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Arbeitsrecht
17.07.2015
Arbeitsrecht
LG Frankfurt: Berücksichtigung im Ausland beschäftigter Arbeitnehmer bei Schwellenwerten der Mitbestimmung

LG Frankfurt, Urteil vom 16.2.2015 — 3-16 O 1/14

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2015-1792-1

unter www.betriebs-berater.de

Sachverhalt

I.

Die Antragsgegnerin (im Folgenden auch: Gesellschaft) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Frankfurt. Sie ist Trägerin der Frankfurter Wertpapierbörse sowie herrschendes Unternehmen der Gruppe Deutsche Börse. Diese beschäftigt (Stand: 31.12.2013) insgesamt 3.811 Arbeitnehmer, davon 1.624 in Deutschland und 1.747 im europäischen Ausland, diese überwiegend (1.588) in Luxemburg, Tschechien und Großbritannien. Sie verfügt über einen Aufsichtsrat, der nach § 9 ihrer Satzung aus 18 Mitgliedern besteht und der nach den Vorschriften des Drittelbeteiligungsgesetzes aus zwölf Mitgliedern der Anteilseigner und sechs Mitgliedern der Arbeitnehmer zusammengesetzt ist. Der Antragsteller ist Professor für Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht sowie Direktor des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht an der Universität München. Er ist seit dem 20.03.2014 im Aktienregister der Gesellschaft eingetragen und verfügt über 100 Namensaktien der Gesellschaft.

Mit seinem am 20.03.2014 bei Gericht eingegangenem Antrag macht der Antragsteller geltend, der Aufsichtsrat der Gesellschaft sei nicht nach den Vorschriften des Gesetzes zusammengesetzt, weil das Drittelbeteiligungsgesetz mit seiner Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf inländische Arbeitnehmer gegen das Recht der Europäischen Union verstoße, da es in anderen Mitgliedsstaaten beschäftigte Arbeitnehmer von der Wahl zum Aufsichtsrat ausschließe. Es dürfe daher nicht angewendet werden. Der Antragsteller beantragt, festzustellen, dass der Aufsichtsrat der Gesellschaft nicht mehr nach §§ 4 Abs. 1, 1 Abs. 1 Nr. 1 des Drittelbeteiligungsgesetzes, sondern nach den §§ 95 ff. des Aktiengesetzes, hilfsweise nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 des Mitbestimmungsgesetzes zusammenzusetzen ist.

Die Antragsgegnerin tritt dem entgegen und hält den Antrag bereits für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.

Die Kammer hat den Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Gesellschaft angehört und den Antrag mit Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 4 Wochen im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht. Weitere Äußerungen erfolgten jedoch nicht.

 

Aus den Gründen

II.

Der nach § 98 AktG statthafte Antrag ist zulässig. Zwar geht die Kammer davon aus, dass der Antragsteller mit seinem Antrag in erster Linie wissenschaftliche Interessen verfolgt und die Beteiligung an der Gesellschaft nur deshalb erworben hat, um die von ihm begehrte Feststellung treffen zu lassen. Das Gesetz regelt aber ausdrücklich, dass jeder Aktionär befugt ist, die Zusammensetzung des Aufsichtsrates überprüfen zu lassen (§ 98 Abs. 2 Nr. 3 AktG). An weitere Voraussetzungen ist das Antragsrecht nicht gebunden (vgl. BGH, NJW-RR 2012, 610). Die Motive hierfür sind deshalb auch unerheblich. Der Antragsteller ist Aktionär der Gesellschaft. Seine Antragsbefugnis ist daher gegeben.

 

Der Antrag ist auch zum Teil erfolgreich. Der Aufsichtsrat der Gesellschaft ist nach Auffassung der Kammer nicht nach den gesetzlichen Vorschriften zusammengesetzt.

 

Allerdings folgt die Kammer nicht der Auffassung des Antragstellers, wonach das Drittelbeteiligungsgesetz im vorliegenden Fall keine Anwendung finden kann, weil es in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union beschäftigte Arbeitnehmer von der Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat ausschließt. Insbesondere bedurfte es auch nicht der vom Antragsteller begehrten Vorlage an den Europäischen Gerichtshof. Die vom Antragsteller aufgeworfene Rechtsfrage ist für die Entscheidung unerheblich.

 

Der Antragsteller geht davon aus, dass das Drittelbeteiligungsgesetz zwar grundsätzlich bei der Gesellschaft Anwendung findet, bei der Wahl zum Aufsichtsrat aber nur die regelmäßig in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer mitwirken dürfen. Ob diese Rechtsauffassung, die sich jedenfalls nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern allenfalls aus dessen herrschender Interpretation ergibt (vgl. z. B. Oetker in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 15. Aufl., Einf. vor § 1 DrittelbG Rn. 3 m. w. N.), zutreffend ist, mag dahinstehen. Denn die Kammer hat im Statusverfahren über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates nicht zu prüfen, ob eine erfolgte oder erforderliche Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer korrekt erfolgt oder nicht. Dies ist gegebenenfalls im Wahlanfechtungsverfahren zu überprüfen, wozu die Arbeitsgerichte berufen sind (§ 11 DrittelbG, ebenso auch OLG Zweibrücken, NZG 2014, 740, 741 zu § 21 MitbestG). Die Kammer ist auch nicht der Meinung, dass ein – unterstellter – Verstoß des Drittelbeteiligungsgesetzes gegen Unionsrecht dazu führen würde, dass dieses gänzlich unanwendbar bliebe und der Aufsichtsrat ohne Arbeitnehmervertreter bleiben müsste, sondern dass dieses gegebenenfalls europarechtskonform ausgelegt werden müsste (so auch OLG Zweibrücken, a. a. O.).

 

Unabhängig hiervon ist jedoch festzustellen, dass der Aufsichtsrat der Gesellschaft nicht richtig zusammengesetzt ist. Die Satzungsregelung, wonach der Aufsichtsrat der Gesellschaft aus 18 Mitgliedern besteht, und das praktizierte Verfahren, wonach hiervon sechs Mitglieder als Vertreter der Arbeitnehmer gewählt werden, widersprechen dem Gesetz.

 

Der Aufsichtsrat der Gesellschaft kann angesichts der Größe des Unternehmens der Antragsgegnerin nicht nach dem Drittelbeteiligungsgesetz zusammengesetzt werden. Vielmehr ist das Mitbestimmungsgesetz anzuwenden.

 

Dies folgt aus § 1 Abs. 1 MitbestG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 MitbestG, wonach ein Unternehmen, das in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt, der Mitbestimmung der Arbeitnehmer unterliegt, wobei für das herrschende Unternehmen eines Konzerns die Arbeitnehmer der Konzernunternehmen als dessen Mitarbeiter gelten. Unter Berücksichtigung der Mitarbeiter der Konzernunternehmen liegt die Anzahl der Mitarbeiter der Antragsgegnerin aber deutlich über 2.000, sie beträgt nämlich 3.590.

 

Dies ergibt sich aus den eigenen Angaben der Antragsgegnerin in ihrem im Internet veröffentlichten Unternehmensbericht für das Jahr 2013, die im Wesentlichen mit den von ihr in der Antragserwiderung per 31.03.2014 genannten Zahlen übereinstimmen und die auch vom Antragsgegner nicht in Frage gestellt worden sind. Die Kammer hat daher keine Bedenken, diese Angaben der Entscheidung zu Grunde zu legen (§ 26 FamFG).

 

Allerdings beschäftigt die Antragsgegnerin in Deutschland lediglich 1.624 Arbeitnehmer, so dass allein unter deren Berücksichtigung nicht das Mitbestimmungsgesetz, sondern das Drittelbeteiligungsgesetz anzuwenden ist. Hiervon gehen auch der Antragsteller (jedenfalls in erster Linie) und die Antragsgegnerin aus. Dem folgt die Kammer jedoch nicht.

 

Zwar sind nach verbreiteter Auffassung bei der Ermittlung der für die Anwendung der Regeln über die Unternehmensmitbestimmung maßgeblichen Unternehmensgröße die im Ausland beschäftigten Mitarbeiter, insbesondere auch die ausländischer Konzernunternehmen, nicht zu berücksichtigen (vgl. Oetker, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 1 MitbestG Rn. 7). Nach den Gesetzesmaterialien zum Mitbestimmungsgesetz bestand auch im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Einmütigkeit darüber, dass die im Entwurf des Gesetzes festgelegten Beteiligungsrechte nur den Arbeitnehmern der in der Bundesrepublik belegenen Betriebe dieser Unternehmen zustehen und im Ausland gelegene Tochtergesellschaften und deren Betriebe im Inland bei der Errechnung der maßgeblichen Arbeitnehmeranzahl nicht mitzählen sollten (vgl. BT-Drucksache 7/4845, Seite 4). Begründet wird diese Auffassung allerdings – wenn überhaupt – immer nur mit dem in Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts aus den 1930er Jahren entwickelten „Territorialitätsprinzip“, wonach sich die deutsche Sozialordnung nicht auf das Hoheitsgebiet anderer Staaten erstrecken kann (vgl. hierzu Däubler, Mitbestimmung und Betriebsverfassung im Internationalen Privatrecht, RabelsZ 1975, 444, 446f.).

 

Bereits frühzeitig ist darauf hingewiesen worden, dass diese Interpretation nicht zwingend ist und eine entsprechende Einschränkung insbesondere im Gesetz keinen Ausdruck gefunden hat (vgl. Duden, Zur Mitbestimmung in Konzernverhältnissen nach dem Mitbestimmungsgesetz, ZHR 141 (1977), 145, 183 ff.; Ebenroth/Sura, Transnationale Unternehmen und deutsches Mitbestimmungsgesetz, ZHR 144 (1980), 610, 612 ff.) Der Wortlaut des Mitbestimmungsgesetzes – und auch des Drittelbeteiligungsgesetzes – nimmt an keiner Stelle im Ausland Beschäftigte von der Mitbestimmung aus (so auch OLG Zweibrücken, NZG 2014, 740). Auch enthalten weder das Mitbestimmungsgesetz noch das Drittelbeteiligungsgesetz eine diesbezügliche Regelung, sondern verweisen hinsichtlich der zu berücksichtigenden Arbeitnehmer auf die Regelung über den Konzern in § 18 Abs. 1 AktG (§ 5 Abs. 1 MitbestG, § 2 DrittelbG). Hinsichtlich dieser Regelung ist aber nicht fraglich, dass zum Konzern auch ausländische Unternehmen zählen können. Maßgeblich ist allein, ob ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne des § 17 Abs. 1 AktG besteht. Einen eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Konzernbegriff gibt es nicht, maßgeblich sind allein die Regelungen des Aktiengesetzes (vgl. BAG, NZA 2007, 999). Zwar knüpft das Betriebsverfassungsgesetz im Gegensatz zum Mitbestimmungsgesetz nicht an den Wirtschaftskörper „Unternehmen“, sondern an die Produktionseinheit „Betrieb“ an. Im Gegensatz zur betrieblichen Mitbestimmung hat die Unternehmensmitbestimmung die Aufgabe, die mit der Unterordnung der Arbeitnehmer unter fremde Leitungs- und Organisationsgewalt in größeren Unternehmen verbundene Fremdbestimmung durch die institutionelle Beteiligung an den unternehmerischen Entscheidungen zu mildern und die ökonomische Legitimation der Unternehmensleitung durch eine soziale zu ergänzen (vgl. BVerfG, NJW 1979, 699, 705). Daraus folgt aber lediglich, dass die Unternehmensmitbestimmung mindestens so weit zu gehen hat, wie die betriebliche Mitbestimmung, keinesfalls enger gefasst sein kann. Für die Kammer ist es deshalb nicht zweifelhaft, dass es auch keinen eigenen mitbestimmungsrechtlichen Konzernbegriff gibt und ausländische Konzernunternehmen bei der Frage, wie sich der Aufsichtsrat zusammenzusetzen hat, zu berücksichtigen sind. Jedenfalls bei in der Europäischen Union gelegenen Tochterunternehmen, wie es vorliegend der Fall ist, würde eine andere Behandlung der im europäischen Ausland gelegenen Unternehmen auch einen Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV) darstellen und letztlich zu Wettbewerbsverzerrungen führen, wenn die Unternehmensmitbestimmung nicht in grenzüberschreitend tätigen Konzernen gelten sollte (vgl. hierzu schon Däubler, a. a. O., S. 450 f.).

 

Aus diesem Grund hat das Landgericht Frankfurt bereits entschieden, dass im Ausland beschäftigte Mitarbeiter an der Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat zu beteiligen und diese bei der Anzahl der für die Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes maßgeblichen Arbeitnehmer zu berücksichtigen sind (LG Frankfurt, DB 1982, 1312). Soweit das Landgericht damals, ohne dass dies für seine Entscheidung von Bedeutung gewesen wäre, noch die Auffassung vertreten hat, dies gelte nicht für Arbeitnehmer ausländischer Tochterunternehmen, folgt dem die Kammer aus den bereits oben aufgezeigten Gründen, wonach der Konzernbegriff einheitlich dem Aktienrecht zu entnehmen ist, nicht.

 

Angesichts der Unternehmensgröße hat der Aufsichtsrat der Gesellschaft daher aus 12 Mitgliedern zu bestehen, je sechs Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner und der Arbeitnehmer (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MitbestG). Die Satzungsregelung, wonach der Aufsichtsrat aus 18 Mitgliedern besteht, steht nicht in Einklang mit der durch § 7 Abs. 1 S. 2 MitbestG eingeräumten Kompetenz und kann daher keine Wirksamkeit beanspruchen.

 

Eine weitere Anhörung von Verfahrensbeteiligten war in Hinblick auf die erfolgte Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger als einzigem Gesellschaftsblatt der Gesellschaft entbehrlich (vgl. LG Mannheim, NZA-RR 2002, 542, 543).

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 99 Abs. 6 AktG, wobei es der Billigkeit entsprach, dem Antragsteller die Hälfte der Gerichtskosten aufzuerlegen, weil er mit seinem Antrag nur teilweise Erfolg hatte. Die von ihm in erster Linie erstrebte Rechtsfolge, nämlich einen Aufsichtsrat ohne Arbeitnehmerbeteiligung, hat er nicht erreicht. Zudem ist seinem vornehmlichen Interesse, eine Feststellung bezüglich der Unionsrechtswidrigkeit der deutschen Mitbestimmungsregelungen zu treffen, nicht entsprochen worden.

 

Die Wertfestsetzung beruht auf § 75 GNotKG.

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