BAG: Anfechtung Aufhebungsvertrag – widerrechtliche Drohung – Gebot fairen Verhandelns
BAG, Urteil vom 24.2.2022 – 6 AZR 333/21
ECLI:DE:BAG:2022:240222.U.6AZR333.21.0
Volltext: BB-Online BBL2022-1331-2
Orientierungssätze
1. Stellt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für den Fall des Nichtzustandekommens eines Aufhebungsvertrags eine außerordentliche Kündigung in Aussicht und durfte ein verständiger Arbeitgeber eine solche nicht ernsthaft in Erwägung ziehen, ist diese Drohung widerrechtlich (Rn. 14).
2. Der Prüfungsmaßstab des verständigen Arbeitgebers gilt auch, wenn auf Seiten des Arbeitgebers bei Ausspruch der Drohung ein Rechtsanwalt zugegen ist oder dieser die Drohung selbst ausspricht (Rn. 16 ff.).
3. Das Gebot fairen Verhandelns als vertragliche Nebenpflicht iSd. § 311 Abs. 2 Nr.1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB gebietet die Wahrung eines Mindestmaßes an Fairness im Vorfeld des Abschlusses eines Aufhebungsvertrags. Die Interessen der Gegenseite sind angemessen zu berücksichtigen, ohne dass eigene Interessen verleugnet werden müssen (Rn. 22). Das Gebot schützt – im Gegensatz zu § 138 BGB – nicht den Inhalt des Vertrags, sondern den Weg zum Vertragsschluss (Rn. 23).
4. Ob in einer konkreten Verhandlungssituation dieses Mindestmaß an Fairness ausnahmsweise nicht mehr gewahrt wurde, ist anhand der Gesamtumstände im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Den Tatsachengerichten kommt dabei ein vom Revisionsgericht nur eingeschränkt zu überprüfender Beurteilungsspielraum zu (Rn. 25).
5. Das Gebot fairen Verhandelns ist nicht allein deswegen verletzt, weil der Arbeitgeber den von ihm angebotenen Aufhebungsvertrag gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 BGB nur zur sofortigen Annahme unterbreitet. Dass der Arbeitnehmer dieses Angebot nur sofort annehmen kann und daher entgegen einer ggf. geäußerten Bitte keine (weitere) Bedenkzeit erhält und/oder keinen Rechtsrat einholen kann, ist ein im Rahmen von Vertragsverhandlungen zulässiger Druck und nicht unfair (Rn. 27 ff.).
6. Erweist sich im Rahmen der Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag eine Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung als nicht widerrechtlich iSd. § 123 Abs. 1 BGB, stellt dieses Verhalten des Arbeitgebers auch keine Pflichtverletzung iSd. § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB dar (Rn. 32).
Leitsatz
Der Arbeitgeber verhandelt nicht entgegen § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB deswegen unfair, weil er den von ihm angebotenen Aufhebungsvertrag nur zur sofortigen Annahme unterbreitet und der Arbeitnehmer diesen nur sofort annehmen kann (§ 147 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Sachverhalt
Die Parteien streiten über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags.
Am 22. November 2019 führten der Geschäftsführer und der spätere Prozessbevollmächtigte der Beklagten, der sich als Rechtsanwalt für Arbeitsrecht vorstellte, im Büro des Geschäftsführers ein Gespräch mit der seit 1. Juni 2015 als Teamkoordinatorin des Verkaufs im Bereich Haustechnik beschäftigten Klägerin. Sie erhoben ihr gegenüber den Vorwurf, in der Vergangenheit unberechtigt Einkaufspreise für Waren in der EDV der Beklagten reduziert zu haben, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln. Der Klägerin war zuvor nicht mitgeteilt worden, dass dieser Vorwurf Gegenstand des Gesprächs sein würde.
In dem Gespräch legten die Vertreter der Beklagten der Klägerin einen vorbereiteten Aufhebungsvertrag vor, der ein einvernehmliches Ausscheiden der Klägerin aus betrieblichen Gründen mit Ablauf des 30. November 2019 vorsah. Darüber hinaus enthielt er neben einer Abgeltungsklausel für wechselseitige finanzielle Ansprüche ua. die Verpflichtung der Beklagten, bis zum Vertragsende die vereinbarte Vergütung zu zahlen und ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen. Nach einer etwa zehnminütigen Pause, in der die drei anwesenden Personen schweigend am Tisch saßen, unterzeichnete die Klägerin den angebotenen Aufhebungsvertrag. Die weiteren Einzelheiten zum Verlauf des Gesprächs sind streitig geblieben.
Die Klägerin focht den Aufhebungsvertrag mit Schreiben vom 29. November 2019 wegen widerrechtlicher Drohung an. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich mit Schreiben vom 4. Dezember 2019 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Termin.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis sei durch den Aufhebungsvertrag nicht beendet worden. Sie hat behauptet, in dem Gespräch am 22. November 2019 sei ihr für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrags die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung sowie die Erstattung einer Strafanzeige angedroht worden. Ihrer Bitte, eine längere Bedenkzeit zu erhalten und Rechtsrat einholen zu können, habe die Beklagte nicht entsprochen. Vielmehr habe der spätere Prozessbevollmächtigte der Beklagten erklärt, dass dann, wenn sie durch die Tür gehe, auch wenn sie nur die Toilette aufsuchen wolle, der Abschluss des Aufhebungsvertrags nicht mehr in Betracht komme. Vor diesem Hintergrund habe sie sich dazu bestimmen lassen, den Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen. Die ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe seien unzutreffend. Sie habe keine unzulässigen Eingriffe in das EDV-System der Beklagten vorgenommen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis über den 30. November 2019 hinaus fortbesteht;
2. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 4. Dezember 2019, zugegangen am 7. Dezember 2019, weder fristlos noch ordentlich beendet worden ist oder beendet wird.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, der Aufhebungsvertrag habe das Arbeitsverhältnis zum 30. November 2019 beendet. Die Klägerin habe unberechtigt Einkaufspreise in der EDV der Beklagten verändert, um so einen Deckungsbeitrag vorzutäuschen, den sie tatsächlich durch ihre Vertriebsaktivitäten nicht erzielt habe. Im Gespräch am 22. November 2019 sei der Klägerin nicht mit einer Strafanzeige oder Kündigung gedroht worden. Sie habe auch nicht nach einem Rechtsanwalt verlangt.
Das Arbeitsgericht hat den Klageanträgen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts auf die Berufung der Beklagten abgeändert und den Klageantrag zu 1. abgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Aus den Gründen
10 Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat aufgrund des Aufhebungsvertrags vom 22. November 2019 mit dem Ablauf des 30. November 2019 einvernehmlich sein Ende gefunden und besteht folglich nicht darüber hinaus fort. Der Aufhebungsvertrag ist weder gemäß § 142 Abs. 1 iVm. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB von Anfang an nichtig noch ist er gemäß § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2, § 249 Abs. 1 BGB unter Verletzung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen und deshalb unwirksam. Das hat das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler erkannt.
11 I. Die Klägerin hat ihre auf den Abschluss des Aufhebungsvertrags gerichtete Willenserklärung nicht wirksam wegen widerrechtlicher Drohung nach § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB mit Wirkung ex tunc (§ 142 Abs. 1 BGB) angefochten. Dabei kann zu Gunsten der Klägerin unterstellt werden, dass die Vertreter der Beklagten ihr in dem Gespräch am 22. November 2019 mit der Erklärung einer außerordentlichen Kündigung und der Erstattung einer Strafanzeige gedroht haben. Diese Drohungen wären jedenfalls nicht widerrechtlich gewesen.
12 1. Gemäß § 123 Abs. 1 BGB kann derjenige, der widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt worden ist, die Willenserklärung mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 Abs. 1 BGB anfechten.
13 a) Eine Drohung iSd. § 123 Abs. 1 BGB setzt die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig dargestellt wird. Der Bedrohte muss einer Zwangslage ausgesetzt sein, die ihm subjektiv das Gefühl gibt, sich nur noch zwischen zwei Übeln entscheiden zu können. Die Widerrechtlichkeit der Drohung kann sich aus der Widerrechtlichkeit des eingesetzten Mittels oder des verfolgten Zwecks ergeben. Bedient sich der Drohende zwar an sich erlaubter Mittel zur Verfolgung eines an sich nicht verbotenen Zwecks, kann sich die Widerrechtlichkeit aus der Inadäquanz, dh. der Unangemessenheit des gewählten Mittels im Verhältnis zum verfolgten Zweck ergeben. Hat der Drohende an der Erreichung des verfolgten Zwecks kein berechtigtes Interesse oder ist die Drohung nach Treu und Glauben nicht mehr als angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Zwecks anzusehen, ist die Drohung ebenfalls rechtswidrig (vgl. etwa BAG 21. April 2016 – 8 AZR 474/14 – Rn. 52 mwN; 13. Dezember 2007 – 6 AZR 200/07 – Rn. 18 mwN).
14 b) Die Drohung mit einer (außerordentlichen) Kündigung ist dann widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte (vgl. etwa BAG 21. April 2016 – 8 AZR 474/14 – Rn. 54 mwN). Nicht erforderlich ist allerdings, dass die angedrohte Kündigung, wenn sie erklärt worden wäre, sich in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte. Von einem verständigen Arbeitgeber kann nicht generell verlangt werden, dass er bei seiner Abwägung die Beurteilung des Tatsachengerichts „trifft“ (BAG 28. November 2007 – 6 AZR 1108/06 – Rn. 48, BAGE 125, 70). Nur wenn er unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde im Falle ihrer Erklärung einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er sie nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung zu veranlassen (vgl. BAG 21. April 2016 – 8 AZR 474/14 – Rn. 54 mwN; 28. November 2007 – 6 AZR 1108/06 – Rn. 48, aaO). Dem entspricht im Ergebnis die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach ist die Drohung mit einer Kündigung widerrechtlich, wenn der Drohende selbst nicht an seine Berechtigung glaubt oder sein Rechtsstandpunkt nicht mehr vertretbar ist (vgl. BGH 19. April 2005 – X ZR 15/04 – zu II 6 a der Gründe).
15 c) Die Drohung mit einer Strafanzeige ist rechtmäßig, wenn sie nur dazu dient, den Täter zur Wiedergutmachung des Schadens zu veranlassen. Eine solche Drohung ist nicht widerrechtlich, da das Mittel, also das angedrohte Verhalten und der Zweck, die Schadenswiedergutmachung, nicht, auch nicht in der Mittel-Zweck-Relation, widerrechtlich sind (BAG 21. April 2016 – 8 AZR 474/14 – Rn. 53). Auch hier ist darauf abzustellen, ob ein verständiger Arbeitgeber die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung gezogen hätte (vgl. BAG 30. Januar 1986 – 2 AZR 196/85 – zu B I 4 b bb der Gründe).
16 2. Diese Grundsätze gelten entgegen der Annahme der Revision auch dann, wenn die Drohung mit einer Kündigung durch den Arbeitgeber in Gegenwart seines Rechtsanwalts oder durch diesen Rechtsanwalt selbst erfolgt. Auch in diesem Fall ist auf die Sicht eines verständigen Arbeitgebers abzustellen.
17 a) Da ein Anfechtungsprozess nicht wie ein fiktiver Kündigungsschutzprozess behandelt werden darf, braucht die Rechtsgewissheit, die sich erst mit dem Abschluss eines Rechtsstreits über die Wirksamkeit der Kündigung ergibt, zur Zeit der Drohung noch nicht vorgelegen zu haben. Es ist daher nicht erforderlich, dass die angedrohte Kündigung, wenn sie tatsächlich vorgenommen worden wäre, nach der objektiven Rechtslage wirksam gewesen wäre (BAG 24. Januar 1985 – 2 AZR 317/84 – zu III 1 der Gründe; vgl. schon BAG 20. November 1969 – 2 AZR 51/69 – zu I der Gründe). Die Widerrechtlichkeit der Mittel-Zweck-Relation liegt darum erst dann vor, wenn der – objektiviert gesehene – verständige Arbeitgeber die Verknüpfung von Drohung und Ziel missbilligt (so bereits BAG 20. November 1969 – 2 AZR 51/69 – zu I der Gründe).
18 b) Das gilt auch im Falle der Beteiligung eines Rechtsanwalts auf Seiten des Arbeitgebers. Dessen Beauftragung ermöglicht nur eine fachkundigere Beurteilung der Rechtslage durch den Arbeitgeber, sie verändert aber nicht den Prüfungsmaßstab. Dementsprechend hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts in einem Fall, in dem der Arbeitnehmer eine „Kündigungsschutzklageverzichtserklärung“ im Beisein des Prozessbevollmächtigten des Arbeitgebers abgegeben und diese im Nachgang angefochten hat, die Widerrechtlichkeit der Drohung am Maßstab des verständigen Arbeitgebers geprüft (vgl. BAG 27. November 2003 – 2 AZR 135/03 – zu B I 2 a der Gründe, BAGE 109, 22). Ebenso ist der erkennende Senat in einem Fall vorgegangen, in dem ein angestellter Rechtsanwalt einen Aufhebungsvertrag mit der anstellenden Rechtsanwaltsgesellschaft geschlossen und diesen angefochten hat (BAG 28. November 2007 – 6 AZR 1108/06 – Rn. 2, 47 ff., BAGE 125, 70).
19 3. Dem Tatsachengericht steht bei der Würdigung des festgestellten Sachverhalts unter dem Gesichtspunkt der von einem verständigen Arbeitgeber anzustellenden Erwägungen ebenso wie bei der Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe „wichtiger Grund“ (§ 626 Abs. 1 BGB) und „sozial gerechtfertigt“ (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG) ein Beurteilungsspielraum zu. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob das Tatsachengericht ohne Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt hat (BAG 28. November 2007 – 6 AZR 1108/06 – Rn. 49, BAGE 125, 70). Der Beurteilungsspielraum des Tatsachengerichts umfasst insbesondere die Frage, ob eine Kündigung unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls die mildeste angemessene Reaktion auf ein pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers gewesen wäre oder ob zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit auch eine Abmahnung noch ausreichend gewesen wäre (BAG 15. Dezember 2005 – 6 AZR 197/05 – Rn. 25).
20 4. Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die angefochtene Entscheidung stand. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung die dargestellten Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Widerrechtlichkeit einer Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung bzw. einer Strafanzeige zugrunde gelegt. Dabei hat es seinen Beurteilungsspielraum nicht überschritten, indem es angenommen hat, ein verständiger Arbeitgeber hätte solche Maßnahmen in Betracht gezogen. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts habe die Beklagte davon ausgehen können, dass die Klägerin Vertragspflichten dadurch in schwerwiegender Weise verletzt habe, dass sie Verkäufe zu einem unangemessen niedrigen Preis durch Herabsetzung des im EDV-System hinterlegten Einkaufspreises zu vertuschen versucht habe. Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung hätte ein verständiger Arbeitgeber nicht zunächst eine Abmahnung in Betracht gezogen. Die Beklagte habe von der Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ausgehen dürfen. Auch die Annahme, ein verständiger Arbeitgeber habe von dem Vorliegen von im unmittelbaren inneren Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis begangenen Straftaten ausgehen dürfen, hält sich im Rahmen des dem Landesarbeitsgericht zustehenden Beurteilungsspielraums. Dass das Landesarbeitsgericht bei seiner Sachverhaltswürdigung gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen bzw. nicht alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt hat, ist nach alledem nicht ersichtlich und rügt die Revision selbst nicht. Die von ihr erhobenen Verfahrensrügen rechtfertigen keine abweichende Beurteilung. Diese setzen voraus, dass die Widerrechtlichkeit der Drohung nicht am Maßstab des verständigen Arbeitgebers, sondern nur anhand der objektiven Rechtslage zu prüfen ist. Sie sind daher nicht entscheidungserheblich.
21 II. Der Aufhebungsvertrag ist nicht wegen eines Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns gemäß § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2, § 249 Abs. 1 BGB unwirksam.
22 1. Das Gebot fairen Verhandelns ist eine durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete Nebenpflicht iSd. § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB (BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 31, BAGE 165, 315). § 241 Abs. 2 BGB schützt mit den „Interessen“ nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich auch die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners (BT-Drs. 14/6040 S. 126). Die Bestimmung trägt so dem Gebot Rechnung, unzulässiger Fremdbestimmung bei der Willensbildung in der vorkonsensualen Phase wirksam zu begegnen. Das Gebot fairen Verhandelns wird missachtet, wenn die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst wird. Bei Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags kann eine Seite gegen ihre Verpflichtungen aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen, wenn sie eine Verhandlungssituation herbeiführt oder ausnutzt, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstellt. Dabei geht es nicht um das Erfordernis der Schaffung einer für den Vertragspartner besonders angenehmen Verhandlungssituation, sondern um das Gebot eines Mindestmaßes an Fairness im Vorfeld des Vertragsschlusses (BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 34, aaO). § 241 Abs. 2 BGB zwingt nicht zu einer Verleugnung der eigenen Interessen, sondern nur zu einer angemessenen Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite, indem er unfaire Verhandlungen missbilligt (BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 33, aaO; im Schrifttum wird deswegen teilweise der Begriff des Verbots unfairen Verhandelns bevorzugt, vgl. Fischinger Anm. NZA-RR 2021, 531, 537; so bereits Reinecke FS Düwell 2011 S. 410).
23 2. Im Ergebnis schützt das Gebot fairen Verhandelns nicht den Inhalt des Vertrags, sondern den Weg zum Vertragsschluss (BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 42, BAGE 165, 315) und unterscheidet sich dadurch von der Sittenwidrigkeitskontrolle des § 138 BGB. Nach dieser Norm ist ein Rechtsgeschäft zwar auch dann nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden (inhaltlichen) Gesamtcharakter mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren ist (BGH 11. September 2018 – XI ZR 380/16 – Rn. 10; vgl. zur sog. Umstandssittenwidrigkeit BGH 2. Februar 2012 – III ZR 60/11 – Rn. 20). Das Gebot fairen Verhandelns bezieht sich demgegenüber unabhängig vom Inhalt des Aufhebungsvertrags, zum Beispiel der Frage, ob eine Abfindungszahlung vereinbart ist, nur auf die den Vertragsschluss vorbereitenden Verhandlungen. § 138 BGB verdrängt daher einen Anspruch wegen Verletzung des Gebots fairen Verhandelns nicht im Sinne einer Spezialität und ist auch nicht vorrangig zu prüfen. Beide stehen vielmehr selbstständig nebeneinander (vgl. Plum MDR 2020, 69, 70; Schmidt Anm. AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 50; insoweit zustimmend auch Kamanabrou RdA 2020, 201, 206; kritisch: Fischinger NZA 2019, 729, 730; Holler NJW 2019, 2206, 2210; Bauer/Romero ZfA 2019, 609, 614; Adam Anm. EzA BGB 2002 § 312 Nr. 4).
24 3. Der Senat hat ausgehend von diesem Ansatz eine Verhandlungssituation erst dann als unfair bewertet, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht.
25 a) Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist stets anhand der Gesamtumstände der konkreten Verhandlungssituation im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden und von einer bloßen Vertragsreue abzugrenzen (BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 34, BAGE 165, 315). Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung, ob eine Vertragspartei ihre Pflichten aus § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB verletzt hat, ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin geprüft, ob es von den zutreffenden Rechtssätzen ausgegangen ist, bei der Unterordnung des Sachverhalts unter diese keine Denkgesetze oder allgemeinen Erfahrungssätze verletzt und alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (vgl. BAG 16. Dezember 2021 – 2 AZR 356/21 – Rn. 13).
26 b) Als tatsächliche Umstände, die das Gebot fairen Verhandelns verletzen, kommen jedenfalls besonders unangenehme Rahmenbedingungen in Betracht (BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 34, BAGE 165, 315). So verhält es sich beispielsweise, wenn der Arbeitnehmer unter einem anderen Vorwand in das Zimmer des Vorgesetzten gebeten wird, um ihn dort mehrere Stunden in einer kreuzverhörähnlichen und von Außenkontakten isolierten Situation so lange festzuhalten, bis er den Aufhebungsvertrag unterzeichnet (vgl. die Konstellation bei Thüringer LAG 10. September 1998 – 5 Sa 104/97 -). Vom Arbeitgeber an dem Verhalten des Arbeitnehmers geäußerte Kritik und eine daraufhin eintretende Betroffenheit des Arbeitnehmers genügen jedoch für sich genommen noch nicht, um von einer rechtlich zu missbilligenden Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers auszugehen (aA LAG Mecklenburg-Vorpommern 19. Mai 2020 – 5 Sa 173/19 – juris-Rn. 34). Anders verhält es sich bei der Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse. Der Arbeitgeber ist allerdings nicht gehalten, ohne Vorliegen objektiver Anhaltspunkte von sich aus besondere Vorkehrungen im Hinblick auf die freie Entscheidungsfähigkeit des Arbeitnehmers zu treffen und diesen bspw. nach einer etwaigen Medikamenteneinnahme zu befragen. Dies auch dann nicht, wenn die Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag während einer längeren Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers erfolgen (so zutreffend Hessisches LAG 11. Juni 2021 – 10 Sa 1221/20 – zu II 2 b der Gründe). Die Nutzung eines Überraschungsmoments kann zu berücksichtigen sein (Überrumpelung). Eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit ist jedoch nicht allein deswegen gegeben, weil der eine Auflösungsvereinbarung anstrebende Arbeitgeber dem Arbeitnehmer kein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräumt. Auch eine Ankündigung des Unterbreitens einer Aufhebungsvereinbarung ist nicht erforderlich (BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 34, aaO).
27 4. Der Arbeitgeber verletzt seine Pflichten aus § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB entgegen der Auffassung der Revision auch nicht dadurch, dass er sein Aufhebungsvertragsangebot entsprechend § 147 Abs. 1 Satz 1 BGB nur zur sofortigen Annahme unterbreitet und der Arbeitnehmer über die Annahme deswegen sofort entscheiden muss (vgl. BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 34, BAGE 165, 315; 14. Februar 1996 – 2 AZR 234/95 – zu II 2 der Gründe).
28 a) Für den Inhalt des Gebots fairen Verhandelns ist entscheidend, dass diese Nebenpflicht – wie dargelegt – die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners als Interesse iSd. § 241 Abs. 2 BGB schützt. Dieser soll „Herr“ über seine Entscheidung sein und bleiben. Erst wenn dies nicht mehr gegeben ist, kann eine Verhandlungssituation als unfair bezeichnet werden. Muss der Arbeitnehmer bei objektivierter Betrachtung davon ausgehen, dass ihm nur noch eine Option – nämlich die der Unterschrift unter den Aufhebungsvertrag – verbleibt, um sich der Verhandlungssituation zu entziehen, ist seine Entscheidungsfreiheit unfair beeinträchtigt. Führt der Arbeitgeber eine solche Situation herbei oder nutzt er eine solche von ihm vorgefundene Situation aus, verletzt er die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers zurechenbar und schuldhaft (§ 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 276 BGB).
29 b) Eine solche Konstellation ist abzugrenzen von der Situation, in der der Arbeitgeber ein nur „Jetzt und Heute“ anzunehmendes Angebot (vgl. BAG 27. November 2003 – 2 AZR 135/03 – zu B II 3 b cc (4) der Gründe, BAGE 109, 22) unterbreitet. Damit entspricht er dem gesetzlichen Leitbild, wonach ein unter Anwesenden unterbreitetes Angebot grundsätzlich nur sofort angenommen werden kann (§ 147 Abs. 1 Satz 1 BGB). Hier verbleibt dem Arbeitnehmer die Freiheit zu entscheiden, dieses Angebot nicht anzunehmen und die Situation durch ein schlichtes „Nein“ zu beenden. Dass dies nur um den Preis des Verlustes des Aufhebungsvertragsangebots möglich ist, stellt sich dann nicht als unfair dar, sondern ist ein im Rahmen von Vertragsverhandlungen zulässiger Druck, mit dem der Arbeitgeber auf legitime Weise versucht, sein Verhandlungsziel zu erreichen. Ausgehend von diesen Überlegungen stellt es auch kein unfaires Verhandeln dar, wenn der Arbeitgeber der Bitte des Arbeitnehmers nach Einräumung einer (weiteren) Bedenkzeit (vgl. BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 34, BAGE 165, 315; 14. Februar 1996 – 2 AZR 234/95 – zu II 2 der Gründe) und/oder Einholung eines Rechtsrates nicht nachkommt, sondern sein Aufhebungsvertragsangebot nur zur sofortigen Annahme unterbreitet und dem Arbeitnehmer zu verstehen gibt, dass er es nicht mehr aufrechterhält, wenn der Arbeitnehmer den Raum verlässt. Einer solchen Situation kann sich der Arbeitnehmer ebenfalls durch ein schlichtes „Nein“ entziehen. Insofern unterscheidet sich die Situation auch von der einer einseitig vom Arbeitgeber erklärbaren Verdachtskündigung, zu deren Voraussetzungen die Anhörung des Arbeitnehmers gehört. Bittet der Arbeitnehmer im Rahmen einer solchen Anhörung um Hinzuziehung eines Rechtsanwalts, so hat der Arbeitgeber dem nachzukommen (vgl. BAG 12. Februar 2015 – 6 AZR 845/13 – Rn. 62, BAGE 151, 1; 24. Mai 2012 – 2 AZR 206/11 – Rn. 36; 13. März 2008 – 2 AZR 961/06 – Rn. 18).
30 5. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, dass die Beklagte, den Sachvortrag der Klägerin als zutreffend unterstellt, den Aufhebungsvertrag am 22. November 2019 nicht unfair verhandelt hat. Ein Verstoß gegen § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB liegt nicht vor.
31 a) Nach den Behauptungen der Klägerin ist ihr zu Beginn des Gesprächs mitgeteilt worden, dass sie zwischen zwei Optionen – außerordentliche Kündigung oder Aufhebungsvertrag – wählen könne. Sie sei bemüht gewesen, zu den Vorhaltungen Stellung zu nehmen. Ihrer Bitte nach weiterer Bedenkzeit – eine etwa zehnminütige Gesprächspause vor Vertragsunterzeichnung ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts unstreitig – und Rechtsbeistand sei nicht entsprochen worden. Der Rechtsanwalt der Beklagten habe erklärt, wenn sie durch die Tür gehe, sei der Aufhebungsvertrag „vom Tisch“. Damit ist der Klägerin nicht seitens der Beklagten bedeutet worden, dass nur der Abschluss des Aufhebungsvertrags in Betracht komme. Die Beklagte hat keine Situation geschaffen oder ausgenutzt, derer sich die Klägerin nur durch Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags entziehen konnte. Die Klägerin hätte ohne Beeinträchtigung ihrer Willensfreiheit das Gespräch auch beenden und den Raum verlassen können. Dass dann der Abschluss des Aufhebungsvertrags ausgeschlossen gewesen wäre, ist gesetzliche Folge des § 147 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Beklagte durfte ihr Angebot zur sofortigen Annahme unterbreiten. Der dadurch auf die Klägerin aufgebaute Druck ist nicht unfair, sondern hält sich im Rahmen des nach § 241 Abs. 2 BGB Zulässigen. Eine Leugnung der eigenen Interessen um der Durchsetzung der Interessen der Klägerin willen verlangt diese Norm von der Beklagten nicht. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass der Rechtsanwalt der Beklagten, das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin als wahr unterstellt, das Aufhebungsvertragsangebot auch für den Fall nicht länger aufrecht erhielt, dass die Klägerin zur Toilette ginge. Die Klägerin hat selbst nicht behauptet, einen solchen Wunsch geäußert zu haben.
32 b) Die Beklagte hat § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB auch nicht dadurch verletzt, dass sie nach dem als zutreffend unterstellten Vorbringen der Klägerin als Alternative für den Fall des Nichtabschlusses des Aufhebungsvertrags die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung bzw. die Erstattung einer Strafanzeige in Aussicht gestellt hat. Das Landesarbeitsgericht geht zutreffend davon aus, dass eine Drohung iSv. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB, die mangels Widerrechtlichkeit nicht zur Anfechtbarkeit des Vertrags führt, bei der im Rahmen des Gebots fairen Verhandelns vorzunehmenden Bewertung der konkreten Situation nicht als Pflichtverletzung angesehen werden kann (so auch Fischinger Anm. NZA-RR 2021, 531, 538; Gaul/Breuer NZA-Beilage 2021, 29, 30 f.). Fehlt einer Drohung das Merkmal der Widerrechtlichkeit, wird sie von der Rechtsordnung im Rahmen des § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB als zulässig erachtet. Das Gleiche gilt zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen im Hinblick auf das Vorliegen einer Pflichtverletzung iSd. § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB.
33 III. Der nur für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu 1. gestellte Kündigungsschutzantrag fiel dem Senat mangels Bedingungseintritt nicht zur Entscheidung an.
34 IV. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.