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Arbeitsrecht
16.04.2008
Arbeitsrecht
: Anforderungen an eine Verdachtskündigung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 28.11.2007
Aktenzeichen: 5 AZR 952/06
Rechtsgebiete: BGB, KSchG, BPersVG
Vorschriften:

      BGB § 611 Abhängigkeit
      BGB § 626 Verdachtskündigung
      KSchG § 4
      KSchG § 9 Abs. 1 Satz 2
      BPersVG § 79

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT

Im Namen des Volkes!

URTEIL

5 AZR 952/06

Verkündet am 28. November 2007

In Sachen

hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Müller-Glöge, den Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Mikosch, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Dr. Laux sowie die ehrenamtlichen Richter Heel und Zoller

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 11. Juli 2006 - 5 Sa 12/05 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über den Arbeitnehmerstatus des Klägers, die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung und einer hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung sowie über einen Auflösungsantrag der Beklagten.

Der 1968 geborene Kläger war seit 1992 zeitlich überwiegend als Nachrichtensprecher bei der Beklagten tätig. Nach dem Bestätigungsschreiben der Beklagten vom 13. April 1992 sollte es sich um eine sog. feste freie Mitarbeit handeln. Ob die einvernehmlich erfolgte Vertragsdurchführung ein Arbeitsverhältnis begründete, ist zwischen den Parteien streitig.

Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di und der SPD. Er bewarb sich im Jahr 2004 um ein Mandat für den Landtag des Freistaats Sachsen. Am 6. Januar 2004 um 3.46 Uhr veröffentlichte die Nachrichtenagentur ddp eine Meldung mit der Überschrift "Jurk schließt rot-rotes Bündnis in Sachsen nicht aus". Um 12.51 Uhr desselben Tages wurde eine inhaltlich veränderte Fassung dieser Meldung mit der Überschrift "Jurk will rot-rotes Bündnis in Sachsen" von dem PC des Klägers bei der Beklagten an die E-Mail-Adressen von SPD-Mitgliedern versandt. Ab dem 7. Januar 2004 erschienen in den sächsischen Medien Berichte über die verfälschte Meldung. Daraufhin sagte die SPD die geplante Urabstimmung ihrer Mitglieder über die Spitzenposition für die Landtagswahl ab.

Die Beklagte stellte den Kläger von seiner Tätigkeit frei und nahm eine technische Überprüfung vor, deren Ergebnis in einem Ablaufprotokoll zusammengefasst wurde. Am 16. Januar 2004 hörte sie den Kläger im Beisein seines späteren Prozessbevollmächtigten zu dem Manipulationsvorwurf an. Der Kläger ließ erklären, er werde den Aussagen, die bereits durch die Presse gegangen seien, nichts hinzufügen. Mit einem Schreiben vom 16. Januar 2004 und einem weiteren Schreiben vom 21. Januar 2004 erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger, sie beende dessen Tätigkeit als freier Mitarbeiter für M aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung. Nachdem der Kläger am 26. Januar 2004 eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Leipzig eingereicht hatte, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 30. Januar 2004, das dem Kläger am selben Tag zuging, höchst vorsorglich ein etwa bestehendes Arbeitsverhältnis fristlos aus wichtigem Grund und hilfsweise ordentlich zum 31. März 2004. Mit der am 5. Februar 2004 eingereichten Klageerweiterung hat der Kläger auch die Kündigung vom 30. Januar 2004 angegriffen.

Der Kläger hat geltend gemacht, er sei Arbeitnehmer der Beklagten. Er sei weisungsabhängig und nicht programmgestaltend als Chefnachrichtensprecher in die Dienstorganisation eingebunden gewesen. Die Kündigungen seien unwirksam. Er sei nicht Autor und Versender der verfälschten E-Mail. Zur fraglichen Zeit habe er sich nicht an seinem Arbeitsplatz aufgehalten. Die Anhörung vom 16. Januar 2004 genüge nicht für eine Verdachtskündigung, weil er nicht im Einzelnen zu den Kündigungsvorwürfen befragt worden sei. Die Kündigung vom 30. Januar 2004 sei außerhalb der gesetzlichen Zwei-WochenFrist erfolgt. Die Personalratsanhörung sei nicht ordnungsgemäß gewesen.

Soweit für die Revision noch von Interesse, hat der Kläger beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentlichen Kündigungen vom 16. Januar, 21. Januar und 30. Januar 2004 beendet wird.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 30. Januar 2004 beendet wird.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1. und 2. zu den bisherigen Arbeitsbedingungen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsanträge weiterzubeschäftigen.

4. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise das Arbeitsverhältnis gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG aufzulösen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei kein Arbeitnehmer, sondern programmgestaltender freier Mitarbeiter gewesen. Die Kündigungen seien wirksam. Es habe der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Manipulation bestanden. Dadurch sei das bei einem Nachrichtensprecher in der Position des Klägers zwingend notwendige Vertrauensverhältnis zerstört worden. Der Verdacht sei auch nicht ausgeräumt worden. Der Kläger habe sich nach den Angaben mehrerer Mitarbeiter am 6. Januar 2004 um 12.51 Uhr an seinem Arbeitsplatz aufgehalten. Es sei nahezu ausgeschlossen, dass die verfälschte E-Mail durch einen Dritten versandt worden sei. Eine den Anstaltszwecken dienliche Zusammenarbeit sei nicht mehr zu erwarten.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung der Beklagten vom 16. Januar 2004 noch durch die Kündigung der Beklagten vom 21. Januar 2004 beendet worden ist, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat allein der Kläger Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat auch den weiteren Anträgen des Klägers stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision beantragt die Beklagte, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückzuweisen, hilfsweise das Arbeitsverhältnis aufzulösen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Mit der Argumentation des Landesarbeitsgerichts kann die Unwirksamkeit der Kündigung vom 30. Januar 2004 nicht begründet werden.

I. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass zwischen den Parteien am 30. Januar 2004 ein Arbeitsverhältnis bestand.

1. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses ergibt sich unabhängig von der Begründung des Landesarbeitsgerichts schon aus dem rechtskräftig gewordenen Feststellungsausspruch im Urteil des Arbeitsgerichts vom 9. November 2004. Danach ist das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung der Beklagten vom 16. Januar 2004 noch durch die Kündigung der Beklagten vom 21. Januar 2004 beendet worden. Mit Rechtskraft dieser Feststellung steht fest, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der jeweiligen Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat und dieses durch die betreffenden Kündigungen nicht beendet worden ist. Die Beurteilung des Rechtsverhältnisses als Arbeitsverhältnis oder sonstiges Dienstverhältnis ist nicht allein Vorfrage für die positive Entscheidung über den Bestandsschutzantrag, sondern zugleich Gegenstand des Entscheidungsausspruchs (vgl. BAG 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 - Rn. 17 AP KSchG 1969 § 9 Nr. 55 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 74, zu B I 1 der Gründe; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11, zu B I 1 b aa der Gründe; 27. Oktober 2005 - 8 AZR 568/04 - AP BGB § 613a Nr. 292 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 42, zu II 1 d der Gründe; 27. September 2001 - 2 AZR 389/00 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 41 = EzA ZPO § 322 Nr. 13, zu II 3 a cc der Gründe; Senat 20. Dezember 1995 - 5 AZB 28/95 - zu II der Gründe; 12. Juni 1986 - 2 AZR 426/85 - AP KSchG 1969 § 4 Nr. 17 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 31, zu B II 2 der Gründe; zustimmend KR-Friedrich 8. Aufl. § 4 KSchG Rn. 225, 225a; kritisch von Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 4 Rn. 137; Löwisch/Spinner Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz 9. Aufl. § 4 Rn. 14, alle mwN). Es mag dahingestellt bleiben, ob und ggf. in welchen Fällen die Auslegung des Entscheidungsausspruchs trotz eines dem § 4 KSchG entsprechenden Wortlauts etwas anderes ergeben kann. Jedenfalls dann, wenn die Statusfrage - wie im Streitfall - von den Parteien zumindest konkludent zur Entscheidung gestellt wird, enthält die Kündigungsschutzklage auch eine sog. Statusklage. Mit der stattgebenden Entscheidung über die Kündigungsschutzklage wird zugleich positiv über die Statusklage entschieden. So muss auch die Entscheidung des Arbeitsgerichts vom 9. November 2004 verstanden werden.

2. An der Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung ändert nichts der Umstand, dass das Arbeitsgericht zugleich über die Kündigung vom 30. Januar 2004 entschieden hat und diese Entscheidung nicht rechtskräftig geworden ist. Mit der Abweisung des Feststellungsantrags hinsichtlich der am 30. Januar 2004 zugegangenen Kündigung hat das Arbeitsgericht nicht über den Status des Klägers an diesem Tage entschieden. Dadurch blieb der Status nicht offen. Vielmehr handelte es sich bei den Entscheidungen über die vorherigen Kündigungen um andere Streitgegenstände. Unabhängig davon, ob die Statusfeststellung als ein einheitlicher Streitgegenstand angesehen werden kann oder punktuell nach den jeweiligen Kündigungszeitpunkten zu unterscheiden ist, hat die Beklagte die Entscheidung hierüber nicht angegriffen. Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts hat allein der Kläger Berufung eingelegt. Hätte etwa das Arbeitsgericht der Klage insgesamt stattgegeben und die Beklagte wegen der letzten Kündigung Berufung eingelegt, könnte dies uU als ausreichender Angriff auch gegen die Statusentscheidung angesehen werden. An einem solchen Angriff fehlt es. Die Berufungserwiderung der Beklagten genügt nicht. Die Beklagte hat schließlich nicht geltend gemacht, das Vertragsverhältnis der Parteien sei nach dem Zugang der Kündigung vom 21. Januar 2004 rechtsgeschäftlich verändert worden. Der Kläger war nach diesem Zeitpunkt bis zur Kündigung vom 30. Januar 2004 auch nicht mehr für die Beklagte tätig.

II. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. Januar 2004 beendet worden ist, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen.

1. Die Verdachtskündigung ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht mangels einer ausreichenden Anhörung des Klägers unwirksam.

a) Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Kündigung verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil die Beklagte den Kläger vor Kündigungsausspruch nicht in ausreichender Weise angehört habe; denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe gegen Ende des Gesprächs vom 16. Januar 2004 zum Ausdruck gebracht, er stelle sich eine Befragung so vor, dass er zu jeder einzelnen Frage entscheide, ob er sie für eine Beantwortung durch den Kläger geeignet halte. Ein solches Verfahren sei der Beklagten zumutbar gewesen, sie habe es aber abgelehnt.

b) Dieser Begründung vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigten Arbeitnehmer darstellen. Der Verdacht einer strafbaren Handlung stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. § 626 Abs. 1 BGB lässt eine Verdachtskündigung zu, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Nicht jede strafbare Handlung des Arbeitnehmers hat den erforderlichen Bezug zum Arbeitsverhältnis und dessen Vertrauensgrundlage (BAG 6. November 2003 - 2 AZR 631/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2, zu B II 1 a der Gründe mwN; zuletzt 29. November 2007 - 2 AZR 724/06).

bb) Bei einer Verdachtskündigung besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Daher ist es gerechtfertigt, die Erfüllung der Aufklärungspflicht als Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung anzusehen. Lediglich der Verdacht einer Verfehlung kann für den Ausspruch einer Kündigung nur genügen, wenn der Arbeitgeber den Verdacht weder auszuräumen, noch die erhobenen Vorwürfe auf eine sichere Grundlage zu stellen vermochte. Der Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch der Kündigung kommt deshalb besondere Bedeutung zu. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit erhalten, die Verdachtsgründe zu entkräften und Entlastungstatsachen anzuführen (BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1, zu B I 1 b aa der Gründe). Der gebotene Umfang der Anhörung richtet sich entsprechend dem Zweck der Aufklärung nach den Umständen des Einzelfalls. Die Anhörung muss sich auf einen konkretisierten Sachverhalt beziehen. Der Arbeitgeber darf den Arbeitnehmer nicht lediglich mit einer unsubstantiierten Wertung konfrontieren und ihm nicht wesentliche Erkenntnisse vorenthalten. Er muss alle erheblichen Umstände angeben, aus denen er den Verdacht ableitet. Nur dann hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich zum Verdachtsvorwurf und den ihn tragenden Verdachtsmomenten in einer die Aufklärung fördernden Weise zu äußern (BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - aaO, zu B I 1 b bb der Gründe mwN).

cc) Verletzt der Arbeitgeber schuldhaft die sich aus der Aufklärungspflicht ergebende Anhörungspflicht, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht als Kündigungsgrund berufen. Eine Verletzung der Anhörungspflicht liegt nicht vor, wenn der Arbeitnehmer erklärt, er werde sich zum Vorwurf nicht äußern, ohne hierfür erhebliche Gründe zu nennen. Der Arbeitgeber muss ihn dann auch nicht über die Verdachtsmomente näher informieren. Ist der Arbeitnehmer von vornherein nicht bereit, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen substantiiert zu äußern und so an der Aufklärung mitzuwirken, ist die (weitere) Anhörung überflüssig, weil sie zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Willensbildung des Arbeitgebers nichts beitragen kann (BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1, zu B I 1 b cc der Gründe). Die fehlende Bereitschaft, an der Aufklärung mitzuwirken, kann sich auch aus dem späteren Verhalten des Arbeitnehmers ergeben (BAG 30. April 1987 - 2 AZR 283/86 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 19 = EzA BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3, zu B I 2 d aa der Gründe).

dd) Bei Anwendung dieser Maßstäbe hat die Beklagte dem Kläger im Rahmen der Anhörung am 16. Januar 2004 ausreichend Gelegenheit geboten, zu dem Kündigungsvorwurf Stellung zu nehmen. Der Kläger kannte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Bereits am 7. Januar 2004 berichtete die Presse über die Versendung der verfälschten E-Mails, woraufhin der Kläger mit seiner Vorgesetzten ein Gespräch führte. Am 8. Januar 2004 wandte er sich an mehrere Mitglieder der SPD und stellte den Sachverhalt aus seiner Sicht klar. Lagen damit der konkrete Verdacht und die Gründe hierfür offen, brauchte die Beklagte nichts mehr mitzuteilen. Sie hat dem Kläger keine Erkenntnisse oder Erwägungen vorenthalten, zu denen der Kläger zum Zwecke einer Entkräftung des Verdachts Stellung nehmen konnte. Es war auch nicht ihre Sache, konkrete Einzelfragen an den Kläger zu richten. Vielmehr hatte der Kläger bei der Anhörung am 16. Januar 2004 ausreichend Gelegenheit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, insbesondere entlastende Tatsachen und Gesichtspunkte vorzubringen. Diese Gelegenheit hat der Kläger nicht wahrgenommen, sondern es vorgezogen, sich erst sehr viel später im Verlaufe des Rechtsstreits konkret einzulassen, obwohl die Frage der "Täterschaft" und die Verdachtsgründe hierfür klar zu Tage getreten waren. Jedenfalls war für die Beklagte unter diesen Umständen nicht ersichtlich, dass das Angebot des Klägers, einzelne Fragen zu prüfen und ggf. zu beantworten, dazu diente, einen Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Entkräftung des Verdachts leisten zu wollen.

2. Das Berufungsurteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als zutreffend (§ 561 ZPO).

a) Die Kündigung wurde rechtzeitig innerhalb der zweiwöchigen Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen.

aa) Die Frist beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen zuverlässige Kenntnis erlangt, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist. Besitzt er Anhaltspunkte für einen Verdacht, der zur fristlosen Kündigung berechtigen kann, ist er gehalten, Ermittlungen anzustellen und den Betroffenen anzuhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt. Die Ermittlungen dürfen nicht hinausgezögert werden. Unmaßgeblich ist, ob sie etwas zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben. Im Rahmen dessen, was ein verständig handelnder Arbeitgeber beachtet, kann der Sachverhalt durch erforderlich erscheinende Aufklärungsmaßnahmen vollständig geklärt werden. Sind die Ermittlungen abgeschlossen, beginnt die Ausschlussfrist (BAG 5. Dezember 2002 - 2 AZR 478/01 - AP BGB § 123 Nr. 63 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 1, zu B I 3 c bb (1) der Gründe mwN).

bb) Danach hat die Beklagte die Kündigung rechtzeitig erklärt. Die Frist lief erst im Anschluss an die Anhörung vom 16. Januar 2004, da die Ermittlungen bis zu diesem Zeitpunkt zügig geführt wurden. Auch wenn bereits am 7. Januar 2004 ein Gespräch zwischen dem Kläger und seiner Vorgesetzten stattfand, wollte die Beklagte dem Kläger noch Gelegenheit zu einer Anhörung durch die kündigungsberechtigten Mitarbeiter im Beisein seines Rechtsbeistands geben. Dass dieser keinen früheren Termin fand, bedeutet keinen Verstoß gegen das Gebot, die Ermittlungen zügig zu führen.

b) Die Beklagte hat den Personalrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß beteiligt.

aa) Gemäß § 38 Abs. 1 des Staatsvertrags über den Mitteldeutschen Rundfunk findet für die Beklagte das Bundespersonalvertretungsgesetz Anwendung. Nach § 79 Abs. 3 BPersVG ist vor fristlosen Entlassungen und außerordentlichen Kündigungen der Personalrat anzuhören. Der Dienststellenleiter hat die beabsichtigte Maßnahme zu begründen. Die Kündigung ist unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist (§ 79 Abs. 4 BPersVG). Die Unwirksamkeitsfolge tritt auch dann ein, wenn der Arbeitgeber den Personalrat nicht richtig beteiligt hat, insbesondere seiner Unterrichtungspflicht nicht ausführlich genug nachgekommen ist (BAG 16. Januar 2003 - 2 AZR 707/01 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 129 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 2, zu B I 1 der Gründe mwN). Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Kündigung zu begründen und den für die Kündigung maßgeblichen Sachverhalt anzugeben. Die Kennzeichnung des Sachverhalts muss so umfassend sein, dass der Personalrat ohne eigene Nachforschungen in der Lage ist, selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich ein Bild zu machen. Der Arbeitgeber genügt der ihm obliegenden Mitteilungspflicht nicht, wenn er den Kündigungssachverhalt nur pauschal, schlagwort- oder stichwortartig umschreibt oder lediglich ein Werturteil abgibt, ohne die für seine Bewertung maßgeblichen Tatsachen mitzuteilen (vgl. BAG 5. Dezember 2002 - 2 AZR 697/01 - BAGE 104, 138, 151 f.).

bb) Diesen Anforderungen wird die Beteiligung im Streitfall gerecht. Die Beklagte hat den Personalrat mit Schreiben vom 28. Januar 2004 umfassend über den Verdacht informiert und deutlich gemacht, dass die Kündigung erfolgen soll, weil der dringende Verdacht bestehe, Herr L habe die ddp-Agenturmeldung selbst verändert und verschickt. Der Personalrat hat mit Schreiben vom 28. Januar 2004 eine weitere Stellungnahme mit dem Hinweis darauf abgelehnt, er vertrete die Auffassung, der Kläger sei freier Mitarbeiter und kein Arbeitnehmer. Soweit der Kläger meint, die Beklagte hätte den Personalrat über die Arbeitnehmereigenschaft unterrichten müssen, verkennt er, dass die Beklagte selbst in erster Linie von einer freien Mitarbeit ausgegangen ist. Ein fehlerhafter Kenntnisstand des Personalrats in tatsächlicher Hinsicht ist nicht ersichtlich. Der Personalrat hat insbesondere nicht deutlich gemacht, dass ihm Informationen zur Beschäftigung des Klägers fehlten.

3. Das Landesarbeitsgericht hat folgerichtig nicht geprüft, ob die Kündigung aus wichtigem Grund gerechtfertigt ist (§ 626 Abs. 1 BGB). Auf Grund der bisherigen Tatsachenfeststellungen und des dem Landesarbeitsgericht zukommenden Beurteilungsspielraums ist dem Senat eine Entscheidung in der Sache (§ 563 Abs. 3 ZPO) nicht möglich. Insoweit gibt der Senat folgende Hinweise:

a) Bei der Prüfung des erforderlichen Bezugs zum Arbeitsverhältnis der Parteien und zu dessen Vertrauensgrundlage ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte eine besondere Vertrauenswürdigkeit im Umgang mit politischen Nachrichten vom Kläger erwarten durfte. Als Nachrichtensprecher für M stand der Kläger für die Authentizität seiner Nachrichten. Durch den öffentlich bekannt gewordenen Verdacht einer Manipulation konnte das Ansehen der Beklagten schweren Schaden nehmen, auch wenn die verfälschte Nachricht nur für einen kleinen parteiinternen und außerhalb des Arbeitsverhältnisses stehenden Kreis bestimmt war. Gemäß § 8 Abs. 4 des Staatsvertrags über den Mitteldeutschen Rundfunk hat sich die Beklagte parteipolitisch neutral zu verhalten. Sie ist gemäß ihrem Programmauftrag zu einer objektiven und wahrheitsgemäßen Berichterstattung verpflichtet (§ 6 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk). Die Öffentlichkeit misst das Verhalten des öffentlich auftretenden Arbeitnehmers einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt an einem strengeren Maßstab als dasjenige privat Beschäftigter. Da er als Repräsentant des Senders gegenüber der Öffentlichkeit auftritt, kommt es auch auf sein Ansehen in der Öffentlichkeit an (vgl. BAG 21. Juni 2001 - 2 AZR 325/00 - AP BAT § 54 Nr. 5 = EzA BGB § 626 nF Nr. 189, zu B I 2 a der Gründe; 20. November 1997 - 2 AZR 643/96 - BAGE 87, 153, 159 ff.). Mit einem Bekanntwerden des Vorgangs in der Öffentlichkeit war angesichts der Umstände zu rechnen. Die Beklagte ist verstärkt deswegen betroffen, weil die ominöse E-Mail vom PC am Arbeitsplatz des Klägers versandt wurde. Demnach liegt es nahe, die Vorwürfe gegenüber dem Kläger als schwerwiegend und für eine Verdachtskündigung geeignet anzusehen.

b) Der Verdacht muss darüber hinaus auf konkrete Tatsachen gestützt sein. Er muss dringend sein und sich aus Umständen ergeben, die einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können (BAG 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 79 = EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung Nr. 3, zu B II 2 a der Gründe). Die den Verdacht stärkenden oder entkräftenden Tatsachen können bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz vorgetragen werden. Sie sind grundsätzlich zu berücksichtigen, sofern sie bereits vor Zugang der Kündigung vorlagen (BAG 6. November 2003 - 2 AZR 631/02 -AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2, zu B II 1 c der Gründe; 14. September 1994 - 2 AZR 164/94 - BAGE 78, 18, 28 f.). Der Tatrichter muss sich eine Überzeugung bilden, ob das erforderliche Maß an Wahrscheinlichkeit vorliegt. Widersprüchliche Zeugenaussagen sind zu würdigen, sie stehen der Annahme eines dringenden Verdachts keineswegs ohne Weiteres entgegen. Bringt der Arbeitnehmer eine durchschlagende Entlastung ohne vernünftigen Grund erst im Prozess vor, kann darin ein Grund liegen, der iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lässt.

c) Gegebenenfalls wird im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung zu prüfen sein, ob das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers überwiegt (BAG 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17, zu B I 2 a der Gründe). Dabei ist zu bedenken, dass dem Kläger auf Grund seiner langjährigen Beschäftigung die Programmgrundsätze und die Verpflichtungen der Beklagten als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt bekannt waren.

III. Sofern es noch auf die Wirksamkeit der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 30. Januar 2004 zum 31. März 2004 ankommt, ist der Ausschluss der ordentlichen Kündigung nach Nr. 2.5.6 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Mitteldeutschen Rundfunks vom 10. Mai 1993 in der Fassung des Änderungstarifvertrags vom 28. Oktober 1994 zu prüfen. Liegen die tariflichen Voraussetzungen für den Ausschluss der ordentlichen Kündigung vor, kommt eine Auflösung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht in Betracht. Diese Möglichkeit ist dem Arbeitgeber verwehrt, wenn die Kündigung (auch) aus anderen Gründen als der Sozialwidrigkeit unwirksam ist (BAG 9. Oktober 1979 - 6 AZR 1059/77 - BAGE 32, 122, 124).

IV. Im Falle eines vollen Obsiegens des Klägers fällt auch der Weiterbeschäftigungsantrag wieder zur Entscheidung an.


Für die Fachpresse: nein
Stichworte: Verdachtskündigung; Nachrichtensprecher
Verfahrensgang: ArbG Leipzig 11 Ca 523/04 vom 09.11.2004
Sächsisches LAG 5 Sa 12/05 vom 11.07.2006
Für die amtliche Sammlung: nein

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