Dr. Alexander Bissels: Die geplante gesetzliche "Re-Regulierung" des Fremdpersonaleinsatzes – oder wie die Große Koalition das Rad zurückdreht
Werkverträge und die Arbeitnehmerüberlassung sollen nach dem Willen von "Schwarz-Rot" wieder stärker gesetzlich reguliert werden – so steht es im Koalitionsvertrag. Seit dem 16.11.2015 liegt nun ein Referentenentwurf des BMAS vor, der sich dieser letzten großen noch offenen arbeitsrechtlichen "Baustelle" der "GroKo" annehmen soll.
Die Überlassung von Arbeitnehmern ist danach in dem zwischen dem Personaldienstleister und dem Kunden vereinbarten Vertrag zukünftig ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen. Mit diesen Regelungen ist beabsichtigt, der sog. "Fallschirmlösung" einen Riegel vorzuschieben. Bislang konnte die Fiktion eins Arbeitsverhältnisses bei einem Werk-/Dienstvertrag, der sich im Nachhinein als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung herausstellte oder gar auf eine solche angelegt war, nach überwiegender Ansicht verhindert werden, indem sich der beauftragte "Werkunternehmer" auf die vorsorglich erteilte Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung beruft (vgl. nur: LAG Baden-Württemberg v. 18.12.2014 – 3 Sa 33/14; dazu: Bissels/Falter, DB 2015, 1842).
Es wird gesetzlich eine Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten mit einer Öffnungsklausel zugunsten eines Tarifvertrags der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche oder einer aufgrund eines solchen Tarifvertrags abgeschlossenen Betriebs- oder Dienstvereinbarung bestimmt.Insbesondere die Öffnungsklausel ist in zweierlei Hinsicht zu "eng" geraten: zum einen soll diese nur auf tarifgebundene Unternehmen beschränkt sein. Dies bedeutet: wenn beim Kundenunternehmen kein per beidseitiger Tarifbindung anwendbarer Tarifvertrag gilt, der eine längere Einsatzdauer vorsieht, ist die Überlassung nach 18 Monaten zu beenden. Eine Bezugnahme auf einen entsprechenden Tarifvertrag soll nicht ausreichend sein – insoweit ein Novum in der Rechtssetzungshistorie, läuft dies doch im Ergebnis auf einen gewissen "Koalitionszwang" hinaus, der in Konflikt mit Art. 9 Abs. 3 GG gerät. Zum anderen kommen nur Tarifverträge der Einsatzbranche, nicht aber der Zeitarbeit als "öffnende Elemente" in Betracht. Hier gilt es nachzubessern, dass zumindest auch die Tarifverträge der Zeitarbeitsbranche erfasst werden. Erfreulich ist hingegen, dass der Gesetzesentwurf hinsichtlich der Bestimmung der Höchstgrenze auf die Überlassung des jeweils eingesetzten Zeitarbeitnehmers ("derselbe") und nicht allgemein auf den beim Kunden mit einem Zeitarbeitnehmer besetzten Arbeitsplatz abgestellt.
Es wird die zwingende Geltung des equal pay-Grundsatzes festgeschrieben, von dem durch einen einschlägigen Tarifvertrag oder eine Bezugnahme auf diesen für die ersten 9 Monate einer Überlassung an einen Kunden abgewichen werden kann. Der Zeitraum verlängert sich auf 12 Monate bei Anwendung eines in der Zeitarbeitsbranche geltenden Tarifvertrages zu Branchenzuschlägen.Richtigerweise ist im Entwurf der Vorrang einer tariflichen vor einer gesetzlichen Lösungen angelegt; es muss allerdings die Frage gestellt werden, warum dies nach einem Zeitraum von 12 Monaten nach der gesetzgeberischen Vorstellung nicht mehr gelten soll. Zudem dürfte es auch europarechtlich kritisch anzusehen sein, die Geltung des equal pay-Gebotes nach 9 bzw. 12 Monaten zusätzlich mit einer Höchstüberlassungsdauer zu garnieren.
Wird ein Arbeitnehmer überlassen, ohne dass der Personaldienstleister über eine Erlaubnis verfügt, ist – wird bisher - der Arbeitnehmerüberlassungs- und der Arbeitsvertrag unwirksam; es wird stattdessen ein Arbeitsverhältnis mit dem Kunden fingiert. Es soll jedoch eine Regelung in das AÜG eingefügt werden, nach der keine Unwirksamkeit eintritt, wenn der Zeitarbeitnehmer schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach dem für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt erklärt, dass er am Arbeitsvertrag mit dem Personaldienstleister festhält. Einen vergleichbaren Regelungsmechanismus sieht das Gesetz für den Fall vor, dass gegen die o.g. Offenlegungspflichten oder die zulässige Höchstüberlassungsdauer verstoßen wird.
Der Kunden darf Zeitarbeitnehmer zukünftig nicht tätig werden lassen, soweit der Einsatzbetrieb unmittelbar von einem Arbeitskampf betroffen ist.Letztlichist mit diesem Verbot eine Zwangssolidarisierung mit einer streikenden Belegschaft verbunden, obwohl ein erkämpfter Tarifvertrag für das mit dem Zeitarbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis in der Regel nicht anwendbar sein wird. Während Stammbeschäftige im Einsatzbetrieb frei wählen können, ob sie sich an einem Arbeitskampf beteiligen oder nicht, ist dies bei einem Zeitarbeitnehmer ausgeschlossen. Ob dies mit der grundrechtlich geschützten negativen Koalitionsfreiheit vereinbar ist, darf mit einem großen Fragezeichen versehen werden.
Zeitarbeitnehmer sind zukünftig bei sämtlichen Schwellenwerten des BetrVG (Ausnahme: § 112a BetrVG) und der Unternehmensmitbestimmung (u.a. MitbestG) mitzuzählen.Es entspricht dabei einem "Trend" in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung, dass Zeitarbeitnehmer "nicht nur wählen, sondern auch zählen sollen" (vgl. BAG v. 13.03.2013 – 7 ABR 69/11; BAG v. 04.11.2015 – 7 ABR 42/13). In diesem Sinne hat die "GroKo" im Koalitionsvertrag angekündigt, dass Zeitarbeitnehmer bei Schwellenwerten des BetrVG berücksichtigt werden sollen. Von der Unternehmensmitbestimmung war hingegen keine Rede, so dass der Gesetzesentwurf die im Koalitionsvertrag getroffenen Festlegungen weit überdehnt. Die differenzierte Betrachtung der Rechtsprechung dazu wird verwässert der Gesetzesentwurf vollkommen, indem dieser – mit Ausnahme von § 112a BetrVG – schlichtweg "alles über einen Kamm schert".
Zur "besseren" Abgrenzung des Arbeitsvertrags zu anderen Vertragsverhältnissen, insbesondere zum Werk- und Dienstvertrag, wird durch § 611a BGB n.F. ein Katalog eingeführt, der herangezogen werden soll, um festzustellen, ob jemand – wie für den Arbeitsvertrag kennzeichnend – weisungsgebunden in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist. Maßgeblich soll dabei u.a. sein, ob die betreffende Person nicht frei darin ist, seine Arbeitszeit oder die geschuldete Leistung zu gestalten oder seinen Arbeitsort zu bestimmen. Die gute Nachricht ist, dass der Referentenentwurf kein zwingendes Modell vorsieht, nach dem bei der Erfüllung einer gewissen Anzahl von im Gesetz vorgegebener Kriterien eine Vermutung für oder gegen das Bestehen eines Arbeitsvertrages begründet wird. Vielmehr bekennt sich der Referentenentwurf ausdrücklich dazu, dass eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist, bei der auch die in § 611a BGB genannten Kriterien zu berücksichtigen sind. Wichtig ist, dass der gesetzliche Katalog nicht abschließend ist, sondern dass über die Qualifizierung eines Vertragsverhältnisses als Arbeitsvertrag die gesamten Umstände des Einzelfalls entscheiden. Dennoch ist der Vorschlag im Referentenentwurf kritikwürdig, da die gewählten (Tatbestands)Merkmale gerade bei der Erbringung von technischen Dienstleistungen praxisfern und rückwärtsgewandt formuliert sind.
Es wird hinsichtlich der allgemeinen Informationsrechte des Betriebsrates klargestellt, dass dieser auch über personelle Maßnahmen unterrichtet werden muss, die sich auf Personen beziehen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen. Bzgl. dieser ist der Betriebsrat insbesondere über den zeitlichen Umfang des Einsatzes, den Einsatzort und die Arbeitsaufgaben dieser Personen zu unterrichten. Zudem sind dem Betriebsrat die dem Einsatz des Fremdpersonals zugrunde liegenden Verträge vorzulegen. Positiv ist, dass der Abschluss von Werk-/Dienstverträgen auch zukünftig mitbestimmungsfrei sein wird. Der Arbeitgeber ist also nicht verpflichtet, vor der Fremdvergabe von Tätigkeiten die Zustimmung des Betriebsrates einzuholen. Dies wäre aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten als höchst kritisch anzusehen. Stattdessen sieht der Gesetzesentwurf im Wesentlichen eine Konkretisierung der von der Rechtsprechung entwickelten betrieblichen Beteiligungsrechte vor.
Die gesetzlichen Änderungen sollen zum 01.01.2017 in Kraft treten. Ausdrücklich klargestellt wird, dass Überlassungszeiten vor dem 01.01.2017 für die Berechnung der künftigen Höchstüberlassungsdauer nicht berücksichtigt werden. Es stellt sich dabei die Frage, warum dies für die relevanten Zeiträume für die zwingende Geltung von equal pay nicht ebenfalls angeordnet wurde.
Der Gesetzesentwurf zur Regulierung des Fremdpersonaleinsatzes soll nun zunächst in die Ressortabstimmung gehen, bevor das eigentliche Gesetzgebungsverfahren angestoßen wird. Diese wird erst im Jahr 2016 abgeschlossen werden können. Es bleibt zu hoffen, dass das Vorhaben des BMAS - noch bevor sich der Bundestag mit dem Entwurf befasst - zumindest auf das zurechtgestutzt wird, was auch vom BMAS immer beteuert wurde: nämlich dass man sich auf eine wortgetreue Umsetzung der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Abreden beschränkt. Davon ist der vorliegende Referentenentwurf aus dem Hause von Frau Nahles aber noch meilenweit entfernt. Arbeitgeberpräsident Kramer fasst zusammen, dass der Gesetzesentwurf "praxisfremd, hochbürokratisch und undurchführbar" sei – dem ist nichts hinzuzufügen. Es ist damit auf das "Struck'sche Gesetz" zu hoffen, nach dem kein Gesetzesvorhaben den Bundestag so verlässt, wie es hineingekommen ist. Dies wäre hinsichtlich des vorliegenden Referentenwurfs tatsächlich dringend erforderlich.
Dr. Alexander Bissels ist Partner und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei CMS Hasche Sigle. Er berät deutsche und multinationale Unternehmen auf sämtlichen Gebieten des Individual- und Kollektivarbeitsrechts, insbesondere zu Fragen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung, u. a. zu den Konsequenzen aus der Tarifunfähigkeit der CGZP sowie tariflichen Branchenzuschlägen.