BAG: AGB-Kontrolle - Freiwilligkeitsvorbehalt bei Jahressonderzahlung
BAG, Urteil vom 18.3.2009 -- 10 AZR 289/08
Orientierungssätze
1. Bei einem klar und verständlich formulierten Vorbehalt, der einen Anspruch auf eine jährlich gezahlte Sonderleistung für die Zukunft ausschießt, fehlt es an einer versprochenen Leistung i.S.v. § 308 Nr. 4 BGB.
2. Eine betriebliche Übung kann dann nicht entstehen.
3. Solche Freiwilligkeitsvorbehalte weichen nicht von allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen ab und halten unabhängig von Höhe und Zweck der Leistung einer Angemessenheitskontrolle iSv. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB stand.
4. Der Arbeitgeber ist dann frei darin, jedes Jahr neu zu entscheiden, ob, an wen und unter welchen Voraussetzungen er eine Sonderleistung erbringen will. Er kann Mitarbeiter vom Kreis der Anspruchsberechtigten ausschließen, die zur Zeit der Entstehung des Anspruchs bereits ausgeschieden sind.
BGB § 611, § 308 Nr. 4, § 307 Abs. 2 Nr. 1
Sachverhalt
Die Parteien streiten über eine anteilige Jahressonderzahlung für das Jahr 2006.
Die Beklagte betreibt eine Seespedition. Der Kläger war seit dem 1.1.1994 als Disponent, zuletzt als Leiter der Befrachtungsabteilung, beschäftigt. Er kündigte das Arbeitsverhältnis zum 15.10.2006. Seine Jahresvergütung unter Einbeziehung des Grundgehalts, eines 13. Gehalts und der Privatnutzung eines Dienstwagens betrug im Jahr 2005 55 000,00 Euro brutto.
Der Kläger erhielt zudem eine jährliche Sonderzahlung. Für die Jahre 1999 und 2000 erhielt er 20 000,00 DM bzw. 35 000,00 DM brutto, für das Jahr 2001 25 500,00 Euro brutto. Für die Jahre 2002, 2003 und 2005 betrug die Leistung jeweils 30 000,00 Euro brutto und für das Jahr 2004 25 000,00 Euro brutto, für das Jahr 2006 zahlte die Beklagte keine Sonderzahlung an den Kläger.
Die Sonderzahlung, die nur wenige besonders leistungsstarke und für den Erfolg der Beklagten besonders verantwortliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezogen, wurde jeweils nach einem Beschluss der Gesellschafter-versammlung nach Feststellung des Geschäftsergebnisses zu unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen April und Juni des Folgejahres beschlossen und ausgezahlt.
Mit der Zahlung teilte die Beklagte dem Kläger regelmäßig schriftlich mit, dass die Zahlung einmalig sei und zukünftige Ansprüche ausschlösse. So erklärte sie mit Schreiben vom 24.4.2002:
„Wir freuen uns, Ihnen für das Jahr 2001 eine Sonderzahlung in Höhe von Euro 25 500,00 zukommen zu lassen. Die Auszahlung erfolgt mit dem Gehalt für April 2002.
Diese Zahlung ist einmalig und schließt zukünftige Ansprüche aus.
Wir danken Ihnen für Ihre bisherige Arbeit und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg in unserem Hause."
Die Mitteilungen der Beklagten in den Jahren 2003 bis 2006 unterscheiden sich von diesem Schreiben nur hinsichtlich der Höhe der Sonderzahlung und teilweise hinsichtlich des Auszahlungszeitpunkts. Auch die Mitteilungsschreiben aus den Jahren 2000 und 2001 enthielten entsprechende Erklärungen.
Das Geschäftsergebnis der Beklagten war im Jahr 2006 nicht geringer als im Vorjahr. Die Beklagte zahlte den nicht ausgeschiedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sie zum empfangsberechtigten Kreis zählte, die Sonderzahlung im Jahr 2007 auch für das Jahr 2006.
Eine ebenfalls im Jahr 2006 ausgeschiedene Mitarbeiterin, die Zeugin B, fragte im November 2006 an, mit welcher Tantieme sie für das Jahr 2006 bis zu ihrem Ausscheiden rechnen könne. Die Beklagte antwortete am 10.11.2006, dass über Tantiemen für das Jahr 2006 nach Erstellung der Bilanz für dieses Jahr durch die Gesellschafterversammlung entschieden werde. Sollte diese Entscheidung positiv für die Mitarbeiterin ausfallen, werde sie darüber umgehend und rechtzeitig informiert. Ansonsten verweise sie, die Beklagte, auf ihre jährlichen Schreiben bezüglich einer Tantieme.
Der Kläger ist der Ansicht, bei der zugesagten Zahlung handele es sich um eine Tantieme, die nur einen positiven Geschäftserfolg voraussetze. Die Leistung stelle praktisch ein zweites Gehalt dar und sei daher ein Lohnbestandteil, der nicht unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt werden könne. Die Beklagte habe gewusst, dass die infrage kommenden Mitarbeiter mit der Erfolgstantieme rechneten, solange das Unternehmen mit ihrer Hilfe entsprechend erfolgreich gewirtschaftet habe. Im Hinblick auf die verlässlich gezahlte Tantieme habe er auch darauf verzichtet, seit dem Jahre 1998 Gehaltserhöhungen zu verlangen. Die Beklagte habe keinerlei Voraussetzungen aufgestellt, woraus sich schließen lasse, dass Betriebstreue mit der Leistung honoriert werden solle. Die jährlichen Schreiben seien ihm kommentarlos überreicht worden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 22 760,00 Euro brutto nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.8.2007 zu zahlen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, sie sei aufgrund der formulierten Freiwilligkeitsvorbehalte frei darin gewesen, jedes Jahr neu zu entscheiden, ob sie eine Leistung erbringe. Eine betriebliche Übung sei nicht entstanden. Der Freiwilligkeitsvorbehalt halte auch einer Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB stand. Die Sonderzahlung habe nicht nur vom Geschäftsergebnis abgehangen, sondern habe auch den Zweck verfolgt, Betriebstreue zu honorieren. Dies gehe aus der Formulierung hervor, dass dem Anspruchsempfänger für die bisherige Mitarbeit gedankt werde und ihm weiterhin viel Erfolg in ihrem Hause gewünscht werde. Niemals hätten Mitarbeiter, die vor der Auszahlung ausgeschieden und dem Unternehmen nicht bis zum Auszahlungstermin treu geblieben seien, die Leistung erhalten. Es habe sich um ein Geschenk gehandelt, nicht einen Lohnbestandteil, mit dem der Kläger habe rechnen können. Auch die Zeugin B habe die Leistung nicht erhalten. Dass der Kläger seit dem Jahre 1998 keine Gehaltserhöhung bekommen habe, sage nichts über den Charakter der Leistung aus. Dem Kläger habe es frei gestanden, zu verhandeln und er sei hierbei auch in einer starken Position gewesen, da er für das Unternehmen sehr wertvoll gewesen sei. Die Beklagte hat ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 14.3.2008 behauptet, bei Übergabe der Mitteilung über die Gewährung der Sonderzahlung habe die Leiterin der Buchhaltung, Frau K, dem Kläger erklärt, dass jetzt wieder eine Sonderzahlung geleistet werde und die Beklagte weiterhin hoffe, dass der Kläger ihr auch in Zukunft zur Seite stehe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Arbeitsgerichts, während der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Aus den Gründen
14 Die Revision ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die anteilige Jahressonderzahlung für das Jahr 2006 erworben.
15 I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Anspruch des Klägers auf die anteilige Jahressonderzahlung folge aus einer betrieblichen Übung, die nicht durch den von der Beklagten jeweils ausgesprochenen Freiwilligkeitsvorbehalt verhindert worden sei, denn dieser sei unwirksam. Er weiche von Rechtsvorschriften, nämlich § 611 BGB, ab. Die Jahressonderzahlung sei Teil der Arbeitsvergütung und stelle Gegenleistung für Arbeit im Sinne der Vorschrift dar. Wenn es sich um eine Tantieme handele, nämlich eine Gewinnbeteiligung als zusätzliche Vergütung, die prozentual nach dem Jahresgewinn berechnet werde, sei die Leistung in das Austauschverhältnis von Arbeit gegen Lohn einbezogen. Auch als von der Beklagten so bezeichnete Sonderzahlung stelle diese eine ausschließliche Gegenleistung für die Arbeit dar. Die Beklagte habe keine weiteren Voraussetzungen oder Vorbehalte aufgestellt. Der Ausschluss eines jeden Rechtsanspruchs bei dieser Art von Sonderzahlung benachteilige den Kläger entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen. So wie laufendes Arbeitsentgelt nicht unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt werden kann, habe die Beklagte dies auch nicht bei der über 30 % des Jahresgehalts betragenden Sonderleistung tun können.
16 II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
17 1. Die mit der jeweiligen Zahlung verbundene schriftliche Mitteilung, dass diese Leistung einmalig sei und zukünftige Ansprüche ausschließe, hat die Entstehung eines vertraglichen Anspruchs aus betrieblicher Übung gehindert. Sie steht, wie auch das Landesarbeitsgericht angenommen hat, einem Freiwilligkeitsvorbehalt gleich und ist als Allgemeine Geschäftsbedingung anzusehen. Als solche hält die Klausel jedoch einer Inhaltskontrolle nach § 308 Nr. 4 BGB und einer Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB stand.
18 a) Nach § 308 Nr. 4 BGB ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen insbesondere die Vereinbarung eines Rechts des Verwenders unwirksam, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen, wenn nicht die Vereinbarung der Änderung oder Abweichung unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteil zumutbar ist. Der Senat hat in früheren Entscheidungen ausgeführt, dass es bei einem klar und verständlich formulierten Freiwilligkeitsvorbehalt, der jeden Rechtsanspruch für die Zukunft ausschließt, schon an einer versprochenen Leistung i.S.v. § 308 Nr. 4 BGB fehlt und damit die Entstehung des Anspruchs auch für künftige Bezugszeiträume verhindert wird (BAG 30.7.2008 - 10 AZR 606/07 - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 274 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 38 = BB 2008, 2465 m. Komm. Simon/Greßlin; vgl. 28.3.2007 - 10 AZR 261/06 - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 265 = EzA BGB 2002 § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 21 = BB 2007, 1172). Damit konnte kein Anspruch aus betrieblicher Übung entstehen.
19 b) Der Vorbehalt ist klar und verständlich und schließt unmissverständlich künftige Ansprüche aus.
20 Anders als bei einer versprochenen Leistung, die aber unter einem Widerrufsvorbehalt steht, konnte der Kläger von vornherein nicht damit rechnen, die von ihm als „Tantieme" bezeichnete Leistung zu erhalten. Bei einer unter Widerrufsvorbehalt stehenden Leistung kann der Arbeitnehmer sie beanspruchen, solange kein Widerruf erklärt ist. Es ist daher konsequent, wenn die Ausübung des Widerrufsrechts vorhersehbar und zumutbar sein muss, wie dies § 308 Nr. 4 BGB vorsieht. Hingegen hat sich die Beklagte in jedem Jahr wieder vorbehalten, neu darüber zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen sie eine Zahlung erbringen will, auch wenn sie sie in der Vergangenheit häufig erbracht hat und der Kläger darauf gehofft hat, sie wieder zu erhalten. Durch diese Differenzierung entsteht auch kein Wertungswiderspruch, denn im Vertragsrecht besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen - wenn auch unter Widerrufsvorbehalt stehenden - versprochenen Leistungen und solchen, auf die nie ein Anspruch entstanden ist.
21 c) Der in der Klausel formulierte Ausschluss jeden Rechtsanspruchs für die Zukunft hält auch der Kontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB stand (BAG 30.7.2008 - 10 AZR 606/07 - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 274 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 38 = BB 2008, 2465 m. Komm. Simon/Greßlin).
22 aa) Danach ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Von maßgeblicher Bedeutung ist insoweit, ob die gesetzliche Regelung nicht nur auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht, sondern eine Ausprägung des Gerechtigkeitsgebots darstellt. Die Frage, ob eine gegen Treu und Glauben verstoßende unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Klauselverwenders vorliegt, ist auf der Grundlage einer Abwägung der berechtigten Interessen der Beteiligten zu beantworten. Hierbei ist das Interesse des Verwenders an der Aufrechterhaltung der Klausel mit dem Interesse des Vertragspartners an der Ersetzung der Klausel durch das Gesetz abzuwägen. Bei dieser wechselseitigen Berücksichtigung und Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen der Vertragspartner sind auch grundrechtlich geschützte Rechtspositionen zu beachten (BAG 24.10.2007 - 10 AZR 825/06 - AP BGB § 307 Nr. 32 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 26 = BB 2008, 166 m. Komm. Lembke m.w.N.). Rechtsvorschriften im Sinne von § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB sind nicht nur die Gesetzesbestimmungen selbst, sondern die dem Gerechtigkeitsgebot entsprechenden allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze, d. h. auch alle ungeschriebenen Rechtsgrundsätze, die Regeln des Richterrechts oder die aufgrund ergänzender Auslegung nach den §§ 157, 242 BGB und aus der Natur des jeweiligen Schuldverhältnisses zu entnehmenden Rechte und Pflichten (BAG 11.10.2006 - 5 AZR 721/05 - AP BGB § 308 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 6 = BB 2007, 109 m.w.N.).
23 bb) Ein Freiwilligkeitsvorbehalt, der einen Rechtsanspruch auf Sonderleistungen ausschließt, weicht nicht von § 611 Abs. 1 BGB ab, wonach der Arbeitgeber als Dienstgeber zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet ist. Haben die Arbeitsvertragsparteien ausschließlich eine nach Zeitabschnitten i.S.v. § 614 Satz 2 BGB bemessene, in aller Regel monatlich zu zahlende laufende Vergütung vereinbart, muss der Arbeitgeber nach § 611 Abs. 1 BGB nicht zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt Sonderzahlungen leisten.
24 cc) Die Regelung in § 4a Satz 1 EFZG spricht dafür, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass Freiwilligkeitsvorbehalte bei Sonderzahlungen keine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers bedeuten. Nach dieser Vorschrift ist eine Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien über die Kürzung von Sonderzahlungen aufgrund Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers infolge Krankheit grundsätzlich zulässig. Eine solche Vereinbarung kann bei längerer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bewirken, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf die Sonderzahlung hat. Demgegenüber verbietet es § 12 EFZG den Arbeitsvertragsparteien, den gesetzlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf fortzuzahlendes, laufendes Arbeitsentgelt bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit abzubedingen. Der Gesetzgeber hält danach den Arbeitnehmer bei Sonderzahlungen nicht für ebenso schutzwürdig wie bei der Zahlung laufenden Arbeitsentgelts.
25 dd) Freiwilligkeitsvorbehalte bei Sonderzahlungen, die einen Anspruch des Arbeitnehmers auf die Sonderzahlung auch bei wiederholter Zahlung nicht entstehen lassen, weichen nicht von allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen ab. Vielmehr entsprechen solche Vorbehalte den allgemein anerkannten Regeln zur Verhinderung des Entstehens einer betrieblichen Übung.
26 ee) Die beträchtliche Höhe der Sonderzahlung spricht nicht dagegen, einen künftigen Anspruch wirksam ausschließen zu können. Eine Abgrenzung nach Prozentsätzen der Jahresgesamtvergütung lässt sich nicht rechtfertigen. Auch hier besteht ein entscheidender Unterschied zu der Zulässigkeit und der Ausübung von Widerrufsvorbehalten, die nur dann interessengerecht sind, wenn ihr Volumen unter einem Viertel des Jahresgesamteinkommens liegt und die tarifliche Vergütung jedenfalls gewährleistet bleibt (vgl. BAG 11.10.2006 - 5 AZR 721/05 - AP BGB § 308 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 6 = BB 2007, 109). Während bei Widerrufsvorbehalten ein Anspruch zunächst entsteht, aber wieder beseitigt werden kann, ist er im Falle des Klägers nie entstanden. Es entspräche auch nicht den Interessen beider Parteien, wenn der Arbeitgeber gehindert wäre, Sonderzahlungen ab einer bestimmten Höhe unter Freiwilligkeitsvorbehalt zu stellen. Die Folge wäre, dass er sie nicht oder höchstens zweimal erbringen würde.
27 ff) Der Umstand, dass die Beklagte mit der Zahlung den Beitrag der begünstigten Arbeitnehmer zum Unternehmenserfolg honorieren will, führt nicht dazu, dass der Ausschluss jeden Rechtsanspruchs für die Zukunft unangemessen wäre. Der Arbeitgeber ist frei darin, den Zweck von Sonderzahlungen festzusetzen. Er kann auch freiwillige Sonderzahlungen erbringen, die an keine anderen Voraussetzungen gebunden sind als die reine Arbeitsleistung (BAG 30.7.2008 - 10 AZR 606/07 - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 274 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 38 = BB 2008, 2465 m. Komm. Simon/Greßlin; vgl. für laufende Leistungen BAG 25.4.2007 - 5 AZR 627/06 - AP BGB § 308 Nr. 7 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 20 = BB 2007, 1900 m. Komm. Sprenger). Es kommt daher nicht darauf an, dass das Landesarbeitsgericht angenommen hat, dass die Sonderleistung bisher ausschließlich als Gegenleistung für die Arbeitsleistung geschuldet worden sei und damit keine weiteren Zwecke verfolgt worden seien. Auch wenn der Kläger die Leistung als Tantieme bezeichnet und die Beklagte diesen Begriff jedenfalls im Schreiben an die Zeugin B ebenfalls verwendet hat, steht dies dem Charakter einer Sonder- leistung, die freiwillig erbracht werden kann, nicht entgegen (vgl. zum Begriff der Tantieme BAG 24.4.2002 - 3 AZR 355/00 - EzA BetrAVG § 1 Nr. 73).
28 Der Umstand, dass der Kläger trotz seiner auch von der Beklagten anerkannten guten Leistungen seit dem Jahre 1998 keine Gehaltserhöhung erhalten hat und darüber auch nicht verhandelt worden ist, zwingt nicht zu der Annahme, dass entgegen dem Wortlaut der Begleitschreiben dennoch ein Anspruch auf künftige gleichartige Leistungen erwachsen sollte. Möglicherweise hat der Kläger sich von einer zwar nicht sicheren, aber erhofften freiwilligen Leistung höhere Vorteile als bei einer sicheren Gehaltserhöhung versprochen.
29 gg) Auch wenn der Kläger angesichts der bisher erhaltenen hohen Sonderleistungen ein Vertrauen darauf entwickelt hatte, die Leistungen auch in Zukunft zu erhalten, war dieses Vertrauen im Hinblick auf die klare Mitteilung der Beklagten, dass kein Anspruch entstehe, jedenfalls nicht schutzwürdig.
30 2. Der Anspruch des Klägers ist auch nicht im arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz begründet.
31 a) Dieser verbietet dem Arbeitgeber eine sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage. Gewährt der Arbeitgeber aufgrund einer abstrakten Regelung eine freiwillige Leistung nach einem erkennbar generalisierenden Prinzip und legt er gemäß dem mit der Leistung verfolgten Zweck die Anspruchsvoraussetzungen für die Leistung fest, darf er einzelne Arbeitnehmer von der Leistung nur ausnehmen, wenn dies sachlichen Kriterien entspricht (BAG 27.5.2004 - 6 AZR 129/03 - BAGE 111, 8 = BB 2005, 159). Der Arbeitgeber muss bei freiwilligen Leistungen die Anspruchsvoraussetzungen so abgrenzen, dass ein Teil der Arbeitnehmer von der Vergünstigung nicht sachwidrig oder willkürlich ausgeschlossen wird (BAG 8.3.1995 - 10 AZR 208/94 - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 184 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 131 = BB 1996, 378). Eine sachfremde Benachteiligung einzelner Arbeitnehmer liegt nicht vor, wenn sich nach dem Zweck der Leistung Gründe ergeben, die es unter Berücksichtigung aller Umstände rechtfertigen, diesen Arbeitnehmern die allen anderen Arbeitnehmern gewährte Leistung vorzuenthalten. Die Zweckbestimmung einer Sonderzahlung ergibt sich vorrangig aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, von deren Vorliegen und Erfüllung die Leistung abhängig gemacht wird (vgl. BAG 10.1.1991 - 6 AZR 205/89 - BAGE 67, 1, 5 = BB 1991, 1045).
32 Ist die unterschiedliche Behandlung nach dem Zweck der Leistung nicht gerechtfertigt, kann der benachteiligte Arbeitnehmer verlangen, nach Maßgabe der begünstigten Arbeitnehmer behandelt zu werden (vgl. BAG 19.3.2003 - 10 AZR 365/02 - BAGE 105, 266, 270 = BB 2003, 1508; 21.3.2001 - 10 AZR 444/00 - AP BAT § 33a Nr. 17 = EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 84 = BB 2001, 1414).
33 b) Die Beklagte hat ihre Pflicht zur Gleichbehandlung nicht verletzt. Sie hat im Jahre 2007 entschieden, dass sie die Sonderleistung nur solchen Mitarbeitern zukommen lassen wollte, die jedenfalls zum Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs, nämlich der Feststellung des Jahresergebnisses für das Jahr 2006 durch die Gesellschafterversammlung und deren Beschluss, wiederum eine Sonderzahlung auszukehren, noch betriebsangehörig waren. Die Beklagte war frei darin, jedes Jahr neu zu entscheiden, ob, an wen und unter welchen Voraussetzungen sie eine Sonderleistung erbringen wollte (BAG 12.1.2000 - 10 AZR 840/98 - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 223 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 158 = BB 2000, 2047). Der Kläger gehörte zum Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs, nicht mehr dem Betrieb der Beklagten an. Keiner der ausgeschiedenen Mitarbeiter hat die Leistung erhalten, auch nicht die vom Kläger als Zeugin benannte Frau B, auch wenn der frühere Geschäftsführer der Beklagten dies zuvor ihr gegenüber auch noch anders in Aussicht gestellt hatte. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Arbeitgeber ausscheidenden Mitarbeitern eine Sonderzahlung nicht gewähren will (BAG 8.3.1995 - 10 AZR 208/94 - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 184 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 131 = BB 1996, 378). Der Senat hat im Urteil vom 10.12.2008 (- 10 AZR 15/08 - DB 2009, 514) aus der Bezeichnung „Weihnachtsgeld" gefolgert, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses jedenfalls zum Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs im November Leistungsvoraussetzung war, damit der Zweck, den betriebsangehörigen Arbeitnehmern aus Anlass des Weihnachtsfestes eine besondere Zuwendung zukommen zu lassen, noch verwirklicht werden konnte. Der Kläger hat damit nicht die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, die die Beklagte aufgestellt hat. Seine Herausnahme aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten war demnach auch nicht sachwidrig.
34 c) Es kommt daher auch nicht darauf an, dass die Beklagte in der Vergangenheit schriftliche Voraussetzungen nicht aufgestellt, kein ungekündigtes Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt verlangt und keinen Rückzahlungsvorbehalt formuliert hat, falls der Anspruchsberechtigte zu irgendeinem Zeitpunkt aus dem Betrieb ausscheidet, auch wenn die Formulierung in den Begleitschreiben der Vergangenheit, wonach dem Kläger weiterhin viel Erfolg im Hause der Beklagten gewünscht werde, für sich nicht aussagekräftig ist.
35 d) Auf die Rüge der Beklagten, dass das Landesarbeitsgericht ihren Vortrag aus dem Termin der letzten mündlichen Verhandlung übergangen habe, wonach die Buchhalterin Frau K bei Übergabe der Anschreiben erklärt habe, dass die Beklagte weiterhin hoffe, dass der Kläger ihr auch in Zukunft zur Seite stehe, kommt es nicht an.
„Der Freiwilligkeitsvorbehalt sprengt den Kernbereich."
Dr. Tobias Leder, LL.M. (Duke), Rechtsanwalt bei Latham & Watkins, München
Problem
Mit Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalten wird zumeist dasselbe bezweckt: Der Arbeitgeber möchte eine Leistung an seine Arbeitnehmer erbringen, sich aber nicht „bis in alle Ewigkeit" binden. Vielmehr soll es ihm möglich sein, die Zahlung zukünftig einseitig wieder einzustellen und zwar ohne dabei auf die in der Praxis kaum jemals erfolgversprechende Änderungskündigung zur Entgeltabsenkung angewiesen zu sein. Zu einem rechtlichen Gleichlauf führt diese wirtschaftlich identische Zielrichtung indes nicht. Im Gegenteil: Das BAG lehnt eine Harmonisierung der Prüfmaßstäbe beider Flexibilisierungsinstrumente unter Hinweis auf ihre dogmatischen Unterschiede ausdrücklich ab. Denn der Freiwilligkeitsvorbehalt verhindert bereits die Entstehung eines Anspruchs, der Widerrufsvorbehalt ermöglicht lediglich die Beseitigung eines bereits entstandenen Anspruchs. Infolgedessen bindet das Gericht zu Recht die Leistungseinstellung nur bei widerruflichen, nicht aber bei freiwilligen Leistungen an das Vorliegen eines bestimmten Grundes. Ob der bei Widerrufsvorbehalten zu beachtende Schutz des Kernbereichs, d. h. die Begrenzung des Flexibilisierungsvolumens auf weniger als 25 % der im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Gesamtvergütung, auch auf Freiwilligkeitsvorbehalte übertragbar ist, war dagegen bis dato noch nicht höchstrichterlich geklärt. Im Schrifttum war eben dies überwiegend gefordert worden.
Entscheidung
Das BAG hat anders entschieden. Die Zulässigkeit von Freiwilligkeitsvorbehalten sei unabhängig von der Höhe der Leistung zu beurteilen. Das ist die erste wichtige Grundaussage dieser Entscheidung. Eine Abgrenzung nach Prozentsätzen der Gesamtvergütung ließe sich nicht rechtfertigen. Sie sei auch nicht interessengerecht. Wäre der Arbeitgeber gehindert, Sonderzahlungen ab einer bestimmten Höhe unter Freiwilligkeitsvorbehalt zu stellen, würde er sie nicht oder höchstens zweimal erbringen. Beachtenswert ist das Urteil zudem aus einem zweiten Grund: Zwischen den Parteien war streitig, ob mit der Sonderzahlung allein die Arbeitsleistung oder aber auch die Betriebstreue des Klägers honoriert werden sollte. Das BAG ließ dies dahinstehen, entschied jedoch zugleich, dass dem unterjährig ausgeschiedenen Kläger kein Anspruch auf eine anteilige Sonderzahlung für die Zeit, während der er im Bezugszeitraum (hier: im Jahr 2006) gearbeitet hatte, zusteht. Der Arbeitgeber könne Mitarbeiter vom Kreis der Anspruchsberechtigten ausschließen, die zur Zeit der Entstehung des Anspruchs (hier: im Frühjahr 2007) bereits ausgeschieden sind.
Praxisfolgen
Wer zwischen den Änderungsvorbehalten ein klares Gestaltungsgefälle sucht, der sucht vergebens. Spätestens seit dieser Entscheidung gibt es keine Regel mehr, die besagt, dass dasjenige Flexibilisierungsinstrument, das dem Arbeitgeber die größte Freiheit - insbesondere das höchste Flexibilisierungsvolumen - bietet, zugleich den strengsten Anforderungen unterliegt. Der Erst-Recht-Schluss „was nicht unter Widerrufsvorbehalt gestellt werden darf, kann erst Recht nicht wirksam als freiwillige Leistung vereinbart werden" ist in dieser Allgemeinheit nicht mehr zutreffend. Stattdessen wird man künftig zu differenzieren haben: Ein Eingriff in das laufende Arbeitsentgelt ist dem Freiwilligkeitsvorbehalt verschlossen; wer hier flexibilisieren will, muss auf andere Gestaltungsmittel - etwa Teilbefristungen oder Widerrufsvorbehalte - zurückgreifen. Im letzteren Fall ist zu beachten, dass der Kernbereich, also mehr als 75 % der Gesamtvergütung beim Arbeitsentgelt im engeren Sinn, veränderungsfest bleiben muss. Ein Widerrufsvorbehalt wäre sonst unwirksam. Bei Sonderzahlungen sind hingegen sowohl Widerrufs- als auch Freiwilligkeitsvorbehalte prinzipiell zulässig. Letztere werden immer dann das Mittel erster Wahl sein, wenn den hohen Anforderungen an das Transparenzgebot Rechnung getragen werden kann. Dann nämlich ermöglichen sie ein höheres Flexibilisierungsvolumen als Widerrufsvorbehalte und vermeiden zugleich die rechtlichen Unwägbarkeiten, die mit der Abfassung der Widerrufsgründe einhergehen.
Das Urteil wirft eine Reihe von Folgefragen auf. Dass Sonderzahlungen unabhängig von ihrer Höhe zu 100 % freiwillig gewährt werden können, ist ausgehend von der Prämisse des 10. Senats, dass Arbeitnehmer auf den Erhalt von Sonderzahlungen ohnehin nicht schutzwürdig vertrauen können, konsequent. Ist aber das per Freiwilligkeitsvorbehalt erreichte Flexibilisierungsvolumen auf die bei Widerrufsvorbehalten geltende 25-30 %-Grenze anzurechnen? Können z.B. neben einer freiwilligen Sonderzahlung, die 30 % der Gesamtvergütung ausmacht, weitere 20 % des laufenden Arbeitsentgelts widerruflich gestellt werden? Auf Grundlage der vom 5. und 9. Senat zu Widerrufsvorbehalten ergangenen Judikate wird man dies zu verneinen haben, weil der dort anzutreffende Schutz des Kernbereichs sich nicht nach dem Zahlungszeitpunkt, sondern dem Zweck der Leistung bemisst. Die Perspektive des 10. Senats lässt dagegen ein anderes Ergebnis möglich erscheinen. Es wird des Weiteren interessant zu sehen sein, wie die Rechtsprechung zukünftig Missbrauchsfällen begegnen wird. Eines darf nämlich nicht übersehen werden: Freiwilligkeitsvorbehalte sind nunmehr gerade dort zulässig, wo ihre Missbrauchsgefahr mit am größten ist. Gerade weil die Voraussetzungen für den Erhalt der Leistung in der Klausel nicht präzise benannt werden dürfen, wird bei Sonderzahlungen häufig der Verdacht naheliegen, dass lediglich laufendes Arbeitsentgelt in die Sonderzahlung transferiert worden ist. Das einzig wirklich Besondere an der „Sonder"-zahlung wäre dann das gegenüber dem laufenden Arbeitsentgelt hinausgeschobene Fälligkeitsdatum. Ob die Rechtsprechung eine solche Praxis tatsächlich bis zur Grenze des sittenwidrigen Lohnwuchers zulassen wird, erscheint aber zweifelhaft. Die Entscheidung macht es schließlich notwendig, die gleichfalls vom 10. Senat angekündigte Rechtsprechungsänderung zu Bindungsklauseln zu überdenken (BAG 24.10.2007, BB 2008, 166). Ist es tatsächlich sinnvoll, Rückzahlungs- und Stichtagsklauseln strengeren Anforderungen als Freiwilligkeitsvorbehalte zu unterwerfen? Ich meine nein: Für Arbeitnehmer ist es günstiger, einen Anspruch auf eine Sonderzahlung mit Rückzahlungspflicht zu haben, als überhaupt keinen Anspruch.