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Arbeitsrecht
20.10.2017
Arbeitsrecht
LAG Schleswig-Holstein: Aufgabe von Schriftsätzen bei der Post – Organisationsmaßnahmen eines Rechtsanwalts

LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 27.9.2017 – 1 Sa 275/17

Volltext:BB-ONLINE BBL2017-2548-1

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Aus den Gründen

I. Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage des Klägers mit dem angefochtenen Urteil vom 04.05.2017 bis auf einen geringen Teil der Klagforderung abgewiesen. Gegen das am 16.05.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.06.2017 Berufung eingelegt und zugleich einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um zwei Monate bis zum 17.09.2017 gestellt. Durch Verfügung des Gerichts vom 19.06.2017 ist die Frist zur Berufungsbegründung bis zum 17.08.2017 verlängert worden.

Mit Verfügung vom 21.08.2017, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 23.08.2017 zugestellt, ist dieser darauf hingewiesen worden, dass eine Berufungsbegründung nicht eingegangen und es beabsichtigt sei, die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Hierauf hat der Kläger mit Telefax seines Prozessbevollmächtigten vom 23.08.2017 mitgeteilt, die Berufung sei bereits mit Schriftsatz vom 21.06.2017 begründet worden. Eine Kopie der Berufungsbegründung hat er seinem Schriftsatz beigefügt. Ferner hat der Kläger für den Fall, dass die Berufungsbegründung auf dem Postweg verloren gegangen sei, einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt und diesen mit Schriftsatz vom 31.08.2017 weiter begründet.

Er hat unter Vorlage einer gemeinsamen eidesstattlichen Versicherung seines Prozessbevollmächtigten und dessen Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten vorgetragen: Beide hätten die Berufungsbegründung gemeinsam ausgefertigt und die entsprechenden Anlagen besprochen. Die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte Frau M... habe dem Prozessbevollmächtigten den Schriftsatz vorgelegt. Dieser hat versichert, er erinnere sich hieran, weil es sich um einen „dicken“ Schriftsatz gehandelt habe, und habe diesen auch unterschrieben.

Ferner ist in der eidesstattlichen Versicherung ausgeführt:

„Der Schriftsatz wird in den Postlauf gegeben, dieser wird täglich in den etwa 250 Meter von der Kanzlei befindlichen Briefkasten der Deutschen Post oder direkt bei der Poststelle bei E... H... abgegeben. Es wird die gesamte Post täglich abgegeben und geleert, das ist in dieser Sache ebenfalls geschehen.“

Weiter wird erklärt, dass aus der Akte ersichtlich sei, dass dem Mandanten mit Datum vom 21.06.2017 mitgeteilt worden sei, die Berufungsschrift sei an das Gericht übermittelt worden und mit Datum vom 22.06.2017, eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei nicht notwendig, da diese bereits vorliege.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Akte Bezug genommen.

II. Die Berufung des Klägers ist unzulässig. Sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist unbegründet. Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Die Berufung des Klägers ist gemäß den §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 522 Abs. 1 Satz 1, 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil er sie nicht fristgemäß begründet hat. Innerhalb der bis zum 17.08.2017 verlängerten Berufungsbegründungsfrist ist eine Berufungsbegründung beim Landesarbeitsgericht nicht eingegangen.

2. Wegen der Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung ist dem Kläger auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sein Wiedereinsetzungsantrag ist unbegründet. Gemäß § 233 Satz 1 ZPO ist einer Partei auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, u. a. die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten.

Die Voraussetzungen dieser Norm liegen nicht vor. Der Kläger hat nicht ausreichend dargelegt, dass der fehlende Eingang der Berufungsbegründung nicht auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht, das ihm zuzurechnen ist.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Prozessbevollmächtigter nicht nur dafür sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird, sondern auch, dass dieser innerhalb der Frist bei Gericht eingeht. Im Rahmen der dafür erforderlichen Fristenkontrolle muss durch organisatorische Maßnahmen auch gewährleistet sein, dass für den Postversand vorgesehene Schriftstücke zuverlässig auf den Postweg gebracht werden. Das ist im allgemeinen dann der Fall, wenn durch die Kanzleiorganisation sichergestellt wird, dass der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach der Kanzlei als „letzter Station auf dem Weg zum Adressaten“ eingelegt und von dort unmittelbar zum Briefkasten gebracht wird. Eine zusätzliche Ausgangskontrolle ist in diesem Fall entbehrlich (BGH, Beschluss vom 05.02.2003 – IV ZB 34/02 -, Juris, Rn. 5 m.w.N.). Geeignetes Mittel für die gewährte Leistung der erforderlichen Ausgangskontrolle kann etwa ein Postausgangsbuch sein (BGH vom 27.11.2013 – III ZB 46/13 -, Jurist Rn. 10). Das Unterlassen der Gewährleistung einer Ausgangskontrolle muss sich die Partei als (Organisations-)Verschulden ihres Anwalts gemäß § 85 Abs. 2 ZPO entgegenhalten lassen (BGH vom 27.11.2013, Rn. 15).

2. Nach diesen Grundsätzen liegt ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers vor.

a) Das Bestehen einer Ausgangskontrolle dergestalt, dass durch abstrakte organisatorische Anweisungen gewährleistet ist, dass zum Versand erstellte Schriftstücke der Kanzlei auch tatsächlich abgesandt werden, hat der Prozessbevollmächtigte in seiner eidesstattlichen Versicherung nicht dargelegt. Ein Postausgangsbuch existiert ersichtlich nicht. Nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung gibt es auch kein Postausgangsfach, in dem die täglich zu versendenden Schriftstücke gesammelt und dann in den Postlauf gegeben werden. Vielmehr hat der Prozessbevollmächtigte gemeinsam mit der Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten nur erklärt, die gesamte Post werde täglich abgegeben und geleert. Eine Organisation, die gewährleistet, dass sichergestellt ist, dass auch täglich entsprechend dieser Anweisung gehandelt wird, lässt sich dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten nicht entnehmen. So reicht es nach der Rechtsprechung des BGH nicht einmal aus, wenn täglich geprüft wird, ob der in einer Anwaltskanzlei für eine Gerichtspost bestimmte Ausgangskorb leer ist (Beschluss vom 16.02.2010 – VIII ZB 76/09 -, Juris, Rn. 7 m.w.N.). Erst recht reicht es danach nicht aus, wenn es nicht einmal einen bestimmten Ausgangskorb gibt, dessen Entleerung überprüft werden könnte.

b) Die organisatorische Sicherstellung einer wirksamen Ausgangskontrolle war vorliegend auch nicht deswegen entbehrlich, weil glaubhaft gemacht ist, dass die Berufungsbegründung tatsächlich zur Post gelangt ist (vgl. hierzu: BGH vom 27.11.2013 - III ZB 46/13 -, Juris, Rn. 13).

Dieser Umstand wird nämlich in der eidesstattlichen Versicherung gerade nicht glaubhaft versichert. Zwar geben sowohl Frau M... als auch der Prozessbevollmächtigte des Klägers an, sich an die Fertigung bzw. Unterzeichnung der Berufungsbegründung erinnern zu können. Hinsichtlich der Aufgabe zur Post verhält sich die eidesstattliche Versicherung aber allein mit dem abstrakten Satz, es werde die gesamte Post täglich abgegeben und geleert und dies sei in der vorliegenden Sache ebenfalls geschehen. Eine konkrete Erinnerung an diesen Vorgang wird damit nicht behauptet. Der Umstand, dass sie sich bei der Unterzeichnung der eidesstattlichen Versicherung an die Erstellung und Unterzeichnung des Schriftsatzes konkret erinnern, macht nicht glaubhaft, dass dieser auch in den Versand gegeben wurde. Der allgemeine Hinweis auf die Üblichkeiten im Büro und dass dies auch bezogen auf den in Rede stehenden Schriftsatz so gehandhabt worden sei, überzeugt ohne nähere konkrete Anhaltspunkte nicht. Auch der Umstand, dass der Kläger selbst mit zwei Schreiben darauf hingewiesen worden ist, dass die Berufungsbegründung bereits versandt sei, belegt nicht, dass ein solcher Versand auch tatsächlich erfolgt ist, sondern nur, dass er vom Prozessbevollmächtigten beabsichtigt war.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegt ein Grund im Sinne der §§ 77 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG nicht vor.

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