BAG: Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich – Rechtsmissbrauch – Umgehungsgeschäft – Scheinarbeitsverhältnis
Das BAG hat mit Urteil vom 15.11.2018 – 6 AZR 522/17 – wie folgt entschieden:
1. Aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 4 Ziff. 1 Buchst. c TV SozSich sowie dessen Sinn und Zweck folgt, dass der Bezug von Überbrückungsbeihilfe zum Krankengeld ausschließlich die Erfüllung der dort niedergelegten sowie der in § 2 TV SozSich enthaltenen allgemeinen Tatbestandsmerkmale voraussetzt. Insbesondere besteht kein Bezug zu einem rechtswirksam begründeten Arbeitsverhältnis, wie es § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich erfordert. Die möglichen Anknüpfleistungen des § 4 Ziff. 1 TV SozSich stehen unabhängig nebeneinander (Rn. 24 f.).
2. Der frühere Beschäftigte der Stationierungsstreitkräfte kann die Überbrückungsbeihilfe gemäß § 4 Ziff. 1 Buchst. c TV SozSich aber trotzdem nicht in Anspruch nehmen, wenn er weiß, dass er die Anspruchsvoraussetzungen des Krankengeldbezugs dadurch herbeigeführt hat, dass er ein unwirksames Scheinarbeitsverhältnis (§ 117 Abs. 1 BGB) eingegangen ist. Das stellt eine unzulässige Umgehung zwingender Rechtsnormen dar (Rn. 26).
3. Ein solches Umgehungsgeschäft ist nicht bereits deshalb anzunehmen, weil der frühere Beschäftigte weniger Wochenstunden arbeitet als zuvor bei den Stationierungsstreitkräften oder eine Tätigkeit unterhalb seines Qualifikationsniveaus bzw. seiner Berufserfahrung ausübt. Das Gleiche gilt bei der „punktgenauen“ Vereinbarung der von der Protokollnotiz zu § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich vorausgesetzten Mindestbeschäftigungsdauer von mehr als 21 Stunden wöchentlich (Rn. 27).
4. Auch mit der Höhe des der Zahlung von Krankengeld zugrunde liegenden Entgeltanspruchs aus einer anderweitigen Beschäftigung allein kann ein Umgehungsgeschäft nicht begründet werden. Die Tarifvertragsparteien des TV SozSich haben sich bewusst für eine Begrenzung auf eine Mindestarbeitszeit, nicht aber auf eine Mindesthöhe des anderweitigen Entgelts entschieden. Daran sind die Gerichte wegen Art. 9 Abs. 3 GG gebunden (Rn. 45 f.).
5. Wer sich auf die Nichtigkeit eines Arbeitsvertrags gemäß § 117 Abs. 1 BGB beruft, trägt hierfür die Darlegungs- und Beweislast. Die andere Prozesspartei hat aber nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast die von der darlegungspflichtigen Partei behaupteten Tatsachen substantiiert zu bestreiten, sofern letztere trotz Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ihrer primären Darlegungslast nicht nachkommen kann, weil sie außerhalb der für den Anspruch erheblichen Geschehensabläufe stand, während der anderen Prozesspartei alle wesentlichen Tatsachen bekannt und ihr nähere Angaben zuzumuten sind (Rn. 36 f.).
6. Der Arbeitnehmer genügt bei den aus § 4 TV SozSich hergeleiteten Ansprüchen auf Überbrückungsbeihilfe im Hinblick auf den Vorhalt eines Scheingeschäfts seiner sekundären Darlegungslast grundsätzlich dadurch, dass er, ggf. durch Vorlage des mit dem neuen Arbeitgeber schriftlich abgeschlossenen Arbeitsvertrags, angibt, welche Tätigkeiten er in welchem Umfang bei diesem ausübt (Rn. 38).
7. Bereicherungsrechtliche (Rückforderungs-)Ansprüche sind im Anwendungsbereich der speziellen tariflichen Rückforderungsregelung des § 8 Ziff. 4 TV SozSich ausgeschlossen. Soweit jedoch ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen nicht auf vorsätzlichen oder grob fahrlässigen unrichtigen, unvollständigen oder unterlassenen Angaben beruhen, ist ein Rückgriff auf das Bereicherungsrecht möglich (Rn. 56 f.).