LAG Berlin-Brandenburg: Wirksame Befristung eines Arbeitsverhältnisses – kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugsentgelt
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4.8.2017 – 2 Sa 441/17
Volltext: BB-Online BBL2017-2739-5
Amtliche Leitsätze
1) Steht aufgrund eines rechtskräftigen Urteils (hier: des Bundesarbeitsgerichts ) fest, dass die Befristung eines Arbeitsverhältnisses wirksam war, hat der Arbeitnehmer für die Zeit nach dem Befristungsende keine Ansprüche auf Zahlung von Annahmeverzugsentgelt.
2) Der Rechtsstreit um einen derartigen Annahmeverzugslohn ist auch nicht gem. § 148 ZPO auszusetzen, bis das Bundesverfassungsgericht über die mögliche Verfassungswidrigkeit des BAG-Urteils entschieden hat. Insofern fehlt es bereits am Tatbestand der Vorgreiflichkeit des Bestandsschutzverfahrens. Dieser Rechtsstreit ist nicht mehr „anhängig“, sondern „erledigt“ im Sinne von § 148 ZPO.
3) Die eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BAG hemmt den Eintritt der Rechtskraft nicht. Es ist kein ordentliches Rechtsmittel, sondern ein außerordentlicher Rechtsbehelf, der die Pflicht des Unterlegenen, das Urteil zu befolgen, nicht beseitigt.
§§ 148 ZPO; 615 S. 1 BGB
Sachverhalt
Die Parteien streiten um Ansprüche aus Annahmeverzug für Zeiträume nach Beendigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses nach § 2 WissZeitVG zum 30.04.2012 bzw. 31.08.2012.
Das Bundesarbeitsgericht hat mit rechtskräftigem Urteil vom 23.03.2016 – 7 AZR 70/14 – die Entfristungsklage der Klägerin unter Aufhebung bzw. Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen abgewiesen (vgl. das Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Kopie Bl. 70 ff. d. A.). Dementsprechend hat das Arbeitsgericht Berlin, vor dem die Klägerin mit ihrer seit dem 14.12.2015 anhängigen Klage Annahmeverzugsansprüche seit dem 01.05.2012 verlangt hat, die vorliegende Klage abgewiesen. Das Arbeitsgericht Berlin hat den Rechtsstreit, in dem vorher bereits im Hinblick auf die Entscheidung des BAG ein (Kammer)Termin nur auf Antrag der Parteien anberaumt werden sollte, nicht im Hinblick auf eine Verfassungsbeschwerde der Klägerin gegen das Urteil des BAG gemäß § 148 ZPO ausgesetzt. Wegen der konkreten Begründung des Arbeitsgerichts Berlin wird auf das Urteil vom 21.02.2017 Bl. 90 ff. d. A. verwiesen.
Gegen dieses ihr am 07.03.2017 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg am 30.03.2017 eingegangene und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 07.06.2017 am 07.06.2017 begründete Berufung der Klägerin. Sie meint, dass der Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt werden müsste.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 21.02.2017 – 36 Ca 17335/15 – den Beklagten gemäß den erstinstanzlich im Kammertermin vom 21.02.2017 gestellten Klageanträgen zu verurteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte meint, dass eine Aussetzung schon deshalb nicht in Betracht käme, weil kein vorgreiflicher Rechtsstreit (mehr) anhängig sei. Im Übrigen seien auch die sonstigen Voraussetzungen des § 148 ZPO nicht gegeben.
Wegen des weiteren konkreten Vortrags der Parteien in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 06.06.2017 (Bl. 113 ff. d. A.) und des Beklagten vom 07.07.2017 (Bl. 133 ff. d. A.) verwiesen.
Aus den Gründen
I.
Die gemäß §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe b), Abs. 6; 66 Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 ArbGG; §§ 519; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.
II.
In der Sache hat die Berufung der Klägerin jedoch keinen Erfolg.
1. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen.
Für die Zeit bis zum 30.04.2012 steht rechtskräftig aufgrund der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23.03.2016 fest, dass das Arbeitsverhältnis wirksam befristet wurde. Für die Zeit vom 01.05.2012 bis zum 31.08.2012 steht ebenfalls aufgrund des BAG-Urteils fest, dass die Befristung mit einem Arbeitszeitanteil in Höhe von 75 % der tariflich geregelten Arbeitszeit wirksam war. Dementsprechend ist der Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzug in Höhe von vollem oder Differenzentgelt mangels Bestehen eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 615 Satz 1 BGB nicht gegeben.
2. Der Rechtsstreit war auch nicht auszusetzen.
a) Gemäß § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Prozesses bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist.
b) Es fehlt bereits am Tatbestand der Vorgreiflichkeit des Bestandsschutzstreits. Dieser Rechtsstreit ist nicht mehr „anhängig“, er ist „erledigt“ im Sinne von § 148 ZPO, da das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 23.03.2016 rechtskräftig über den Bestand des Arbeitsverhältnisses entschieden hat.
c) Die von der Klägerin eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BAG hemmt den Eintritt der Rechtskraft nicht. Es ist kein ordentliches Rechtsmittel, sondern ein außerordentlicher Rechtsbehelf, der die Rechtskraft des angegriffenen Urteils nicht hemmt und die Pflicht des Unterlegenen, das Urteil zu befolgen, nicht beseitigt (vgl. nur BAG 16.04.2014 – 10 AZB 6/14 – EzA § 148 ZPO 2002 Nr. 2 Rdz. 7 m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; LAG Sachsen 29.01.2014 – 4 Ta 248/13 (9) zitiert nach Juris, Rdz. 19).
d) Selbst wenn man dies anders sähe, wäre der Rechtsstreit nicht auszusetzen gemäß § 148 ZPO. Im Rahmen der Ermessenentscheidung nach § 148 ZPO sind gegenüber dem vorrangigen Zweck einer Aussetzung – einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern – insbesondere die Nachteile einer langen Verfahrensdauer und die dabei entstehenden Folgen für die Parteien abzuwägen. Dabei ist der Beschleunigungsgrundsatz des § 9 ArbGG ebenso zu berücksichtigen wie die Voraussetzungen zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer (BAG 16.04.2014, a.a.O., Rdz. 5; LAG Berlin-Brandenburg, 30.04.2015 – 26 Ta 625/15 – zitiert nach Juris.
aa) Der Zahlungsanspruch der Klägerin ist bereits seit dem 14.12.2015 anhängig. Eine Aussetzung im Hinblick auf eine spätere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, welches gerade in Entscheidungen zum Arbeitsrecht jedenfalls in der Vergangenheit erst Jahre nach dem Eingang geurteilt hat (vgl. etwa BVerfG 27.01.1998 – 1 BvL 15/87 – BVerfG 97, 169 ff. zur Kleinbetriebsklausel des § 23 KSchG sowie BVerfG 24.04.1996 – 1 BvR 712/86 – BVerfGE 94, 268 ff. zur Vereinbarkeit des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen mit Art. 9 Abs. 3 GG) ist im Hinblick auf die Rechtskraft des Bundesarbeitsgerichtsurteils vom 23.03.2016 nicht zu vertreten.
bb) Die Klägerin hat ihre Tätigkeit auch über den Ablauf der Befristung hinaus bis zur Entscheidung des BAG vom 23.03.2016 aufgrund der aufgehobenen bzw. abgeänderten Weiterbeschäftigungstitel der Instanzen vor der BAG-Entscheidung vergütet erhalten. Etwaige Rückforderungsansprüche des Beklagten (vgl. dazu den Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Berlin zum Az. 54 Ca 16482/16) aus bereicherungsrechtlichen Gründen erfassen nicht den Wert der tatsächlich geleisteten Arbeit (vgl. dazu BAG 12.02.1992 – 5 AZR 297/90 – BAGE 69, 324 ff.).
cc) Endlich ist die Klägerin nicht schutzlos für den Fall, dass ihrer Verfassungsbeschwerde stattgegeben werden sollte. In einem solchen Fall stünde ihr die Restitutionsklage nach § 580 Nr. 6 ZPO zur Verfügung (vgl. nur BAG 16.04.2014, a.a.O., Rdz. 11 m.w.N.; BAG 07.11.2002 – 2 AZR 297/01 – BAGE 103, 190, zu B I 6 d. Gr.; BGH 23.11.2006 – IX ZR 141/04 – Rdz. 13 ff., zitiert nach Juris).
III.
Die Berufung der Klägerin war daher auf ihre Kosten gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
IV.
Für eine Zulassung der Revision bestand kein Anlass.