LAG Nürnberg: 1,2 Terminsgebühr – nicht rechtshängige Ansprüche – Vergleich
LAG Nürnberg, Beschluss vom 2.10.2023 – 4 Ta 88/23
Volltext: BB-Online BBL2023-2931-3
Leitsatz
Nr. 3104 VV Abs. 3 RVG schließt nicht aus, dass in einem anderen Termin (außergerichtliche Vergleichsgespräche) die Terminsgebühr aus einem Wert nicht rechtshängiger Ansprüche entsteht (ebenso LAG München, Beschluss vom 23.03.2022 – 6 Ta 275/21).
VV 3104 Anm. III
Sachverhalt
I.
Die Parteien stritten im vorliegenden Verfahren über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung. Der Kläger begehrte gleichzeitig mit Klageerhebung vom 23.01.2023 die Gewährung von Prozesskostenhilfe sowie die Erstreckung auf einen möglichen Vergleich.
Zwischen den Parteien wurden bereits am 17.02.2023 Gespräche über eine Einigung und Erledigung des Rechtsstreits geführt. Mit Schriftsatz vom 21.02.2023 sowie in einem Telefonat am 22.02.2023 wurde durch die Beklagtenpartei gegenüber dem Arbeitsgericht mitgeteilt, dass zwischen den Parteien außergerichtliche Gespräche mit dem Ziel einer Einigung erfolgt seien. Mit Schriftsatz vom 20.03.2023 wurde durch die Klagepartei unter Unterbreitung eines Vergleichsvorschlages und eines gesonderten Antrages auf Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Vergleich mitgeteilt, dass die Parteien sich weitgehend geeinigt hätten. Mit Schriftsatz vom 27.03.2023 hat die Beklagtenpartei dem durch die Klagepartei unterbreiteten Vergleichsvorschlag zugestimmt. Mit Beschluss vom 29.03.2023 wurde das Zustandekommen eines gerichtlichen Vergleichs festgestellt.
Dem Kläger wurde mit Beschluss vom 20.04.2023 ab dem 23.01.2023 Prozesskostenhilfe für die erste Instanz bewilligt und dessen anwaltliche Vertretung beigeordnet. Die Bewilligung erstreckte sich auch auf den Vergleich. Der Streitwert für das Verfahren wurde auf 780,00 € festgesetzt, überschießend wurden für den Vergleich 1.626,00 € festgesetzt.
Am 21.04.2023 beantragten die Prozessbevollmächtigten des Klägers Festsetzung der Prozesskostenhilfevergütung. Dabei wurde beantragt, eine 1,2 Terminsgebühr gemäß VV RVG Nr. 3104 aus 2.406,00 € i.H.v. 266,40 € zu erstatten. Die 1,0 Einigungsgebühr gemäß VV RVG Nr. 1003, 1000 wurde i.H.v. 222,00 € zur Festsetzung beantragt. Insgesamt wurden 899,16 € als Vergütung beantragt.
Mit Beschluss vom 28.04.2023 wurde eine 1,5 Einigungsgebühr aus dem überschießenden Vergleichswert festgesetzt, da das Gericht als reines Protokollierungsorgan den Vergleich lediglich protokolliert und den Vergleich inklusive erhöhtem Vergleichswert nur zur Kenntnis genommen habe, dies unter Verweis auf die bisherige Rechtsprechung des LAG Nürnberg (Az 4 Ta 26/09) zum „Nurprotokollierungsvergleich“. Zugleich wurde eine 1,2 Terminsgebühr aus dem Verfahrenswert (780,00 €) i.H.v. 105,60 € festgesetzt. Insgesamt wurde die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf 839,90 € festgesetzt.
Mit Schreiben vom 10.05.2023, eingegangen bei Gericht am selben Tag, legten die Prozessbevollmächtigten des Klägers Erinnerung gegen den Beschluss vom 28.04.2023 ein. Sie beantragen unter Aufrechterhaltung der 1,5 Einigungsgebühr hinsichtlich des überschießenden Vergleichswertes ausschließlich die Korrektur der Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) und Festsetzung aus dem Vergleichswert (2.406,00 €).
Mit Beschluss vom 05.06.2023 wurde der Erinnerung nicht abgeholfen und die Sache dem Arbeitsgericht Weiden zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Beschluss des Arbeitsgerichts Weiden vom 16.06.2023 wurde der Erinnerung vom 10.05.2023 abgeholfen und die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 1.031,25 € festgesetzt. Für die Staatskasse wurde die sofortige Beschwerde zugelassen. Das Arbeitsgericht Weiden hat ausgeführt, dass die 1,2 Terminsgebühr aus dem vollen Vergleichswert i.H.v. 2.406,00 € angefallen sei, da die zwischen den Parteien erzielte Einigung zwar ohne Beteiligung des Gerichts, aber außerhalb der Verhandlung nach § 278 Abs. 6 ZPO erfolgte. Diese umfasse auch die nicht rechtshängigen Ansprüche.
Der Beschluss des Arbeitsgerichts Weiden vom 16.06.2023 wurde dem Bezirksrevisor beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 20.07.2023 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 01.08.2023, bei Gericht eingegangen am selben Tag, hat der Bezirksrevisor beim Landesarbeitsgericht Nürnberg für die Staatskasse sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Weiden vom 16.06.2023 eingelegt und beantragt, die Erinnerung vom 10.05.2023 zurückzuweisen. Der Bezirksrevisor hat geltend gemacht, dass Kernfrage sei, ob VV 3104 Abs. 3 RVG für den vorliegenden „Nurprotokollierungsvergleich“ Anwendung finde. Hierfür spreche der Wortlaut.
Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben im Rahmen der erfolgten Anhörung mit Schriftsatz vom 11.08.2023 ausgeführt, dass ein „Nurprotokollierungsvergleich“ gerade nicht vorliege.
Das Arbeitsgericht Weiden hat mit Beschluss vom 01.09.2023 der sofortigen Beschwerde der Staatskasse vom 01.08.2023 nicht abgeholfen und die Akte dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur weiteren Entscheidung vorgelegt.
Aus den Gründen
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig, § 56 Abs. 1 S. 1 Abs. 2 S. 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 4 S. 2 RVG. Sie ist fristgerecht gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3 RVG beim Arbeitsgericht eingegangen. Sie konnte wegen der ausdrücklichen Zulassung durch das Erstgericht auch ohne Erreichung des Beschwerdewertes eingelegt werden, §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 Satz 2 RVG.
2. Die Beschwerde ist sachlich nicht begründet. Das Arbeitsgericht Weiden hat im Beschluss vom 16.06.2023 die den Prozessbevollmächtigten des Klägers aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung zutreffend auf 1.031,25 € festgesetzt. Die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG, § 49 RVG war auf Grundlage des Vergleichswertes (2.406,00 €) in Höhe € 266,40 € festzusetzen und nicht nur auf Grundlage des Verfahrenswertes.
Zwar entsteht nach Nr. 3104 VV Abs. 3 RVG die Terminsgebühr nicht, wenn in einem Gerichtstermin lediglich beantragt ist, eine Einigung der Parteien oder der Beteiligten oder mit Dritten über nicht rechtshängige Ansprüche zu Protokoll zu nehmen. Dies erfasst allein den Fall, dass nicht rechtshängige Ansprüche in einem Vergleich protokolliert werden sollen. Das Arbeitsgericht Weiden hat zutreffend festgestellt, dass es die Ausnahmeregelung in Nr. 3104 VV Abs. 3 RVG nicht ausschließt, dass in einem anderen Termin die Terminsgebühr aus einem Wert nicht rechtshängiger Ansprüche entsteht (LAG München, Beschluss vom 23.03.2022 – 6 Ta 275/21; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe VV Nr. 3104 Rn. 138; Riedel/Sußbauer/Ahlmann VV Nr. 3104 Rn. 26; HK-RVG/Hans-Jochem Mayer RVG VV 3104 Rn. 59; Toussaint/Toussaint RVG VV 3103, 3104 Rn. 47).
Die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG entsteht auch dann, wenn ein Prozessbevollmächtigter an außergerichtlichen Besprechungen, die auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichtet sind, mitwirkt (vgl. BAG v. 20.6.2006 – 3 AZB 78/05, NZA 2006, 3022).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist festzustellen, dass auf Grundlage des Vortrages der Parteien sowie des Inhalts der erstinstanzlichen Akte zwischen den Parteien jedenfalls beginnend bereits ab 17.02.2023 Gespräche über eine gütliche Einigung erfolgten und dass diese auch die nicht rechtshängigen Ansprüche umfassten. Folglich ist eine Terminsgebühr entstanden, die die rechtshängigen, wie auch nicht rechtshängige Gegenstände beinhaltet.
Die erfolgte Festsetzung der Terminsgebühr berücksichtigt auch, dass die durch die Parteien außergerichtlich geführten Vergleichsgespräche zu einem Zeitpunkt erfolgten, als der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf den Vergleich bereits gestellt war. Unabhängig davon, ob der bereits mit Klageschrift vom 23.01.2023 gestellte Antrag auf Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Vergleich zulässig gewesen ist, hat das Arbeitsgericht Weiden jedenfalls mit Beschluss vom 20.04.2023 die Prozesskostenhilfe ab dem 23.01.2023 bewilligt und diese auf den Vergleich erstreckt. Hierauf ist gemäß § 48 Abs. 1 RVG maßgebend abzustellen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9.7.2009 – 2 WF 33/09).
In der Konsequenz ist festzustellen, dass der getroffenen Entscheidung auch die Entscheidung des LAG Nürnberg vom 19.06.2009 – Az: 4 Ta 26/09 nicht entgegensteht.
III.
1. Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
2. Eine Kostenentscheidung war nicht erforderlich, da das Verfahren über die Erinnerung und über die Beschwerde gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden, § 56 Abs. 2 S. 2, 3 RVG.