der Arbeitgeber "Herr der Lage". Deshalb ist es angemessen, dass die Frist nunmehr nur dann gehemmt ist, wenn der Arbeitgeber ohne Fahrlässigkeit an ihrer Einhaltung gehindert ist.

3. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die kündigungsberechtigte Stelle am 24. November 2005 von der Rechtskraft des Strafbefehls erfahren hat. Es hat ferner ausgeführt, dass bei Maßgeblichkeit dieses Datums die Kündigungserklärungsfrist gewahrt ist. Es hat weiter zu recht darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Senats allein die positive Kenntnis des Kündigungsberechtigten den Lauf der Ausschlussfrist in Gang setzt und dass es nicht auf fahrlässige oder sogar grob fahrlässige Unkenntnis ankommt. Daraus folgt, so hat es auch das Landesarbeitsgericht gesehen, dass bei Anwendung dieser vom Senat bisher aufgestellten Grundsätze die Kündigungs-erklärungsfrist als gewahrt angesehen werden muss.

a) Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass nur positive Kenntnis vom Kündigungsgrund die Erklärungsfrist in Gang setzt, will das Landesarbeitsgericht aber in dem Fall machen, in dem zunächst nur einige Umstände bekannt werden, die zwar auf einen wichtigen Grund zur Kündigung hindeuten, aber ersichtlich noch weitere Ermittlungen erfordern. Versäume oder verzögere der Kündigungsberechtigte die dann erforderliche Aufklärung, so könne dadurch die Ausschlussfrist ungenutzt verstreichen. Ein solcher Fall soll, so das Landesarbeitsgericht, hier vorliegen; die Frist habe deshalb nach Ablauf einer Woche, gerechnet ab Kenntnis der kündigungsberechtigten Stelle von der Existenz des Strafbefehls, zu laufen begonnen, demnach am 18. November 2005.

b) Eine solche Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Kündigungserklärungsfrist erst mit positiver Kenntnis vom Kündigungsgrund beginnt, kann der Senat nicht anerkennen. Sie stünde im Widerspruch zum Gesetz.

aa) Der Senat hat stets betont, der Arbeitgeber könne mit dem Ausspruch der Kündigung warten, bis eine rechtskräftige Verurteilung vorliege (11. März 1976 - 2 AZR 29/75 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 9). Dies ist ein rechtsstaatlich zwar nicht gebotenes, in jedem Fall aber gerade im Sinne des Arbeitnehmers angemessenes Vorgehen. Der Arbeitgeber gibt damit zu erkennen, dass er die Kündigung nur auf einen zur rechtskräftigen Verurteilung im Strafverfahren ausreichenden Tatsachenstand stützen will und die rechtskräftige Verurteilung aus seiner Sicht ein eigenes Gewicht hat, das sie zu einem Element des Kündigungsgrundes macht. Im vorliegenden Fall wird dies besonders deutlich: Die Beklagte hat - jedenfalls nach ihrem Vortrag - dem Kläger mehrfach mitgeteilt, dass die Rechtskraft des Strafbefehls für sie von besonderer Bedeutung war. Auch in der Anhörung vom 30. November 2005 hat gerade dieser Aspekt eine Rolle gespielt. Auch das Landesarbeitsgericht hat dem Umstand der rechtskräftigen Verurteilung bei Würdigung des Kündigungsgrundes zu Recht Gewicht beigemessen.

bb) Ist aber die Tatsache der rechtskräftigen Verurteilung Teil des Kündigungsgrundes, so gibt es keinen Ansatzpunkt, in diesen Fällen von dem Grundsatz abzuweichen, dass die Kündigungserklärungsfrist erst ab Kenntnis des Kündigungsberechtigten von dem die rechtskräftige Verurteilung umfassenden Kündigungsgrund zu laufen beginnt.

cc) Die Fälle, in denen der Senat eine Obliegenheit des Arbeitgebers zu zügigen Ermittlungen und ggf. auch zur Anhörung innerhalb einer Woche angenommen hat, sind - im deutlichen Unterschied zum vorliegenden Fall -davon gekennzeichnet, dass der Kündigungsgrund objektiv bereits vollständig abgeschlossen vorlag, es sich also um in der Vergangenheit liegende Ereignisse handelte, die dem Arbeitgeber zwar nicht in den Einzelheiten vollständig bekannt waren, wohl aber als "Vorfall". Hier kann, wie oben ausgeführt, von einer Fristhemmung gesprochen werden. Der Arbeitgeber hat in solcher Lage allen Anlass, den "Vorfall" aufzuklären, wenn er die Kündigungsentscheidung treffen und die zur Kündigungserklärung erforderlichen Schritte tun will. Im vorliegenden Fall ist aber die Rechtskraft - als Teil des "Vorfalls" - ein Umstand, der bis zum 14. November 2005 sogar objektiv noch ungewiss war und der Beklagten nach Lage der Dinge auch erst eine gewisse Zeit nach seinem Eintritt bekannt werden konnte.

dd) Dass die Beklagte durch die vom Landesarbeitsgericht vorgeschlagenen Ermittlungsversuche eine sichere Kenntnis von der Rechtskraft hätte erlangen können, hat das Landesarbeitsgericht überdies nicht festgestellt. Die Rechtskraft eines Strafbefehls kann allein anhand der die entsprechenden Daten verzeichnenden Akten ermittelt werden. Sowohl der Verteidiger als auch der Verurteilte können lediglich Angaben darüber machen, welche auf den Eintritt oder Nichteintritt der Rechtskraft bezogenen Handlungen sie vorgenommen oder unterlassen haben. Dass eine Anfrage bei Gericht früher als am 24. November 2005 zu einer verbindlichen Auskunft geführt hätte, hat das Landesarbeitsgericht ebenfalls nicht festgestellt.

ee) Gestützt wird der Befund auch durch folgende Überlegungen:

(1) Das Landesarbeitsgericht hat der Beklagten letztlich vorgeworfen, sie habe angesichts ihrer Kenntnis von der Eröffnung des Ermittlungsverfahrens eigene Nachforschungen über den Stand der Sache anstellen müssen. Die Beklagte habe sich, so die Grundannahme des Landesarbeitsgerichts, von sich aus - etwa durch Nachfragen beim Kläger, bei seinem Verteidiger oder bei der Staatsanwaltschaft oder dem zuständigen Gericht - auf dem Laufenden halten müssen.

(2) Diese Grundannahme teilt der Senat nicht. In Übereinstimmung mit § 14 Abs. 1 Nr. 5b EGGVG sieht Nr. 16 der Anordnung über Mitteilung in Strafsachen (MiStra) vor, dass dem öffentlichen Arbeitgeber, wenn ein Ermittlungsverfahren wegen dienstbezogener Vergehen geführt wird, seitens der Strafverfolgungsbehörden Mitteilung ua. über die Erhebung der öffentlichen Klage und den Ausgang des Verfahrens zu machen ist.

(3) Da hier also die Voraussetzungen für eine Mitteilungspflicht nach der MiStra gegeben waren, war sichergestellt, dass die Beklagte über den rechtskräftigen Ausgang des Strafverfahrens unterrichtet wurde. Dieses im Einzelnen geregelte und formalisierte Verfahren dient gerade dem Zweck, dem öffentlichen Arbeitgeber, der sich durch eine rechtskräftige Verurteilung zu rechtlichen Maßnahmen veranlasst sehen kann, eine zuverlässige Kenntnis der zu Grunde liegenden strafverfahrensrechtlichen Umstände zu verschaffen. Dann aber kann einem öffentlichen Arbeitgeber, so lange er nicht nach den Vorschriften der MiStra über den Ausgang des Verfahrens unterrichtet worden ist, nicht vorgehalten werden, er habe von sich aus Erkundigungen über die Rechtskraft zB beim Strafverteidiger oder dem Arbeitnehmer oder auch auf anderem Wege bei Gericht einholen müssen. Denn diese Erkundigungen hätten auf jeden Fall mit einem geringeren Maß an Wahrscheinlichkeit zu richtigen Ergebnissen führen können. Gibt das Recht für einen bestimmten Vorgang, wie hier den der Unterrichtung des öffentlichen Arbeitgebers von rechtskräftigen Verurteilungen von Arbeitnehmern wegen Verletzungen dienstlicher Pflichten, einen bestimmten Weg vor, der gerade auch dem Zweck dienen soll, davon abhängige Kündigungsentscheidungen vorzubereiten (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 5 EGGVG), dann kann dem Arbeitgeber eine Versäumung von Unterrichtungsobliegenheiten in der Regel nicht vorgeworfen werden, so lange er sich an das rechtlich geregelte Verfahren hält. Mit "bürokratischem Phlegma" hat das nichts zu tun.

ff) Der Beklagten kann auch nicht entgegengehalten werden, dass sie noch im Oktober 2005 eine Altersteilzeitvereinbarung mit dem Kläger getroffen hat. Die für die Beklagte, wie ausgeführt, maßgebliche Frage der rechtskräftigen Verurteilung war zu diesem Zeitpunkt noch offen. Auch das Landesarbeitsgericht hat aus diesem Umstand keinerlei Folgerungen gezogen.

III. Andere Unwirksamkeitsgründe für die Kündigung sind nicht ersichtlich.

In der Klageschrift hat der Kläger zwar die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats in allgemeiner Form bestritten, ist darauf jedoch nach entsprechendem ausführlichen Gegenvortrag der Beklagten nicht mehr zurückgekommen.

C. Der Kläger muss die Kosten des Rechtsstreits nach § 91 Abs. 1 ZPO tragen.


Stichworte: Verdachtskündigung, Kündigungserklärungsfrist
Verfahrensgang: ArbG Hamburg, 3 Ca 610/05 vom 03.05.2006
LAG Hamburg, 6 Sa 49/06 vom 10.11.2006

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